Der oft unterschätzte Macher

Ein persönlicher Nachruf zum Tod von Walther Tröger

Berlin, 4. Januar. Er war einer der letzten Vertreter einer Funktionärsgilde, der sich aufrecht und loyal für den Sport auf großer und kleiner Bühne einsetzte, standhaft seine Position vertrat und (fast) nie die Contenance verlor: Walther Tröger. Die Nachricht von seinem Tod macht aus vielerlei Gründen traurig. 

Walther Tröger begegnete ich zum ersten Mal, als er Bürgermeister des Olympischen Dorfes in München war – 1972. Als Volunteer war ich am Start und erlebte ihn immer mal wieder während der ersten unbeschwerten fröhlichen Tage der Spiele als lächelnden, gut gelaunten Chef des Dorfes. Bis zu jenem 5. September, als das Unheil in Gestalt palästinensischer Terroristen über die Spiele hereinbrach, die israelische Athleten, Trainer und Kampfrichter als Geiseln nahmen. Aschfahl und um Jahre gealtert schien er, wenn er in diesen Tagen vor die Presse trat. „Da verliert man den Glauben an die Menschheit. Und das Gefühl, jemandem ausgeliefert zu sein, nicht zu wissen, wie es ausgeht, ist kaum auszuhalten“, sagte er später einmal in einem Gespräch. Und wie sehr ihn das damals Erlebte auch Jahrzehnte später noch mitnahm war nicht zu übersehen.

Was gibt‘s daheim?

Damals wusste ich nicht, dass Tröger ein „Landsmann“ von mir war: geboren im oberfränkischen Wunsiedel, das im sogenannten Sechsämterland liegt – wenige Kilometer von meinem Heimatort entfernt. Obwohl weltweit unterwegs und zwischenzeitlich in Frankfurt am Main zuhause, blieb er der alten Heimat Fichtelgebirge verbunden, erkundigte sich immer wieder nach Neuigkeiten, wenn er wußte, das ich mal wieder „daheim“ war.

Sein Geburtsort war so etwas wie ein Omen im Bezug auf seine Karriere. Denn Walther Tröger war ein Mann der Ämter – er sammelte sie im Laufe seines Lebens wie Briefmarken. Und wer sich mit den Stationen seiner Laufbahn und den vielen Auszeichnungen beschäftigt, verliert schnell den Überblick. Tröger dagegen erinnerte sich an kleinste Details, die andere schon lange vergessen hatten. Seine sportpolitische Karriere begann beim Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband (ADH), wo er von 1953 bis 1961 als Generalsekretär tätig war. Dann wechselte der Jurist in gleicher Funktion zum Nationalen Olympischen Komitee von Deutschland (NOK), übernahm zusätzlich (tatsächlich) ehrenamtlich die Position des Sportdirektors des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) von 1983 bis 1990 und pendelte zwischen Lausanne und Frankfurt hin und her.

Tief enttäuscht

1992 wurde er Nachfolger von Willi Daume als NOK-Präsident. Die Wiederwahl 2002 scheiterte in einer Kampfabstimmung gegen den ehemaligen Schwimmer Klaus Steinbach. Das war für ihn eine bittere Stunde. „Ich fühle mich ungerecht behandelt“, sagte Tröger damals enttäuscht. Der Mann, für den Loyalität ganz oben auf der Werteliste stand, erlebte, dass ihm diese Loyalität nicht im Funktionärskreis, der ja angeblich den Sport voranbringen wollte, entgegengebracht wurde, weil persönliche Interessen für Einzelne wichtiger waren als die gemeinsame Sache. „Das habe ich damals falsch eingeschätzt“, sagte er in einem Gespräch vor seinem 90. Geburtstag im vergangenen Jahr.

Dem Mann, der immer mit einer prall gefüllten Aktentasche unterwegs war, hatte ein Elefantengedächtnis. Er wusste alles und vergaß nichts – zum Leidwesen vieler, die heute im Sport ganz vorne stehen.

Das IOC würdigte die Arbeit für den deutschen und internationalen Sport. „Walther Tröger hat einen großen Beitrag für das IOC geleistet, zunächst als Sportdirektor, dann als Mitglied und zuletzt als Ehrenmitglied“, so der amtierende IOC-Präsident Thomas Bach, mit dessen „Arbeit und Management“ Tröger auch in dessen Zeit als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes so seine Probleme hatte und daraus auch kein Hehl machte: Die Fusion von Deutschem Sportbund (DSB) und NOK 2006 zum deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) sah er, wie auch der heutige Präsident Alfons Hörmann damals als Skipräsident, als fatalen Fehler. Und Olympia? Steckte für das IOC-Ehrenmitglied in einer schweren Krisen mit altbekannten Problemen wie Doping, Korruption und Refomunfähigkeit. Die olympische Welt war sein Leben – und was daraus wurde, tat ihm weh. Vor allem die wachsende Kommerzialisierung war für ihn die „schlechteste aller Entwicklungen“.

