Heidelberger Antidoping-Kämpfer Professor Gerhard Treutlein gestorben
Berlin, 16. März. Er war mit Leib und Seele Pädagoge. Und nicht zuletzt deshalb wurde er zu einem Kämpfer gegen Doping und für Prävention: Der Heidelberger Pädagogikprofessor Gerhard Treutlein. Am Montag starb der 81-Jährige nach schwerer Krankheit.
Wenn andere laut waren, trug der Pädagogikprofessor seine Thesen mit leiser, aber bestimmter Stimme vor. „Schreien“, so sagte er einmal, „macht die Argumente auch nicht besser.“ Und seine Diskurs-Gegner verstummten.
Gerhard Treutleins Passion war der Sport. Schon in den 1960-ern, als er an der Universität Heidelberg Geschichte, Sport und Französisch studierte, trainierte er junge Leichtathleten beim USC Heidelberg, dem er seit 1959 angehörte. Nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Theorie beschäftigte er sich dann als Professor an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg mit Sport – und Doping. Auch nach seiner Pensionierung war er als Leiter des von ihm gegründeten Zentrums für Dopingprävention an der PH Heidelberg weiter im Einsatz für einen „sauberen Sport“.
Stark machen
Der Pädagoge Treutlein, Jahrgang 1940, wollte vor allem Kinder und Jugendliche stark machen, sich gegen Manipulation und Betrug zu wehren.
Zum ersten Mal konfrontiert mit Doping, so erzählte der promovierte Historiker, wurde er in den 1970er Jahren, wo er als Disziplinchef Leichtathtletik im Allgemeinen Deutschen Hochschulverband (ADH) tätig war und unter anderem Studentenantionalteams bei Universiaden betreute.
Und er musste erkennen: Zur Realität des Sports gehört offensichtlich auch Doping. Und so nahm er den Kampf auf. Nicht alle im Sport waren begeistert von dem engagierten Anti-Doping-Professor, der sich nicht beirren ließ, dazu beizutragen, den Dopingmorast trocken zu legen.
Standardwerk
Was er bei seinen Bemühungen herausfand, schrieb er nieder. Zu einem Standardwerk wurde das Buch „Doping im Spitzensport“, das er zusammen mit dem Sportwissenschaftler Andreas Singler verfasste. Die Autoren belegten darin, basierend unter anderem auf Interviews mit AthletInnen, die verbreite Doping-Praxis.
Den Trainern, so sagte Gerhard Treutlein einmal, komme bei der Doping-Prävention eine Schlüsselrolle zu: „Um die Einstellung junger Leute zu diesem Thema zu beeinflussen, muss das gesamte Umfeld eine positive Einstellung zum sauberen Sport haben.“
Dass der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) als erster Verband die Dopingprävention in die Trainerausbildung aufnahm, freute den begeisterten Radrennfahrer Gerhard Treutlein, aber es sei auch dringend von Nöten: Die Radfahrergilde gilt nach wie vor als besonders anfällig, wenn es um unerlaubte Leistungssteigerung geht.
Kein Feigenblatt
Man müsse aufpassen, dass man nicht zum Feigenblatt werde, meinte er, als er ungewöhnlich polternd aus der Kommission austrat, die die Doping-Vergangenheit der Sportmedizin an der Freiburger Uni aufdecken sollte.
Haltung zeigen und die durchhalten, auch wenn es unbequem wird: Nicht zuletzt deshalb wurde Treutlein, den auch viele AthletInnen sehr schätzten, 2009 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Die damalige Rektorin der Hochschule, Annelie Wellensiek, beschrieb bei der Feierstunde anlässlich der Verleihung, wie punktgenau Treutlein die pädagogische Dimension der Dopingproblematik getroffen hat: „Denn wo könnte besser als am Beispiel des Dopings gezeigt werden, dass eine ständige Optimierung von Leistungen ohne gleichzeitige Humanisierung des Sports dazu führt, das Gesamtsystem Sport zu Fall zu bringen und den Leistungsbegriff ad absurdum zu führen?“
Expertise gefragt
Intensiv arbeitete Professor Treutlein mit der Deutschen Sportjugend (dsj) zusammen, entwickelte mit der Jugendorganisation Materialien und Seminarformen zur Doping-Prävention. Treutleins Expertise nicht nur in Sachen Doping und Prävention, sondern auch in Sachen Sportpädagogik war national und international gefragt. Besonders pflegte er die deutsch- französischen „Sportpädagogik-Beziehungen“.
Schlagzeilen machte Gerhard Treutlein zuletzt 2019: Zusammen mit dem befreundeten Molekularbiologen Werner Franke, der ehemaligen Leichtathletin Claudia Lepping und dem früheren DDR-Trainer Henner Misersky verfasste er den Text „Blackbox DOH“.
Die Verfasser beschäftigten sich mit dem Doping-Opferhilfe-Verein DOH und der von ihm praktizierten und verfolgten Politik. Ihr Faktencheck kam an manchen Stellen zu anderen Ergebnissen als der DOH. Und sie stellten fest: Auch in der DDR hätten AthletInnen die Wahl gehabt, ob sie dopen wollten oder nicht. Die anschließende teilweise unschöne Auseinandersetzung und die Anwürfe hatten ihm nicht gefallen, „ändern aber nichts am Sachverhalt“.
Am Montag ist der große Doping-Bekämpfer Gerhard Treutlein in seiner Heimatstadt Heidelberg leise für immer vom Platz gegangen.