„Sport mit Courage“ aktueller denn je

Wannsee-Gespräch: dsj-Vize Benny Folkmann über Demokratie und anderes

Berlin, 12.März. Als die Verabredung zum Wannsee-Gespräch über Demokratieprojekte der Deutschen Sportjugend (dsj) terminiert wurde, war der aktuelle Anlass die „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ vom 14. – 27. März. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine macht das Thema „Demokratie und die damit verbundene Freiheit wahren“ aktueller denn je. Warum sich die dsj so für die Stärkung von Demokratie und politischer Haltung einsetzt, Kinder, Jugendliche, aber auch Vereine gegen toxische Angriffe auf die Gesellschaft wappnen möchte, darüber sprach sportspitze mit dem Zweiten Vorsitzenden der dsj, Benny Folkmann, der seit 22 Jahren dem dsj-Vorstand angehört, und dem Demokratiestärkung ein inneres Bedürfnis ist.

Benny Folkmann,. ©Foto: dsj/Karina Heßland-Wissel

Der Blick aus dem Fenster: Blauer Himmel über einer Wiese mit gelben Narzissen und Krokussen. Die Nationalfarben der Ukraine begleiten das Gespräch. Über Demokratie, Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Unterdrückung von Volksgruppen und Ländern wurde in den letzten Monaten auch im Sport im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in Peking wieder heftig diskutiert. Und ebenso über die Frage: Wann müssen Sportorganisationen und ihre Verantwortlichen politisch klare Ansagen machen und Haltung zeigen?

In der DNA der dsj

Die Deutsche Sportjugend, vor 72 Jahren auf dem Sudelfeld bei Bayrischzell gegründet, hat damit meist keine Probleme. Außer dem Sport gehören politisches Engagement und politische Bildung sozusagen zur DNA der dsj, was sie in den letzten Jahrzehnten immer wieder unter Beweis stellte. (Gesellschafts-) Politische Themen gehören schon immer zu den Übungseinheiten der Jugendorganisation – nicht immer zur Freude der Erwachsenenverbände  Deutscher Sportbund (DSB) und dem Fusionsnachfolger Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB).

Umwelt- und Klimafragen beschäftigten die dsj schon in den 1970ern, die Beteiligung an Friedens- und Abrüstungsinitiativen, der Einsatz gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus, aber auch Fragestellungen in eigener Sache – etwa der Umgang mit Kindern- und Jugendlichen im Spitzensport – waren und sind Betätigungsfelder neben dem Sporttreiben.

Aktueller denn je nun das Projekt „Sport mit Courage.“ Warum so ein Projekt? Ist der Geschichts-/ Staatskundeunterricht in der Schule so schlecht, dass der Sport da Nachhilfe geben muss? Vertieft man sich in Studien, was u.a. SchülerInnen so über das politische System dieser Republik wissen, dann kommt man zu dem Schluss: Nachhilfe ist dringend nötig. Auch bei denen, die der eigentliche Anlass für das „Courage-Progamm“ der dsj sind: Die AfD, die in dieser Woche nach einem Gerichtsentscheid nun offiziell vom Verfassungsschutz überwacht werden darf:„Letztendlich Auslöser war eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag Ende 2019, in der diese sehr subtil, aber in erschreckendem Maße die Arbeit der Brandenburgischen Sportjugend in Frage gestellt hat – aufgrund der Mitgliedschaft und Aktivitäten der Sportjugend in Netzwerk ,Tolerantes Brandenburg’. Und es war leider nicht der einzige gezielte Angriff auf die Sportjugendstrukturen durch die AfD im parlamentarischen Raum“, erzählt Folkmann.

Maßnahmepaket geschnürt

Die dsj reagierte schnell, erarbeitete eine Positionierung im Umgang mit antidemokratischen Parteien, rechtspopulistischen und rechtsextremen Gruppierungen und Personen. Nicht nur eine klare Haltung wurde formuliert, sondern auch ein umfangreiches Maßnahmenpaket mit konkreten Handlungsempfehlungen geschnürt unter dem Titel „Sport mit Courage“.

