LSB-Sprecher Thomas Härtel über Rollenzuordnung im Spitzensport, Olympiaambitionen und Energiesparmaßnahmen
Berlin, 23. Oktober – Die Welt im Krisenmodus, alle sind auf der Suche nach Problemlösungen – auch in Deutschland. Die Menschen sind verunsichert, die Gesellschaft gerät mehr und mehr in soziale Schieflage. Und der deutsche Sport mittendrin kämpft nicht nur gegen die Folgen, die der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mit sich bringt, sondern auch gegen hausgemachte Probleme. Über Energie-Sparmaßnahmen, Spitzensportdebakel und Olympiapläne sprach sportspitze mit dem Sprecher der Landessportbünde und Berliner LSB-Präsidenten Thomas Härtel.
Herr Härtel, wie ist die Lage des organisierten Sports?
Härtel: Nach der Pandemie hatten wir gehofft, dass alles wieder in geordneten Bahnen läuft. Aber: Corona ist immer noch da und wird uns weiter beschäftigen. Und nun trifft uns die Energiekrise mit allen bitteren Folgen. Auch auf Vereine und Verbände kommen enorme Belastungen zu. Das trifft natürlich besonders die, die eigene Vereinssportstätten und Anlagen haben. In Berlin rechnen wir mit etwa 600 bis 700 Vereinen, die nicht nur wegen der angekündigten Vorauszahlungen in Schwierigkeiten geraten werden. Das betrifft zum Beispiel nicht nur Tennisvereine, die im Winter Hallen aufbauen müssen, um ihre Mitglieder zu halten. Es geht auch um Geschäftsstellen und Büroräume von Vereinen und Verbänden, die ja weiter offen bleiben müssen, um den Betrieb am Laufen zu halten.
Fürchten Sie Austritte?
Härtel: Mitglieder gehen, weil das Angebot eingeschränkt ist, andere, weil der Mitgliedsbeitrag, der vielleicht erhöht wird, zu einer Zusatzbelastung wird. Oder wieder andere melden ihre Kinder ab, weil sie jeden Cent umdrehen müssen. Im Moment gibt es noch keinen Grund zur Beunruhigung: Der durch die Corona-Pandemie verursachte Rückgang im Jahr 2021 konnte vorerst gestoppt werden. In Berlin haben wir sogar den bundesweit größten Zuwachs verzeichnet und exakt 22.222 Mitglieder dazubekommen. In manchen Vereinen gibt es sogar schon Aufnahme-Wartelisten. Dennoch: Die Energiekrise drückt uns sehr, und wir wissen alle nicht, wie am Ende auch die Sportwelt aussieht.
Die Sportverantwortlichen haben sich schnell mit ihren Anliegen zu Wort gemeldet, was ja in der Politik diesmal wahrgenommen wurde.
Härtel: Wir sind froh, dass das gemeinsame Bemühen von DOSB und Landessportbünden auf Bundesebene zumindest bewirkt hat, dass der Sport im „Abwehrschirm“ jetzt ausdrücklich genannt worden ist. Das ist im Vergleich zu Corona ein Fortschritt und eine Wertschätzung. Jetzt geht es darum, über die Details zu verhandeln. Wir müssen gezielt unterstützen und nicht mit der Gießkanne unterwegs sein. Und da kommen wir zu einem zentralen Problem: Wenn ein Bundesprogramm aufgelegt wird, wie sehen dann am Ende die Vereinbarungen mit den Ländern aus?
Was heißt das genau?
Härtel: Wir können ja die Belastungen nur schätzen. Belastbare Zahlen wird es erst nach der Winterheizperiode geben Wir haben dem Berliner Senat eine Hochschätzung von bis zu 16 Millionen Euro im Sport vorgelegt, gleichzeitig deutlich das Signal gegeben, dass wir unseren Beitrag bei Energiesparmaßnahmen leisten wollen, mit dem Drei-Stufen-Paket, das der DOSB in enger Abstimmung mit den Landessportbünden geschnürt hat.
Das heißt zum Beispiel: Überprüfung bestehender Heizungs- und Elektroanlagen bis hin zur Frage: Wie können wir durch sporteigene Förderprogramme Energie einsparende Investitionen vornehmen? Manchmal wird es den Vereinen aber von den Behörden schwer gemacht. Es ist ein Witz, wenn man eine Flutlichtanlage mit energiesparenden LED-Lampen umrüsten will, das aber nicht geht, weil es in dem Förderprogramm X nicht vorgesehen ist.
Energie sparen scheitert an Einstufungen und Bestimmungen?
