Ingo Weiss und der Kofferraum

Basketball-Präsident bei Ethikkommission angezeigt

Berlin, 9. Juli – Stärken und Schwächen einer Organisation und ihrer Strukturen zeigen sich nicht nur im Umgang miteinander, gegenseitigem Respekt und Ehrlichkeit, sondern häufig auch in der Art der internen und externen Kommunikation, wenn Probleme auftreten. Speziell im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) haben mangelnde Offenheit und Transparenz gerade auf der Kommunikationsschiene in letzter Zeit viele Systemfehler und menschliches Versagen aufgezeigt. Das hat zur Folge, dass im organisierten deutschen Sport neuerdings besonders gerne schriftlich in besonderer Form korrespondiert wird: Offene Briefe – anonym oder nicht – sind in Mode, aber keineswegs für die allgemeine Öffentlichkeit gedacht. Und sie tragen auch nicht zur Vertrauensbildung bei – zur Transparenz meistens schon gar nicht.

Zunächst geht es um einen neuen anonymen Brief (er liegt sportspitze vor) an die Ethikkommission des DOSB. Es ist eine Anzeige gegen Ingo Weiss, den Präsidenten des Deutschen Basketball-Bundes und gleichzeitig Sprecher der Spitzensportverbände. Ihm werden in dem Schreiben „erhebliche Verstöße gegen die Ethikregeln des Sports“ vorgeworfen. Weiss, so ist da zu lesen, habe sich „ mit der offiziellen Olympiakleidung ausstatten lassen, obwohl er nicht offizielles Mitglied der deutschen Mannschaft ist. Damit verstößt er, wie auch der DOSB, gegen das gültige Regelwerk.“ Weiter schreiben die Kritiker habe Weiss, „mehrere junge Freiwillige unzumutbar behandelt, psychologisch unter Druck gesetzt und diese angeschrien, weil sie nicht bereit waren, ihm die Kleidung direkt nach Hause zu liefern. Junge Mädchen sind dabei in Tränen ausgebrochen und waren mit ihren Nerven am Ende“.  Schließlich habe eine namentlich genannte DOSB-Mitarbeiterin „Herrn Weiss in seinen Aktivitäten gebremst“. Der Brief ist unterschrieben „Die Mitarbeiterschaft des DOSB.“

Vorgeschichte

Ingo Weiss hat den Brief von der Kommission unter Vorsitz von Thomas de Maizière zur Stellungnahme bekommen. Der Basketball-Chef hat ihn auch in der Sprechergruppe der Spitzenverbände geteilt. „Und auch meine Erwiderung an die Kommission werde ich zugänglich machen“, sagt Weiss in einem Telefonat am Freitagnachmittag aus Riga, wo er gerade bei der U19-WM ist.

Er schildert die Vorkommnisse völlig anders. „Die Vorgeschichte der Einkleidung in Hamburg liegt ja schon länger zurück. Im Januar/Februar habe ich beim DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann nachgefragt, ob – wenn es Olympische Spiele geben sollte – auch die Sprecher der Verbände, wie es bisher schon immer Usus gewesen ist, eingekleidet werden. Der Präsident hat das zugesichert, und am 31. Mai ist ein Schreiben der Vorstandsvorsitzenden Veronika Rücker gekommen, dass ich mir einen Termin aussuchen kann, wo ich mich einkleiden wolle“, sagt Weiss. Und der DOSB freue sich, ihn „als Botschafter für Team D“ dabei zu haben. Nun ist die Frage grundsätzlich zu stellen, ob nun jeder aus dem Dunstkreis eines Nationalteams tatsächlich mit dessen Klamotten ausgestattet sein muss.

