100 Tage im Sportversuchslabor

Staatsministerin zieht Bilanz / Kein wirklicher Neustart / Kritik der Grünen

Berlin, 13. August.- Nun ist die schwarz-rote Bundesregierung 100 Tage im Amt, und es werden die ersten Bilanzen gezogen. Die Regierenden tun es und die, die den Akteuren am Kabinettstisch und in den Ministerien aufmerksam auf die Finger schauen. Die Schonfrist ist vorbei – auch für Christiane Schenderlein – Staatsministerin für Sport und Ehrenamt, also Chefin einer neuen Behörde, die im Kanzleramt angedockt ist. Und sich noch immer organisatorisch zurechtrüttelt. Auch die Sportstaatsministerin bilanzierte ihre Tätigkeit natürlich schwungvoll und positiv, und auch andere bewerteten ihre Arbeit. Allerdings weniger begeistert.

100 Tage können lang sein. Oder auch sehr kurz. Im Fall einer Neuaufstellung des organisierten Sports sind sie offensichtlich zu kurz. Zumindest legt das Statement der nicht mehr so ganz neuen Staatsministerin diese Schlussfolgerung nahe.

Warum eigentlich 100 Tage? Kurze Aufklärung: Zu „verdanken“ haben das neue Regierungen beziehungsweise AmtsinhaberInnen dem US-amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Der war während der Weltwirtschaftskrise gewählt worden und legte sofort ein Reformprogramm auf, um die Geschäfte wieder zum Laufen zu bringen. Da die Wirkung der Maßnahmen aber etwas brauchte, bat er die Presse, ihm 100 Tage Zeit zu geben, bevor sie an seinen Entscheidungen herummäkelt.

Diese Art des Stillhalteabkommens zwischen Presse /Medien und Politik hat sich seither etabliert. Einer neuen Regierung oder einer/einem neuen AmtsinhaberIn wird von JournalistInnen Zeit gegeben um sich einzuarbeiten, wesentliche Personalentscheidungen zu treffen und erste Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Danach ziehen die Beobachter eine erste Zwischenbilanz der Arbeit.

Im Kanzleramt angekommen

Nun also freut sich Christiane Schenderlein, dass Sport und Ehrenamt im Kanzleramt angekommen sind. Das freut auch außenstehende BeobachterInnen und natürlich JournalistInnen – nichts ist schlimmer, als sich nicht dort wohl zu fühlen, wo man den Großteil seiner beruflichen Lebenszeit verbringen muss. Also – sie ist angekommen. „Nach 100 Tagen sind die Grundsteine für Sport und Ehrenamt im Bundeskanzleramt gelegt. Nun legen wir los und setzen um.“ Das ist eine Botschaft der Ministerin.

Was soll denn da nun umgesetzt werden? Es sind alte Hausaufgaben, die nun zum x-ten Mal dem Sport und der Politik wieder aufgegeben werden und endlich mal gemacht werden sollten. Neben vielen anderen grundsätzlichen Aufgaben, ohne die man vor allem im modernen Spitzensport auf Dauer gänzlich den Anschluß verliert. Aber erst käme da mal Basisarbeit, von der viel geredet wird. Dabei bleibt es dann jedoch oft.

Am Rockzipfel

Schenderlein ist als Newcomerin in die Tiefen des organisierten Sports und seiner teilweise schwer verkrusteten Struktur gestiegen. Sie war in den letzten Monaten fleißig unterwegs, was nachzulesen, nachzuhören und mit Schnappschüssen belegt ist. Und sicher war es nicht überall ein unbeschwertes Kennenlernen und Eintauchen in die schwierige Sportwelt. Sicher hingen ihr immer wieder die SportflüsterInnen aus Politik- und Funktionärsetagen am Rockzipfel, wenn sie Sportveranstaltungen besuchte. Oder sie deckten sie mit Besuchen im Kanzleramt ein.

Bei solchen Begegnungen lernt und erfährt man vieles über den Sport und diejenigen, die ihn verantworten. Viel Positives, aber auch Irritierendes, die zu der Frage führen: „Wo bin ich denn da reingeraten?“

Ob die Ministerin solche verstörenden Erlebnisse hatte, muss man sie bei Gelegenheit fragen. Jedenfalls hat sie wohl viel zugehört. Im Statement liest sich das so: „Zu wissen, wo der Schuh drückt und an welchen Stellschrauben wir drehen müssen, um Sport- und Ehrenamtspolitik auf ein neues Level zu bringen – darum ging es in den ersten 100 Tagen meiner Amtszeit.“ Und weiter: „Wir wollen die bestmöglichen Voraussetzungen für den Spitzensport und das Engagement und Ehrenamt der Menschen in Deutschland schaffen. In beiden Bereichen müssen wir Bedingungen optimieren, indem wir effizienter und unbürokratischer werden. Und in dem wir uns ambitioniertere Ziele setzen.“

Vom Kopf wieder auf die Beine stellen

Ambitioniertere Ziele? Nun würde man erwarten, da kommen neue, kreative, eben ambitionierte Vorschläge, eine Strategie, wie man diesen Sport vom Kopf wieder auf de Beine stellt – und ein demographisch überaltertes Land in Bewegung bringt, die gesundheits-, sozial- und gesamtgesellschaftliche Wirkung des Sports nutzt, um am finanziellen Abgrund balancierende Gesundheits- und Sozialsysteme präventiv zu entlasten, etwa durch Bewegung und Teilhabe.