Härtel: Oft sind Förderprogrammen auf Bundes- und Länderebene nicht kompatibel und kumulierbar, das heißt, der Bund fördert das eine, das Land aber nicht. Oder umgekehrt. Mal abgesehen von einer komplizierten, bürokratischen Antragstellung, die viele ehrenamtliche Vereinsvorstände völlig überfordert. Also wenn man als Verein zum Beispiel in den Genuss des Kommunalen Investitionsprogramms des Bundes mit 475 Millionen Euro für Kultur, Jugend und Sport kommen will, braucht es ein Stück Begleitung und Unterstützung der ehrenamtlich Tätigen. Das ist eine große Herausforderung für uns, bei der wir als Landessportbünde dann auch Hilfe anbieten müssen, sei es bei den Anträgen oder auch bei den Abrechnungen. Schließlich geht es um Steuergeld. Auf transparente und unkomplizierte Verwendungsnachweise sollte man sich mit den Zuwendungsgebern doch einigen können.
Mal abgesehen davon, dass Energieprobleme Kommunen zwingen könnten, Hallen dicht zu machen: Die Flüchtlingszahlen steigen wieder. In einigen Bundesländern wie Baden-Württemberg werden für die ankommenden Menschen Hallen gebraucht. Könnte das ein weiteres Problem-Feld für den Sport bundesweit werden?
Härtel: Bei der Konferenz der Landessportbünde Ende September war das Diskussionsthema. Das kann die Situation natürlich weiter verschärfen. In Berlin haben wir auch wieder vermehrt Geflüchtete. Es gibt aber das klare Signal vom Senat, dass keine Hallen in Anspruch genommen werden. Die Bedeutung von kontinuierlichem Sport etwa für Kinder und Jugendliche wurde ja mehr als deutlich während der Pandemie. Wir wissen natürlich nicht, wie die Lage sich in diesem Winter entwickelt, aber wir sind im steten Gespräch, um bei einer Lageverschlechterung trotzdem etwa Schulschwimmen weiter zu ermöglichen. Da haben wir aus der Coronazeit alle dazu gelernt.
Zum Lernen ein Stichwort: Es steht ein Bewegungsgipfel an, zu dem die Bundesregierung einlädt. Was erwartet uns da?
Härtel: Wie der Bewegungsgipfel sich genau gestalten soll, wer dabei ist, dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Wir haben bisher erfahren, dass es der 13. Dezember sein soll, wo der DOSB gemeinsam mit der Bundesregierung zu einem ressortübergreifenden Gipfel einlädt.
Muss man sich das so vorstellen wie den Integrationsgipfel? Es sitzen alle um einen großen Tisch, und am Ende heißt es: Schön, dass wir darüber gesprochen haben?
Härtel: Es sollen auf jeden Fall die Ministerien dabei sein, die mit Sport zu tun haben: Gesundheit, Soziales, Familie, Bildung und das Bundesinnenministerium als zuständiges Sport-Ressort.
Die Forderung nach dem Bewegungsgipfel ist ja aus der Erfahrung mit der Pandemie entstanden, wo sehr deutlich wurde, dass der Sport in seiner gesamtgesellschaftlichen Bedeutung nicht in Gänze die entsprechende Wertschätzung gefunden hat. Es hat jeder irgendwas gemacht, aber es wurde nicht vernünftig koordiniert. Diese verschiedenen Facetten, die der Sport in seinem ureigensten Angebot hat, das Soziale, das Gesundheitsfördernde , das Sportliche, die Bildungsaspekte bis hin zur Partizipation – die wollen wir stärken. Wie schafft man das? Das sind aus meiner Sicht die Fragen, die man beim Bewegungsgipfel angehen muss. Es muss um eine inhaltliche Perspektive gehen, wie wir Menschen zur Bewegung bringen und dadurch vielleicht in den Sportverein und zu einer Sportart.
Bei den vielen krisenbedingten Problemen, dazu den vielen unerledigten Hausaufgaben des organisierten Sports verstehen viele BürgerInnen nicht, wieso er jetzt über die Bewerbung um Olympische Spiele diskutiert.
Härtel: In der DNA des DOSB liegt ja auch das Interesse, sich für Olympische und Paralympische Spiele zu bewerben. Kritisiert wird das Vergabeverfahren und die Vergabe selbst. Damit muss sich der Sport intensiv auseinandersetzen. Und er muss sich auch deutlicher und glaubwürdiger mit den Kriterien der Vergabe auseinandersetzen. Das ist die eine Seite.
Und da haben wir die European Championships in München – da erleben sie eine völlig andere Sportwelt auf einmal…
Aber dieses Event ist doch nicht vergleichbar mit Olympischen Spielen?
Härtel: … aber da wird doch das ganze Tableau, die ganze Sport – Gefühlswelt vorgestellt, die Zuschauer sind ganz nah dabei, und der Sport gewinnt in der Öffentlichkeit. Jedesmal nach solch großen Sportevents verspüren unsere Vereine eine große Nachfrage.
Es ist ja nicht so, dass die Leistungen, die die Sportlerinnen und Sportler erbringen, irgendwo verpuffen, sondern sie zeigen, dass Leistung etwas sein kann, was einem selbst und der Sportart eine große Anerkennung bringen kann. Und insofern stellt sich die Frage: Warum soll man sich denn nicht für Olympische und Paralympische Spiele bewerben?
