Beckenbauer knipst in einem SZ-Interview wieder nur die informelle Sparbirne an
Berlin, 22.November. Franz „Lichtgestalt“ Beckenbauer hat sich nun zum ersten Mal öffentlich – und dann gleich auf drei Seiten – in der „Süddeutschen Zeitung“ geäußert, wie die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland kam. Soweit er sich erinnern kann. Mit seinem Erinnerungsvermögen steht es nicht zum besten, zumindest muss man das aus seinen Antworten schließen: Und der Hinweis, dass es an seinem Alter liegen könnte – geschenkt. Sicher haben dem 70-Jährigen eifrige PR-Berater zugeredet, sich doch der Öffentlichkeit zu stellen, damit der Imageschaden des Kaisers nicht noch größer wird. Vor allem bei seinen Fans und Verehrer/innen.
Was tut er denen an! Regine ist seit Schultagen und spätestens seit der WM 66 dem Franz aus Giesing verfallen. Was in ihrem Jungmädchenzimmer nicht zu übersehen war. An der einen Wand teilten sich die Bravo-Schnitte von Pierre Brice als Winnetou und Lex Barker als Old Shatterhand mit den Beatles den Platz. Die andere freie Wand gehörte dem Franz ganz alleine. Auf dem Plattenteller lag immer eine Single vom Säusel-Sänger Beckenbauer .Völlig aus dem Häuschen geriet Regine, wenn die Werbeikone Franz kurz vor der Tagesschau „Kraft in den Teller, Knorr auf den Tisch“ -Suppe im Fernsehen löffelte. Das gesammelte Taschengeld ging für Besuche nach München zur ungeliebten Tante für Bayernspielen drauf.
Nix neues
Und jetzt: Regine und ihr Fanclub klammern sich an jeden Strohhalm, der den Heiligenschein des F. B. wieder blitzblank erscheinen lässt. Nun also das Interview als sich hin und her wiegendes Rettungshälmchen der Franzschen Glaubwürdigkeit. Regine konnte es sich nicht verkneifen, das sonntägliche Frühstück telefonisch zu stören. „Hast Du das Interview gelesen?“ Ja, wer nicht, wollte man sagen, sagt aber nur: „Klar, nix neues…“ Was einen längeren Disput zur Folge hat, der verstimmt von Frau Regine mit dem Auflegen des Hörers beendet wird, als Herr B. am anderen Ende der Leitung als Dampfplauderer bezeichnet wird.
Die Krise rund um WM und DFB forderte schon einige Kollateralschäden im DFB und in der Fangemeinde – und noch ein paar mehr könnten geopfert werden, wenn nicht… Beckenbauer als OK-Vorsitzender wie auch die anderen, die im OK und im Aufsichtsrat saßen, könnten die Krise schnell beenden und manche Freundschaften retten, wenn sie sich nun endlich mal aufraffen würden, die Wahrheit zu sagen und keine verbalen Eiertänze mehr aufzuführen. Und ständig mit den Finger auf andere eventuell Schuldige zu zeigen, ist eine Strategie, mit der man dieses Mal nicht durchkommen wird. Dafür haben sich nun schon zu viele auf den Funktionärs- und Politiketagen aus dem Fenster gehängt.
Hallodri, der es krachen lässt
Das Interview spiegelt den Franz Beckenbauer wieder, den wir seit Jahrzehnten kennen: Einen charmanten Hallodri, der gerne als sympathische Galionsfigur des Fußballs Türen öffnet. Mit Weltlichem wie Papierkram, Verträgen, Geldgeschäften möchte er nicht belästigt werden, das erledig(t)en andere. Vor allem sein langer Vertrauter und Manager Robert Schwan, der ihm Alltagskram und Privatprobleme neben den Geschäften abnahm. Das ließ Beckenbauer offensichtlich ziemlich sorglos dahin leben, er ließ es krachen, nicht zuletzt, weil er eben „Kümmerer“ hatte, die die Dinge wieder zurechtrückten.
Die SZ-Kollegen fragen, ob er manchmal Dinge verdrängt, die ihm unangenehm sind. „Verdrängen… vielleicht. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Die ganze Berichterstattung über den Fall, die lese ich nicht. Vielleicht hat das was mit Verdrängung zu tun. Hinzu kommt, dass Robert Schwan alles für mich erledigt hat. Ich hab erst nach seinem Tod (2002) angefangen, mich selbst für mein Leben verantwortlich zu fühlen. Ich bin eigentlich erst in den vergangenen Jahren erwachsen geworden.“
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Er blendet – und gerne auch aus. Etwa als die Diskussion um Katar und die skandalösen Arbeitsbedingungen dort an den WM-Baustellen angeprangert wurden, die an moderne Sklavenhalterei erinnern. Da verstieg er sich zu dem Satz: „Ich habe dort noch keinen einzigen Sklaven gesehen.“ Der Franz quasselt ohne nachzudenken, redet sich manchmal um Kopf und Kragen, sagen Freunde und Feinde. Aber wenige nahmen ihm das bisher übel. Manche halten ihn für naiv – auf jeden Fall, wenn es um politische Einlassungen geht. Oder es interessiert ihn schlichtweg nicht, was außer rund um den Fußball und auf dem Golfplatz um ihn herum passiert(e).
