Schnelle Vertrauensabstimmung und wenig Einsicht
Berlin, 10. Juni. Kampflos will man die Stühle an der Spitze nicht räumen: Die Vorwürfe aus dem Mitarbeiterkreis, die die Ethikkommission untersuchte, haben nun Folgen: Nach dreitägiger Beratung beschlossen Präsidium und Vorstand des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), sich einer Vertrauensabstimmung nach den Olympischen/Paralympischen Spielen (Ende 5. September) in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zu stellen, aber offensichtlich keiner Neuwahl. Zuvor hatte die Ethikkommission einen umfassenden Bericht erstellt und veröffentlicht, der das Versagen der DOSB-Spitze nachzeichnet. Den Termin kann man auch als geschickte Taktik begreifen: Die Ethik-Kommission hatte in ihrem Bericht Vertrauensvotum und Neuwahlen für die reguläre Mitgliederversammlung im Dezember empfohlen. Mit der Planung nun bringt der DOSB die Opposition unter Zeitdruck.
Schon die Beratungszeit über drei Tage ließ den Rückschluss zu, dass man keineswegs mit einem klaren Eingeständnis des Präsidenten Alfons Hörmann und seines Präsidiums rechnen konnte, Fehler gemacht zu haben und dafür die Verantwortung zu übernehmen, deren einzige honorige Konsequenz nur Rücktritt aller heißen kann, die in diesem Präsidium sitzen.
Parallelwelt
Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass die DOSB-SportfunktionärInnen in einer Parallelwelt leben, fern von jeder Realitätswahrnehmung. Einsicht sieht anders aus als das, was in der offiziellen Erklärung vom Donnerstag zu lesen ist. „Die von uns initiierte Untersuchung der Ethikkommission hat einige der erhobenen Vorwürfe entkräftet, aber zugleich eine deutlich unterschiedliche Wahrnehmung der Führungssituation zum Ausdruck gebracht. Wir alle sind uns der besonderen Verantwortung für den deutschen Sport, den DOSB und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewusst. Deshalb werden wir gemeinsam mit dem Vorstand und mit den Mitgliedsorganisationen die Umsetzung der Vertrauensabstimmung und alle weiteren notwendigen Maßnahmen auf den Weg bringen“, wird Hörmann zitiert. Und seine Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker stößt ins selbe Horn. Dabei hatten sie doch gerade erst gegenüber dem Ethikkommissions-Vorsitzenden Thomas de Maizière Besserung gelobt.
So what? Mal wieder erfolgreich beim Zusammenstellen der Module für Sonntagsreden.
Jedenfalls kann es für Hörmann und seine Getreuen jetzt gar nicht schnell genug gehen, die Vertrauensfrage zu stellen. Warum wohl? Man könnte es taktischen Schachzug oder auch durchsichtigen Trick nennen, was sie sich da zurecht beraten haben. Mit dem vorgezogenen Termin setzen sie die Opposition in den Mitgliedsorganisationen unter Zeitdruck. Sie muss sich mitten im Sommer eine Mehrheit beschaffen, um die Ablösung des umstrittenen DOSB-Bosses zu erzwingen. Denn dass er freiwillig gehen wird, ist auch nach der heutigen Erklärung nicht zu erwarten. Von Neuwahlen ist nicht die Rede.
Putziger Weiß
Es ist schon fast putzig, wenn Basketball-Präsident Ingo Weiß, gleichzeitig Sprecher der Spitzenverbände, der dpa erklärt, man werde bei der Mitgliederversammlung „ Tacheles reden und dort deutlich machen, wie wir den Sport vom Abstellgleis holen, wo er gerade steht, und wieder auf die Schiene bringen.“ Wie lange war Weiß Mitglied des Präsidiums? Satte 14 Jahre als Vorsitzender der Deutschen Sportjugend (2002 bis 2016). Wäre da nicht schon mehrfach Gelegenheit und es angebracht gewesen, Tacheles zu reden? Auch als Basketball-Chef und besonders als Sprecher der Spitzenverbände, der er seit 2018 ist, wäre über viel zu diskutieren gewesen, wenn es einem um Sachfragen und das Fortkommen des Sports in Deutschland gegangen wäre.
