Wannseegespräch: Sportausschuss-Vorsitzende Dagmar Freitag über Corona und Prognosen
Berlin,22. Oktober. Der Blick zum Himmel an diesem Herbsttag zeigt, dass man sich auf Prognosen nicht verlassen sollte und gut beraten ist, sich mit einem Regenschirm auf den Weg zum Wannseegespräch mit der Vorsitzenden des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Dagmar Freitag, zu machen. In diesen Tagen, wo Covid-19 die Welt fast zum Stillstand bringt, wird der Job für PolitikerInnen nicht leichter: Sie müssen schnell auf neue Entwicklungen und Fallzahlen reagieren, sind keineswegs Everybody‘s darling, sondern die Buhmänner und -frauen.
Das ist auch im Sport so. Da werden, wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen, ganz schnell Rechnungen aufgestellt über zu beziffernde Schäden, die eigentlich noch gar keiner absehen kann. Und von denen man nicht weiß, ob ihre Ursache nicht schon vor Corona liegt. Streit liegt deshalb auch jetzt ab und an in der Luft.
Nach 27 Jahren Abschied
Dagmar Freitag wird, wenn es sein muss, auch dem nicht aus dem Weg gehen. Die 67-jährige Realschullehrerin aus dem Hochsauerland wirkt an diesem Vormittag sehr entspannt, ja gelassen. Vielleicht liegt es daran, dass es ihre letzten Monate als Abgeordnete im Bundestag und als Sportausschussvorsitzende sind: Nach 27 Jahren tritt die SPD-Politikerin, die ihren Wahlkreis im Märkischen Kreis seit1998 immer direkt gewonnen hat, 2021 nicht mehr an. Warum? Weil es Zeit „für einen Generationswechsel ist und für mehr Privatleben.“
Eine Reihe Abgeordneter, auch aus dem Sportausschuss, hören mit ihr auf. Argumente : Andere Lebensplanung, neue Karrierewege. Aber auch Resignation und Enttäuschung schwingen mit. Und der Wunsch, einfach aus diesem politischen Hamsterrad herauszukommen.
Schwierige Momente
Vor schwierigen Momenten blieb auch die Abgeordnete Freitag nicht verschont. Dazu gehörten parteiinterne Flügelkämpfe, die oft die Inhalte überlagerten. Besonders negativ verändert habe sich die Atmosphäre im Bundestag seit dem Einzug der AfD. „Der Ton ist rüder geworden. Keine Frage, auch früher hat es mal auf einen groben Klotz einen groben Keil gegeben – aber das war weder rassistisch noch rechtsextrem.“ Das macht den Abschied manchem sicher leichter.
Apropos grober Klotz. Im Sportausschuss, dem ja oft eine gewisse Laschheit, Ideenlosigkeit, mangelndes Durchsetzungsvermögen und Kontrolle – zum Beispiel gegenüber den Haushältern, den zuständigen Ministern oder zu viel Großzügigkeit gegenüber den Sport-Lobbyisten – nachgesagt wird, ist die Tonart, die manchmal angeschlagen wird, auch nicht gerade fein. Will man da nicht hinschmeißen, wenn eine gewisse Feindseligkeit zu spüren ist?