Aber womit beschäftigt sich nun die neue Sportbehörde? Eben mit alten unerledigten Hausaufgaben, die man nun wieder aus dem abgeschabten Ranzen holt: „Wir gehen die Spitzensportreform an und legen im Herbst einen neuen Entwurf für ein Sportfördergesetz vor , um die Förderungen unserer Sportlerinnen und Sportler effizienter zu gestalten.“ Und wie will man das machen? Wie sieht der sportpolitische Plan der Ministerin aus? Gibt es einen? Wenn nicht, wie will sie die ungelösten Probleme in den Griff bekommen, mit denen man sich nun schon jahrelang herumschlägt?

Betonung liegt auf „können“

Das gilt auch für die Nachwuchsförderung, die ihr besonders „am Herzen liegt“, lässt die Ministerin wissen: „Kinder und Jugendliche brauchen mehr Bewegung – in Schule, Verein und Freizeit. Es ist ein wichtiger Erfolg, dass die 100 Milliarden Euro, die der Bund den Ländern aus dem Sondervermögen zu Verfügung stellt, auch in die Sportinfrastruktur in den Kommunen fließen können und somit z. B. in die Sanierung von Turnhallen und Schwimmbädern vor Ort“, sagt sie. Die Betonung aber liegt auf dem Wort „können“.

Kommunen stöhnen über immer mehr wachsende Aufgaben und Ausgaben. Längst überfällige neue Fenster für die Turnhalle oder endlich die Umgehungsstraße in Angriff nehmen – wofür wird sich wohl der Stadtrat oder Bürgermeister zuerst entscheiden? Hier wäre echte Lobbyarbeit der SportvertreterInnen bei Ländern und Kommunen mal angebracht, um sich auf der Prioritätenliste anstehender Projekte nach vorne zu hangeln.

Modul für Sonntagsreden

Die Enttäuschung so mancher im Sport ist groß, weil sie erwartet haben, dass das, was im Koalitionsvertrag steht, wirklich umgesetzt wird: eine ganzheitliche Sportpolitik mit Ziel und Konzept. Die Einlassung im Koalitionsvertrag „Sport soll Spaß und Lust auf Leistung machen. Erhält gesund, vermittelt Werte und gibt unserer Gesellschaft den nötigen Zusammenhalt. Er hat eine enorme Bedeutung für Integration und Inklusion, ebenso wie für Prävention, Gesundheitsförderung und Rehabilitation. Deshalb wollen wir ihn mit zielgerichteten Maßnahmen stärken – in der Spitzen und in der Breite“, scheint nur ein Modul für Sonntagsreden zu sein. Oder wird die Kraft des Sports, die er ja an vielen Stellen wirklich hat, doch noch ernst genommen?

Vielleicht glaubt man ja, mit dem Allheilmittel Finanzspritze habe man genug getan. Denn wieder wurde die Etat-Dosis erhöht –346 Millionen Euro stehen dem Sport für 2026 zur Verfügung – das sind im Vergleich zum Finanzplan 100 Millionen mehr und im Vergleich zu 2025 13 Millionen mehr.

222,5 Millionen werden für „zentrale Maßnahmen“ ausgegeben, etwa Vorbereitung auf internationale Wettkämpfe (wie Trainingslager) oder Förderung von Stützpunkten und Trainingszentren, von denen es immer noch zu viele gibt und bisher immer noch keine Kürzungen gab. Schon 2016 war die Streichung eine Bedingung im Reformpapier, die bisher nie erfüllt wurde.

Grüne sprechen von Stillstand

Dass die 100-Tage-Bilanz in vielen Fällen ein Fest für die Opposition ist, überrascht nun nicht. So erklären die Grünen-Vertreterinnen im Sportausschuss des Bundestages, Tina Winklmann und Ophelia Nick: „100 Tage ist die neue Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD nun im Amt, und im Bereich Sport und Ehrenamt herrscht weitgehend Stillstand. Trotz eines Schuldenhaushalts in Rekordhöhe ist kein politischer Gestaltungswille erkennbar, zentrale Versprechen bleiben bislang uneingelöst. Statt einer echten Investitionsoffensive erleben wir Symbolpolitik und ein Verwalten des Status quo.“

Erbost sind die beiden Grünen nicht nur , dass die Sportmilliarde nicht kommt, sondern auch darüber, dass der Reformwille fehle. „Anstatt notwendige Strukturreformen anzugehen, etwa durch eine unabhängige Sportagentur oder eine überfällige Traineroffensive, wird mit mehr Geld kaschiert, was an Konzepten fehlt. Die im Koalitionsvertrag angekündigte ‚Neuordnung der Spitzensportförderung‘ bleibt ein zahnloser Tiger“, wettern die beiden.

Hartes Urteil

Ihr Fazit nach 100 Tagen lautet: „Viel Ankündigung, wenig Substanz. Statt echten Fortschritts erleben wir das Aussitzen von Problemen. Für eine zukunftsfeste Sport- und Ehrenamtspolitik braucht es mehr: Es braucht Konzepte, Haltung und den Willen zur Veränderung. Bisher zeigt die Bundesregierung davon erschreckend wenig.“ Ein hartes Urteil.

Man erinnere sich kurz an die Ampel. Es wurde manches in Bewegung gebracht – aber auch da lief vieles nicht rund, weil der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und das damals noch zuständige Bundesinnenministerium (BMI) an vielen Stellen in Streit gerieten.

Beim ersten Versuch also nun die Latte gerissen. Vielleicht klappt es ja im zweiten Versuch mit einem gelungenen sportpolitischen Restart – aber 100 weitere Tage Zeit hat der Sport im Versuchslabor eigentlich nicht mehr.