Mit Sorge, so sagte Tröger in einem der letzten Telefonate,beobachte er das Geschehen auch auf nationaler Ebene und hatte im Blick auf den DOSB auch so seine eigene, kritische Meinung – etwa zur Leistungssportreform, die „auch wie die vorhergehenden sicher so nicht gelingen wird.“

Briefe und Briefe

Amtsträger haben es nicht leicht. Schon gar nicht mit JournalistInnen. Wenn ich im Ordner mit abgehefteten Tröger-Briefen blättere, die ich im Laufe meiner Tätigkeit vor allem bei der Frankfurter Rundschau von ihm bekam, wird das mehr als deutlich. Den Kommentar zu geldgierigen Funktionären, die immer in den teuersten Hotels absteigen, wollte er so nicht stehen lassen und verteidigte das IOC. Die Dopingproblematik oder Kommerzialisierung als Thema – da konnte man darauf warten, dass man Post bekam und zum Gespräch gebeten wurde. Als Walter Tröger die Nachfolge Willi Daumes als NOK-Präsident antrat, hatte er mit der neuen Rolle anfangs große Schwierigkeiten. Vor allem der Vergleich mit Vorgänger Daume als Visionär, Vordenker und Schöngeist nervte und ärgerte ihn. Tröger, der immer als kühler Technokrat, Taktiker, Pragmatiker – und Betonkopf – beschrieben wurde, fühlte sich von Öffentlichkeit und Medien ungerecht behandelt und mißverstanden. Tröger war damals oft angefressen – und selbst konstruktive Kritik nahm er als persönlichen Angriff, was sonst nie geschah. Sofort ging er dann nicht selten barsch in Verteidigungs- und Rechtfertigungsmodus.

Das war die Zeit, als Walther Tröger gerne und viele Briefe schrieb: An JournalistIn oder ChefredakteurIn, wenn aus seiner Sicht doch einiges zu klären war. Nur zum Anwalt ging er nicht. Streit und Diskussionen ging er nie aus dem Weg – ganz im Gegenteil, manchmal suchte er auch die Auseinandersetzung. Unter vier Augen ebenso wie – wenn es denn nicht anders ging – auch öffentlich. Und weder FunktionärskollegInnen, PolitikerInnen noch JournalistInnen blieben verschont. War die Sache geklärt, dann war sie geklärt.

Nachtragend habe ich Tröger persönlich nie erlebt, streitbar schon, und manchmal wurde es auch etwas lauter in seinem NOK-Büro und man blickte hilfesuchend auf den Pressemann Manfred Seeger, während man unruhig auf der schwarzen Couch hin und her rutschte, wenn das Donnerwetter gar nicht aufhören wollte. „Im übrigen, gebe ich Ihnen da in dem einen in soweit recht…..“ Wenn er an diesem Punkt angelangt war, konnte man durchatmen. Jetzt durfte man dann auch als Jung-Redakteurin mal nachfragen, warum man so falsch liegen sollte.

Kommen Sie auf den Punkt

Diskussionen fand er gut, wenn man gute Argumente hatte und nicht herumlaberte. „Kommen Sie doch mal auf den Punkt“, sagte er bei einer Pressekonferenz zu einem Kollegen, der zu einem belehrenden Ko-Referat angesetzt hatte. „Mein Flieger geht in einer Stunde.“

Walther Tröger, wie anders könnte es bei so einer langen Karriere in so vielen Ämtern auch sein, hat sich viele Freunde, aber auch manchen Feind fürs Leben gemacht. Die wenigen, denen er nicht besonders zugetan war, waren ihm aber ganz sicher nicht nur beruflich auf die Füße getreten, sondern hatten ihn persönlich verletzt. Und da blieb er – „trotz Altersmilde und manchem Perspektivwechsel im Laufe der Jahre“ doch unversöhnlich.

Frauen eine Chance

Als Sportjournalistin bin ich Walter Tröger, ebenso wie Willi Daume, zu Dank verpflichtet. Wir waren ziemlich neu und wenige Frauen im sportpolitischen Geschäft und waren vor allem den sportpolitischen „Journalistenpäpsten“ – und von denen gab es mindestens fünf selbsternannte, die das Geschehen pressetechnisch dominierten – ein Dorn im Auge. Sie behandelten uns herablassend, wenig entgegenkommend und hilfsbereit – sie nahmen uns nicht ernst. Nicht so Tröger, der Journalistinnen gegenüber offen war und Hilfestellung gab, wenn man darum bat. „Es kann nur von Vorteil sein, wenn mal aus weiblicher Sicht der Sport beschrieben wird“, waren sich Tröger und Daume zum Leidwesen manches Kollegen einig. Aber: Man musste sich Trögers Vertrauen erarbeiten.

Dinosaurier

Ob ich ihn denn als einen der letzten Dinosaurier einer aussterbenden Sport-Funktionärsgilde beschreiben dürfte, fragte ich ihn bei einem Gespräch auf der DOSB-Vollversammlung in Magdeburg vor fünf Jahren. Was ich denn damit meinen würde? „ Naja, einer aus der Garde der Funktionäre mit Statur, mit dem Ruf von Verlässlichkeit, Werten, Leidenschaft und Freude für und am gesamten Sport!“- „Ja, wenn Sie das so sehen. Wer gehört da noch zu der aussterbenden Spezies?“ kam mit einem Augenzwinkern als Nachfrage. Und dann überraschte mich der eher doch immer so nüchterne Mann, der selten seine weichen Seiten zeigte: „Wenn ich jetzt schon zu den Dinosauriern gehöre, dann wird es höchste Zeit, nach Jahrzehnten des Kennens Dir das Du anzubieten!“

Danke auch dafür, Walther Tröger – und sorry, dass es mit dem Telefonieren nicht mehr geklappt hat. (Lesen Sie dazu auch ” Multifunktionär aus dem Sechsämterland ” zu Trögers 90. Geburtstag)