Freitag: „Da bin ich schmerzfrei. Ich weiß, dass ich Lobbyisten gegenüber sitze. Ich weiß, wie ich mit bestimmten Antworten umgehen muss, die kann ich einordnen. Wenn mir der oberste Repräsentant des deutschen Sports als Antwort auf eine Nachfrage zur Hochrechnung von Corona-Folgeschäden sagt: „Beweisen Sie mir das Gegenteil“, dann muss muss ich das nicht weiter kommentieren. Das spricht für sich. Wenn einer mit seinem Hauptsponsor redet, muss er wissen, was er tut.“
Keine Einladung
Manche wissen das aber vielleicht doch nicht. Auch außerhalb des Gremiums. Eine Auseinandersetzung zwischen Freitag und dem vor kurzem gewählten Präsidenten der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft, Matthias Große, ist da ein Beispiel. Der Grund der Fehde liegt zehn Jahre zurück. Damals bekam Große, der für die Interessen seiner Lebensgefährtin Claudia Pechstein im Einsatz war, Hausverbot im Bundestag, weil er die SPD-Politikerin und ihren Kollegen, den Haushälter Martin Gerster, bedroht haben soll. Große bestritt das vor einigen Wochen wieder in der FAZ. Auf eine Einladung zur Sitzung des Gremiums wird er erst einmal weiter warten müssen. „Im Obleutegespräch hat es von keiner anderen Fraktion Zustimmung zu einem entsprechenden Antrag der Fraktion Die Linke gegeben. Dort, und nirgendwo sonst, wird entschieden, welche Sachverständige wann und zu welchen Themen eingeladen werden“, sagt Freitag.
Auftritte und deren Nebenwirkungen von FunktionärInnen sorgten in den letzten Jahren immer mal wieder für Schlagzeilen. Und manchmal warfen Ausschussmitglieder, aber auch Sportvertreter der Vorsitzenden vor, sie polarisiere und sorge für kontoverse Stimmung.
Prognosen
Wie eingangs festgestellt: Vorhersagen sind mit Vorsicht zu genießen. Für sehr düstere Prognosen und der daraus folgenden schlechten Stimmung sorgte im Mai in einer Sportausschusssitzung der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) mit der besagten Hochrechnung über Folgeschäden durch Covid-19, weil zu viele Fragen offen blieben. Also was ist Sache? Steht der deutsche Sport vor dem Ruin?
Freitag: „Ich neige grundsätzlich weder zu Weltuntergangsprognosen, noch bin ich völlig gelassen. Ich sehe schon Folgen für den Sport sowohl in der Spitze wie in der Breite. Wir hier Im Bund müssen unser Augenmerk in erster Linie auf die Auswirkungen auf den Spitzensport und die Athleten und Athletinnen richten. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht auch mit den Vereinen vor Ort beschäftigen. Wir sind in gutem Austausch mit der Sportministerkonferenz, die uns erstmalig im Sommer einen Überblick über die Länderprogramme geliefert hat. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern funktioniert an der Stelle gut. In sämtlichen Bundesländern gibt es eigene Hilfsprogramme für den Breitensport – und es sind auch jetzt in den meisten Bundesländern noch Mittel vorhanden.“
Zweite Erhebung
Der DOSB hat noch einmal eine Erhebung durch die Unternehmensberatung Deloitte in Auftrag gegeben, die vom 29. August bis 22. September 2020 stattfand. Diesmal lag die Rücklaufquote bei 39 Prozent. 44 von 112 Angefragten aus Landessportbünden, Spitzenverbänden, Verbänden mit besonderen Aufgaben und DOSB-nahen Institutionen haben teilgenommen. In der Erhebung ist zu lesen, dass die Hälfte aller Verbände sich bis zum 31.12.2021 als existenzgefährdet einschätzt. Je länger Corona dauert, um so brisanter, ist in vier „Kernaussagen“ festgehalten. Das Fazit der Berater: Die Vielfalt von Sportdeutschland ist in Gefahr! Was will der Dichter damit sagen?
Freitag: „Tatsächlich sieht es so aus, dass die meisten Vereine im Jahr 2020 relativ gut über die Runden kommen. Das zeigen aktuelle Zahlen aus den Bundesländern und ist nach meiner Einschätzung vor allem der Kreativität und dem herausragenden Engagement der Ehrenamtlichen in den Vereinen zu verdanken. Daraus darf man jedoch nicht zwingend ableiten, dass sie ein weiteres Jahr mit coronabedingten Einschränkungen ohne größere Einbußen überstehen würden. Das Thema wird uns auf allen staatlichen Ebenen weiter begleiten.