Alles normal

Weiss‘ Termin-Wahl bei der Roadshow fiel auf den 18. Juni im Olympiastützpunkt Hamburg. „Es war alles ganz normal, mir wurde ein junger Mann zugeteilt, die Sachen wurden ausgesucht.“ Ein Problem tat sich dann allerdings auf, weil der Basketball-Präsident die Ausrüstung nach Hause geschickt haben wollte und nicht wie üblich an einem Olympiastützpunkt. „Aber auch das haben wir dann geklärt“, sagt Weiss, der sich von dem Brief „persönlich verletzt“ fühlt. „Das sind Diffamierungen und Lügen. Und das ist bösartig.“

Vielleicht hat Weiss zusammen mit seinen SprecherkollegInnen Jörg Ammon (Landessportbünde) und Barbara Oettinger (Verbände mit besonderen Aufgaben) in Vorahnung oder auch schon im Wissen einen Offenen Brief an die DOSB-Mitgliedsorganisationen geschrieben. „Mit großer Besorgnis stellen wir fest, dass sich die Anschuldigungen, persönlichen Beleidigungen und Diffamierungen gegen Personen der DOSB-Spitze in der Öffentlichkeit ununterbrochen fortsetzen. Diese Personen haben bereits vor einiger Zeit erklärt, dass sie bei den anstehenden Neuwahlen im Dezember nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Aus Sicht der Vertreter der Sprechergruppen der Spitzenverbände LSBs/LSVs und der Verbände mit besonderen Aufgaben im DOSB ist es dringend geboten, dass nun Ruhe einkehrt“, ist zu lesen. Was und wen er da genau meint? Weiter heißt es, man sorge sich, dass durch die „aktuellen Vorgänge und die Äußerungen die Marke „Deutscher Olympischer Sportbund“ und das Amt des/der „DOSB-Präsident*in“ nachhaltig beschädigt werden.“

Volle Konzentration

Was sagt uns das? Jetzt erst mal Ruhe im Stall. Nicht nur, weil  die Spiele anstehen und man nicht auch noch national ständig negative Schlagzeilen machen möchte. Und man ja bei einem Neuanfang möglichst ungestört starten will. Also volle Konzentration auf Olympia. Das fängt schon mit der Entsendung des Teams D an. Und der Funktionärstruppe drumherum. Der DOSB will der Bitte des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nachkommen, nicht mit einer allzu großen Funktionärstruppe in Tokio aufzuschlagen. Was wohl nur bedingt gelingt.

„Der DOSB-Vorstand entspricht mit seinen Nominierungsvorschlägen den Bitten von IOC und Veranstaltern, mit einem reduzierten Team in Tokio zu arbeiten. Für den Vorstand arbeiten in Tokio Veronika Rücker (Vorstandsvorsitzende/Sportpolitik) und Dirk Schimmelpfennig (Vorstand Leistungssport/Chef de Mission). Für das Präsidium Alfons Hörmann (Präsident/Delegationsleitung) und Uschi Schmitz (Vizepräsidentin Leistungssport/Covid-19-Liasion-Office)“, heißt es auf die Frage beim DOSB, wie groß denn nun die Delegation der Offiziellen sei.

Ob die Vorstandsvorsitzende tatsächlich sportpolitisch in Aktion treten wird, bleibt dahin gestellt. Schließlich wirbelt ja der Präsident zum letzten Mal in dieser Rolle auf internationalem sportpolitischen Parkett. Aber das Quartett ist zahlenmäßig vertretbar in Zeiten der Pandemie.

Eigenregie

Die Delegation wächst, wenn man die DOSB-Antwort weiter liest: „Die Fachverbände entscheiden in eigener Verantwortung über die Aufgabenverteilung innerhalb ihrer Teilmannschaften. Die Präsident*innen der Fachverbände Fechten, Boxen, Triathlon, Turnen, Rudern, Judo, Leichtathletik, Segeln, Handball, Schwimmen und Gewichtheben sind vor Ort. Diese erhalten ebenso ein Angebot für eine Einkleidung wie die deutschen Vertreter in den Weltverbänden/German Internationales“, um so die Wahrnehmbarkeit der deutschen Delegation zu vergrößern.“

Wahrnehmbarkeit der deutschen Delegation? Versteht man die ausrichtenden Gastgeber richtig, dann muss die olympische Familie ja in ihren eigenen Kreisen bleiben und verkehren. Und wenn die deutschen Offiziellen großes Pech haben, dann können sie nicht einmal bei ihrer eigenen Sportart zuschauen und den AthletInnen den Rücken stärken, steigen die Zahlen so weiter wie in den letzten Tagen. Also was veranlasst PräsidentInnen nun wirklich, zu diesen leblosen Spielen zu reisen?

