Verbände: Nicht fähig oder nicht willens?

Sportverbände klagen über Bürokratie – Zusatzmittel nicht abgerufen

Berlin, 7. November. Die Haushälter des Deutschen Bundestages werden in der Bereinigungssitzung am Donnerstag entscheiden, wieviel Geld der deutsche Sport für das Haushaltsjahr 2019 bekommen soll. Zwischen 60 und 80 Millionen Euro stehen im Raum. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) wollte weit über 100 Millionen zusätzlich zu den mehr als 200 Millionen, die der Sport mittlerweile ohnehin vom Innen- und vom Verteidigungsministerium bekommt. Mittel, die man für die Umsetzung der Spitzensportreform benötigt. Doch wie dringend braucht der Sport das geforderte Geld wirklich? Diese Frage stellt sich seit Wochen, seit bekannt ist (Sportspitze(n) berichtete), dass die zusätzlich genehmigten 23,2 Millionen Euro nur sporadisch abfließen: Eine Reihe von Verbänden, die vorher jammerten, dass sie am finanziellen Limit seien, stellte einfach keine Anträge. Noch immer sind 7,42 Millionen im Topf. Sie verfallen, wenn sie niemand abruft. Was ist da los?

Zu viel Bürokratie, zu viel Verwaltung, zu wenig Personal, heißt es aus dem Sport. Und auch BMI-Staatssekretär Markus Kerber räumte im Interview an dieser Stelle ein, dass man den „Verwaltungsaufwand“ unterschätzt habe und mit einem höheren Sportetat auch „30 bis 40 Prozent mehr Förderanträge“ bearbeitet werden müssten.

Überrascht das nun? Eher nicht. Um so mehr überrascht, dass der DOSB überrascht ist. Zumindest ist das einem Brief des DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann und seiner Vorstandsvorsitzenden Veronika Rücker zu entnehmen. Da berichten sie ihren Mitgliedsverbänden über ein Gespräch mit Minister Horst Seehofer, Staatssekretär Kerber und Abteilungsleiterin Beate Lohmann im BMI an Allerheiligen in Berlin: „Ein großes Problem haben wir gemeinsam beim Mittelabfluss festgestellt. Von den Ende Juni kurzfristig auf unseren Wunsch und dank der Haushälter zusätzlich genehmigten 23,2 Mio Euro sind erst 26 Prozent ausgezahlt worden. Das liegt zum einen daran, dass der Haushalt erst so spät festgelegt worden ist und an Problemen im Ablauf, zum anderen konnte uns das BMI aber auch aufzeigen, dass für 32 Prozent der Mittel noch keine Anträge der Verbände vorliegen!“ Und weiter: „Hier drohen Mittel zu verfallen, was unsere Position bei den Haushältern bei der Forderung zusätzlicher Mehrbedarfe für das nächste Jahr nachhaltig schwächt. Wir möchten noch einmal alle Verbände bitten, angekündigte Anträge für bereits in Aussicht gestellte Mittel umgehend zu stellen.“

Ein wirklich schlechter Witz

Geld ist da, keiner will es. Warum? Da möchte man schon zum Beißholz greifen, um nicht laut schreien zu müssen, wenn man den Grund für die Antrags-Lethargie hört. Es ist wirklich mehr als ein schlechter Witz, wenn Verbandsmenschen über den beschwerlichen Weg nölen, den man gehen müsse, um an die staatlichen Fördertöpfe zu kommen. Geht‘s noch? Jeder Bürger, jede Bürgerin und jede Institution, der oder die vom Staat Geld haben möchte, muss das begründen, ob es nun um Bafög, Kindergeld, Sozialhilfe, Wohngeld oder Mittel für Forschungsprojekte etc. geht.

Ohne Anträge ging es ja bisher im  Sport auch nicht. Allerdings, so  sagt Staatssekretär Kerber im Interview, gebe es eine „andere Qualität“ bei der Antragstellung als noch vor Jahren. Trotzdem die Fragen: Ist es Unfähigkeit oder fehlender Wille, sich mit dem gerade gängigen Verwaltungsprozedere auseinanderzusetzen? Es sieht fast so aus, als habe man im Sport zur Zeit eher wieder eine lockere Einstellung zu Formalien und ähnlichem Gedöns, seit der Minister gewechselt hat. Schließlich zeigt sich Horst Seehofer gegenüber seinem Parteifreund Hörmann generös  gemäß nach dem Beckenbauer- Song „Gute Freunde kann niemand trennen, gute Freunde sind nie allein, weil sie eins im Leben können,  für einander da zu sein…“

Deshalb ist der klare Reformkurs von Seehofers Amtsvorgänger Thomas de Maizière und dessen Abteilungsleiter Gerhard Böhm: „Erst die Aufgaben erfüllen, dann fließt mehr Geld“, mittlerweile verlassen worden: Es gibt jetzt mehr Geld ohne Gegenleistung.

Sportflüsterer

Denn viele Aufgaben in der Reform sind – entgegen öffentlichen Behauptungen – immer noch nicht erledigt. Horst Seehofer, so wird glaubwürdig aus inneren Zirkeln berichtet, hat sich noch nie von den Fachleuten im eigenen Haus intensiv über die Spitzensportreform informieren lassen. Sein Sportflüsterer sitzt auf dem DOSB-Präsidentenstuhl.

Die Abteilung, so wird kolportiert, freue sich, dass es Zeitungen gebe, „damit wir wenigstens aus denen erfahren, was wir im Ministerium im Sport gerade wieder mal entschieden haben“. Seehofer überrascht nämlich nicht nur die eignen Leute mit öffentlichen Aussagen auch im Sport – wenn er zum Beispiel sagt, dass alle Bundesstützpunkte erhalten bleiben.

Nicht nur Kritiker, sondern auch Sportfachleute sind schon seit langem überzeugt, dass die Steuermittel in der bisherigen Höhe im Prinzip ausreichen, wenn sie nur optimal und verantwortungsvoll eingesetzt würden. Zum Beispiel bei den Stützpunkten. „Was da an Geld verplempert wird, möchte keiner wissen.“ Doch der Steuerzahler. Der  fragt sich, wie zum Beispiel Fördergelder an Bundesstützpunkten gerechtfertigt werden, an denen es gar keine Kaderathleten gibt.

Das könnte auch den Bundesrechnungshof interessieren, der ja im Mai 2018 mal den Stand der Dinge in Sachen Reform überprüfte. In seinem Bericht hieß es unter anderem: „Um falsche Anreize zu vermeiden, sollte eine Erhöhung der Fördermittel grundsätzlich davon abhängig gemacht werden, dass das Konzept der Reform in allen wesentlichen Punkten umgesetzt wird.“

Übrigens hatten die Haushälter den Bundesrechnungshof um den Bericht gebeten, genau diejenigen, die nun über den Sportetat entscheiden. Da drängt sich dann auch die Frage auf: Wem fühlen sich die Entscheider nun verpflichtet: Den Steuerzahlern? Oder den DOSB-Lobbyisten? Hinterzimmerabsprachen müssen ja nicht zwingend Recht und Gesetz entsprechen.