Nach längeren Diskussionen – es ging vor allem um parteipolitische Neutralität, an die sich der Sport laut Satzung halten muss – schloss sich auch der DOSB der dsj-Position an.

Es sind heute keine Einzelfälle, wenn sich Vereine und FunktionärInnen gegen menschenverachtende, rechtspopulistische oder rechtsextreme Haltungen und Handlungen wehren müssen. Wie wichtig Zusammenhalt und Demokratie sind, wurde im Sport auch in Pandemiezeiten deutlich. Auch da versuchten manche Pandemie- und Wissenschaftsleugner ihre Verschwörungstheorien ins Spiel und auf den Platz zu bringen. Mit wenig Erfolg.

RECHTSsicherheit

Versuche rechtsextremer Unterwanderung von Vereinen in der Mitgliedschaft, aber auch in Führungspositionen werden derzeit offensichtlich wieder häufiger. Und Vereinsverantwortliche sind für Hilfestellungen in Konfliktsituationen sehr dankbar. „Wir sind ja zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet. Aber die hört auf, wenn etwa Parteien grundlegende Werte verletzen. Muss ich jemanden als Mitglied dulden, der etwa Mitspieler rassistisch beleidigt? Kann jemand in einem Vorstand aktiv sein, der als Kommunalpolitiker rechte Reden hält? Unsere Broschüre ,RECHTSsicherheit im Sport“, in der wir Vereinen in einer verständlichen Sprache erklären, wann sie sich (gesellschafts-) politisch engagieren und positionieren dürfen, an wen sie ihr Vereinsheim nicht vermieten müssen und unter welchen Voraussetzungen sie einen Vereinsausschluss vornehmen dürfen, ist da ein Ratgeber“ sagt Folkmann. Und verweist darauf, dass es wichtig sei, „innerhalb der Zivilgesellschaft gut vernetzt zu sein, um vor allem flächendeckend und durch alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens Demokratie zu stärken und Haltung zu zeigen“.

Tiefe Seufzer

Spricht man Verantwortliche im Sport auf politisches und soziales Engagement und Projekte an, dann wechseln sich tiefe Seufzer und Augenrollen ab. „Überfordert“ ist das Wort, das im Gespräch mit Vereinsverantwortlichen nicht selten fällt. „Was sollen wir denn noch alles machen? In erster Linie geht es doch um Sport. Und da haben wir mittlerweile mehr Probleme, als uns lieb ist“ sagt Rudolf S.,Vorsitzender eines kleinen Dorfvereins, der demnächst mit zwei weiteren Nachbarklubs fusionieren muss. Zu wenig Kinder, zu wenig Ehrenamtliche, zu viel Gemäkel an denen, die noch was tun. Und dann war da noch Corona, das alles nochmal schwieriger machte.

Natürlich achten wir darauf, dass alle fair und tolerant miteinander umgehen. Und wenn irgendwelche Rassisten oder Spinner hier ankämen, hätten sie keine Chance.“

Benny Folkmann will die Vereine nicht überfordern. Dennoch sieht er Sport als besonders gut geeignet dafür, Grundkenntnisse der Demokratie zu vermitteln. „In erster Linie geht es ja zunächst ums Sportreiben. Und das kann jeder und jede, nahezu ohne dass man dazu weiter etwas braucht. Dieser niederschwellige Zugang zu gemeinsamen Aktivitäten eröffnet dann wiederum einmalige Chancen, die grundlegenden Werte des Sports in die Persönlichkeitsentwicklung insbesondere junger Menschen einfließen zu lassen. Das heißt: Wir kommen ganz automatisch zu demokratiestärkenden Einflüssen. Sei es durch Partizipation am Vereinsleben oder auch schon durch die Akzeptanz klarerer Regeln oder durch das Lernen des Umgangs mit Niederlagen und Siegen“, so Folkmann.