Noch ein Betreuer

Ingo Weiss verweist darauf, dass er auf seine Akkreditierung durch den DOSB verzichtet hat. Was nun nicht ein Zeichen von Großzügigkeit ist, sondern daran liegt, dass er als Präsidiumsmitglied des Internationalen Basketball-Verbandes nach Japan reist. „Damit kann nun ein weiterer Trainer oder Betreuer für mich im DOSB-Kontingent mitfahren“, sagt Weiss. Streng genommen gehört er also nicht zum Team D. Und bräuchte dann auch keine Deutschland-Klamotten. Aber, wie der DOSB betont, geht es ja um die Wahrnehmbarkeit der Deutschen in der internationalen Sport-Familie. Der DOSB hätte laut und deutlich verkünden können, dass deshalb auch Funktionäre ohne direkten Team-D-Anschluss sich in Hosen, Shirts, Röcke, Sakkos mit dem schwarz-rot-goldenen Adler kleiden dürfen. Auch das gehört zu transparenter Kommunikation.

Zweite Geige

Wahrnehmung deutscher Sportfunktionäre ist nun auf internationalem Parkett nicht abwegig: Schließlich spielen die Deutschen eher die zweite Geige, was internationale Ämter angeht. Und da muss man auch die IOC-Session, die „in persönlicher Anwesenheit mit Abstand“ (Weiss) stattfinden wird, natürlich wahrnehmen. Mit sichtbarem schwarz-rot-goldenen Emblem.

Hoheitszeichen hin oder her: Weiss sagt, er habe einen besonderen Bezug zu Japan, weil er in den letzten drei Jahren den japanischen Basketballverband neu organisiert habe. Vielleicht ein Hinweis, dass das deutsche Sport-Wesen auf diese Weise den Japanern nahegebracht wurde. Und dass man nicht grundlos als Sportfunktionär in der Gegend herumgurkt.

Aber noch einmal zurück zu dem Brief an die Ethikkommission: Die umstrittene Einkleidung ist das eine Thema. Es geht auch um die Empfehlung des Gremiums nach der Untersuchung rund um die Vorwürfe gegen den DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann, das Präsidium und den Vorstand. Weiss hatte sich – etwa auch gegenüber Medien – nicht für den Vorschlag der Kommission nach deren Untersuchung ausgesprochen, im Dezember Neuwahlen anzusetzen. Er habe für eine Vertrauensabstimmung im September votiert, was er bis heute nicht zugegeben habe, heißt es in dem Schreiben an die Kommission. Deshalb, so die Verfasser, müsse geprüft werden, ob Weiss Sprecher der Spitzenverbände bleiben und sich um ein Amt im neuen DOSB-Präsidium bewerben könne.

Ich will nicht

Der Ärger ist unüberhörbar – selbst aus der Distanz, als Weiss aus Riga sagt: „Ich habe es mehrfach und deutlich gesagt, und wiederhole es gerne nochmal: Ich will nicht DOSB-Präsident werden. Meine Sorge ist, wenn wir weiter so miteinander umgehen, werden wir am Ende niemanden mehr finden, der im Sport für so ein Amt zur Verfügung stehen wird. Wenn das so weitergeht, befinden wir uns bald nicht mehr auf dem Fahrersitz, sondern im Kofferraum.“

Die Furcht ist nicht unberechtigt.