Da will ich Ihnen gar nicht widersprechen, aber ist es der richtige Zeitpunkt, wenn die Welt von einer Krise in die andere taumelt?
Härtel: Ich stimme Ihnen zu, im Moment ist nicht die Zeit für eine öffentliche breite Debatte. Aber man muss doch langfristig denken. Ich habe die Hoffnung, dass der Krieg in der Ukraine in absehbarer Zeit zu Ende ist, und man muss nach vorne schauen. Als Bewerber für Spiele kann man nach so einem Krieg vielleicht genau die Aspekte mehr in den Vordergrund stellen, die Olympische und Paralympische Spiele ausmachen: Völker verbindend, Frieden stiftend – ein Miteinander und Teilhabe aller. Das ist vor allem Aufgabe des IOC, diese Ideen der Olympischen Bewegung wieder in den Vordergrund zu stellen – da wird es sicher auch Brüche geben. Und am Ende bedeutet es auch: Olympische Spiele können an bestimmte Länder nicht mehr vergeben werden, vor allem, wenn man glaubwürdig sein will.
Und Sie glauben, dass das funktioniert? Stichwort Winterspiele in Saudi Arabien.
Härtel: Eigentlich dürfte man gar nicht auf den Gedanken kommen, Asiatische Winterspiele, oder gar Olympische Winterspiele nach Saudi Arabien zu vergeben. Das konterkariert jede vernünftige Idee. Da muss sich der Sport zu Recht von Umwelt- oder Menschenrechtsorganisationen fragen lassen: Was macht Ihr da eigentlich?
Was macht Ihr da eigentlich, könnte man den DOSB und das BMI auch in Sachen Spitzensportreform fragen. Ausgerechnet die Landessportbünde fordern jetzt, nur noch gezielt aussichtsreiche Sportarten/Disziplinen optimal zu fördern. Das stand 2016 im Reformpapier – damals gab es deshalb Aufruhr, weil die Vielfalt gefährdet sei. Und nun eine Kehrtwende? Was ist denn da passiert?
Härtel: Wir haben ja in dem Papier formuliert „Die Leistungssportförderung muss stärker dort ansetzen, wo unmittelbar mit Athlet*innen gearbeitet wird“…
….das ist nichts Neues.
Härtel: Der Athlet muss im Fokus sein. Dazu gehören auch Stabilisatoren, um sein Interesse und seine Motivation aufrechtzuerhalten. Es gibt viele Gründe, warum Sportler ihre Karriere abbrechen. Also: Wo muss die Leistungssportförderung ansetzen? Da geht es um direkte Vereinsarbeit, wo junge Menschen, die Leistungsbereitschaft zeigen, nicht nur entdeckt werden, sondern auch gefördert werden müssen. Vereine müssen da stärker unterstützt werden. Aber sie müssen auch Egoismen ablegen – das heißt: Wenn man feststellt: Der Jugendliche ist für die Sportart X nicht geeignet, er könnte in einem anderen Verein aber in der Sportart Y ein exzellenter Leistungsträger sein, so muss man da kooperieren, um Talente nicht zu verlieren.
Auch in der Zusammenarbeit zwischen Schulen und Vereinen muss sich einiges verbessern. Vor allem beim Wechsel von der Grundschule in weiterführende Schulen bleiben viele begabte junge Sportler auf der Strecke – da müssen die Angebote angepasst werden. Das heißt: Klare Strukturen und Konzepte, Vereinheitlichung der Steuerungsmodelle. Und: Rollen und Verantwortung der Beteiligten aus Bund, Ländern, DOSB und LSB müssen geklärt und zugeordnet sein. Es darf und kann nicht sein, dass dann wieder Entscheidungen – wie etwa eine Olympiastützpunkt-Schließung – mit Hilfe von Politikern gekippt wird, weil Eigeninteressen vor Sachinteressen gehen.
Um es mal böse zu sagen: Das hat bisher ja prima geklappt – nämlich gar nicht. Da ist weder die Politik noch der Sport ehrlich.
Härtel: Stimmt. Nehmen wir unsere eigenen Vorschläge ernst, müssen wir uns den damit verbundenen Fragen und Konsequenzen stellen. Auch ein Kompetenzgerangel darf es nicht mehr geben.
Das wäre eigentlich die Aufgabe vom DOSB. Der dreht sich grade mal wieder im Kreis. Übernehmen doch die LSB in Sachen Spitzensport?
Härtel: Wir sind mit dem DOSB im Gespräch, haben in aller Offenheit bei unserer LSB-Konferenz mit dem DOSB-Vorstand Leistungssport, Dirk Schimmelpfennig, darüber diskutiert. Nochmal: Wir wollen, dass Rollen und Verantwortung zwischen Zuwendungsgeber BMI und Zuwendungsempfänger DOSB klar sind. Und der DOSB muss seine Steuerungsrolle endlich übernehmen.