Frank Ullrich im Ziel

Skijäger mit SPD-Parteibuch neuer Sportausschussvorsitzender

Berlin, 15. Dezember. Der neue Sportausschuss des Bundestages mutet – zumindest was die Regierungsparteien angeht – in mehrfacher Hinsicht wie eine Wundertüte an. Nahezu alle Mitglieder der Koalition sind NovizInnen in dem Gremium, die einer erfahrenen Opposition gegenüberstehen. Dass der Thüringer Biathlon-Olympiasieger und Bundestrainer der Skijäger und Langläufer Frank Ullrich zum neuen Sportausschussvorsitzenden gewählt wurde, sagt nicht nur viel über die SPD, der er angehört, sondern auch über den Stellenwert dieses Ausschusses in der Berliner Bundestagsblase.

Frank Ullrich, ausgewiesener Sportsmann, machte in den letzten Monaten als der Bezwinger eines Rechtsaußen von sich reden. Im Wahlkreis Suhl-Schmalkalden-Meiningen-Hildburghausen-Sonneberg besiegte er den höchst umstrittenen ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten und rechten CDU-Kandidaten Hans-Georg Maaßen. Mit 33,6 Prozent der Erststimmen gewann der 63-jährige seinen Südthüringer Wahlkreis und somit das Direktmandat für die SPD. Und wurde eine Art Held der Genossen im so SPD-armen Osten. Und der Überraschungsmann.

„Der Bundestag kann ganz starke Akzente im Sportbereich setzen“, war Ullrich schon im Wahlkampf überzeugt. Und es war wohl klar – diesmal ist das angesteuerte Ziel des Skijägers der Sportausschuss des Bundestages.

Vorschlag Mützenichs

Und Ullrich ist erfolgreich als erster über die Linie gelaufen: Auf Vorschlag des Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich wurde er nicht nur als normales Mitglied in den Sportausschuss geschickt, sondern als Kandidat für den Ausschussvorsitz, wo ihn die 19 Mitglieder des Gremiums mit 18 Ja-Stimmen bei einer Enthaltung wählten und ihn endgültig aufs Polit-Siegertreppchen hievten. Er ist damit auch der erste Ostdeutsche in diesem Amt.

Als Sportler gewann der Thüringer 1980 für die DDR in Lake Placid Biathlon-Olympiagold im Sprint. Nach seiner aktiven Laufbahn führte er die deutschen Biathleten zwischen 1998 und 2009 als Bundestrainer zu vielen Erfolgen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Zwischen 2012 und 2015 trainierte er als Nachfolger des erfolgreichen, aber zuletzt von der Mannschaft ungeliebten Trainers Jochen Behle die deutschen Langläufer. Nach kritischen Äußerungen wegen mangelnder Erfolge des damaligen Generalsekretärs des Deutschen Skiverbandes (DSV), Thomas Pfüller, kündigte Ullrich in einem ARD-Fernsehinterview beim Weltcupfinale der Langläufer in Oslo seine Mitarbeit auf.

Ullrich war auch aus anderen Gründen nicht unumstritten. So musste er sich mit Doping-Vorwürfen auseinandersetzen. 2009 wurde er beschuldigt, die Biathlon-Mannschaft der DDR zum Dopen angewiesen zu haben. Ullrich bestritt die Vorwürfe und wurde freigesprochen. Eine Untersuchungskommission des Deutschen Skiverbandes bescheinigte ihm damals „einen unbewusst gesteuerten Verdrängungsmechanismus“.

Typische Sport-Karriere

Der Diplom-Sportlehrer aus Trusetal im Landkreis Schmalkalden besuchte eine Kinder- und Jugendsportschule, war Sportsoldat der Nationalen Volksarmee und startete mit 13 bei DDR-Kindermeisterschaften eine typische Sport-Karriere im sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat.

Nach der Wende wurde er als Stabsfeldwebel in die Sportfördergruppe der Bundeswehr übernommen. Von 2010 bis 2018 arbeitete Ulrich ehrenamtlich in der Technischen Kommission der Internationalen Biathlon-Union.

Dass Ullrich Mitglied der SED war, schadete offensichtlich seinem Image genauso wenig wie die Dopingvorwürfe. Er sei damals „aus Überzeugung“ in der Partei gewesen, „weil mir so viel gegeben wurde“, erklärte er der „taz“ in einem Gespräch während des Wahlkampfes. Später, so lässt er wissen, trat er aus Überzeugung wieder aus. Denn die Sozialdemokratie sei schon immer fest in seinem Herzen gewesen.

Dank mit Posten

Und die dankte ihm, der erst seit Februar 2021 Mitglied ist, nun sein Engagement mit dem Sportausschuss-Posten. Ob die Partei ihm und sich selbst damit einen Gefallen getan hat, wird sich zeigen. Bundespolitisch und in parlamentarischen Gepflogenheiten unerfahren, muss er nun zeigen, wo es lang geht. Zwar wird er von einem Sekretariat unterstützt, aber auch da gibt es einen Wechsel: Der erfahrene und langjährige Leiter des Sekretariats , Rudi Mollenhauer, geht dieser Tage in den Ruhestand. Auch Ullrichs SPD-KollegInnen im Ausschuss sind neu. Sie sitzen nun einer erfahrenen und gewitzten Oppositionstruppe vor allem der CDU/CSU-Fraktion gegenüber.