Dass Politik und Wirtschaft mit flankierenden Maßnahmen die WM-Bewerbung mit unterstützt haben, etwa mit einer Panzerlieferung nach Saudi-Arabien, die schneller als üblich freigegeben wurde. Ungläubiges Staunen. „Panzer? War das so? Was habe ich, was haben wir als Bewerbungskomitee mit den ganzen Geschäften mit Panzern zu tun?“, ist seine Gegenfrage. Ein echter Beckenbauer, den das so viel interessiert wie sein viel zitierter Satz in solchen Zusammenhängen vom Sack Reis, der in China umfällt.
Interessiert nicht
Wie das mit den Geldflüssen war, wer wie was wem bezahlt hat: Bruchstücke in seinen Erklärungen. Eine integere Rolle des ehemaligen, auf Lebenszeit gesperrten Fifa-Funktionärs Mohammad bin Hammam, den er als liebenswürdigen Menschen mit wirtschaftlichem Background beschreibt, bei Finanzgeschäften mit dem DFB zweifelt er nicht an. Und außerdem „Das hat mich nicht interessiert und jetzt interessiert’s mich zweimal nicht.“ Des Kaisers Wurschtigkeit an dieser Stelle finden Leute, denen an der Aufklärung der Geschehnisse liegt, ziemlich daneben, ja arrogant. Und sein nicht vorhandenes Unrechtsbewusstsein erst recht.
Interessiert hat ihn – eigene Aussage – auch nicht, was er da so im Lauf der Bewerbungsphase und während der WM so unterschrieben hat. Er gab Blanko-Unterschriften. Begründung: Das habe er auch bei Bayern München so gemacht. Es seien ja Leute gewesen, die ihm das vorgelegt haben, denen er vertraut habe, Freunde. Ist der Mann von Sinnen? Beim Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf, dass müsste der Amateurphilosoph doch wissen. Die Worte Freundschaft oder Freund verwendet er nach wie vor großzügig– obwohl er in den letzten Monaten eigentlich gelernt haben müsste, dass Freunde anders miteinander umgehen müssten als die „elf (oder mehr) Freunde“ es gerade im und um den DFB tun. „Ja wo samma denn? Was ist denn das für ein Niveau?“ schimpft er an einer Stelle im Interview, wo es um dem Umgangsstil im Zusammenhang mit der DFB-Spitze und einem Gesprächsangebot seinerseits geht.
Kindergarten
Ja, es erinnert vieles an Kasperltheater oder Kindergarten, wie er gern moniert, wenn ihm etwas quer läuft. Etwa als er zunächst die Zusammenarbeit mit der Fifa-Ethikkommission verweigerte und gesperrt wurde. Und da ist dann auch noch das gegenseitige Misstrauen, das ihn beschäftigt. Da wird er mal wieder philosophisch, der Franz „Warum glaubt der Mensch immer nur das Schlechte? Warum ist das so?“, fragt er die SZ-Interviewer. Ja vielleicht, weil viele lügen und betrügen und das ganze dann raus kommt und keiner die Wahrheit sagen will, weil das eigene Hemd zu retten ist?
Nicht normal
„Ich hätte alles getan…“, sagt Beckenbauer weiter. Und man hält kurz die Luft an: Kommt da jetzt was Neues, endlich? Nein: „… um die WM zu bekommen.“ Er wollte mit einem Kredit die ominösen zehn Millionen selbst vorstrecken, deren Verwendung nun immer noch im Fußball-Orbit ungeklärt sind. „So viel Geld hat man ja nicht rumliegen. Ich hätte ein Darlehen aufgenommen und dafür gebürgt. Wenn ich heute überlege, welches Risiko ich da eingegangen wäre. Das wäre ja der Wahnsinn gewesen. Aber wir waren ja alle nicht normal. Wir waren alle so begeistert davon, die WM zu haben. Ich hätte alles gemacht. Ich Trottel war wirklich bereit, das alles zu zahlen“, schildert er noch einmal das Geheimnis rund um die zehn Millionen. Robert Schwan hielt ihn damals davon ab und vermittelte den Kontakt mit dem Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus.
Hätte Schwan seinem Schützling mal beigebracht, dass man erst liest, bevor man unterschreibt. So sind weitere schriftliche Überraschungen nicht ausgeschlossen. Das ahnt vermutlich auch Beckenbauer. Liest man das Interview ganz genau, dann gibt es da nicht nur Erinnerungslücken, sondern auch viel Widersprüchliches. – Die Lichtgestalt knipste wieder nur die informelle Sparbirne an und lässt uns weiter im Halbdunkel tappen.