Und da sind für unsere Entscheidungen belastbare und ehrliche Zahlen aus dem Sport wesentlich hilfreicher als die Hochrechnungen auf der Basis einer unterdurchschnittlichen Anzahl von Antworten auf die deloitte-Befragung. Sie haben selbst die angeblich dramatische Lage angesprochen, die Herr Hörmann für die Hälfte der Spitzenverbände bis Ende 2021 prognostiziert. Fakt ist jedoch, dass von 66 Verbänden überhaupt nur 30 an der Befragung teilgenommen haben. Daraus abzuleiten, dass 33 Spitzenverbände im kommenden Jahr in ihrer Existenz gefährdet sind,halte ich für mindestens gewagt.“
Großzügig
Studie hin oder her – letztendlich geht es ja überwiegend beim Spitzensport um Geld, das die ParlamentarierInnen bewilligen sollen. Auch die Proficlubs der Basketballer, Handballer, Volleyballer oder Eishockeycracks bekommen nun eine Art „Covid-Überbrückungsgeld“. Abgesehen von einer vermutlich zu erwartenden „Schadensregulierung“ nach Corona, wird der deutsche (Spitzen-)Sport seit Jahrzehnten sehr großzügig mit öffentlichen Mitteln beglückt. Neu ins Füllhorn kamen nun 2,7 Millionen für die Altersversorgung von Spitzenathleten, die im August eher ohne großes öffentliches Gedöns und Diskussion anlief. Und nun gerade in diesen Zeiten, wo der Staat sich generös zeigt, flimmern dann Bilder vom Sitz des Deutschen Fußballbundes in Frankfurt am Main in die Wohnstuben: Da fahren Polizei und Staatsanwaltschaft vor, um Unterlagen zu beschlagnahmen: Sie ermitteln wegen Steuerhinterziehung. Eine ungute Gemengelage – und PolitikerInnen müssen rechtfertigen und erklären.
Freitag: „Da ist eine klare Sprache angesagt. Das Fehlverhalten von Funktionären eines Verbandes – der übrigens keine Steuermittel bekommt – hat nichts mit den Athleten und Athletinnen zu tun, die in unseren Bundes- und Topkadern sind. Die Schlagzeilen bestimmen eben in der Regel diejenigen, die schlechte Nachrichten produzieren. Deshalb sehe ich hier auch meine Aufgabe, immer wieder deutlich zu machen, dass man bitte differenzieren möchte. Wir unterstützen junge Menschen, die aufgrund einer außergewöhnlichen Begabung einen Teil ihres Lebens dem Hochleistungssport widmen. Klar, sie machen das freiwillig und erleben einerseits dadurch sehr viel. Aber sie müssen auch auf sehr viel verzichten – zum Beispiel auf den Berufseinstieg, den ihre Altersgenossen viel früher realisieren können. Was natürlich dann zu erheblichen Nachteilen bei der Altersvorsorge führt.“
Transferierte Sporterfahrung
Stichwörter Altersvorsorge und Athleten, Leistung und Medaillen. Da kommt man zwangsläufig zur Leistungssportreform, Gemeinschaftsprojekt von Bundesinnenministerium und DOSB. „Mehr Medaillen“ war die Vorgabe des damaligen Ministers Thomas de Maizière. Aber es kam zuhauf Ärger beim Umsetzungsversuch der Reform und dann Horst Seehofer als Sportminister. Der spricht wenig über Edelmetall, aber viel über Spaß und Freude im Spitzenport, womit er seine eigenen Sporterfahrungen als Handballer auf die Anforderungen und Gemütslage im heutigen Spitzensport transferiert. Gibt es denn irgend wann mal von Seiten des Ausschusses eine Evaluierung, schließlich sollte man ja wissen wo, das Geld verbraten wird?