Vor allem der ehemalige parlamentarische CSU-Staatssekretär im Bundesinnenministerium Stephan Mayer, der maßgeblich die Sportpolitik in den letzten Jahren mitgesteuert hat, wird sich da als starker Widersacher erweisen. Und nicht nur im Sportausschuss, sondern vielleicht auch in seiner Funktion als Vizepräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), zu dem er sich auch hat wählen lassen. Ob er das bleiben kann, darüber wird – wie bereits ausführlich berichtet – die Bundesregierung entscheiden, die ihm laut Bundesministergesetz eine Freigabe erteilen müsste. Nun hat er als Geburtstagsgeschenk am Mittwoch erst einmal die Rolle des Oppositionsführers bekommen.

Sportpolitik egal?

Bei den Voraussetzungen also die Frage: Ist die Personaldecke der SPD so dünn, dass man ausgerechnet Ullrich mit der Vorgeschichte gleich zum  Ausschussvorsitzenden machen musste? Und man keine Zeit fürs Einarbeiten gewähren konnte? Oder ist man so blauäugig, dass man glaubt, ein Medaillengewinn – ohne Ullrich zu nahe treten zu wollen – macht einen automatisch zu einem guten Vorsitzenden? Oder ist die über die Jahre hinweg schwache Sportpolitik der SPD den Genossen ohnehin egal – Hauptsache da sitzt wer im Gremium? Ullrich könnte von seiner Vorgängerin und Parteifreundin Dagmar Freitag erfahren, dass den Sportausschuss führen und leiten nicht unbedingt ein Zuckerschlecken ist. Die ist aber zur Zeit nicht im Lande.

André Hahn von den Linken und Erhard Grundl von den Grünen sind neben den CDU/CSU-Oldies die einzigen mit Erfahrung in dem Gremium.

Also was ist zu erwarten von einem Sportausschuss, der in den letzten Jahren als Kontroll- und Fachgremium nicht unbedingt überzeugt hat? Welche Ideen im Koalitionsvertrag können erfolgreich umgesetzt werden? Etwa der „Entwicklungsplan Sport“.Wird es eine unabhängige Instanz zur Vergabe der Fördermittel und ein Transparenzportal wirklich geben? Oder werden neue Spitzensport-GmbHs und Diskussionen um zeitnahe Olympiabewerbungen alles andere wieder verdrängen? Wird etwa die Bewältigung der Coronafolgen für Kinder und Jugendliche, Vereine, oder das Safe House doch auf der To-do-Liste wieder nach hinten rutschen….

Athlet mit DDR-Sportsozialisation

Ullrich ist ein Mann des Leistungssports. Und im Leistungssport der DDR sozialisiert. Er hat deshalb an manchen Stellen eine andere Perspektive auf den Sport als mancher gelernte Westdeutsche. Deshalb verwundern Vorschläge wie eine lebenslange Pension für OlympiasiegerInnen nicht. „Dafür würde ich mich stark machen“, sagte er der dpa im August. Denn, so führte er weiter aus: „Der deutsche Spitzensport besitzt nicht die verdiente Wertschätzung und liegt deshalb auch nahezu am Boden. Leistungen werden nicht adäquat honoriert.“

Aber wer bestimmt, wie der Leistungssport wertgeschätzt werden soll? Wie wird Wertschätzung ausgedrückt? Über noch mehr Geld? An der finanziellen Förderung liege es nicht, dass der Spitzensport in der Republik nicht mehr Spitze ist. Das sagt nicht nur Stephan Mayer, der als Zuwendungsgeber in den letzten vier Jahren eigentlich wissen müsste, worüber er redet; das räumen auch Verbandsvertreter ein. Aber welchen Leistungssport man überhaupt wolle, darüber ist sich Sportdeutschland ebensowenig wie der Rest des Landes im Klaren. Das sind Fragen, mit denen sich Frank Ullrich in seinem neuen Amt nun sicher besonders unter gesellschafts- und sozialpolitischen Aspekten auseinandersetzen muss. Und da ist ein desolater DOSB, der sicher auch wohlmeinende Unterstützung – trotz der betonten Autonomie – gerne annimmt. Somit wäre das sozialistische Motto „Vorwärts immer……äh – rückwärts nimmer“ für den neuen Sportausschuss vielleicht eine Mahnung und zugleich ein Schubs in eine erfolgreiche Arbeit.

Der Sportausschuss und seine Mitglieder, in deren Reihen sich noch die eine oder andere Personalie zu Beginn des neuen Jahres ändern könnte:

SPD-Fraktion: Jasmina Hostert, Bettina Lugk,Sabine Pochmann, Christian Schreider, Frank Ullrich, Herbert Wollmann

CDU/CSU-Fraktion: Fritz Güntzler, Jens Lehmann, Stephan Mayer, Johannes Steiniger, Dieter Stier

Fraktion Bündnis90/Die Grünen: Erhard Grundl, Philip Krämer, Tina Winklmann

FDP:  Philipp Hartewig, Bernd Reuther

AFD-Fraktion: Jörg König, Klaus Stüber

Fraktion Die Linke: André Hahn