Jeder kann mitmachen

Teilhabe – ein Schlagwort der letzten Jahre. Auch im Sport. Folkmann sagt, es sei doch das Schönste, dass es überhaupt keine Rolle spiele, was für einen persönlichen Hintergrund eine Sportlerin oder ein Sportler mitbringt. „Verschiedene Kulturen, sexuelle Orientierung, soziales Ungleichgewicht, unterschiedliche Bildungsgrade; all das macht auf dem Sportplatz grundsätzlich keinen Unterschied.“ Aber: „Die Zugänge zu Sportvereinen und deren Ämtern sind oft nicht niederschwellig genug. Teilhabe muss aber für alle organisiert werden.“

Rahmenbedingungen schaffen

Nochmal zur Überforderung der Vereine: Wie will man den Verantwortlichen dieses Gefühl nehmen, Herr Folkmann? „Wir müssen mit all dem sehr behutsam umgehen und dürfen insbesondere die vielen ehrenamtlich geführten Vereine mit Erwartungen nicht überladen. Zunächst geht es im Sportverein darum, Sport zu organisieren. Das dürfen wir nicht vergessen. Alles, was „on top“ passiert, sollten wir als Geschenk begreifen.“ Die dsj und die Mitgliedsstrukturen, Netzwerke und Partner inner- und außerhalb des Sports sollten daher bestmögliche Rahmenbedingungen schaffen, so der 42-jährige.

Die aktuellen Ereignisse zeigen, dass man nicht nur wachsam, sondern auch vorbereitet sein muss, um Demokratie zu verteidigen. Nicht nur gegen Kriegsanzettler. Rassismus, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus sind Schlagwörter, die die dsj aufgreift, weil auch sie die Demokratie gefährden. Was lernen wir daraus? „Es ist wichtig, stets wachsam und kritisch zu bleiben und nicht müde zu werden, all die angesprochenen Aufgaben immer wieder aktiv aufzunehmen. Dazu gehört die Entwicklung eines Verständnisses auf allen Ebenen des Sports, dass demokratische Teilhabe ein zentraler Bestandteil unserer Gesellschaft und damit auch des Sports ist; sowohl ein Recht als auch ein Privileg, das immer wieder neu hergestellt und verteidigt werden muss“, so Folkmann, der konkret auf eine noch intensivere internationale Jugendarbeit als in den vergangenen Jahrzehnten im Sport setzt – interkulturelle Begegnungen als völkerverbindende Kraft.

Verlängertes Schlachtfeld

Junge Menschen – wie etwa jetzt auch bei den Paralympischen Spielen – gehen aufeinander zu, werden aber auch von FunktionärInnen und PolitikerInnen benutzt – Sportplätze und Sportevents als verlängertes politisches Schlachtfeld. Deshalb fragt man sich schon, ob die Sanktionen, die nun internationale und nationale Verbände mehr oder weniger überzeugt gegen Russland und Belarus eingeleitet haben, um Werte wie Demokratie und Freiheit auch im Weltsport zu verteidigen, wirklich ausreichende Maßnahmen sind. „Die momentan eingeleiteten Sanktionen im Sport sind aufgrund der schrecklichen Ereignisse alternativlos. Wir haben in den vergangenen Jahren erlebt, wie sich gerade Putin über die Ausrichtung von Sportgroßereignissen teils definiert, aber auch den Weltsport eiskalt für seine Propaganda missbraucht hat“, sagt Folkmann, der daher Lehren für die Zukunft aus dem Umgang mit Autokraten fordert, „um Werte wie Demokratie und Freiheit auch im Weltsport zu verteidigen – möglichst ohne dabei integre Sportlerinnen und Sportler, egal, woher sie kommen, in Mithaftung zu nehmen.“