Freitag: „Die Spitzensportreform ist ja noch nicht vollumfänglich abgeschlossen….“
Das ist schön gesagt…
Freitag: „In meiner letzten Rede im Bundestag habe ich sehr deutlich gemacht, dass der Bund bisher seine Zusagen gegenüber dem deutschen Sport erfüllt hat. Aber nach wie vor gibt es erstaunliche Beharrungskräfte auf Seiten des organisierten Sports, was notwendige und vereinbarte Veränderungen angeht. Meine klare Forderung ist, dass auch der organisierte Sport endlich dem nachzukommen hat, was er mit seiner Zustimmung zur Spitzensportreform unterschrieben hat. Und da sehe ich noch erheblichen Nachholbedarf.“
Also der Minister ist ja da eher nachsichtig – vielleicht einfach, weil er vor nölenden Sportleuten seine Ruhe haben will. Er braucht ja auch nicht noch eine Baustelle. Vieles, was Probleme bringt – etwa im Stützpunktsystem – hat er weiter laufen lassen, sicher nicht immer unbedingt zur Freude seiner Sportabteilung. Was hätten Sie denn für ein Beispiel bezüglich des Nachholbedarfs?
Freitag: „Zum Beispiel das Wissenschaftliche Verbundsystem, das ein Kernelement der Reform ist, und wo es bisher zu keiner Einigung zwischen BMI und DOSB gekommen ist. Der DOSB hat bislang noch nicht das umgesetzt, was vereinbart war. Aber: Pacta sunt servanda – Verträge müssen eingehalten werden. Diese Botschaft geht dann auch in Richtung des organisierten Sports, der eben durch den DOSB vertreten wird.“
Nochmal die Frage: Ist das Geld gerechtfertigt, das man in den Spitzensport reinbuttert? Und wer kontrolliert denn das alles?
Freitag: „Geld ist immer ein Thema in der Bundespolitik, nicht nur im Sport. Wenn wir auf der einen Seite von unseren Athleten und Athletinnen saubere Leistungen erwarten, dann sind wir auch gehalten, ihnen auf der anderen Seite die besten Rahmenbedingungen und zu stellen. Das kostet Geld. Ich stehe dazu, die Rahmenbedingungen zu optimieren, aber ich erwarte eben auch, dass die Kernelemente der Reform umgesetzt werden. Sportfachliche Hilfestellung, aber auch Kontrolle erfolgt über das 2017 eingesetzte Potenzialanalysesystem-PotAs.Da kann anhand von festgelegten Attributen überprüft werden, was von den Verbänden tatsächlich umgesetzt worden ist. Und selbstverständlich sind die Vorgaben der Bundeshaushaltsordnung und des Bundesrechnungshofes auch für den organisierten Sport bindend.“
Sauber geht es ja nicht überall im Sport zu – auch im deutschen Sport nicht. Manche zeigen sich überrascht, was derzeit beim Doping-Prozess in München so aufgedeckt wird. Und man fragt sich schon, wo haben die in den letzten Jahrzehnten gelebt? Hätte es den Prozess in München ohne das Antidopinggesetz, für das Sie 20 Jahre gekämpft haben und das 2015 verabschiedet wurde, so gegeben?
Freitag: „Das Antidopinggesetz hat ermöglicht, dass ein Informationsaustausch zwischen Staatsanwaltschaften, Gerichten und der NADA erfolgen kann. Das war vorher so nicht möglich. Wesentliches Element dieser Gesetzgebung war: Der Staat soll seinen Aufgaben auch in der Dopingbekämpfung besser nachkommen können, weil der Sport es schlichtweg nicht kann. Der Sport kann keine Hausdurchsuchungen anordnen, geschweige denn durchführen. Der Erfurter Prozess wäre nie so weit gekommen, wenn es eben nicht umfassende Hausdurchsuchungen und die Kooperation zwischen österreichischen und deutschen Behörden gegeben hätte. Da ist auch der Wille zur Aufklärung, den ich im organisierten Sport national und international bisher nicht immer überall gesehen habe. Übrigens: Wir beraten die Ergebnisse der Evaluierung des Antidopinggesetzes am 16. Dezember im Ausschuss. Mein Ziel ist es, es auf jeden Fall noch um eine sportspezifische Kronzeugenregelung zu ergänzen.“