Nicht er, sondern zum Beispiel Ruderpräsident Siegfried Kaidel, Triathlon-Präsident Martin Engelhardt oder Kanu-Präsident Timo Konietzko äußerten immer wieder öffentlich Bedenken, sprachen Probleme an und scheuten die Auseinandersetzung mit dem großen Vorsitzenden nicht. Es waren wenige aus den Spitzenverbänden, einige, wie Hessen, Berlin und Nordrhein-Westfalen aus den Landesverbänden, die Kritik wagten. Aus den wenigen scheinen nun mehr geworden zu sein, denn auch sie sehen, dass das miserable Bild, das der DOSB abgibt, auch auf sie abfärbt.
„Zum Wohl des deutschen Sports soll diese [Vertrauensabstimmung] zeitnah und unmittelbar nach den Olympischen und Paralympischen Spielen in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung umgesetzt werden“, heißt es in der Presseerklärung. Zum Wohl des Sports? Oder doch eher in eigener Sache?
Aussitzen?
Was passiert eigentlich, falls die Spiele nun doch noch verschoben werden? Wie sieht dann die Strategie aus? Was, wenn Hörmann und seine Truppen keine klare Mehrheit bei der Vertrauensfrage bekommen? Heißt das Motto dann: Gewonnen ist gewonnen – man sitzt das dann aus bis zu den regulären Wahlen 2022? Oder kommt es doch zu Neuwahlen? Im deutschen Sport ist alles möglich – auch ein „Weiter so“…
Die Entscheidung, so wie sie nun vorliegt, fiel übrigens nicht einstimmig aus. Das teilte ein DOSB-Sprecher laut dpa mit: Athletenvertreter Jonathan Koch sollte demnach im harmonischen Einheitsbrei nicht mitgerührt haben. Koch korrigiert: „Rein formal bin ich per Geschäftsordnung daran gebunden, Mehrheitsbeschlüsse mitzutragen, was ich in diesem Fall auch tue. Leider ist durch die Bekanntgabe meiner Gegenstimme, der Eindruck entstanden, ich wäre gegen die Vertrauensfrage.Das ist nicht richtig.“ Er sei für die „kompromisslose Befolgung der Empfehlung der Ethikkommission“ was aus seiner Sicht zwingend notwendig sei. Koch hatte nach Bekanntwerden der Vorwürfe, als sich Präsidium und Vorstand in fast vorauseilendem Gehorsam um den Präsidenten scharten und ihm das Vertrauen in einem Statement aussprachen, von diesem distanziert.
Reflektieren
Seit 2013 ist der Allgäuer Unternehmer Hörmann Präsident des DOSB – und es gab wohl unter den Präsidenten des DSB und DOSB keinen, der so umstritten war wie er. Hörmann räumte vor der Ethikkommission ein, „über seinen Führungsstil selbstkritisch zu reflektieren, an sich zu arbeiten und über Veränderungen und Verbesserungen nachzudenken“.
Wenn die heutige Erklärung das Ergebnis der Hörmannschen Reflexion ist, dann ist das in der Definition ein großes Missverständnis. Nun werden am Samstag (12. Juni) Landessportbünde und Spitzenverbände tagen, um über die Lage zu diskutieren. In ihrer Hand liegt es, wie und mit wem es im deutschen Sport weitergehen soll. So wie bisher jedenfalls kann es nicht weitergehen – meint jedenfalls der Teil des organisierten Sports, der seine Mitglieder, Ehrenamtlichen und AthletInnen im Blick hat und der weiß, dass Funktionäre in erster Linie für sie da sind, ohne die Sport gar nicht möglich wäre. Dem anderen Teil sollte man in Erinnerung rufen: Sport ist noch immer die schönste Nebensache der Welt. Und sollte nicht nur zur skurrilen Nabelschau eines EgomanInnen-Ensembles missbraucht werden.