Kopfsprung ins Daten-Becken

Projekt „Bäderleben“ ist auch eine politische Entscheidungshilfe

Berlin, 24. November. In den 1970er Jahren hatte gefühlt nahezu jedes Dorf in der Bundesrepublik ein Schwimmbad. Mehr Lebensqualität für Bürger und Bürgerinnen war das Stichwort, das KommunalpolitikerInnen veranlasste, sich manchmal vor allem selbst ein Bad-Denkmal zu setzen und nicht vorher über die damit verbundenen Folgekosten nachzudenken. Und das hatte wiederum zur Folge, dass Bäder in der Republik wegen Unrentabilität und zu hoher Kosten schließen mussten. 

Wie sieht es heute in der Bäder-Landschaft aus? Mit dieser Frage beschäftigte sich Professor Lutz Thieme mit seinem Team von der Hochschule Koblenz. Heraus kam die Website „baederleben.de“, die einen Überblick über Bäder aller Art, deren Adressen, Öffnungszeiten, Eintrittspreise, Ausstattung, Barrierefreiheit oder Ansprechpartner gibt. 1,2 Millionen Daten wurden gespeichert. Rund 120 Merkmale der einzelnen Bäder wurden zusammengetragen, die jederzeit von BürgerInnen abgerufen werden können.

Viele Mitstreiter

Die Bäderallianz Deutschland, zu der unter anderen der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), der Deutsche Schwimmverband (DSV), der Verband Deutscher Sporttaucher (VDST), der Deutsche Verband für Modernen Fünfkampf (DVMF), die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und die Deutsche Gesellschaft für Badewesen gehören, haben dieses Projekt gemeinsam mit der Hochschule Koblenz und dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Bisp) als Initiator und Geldgeber auf den Weg gebracht. Ziel war, eine valide Datengrundlage und Übersicht über alle öffentlichen Bäder und Wasserflächen in Deutschland aufzubauen, die ständig aktualisiert werden.

Die Daten basieren auf einer Umfrage „zum Glück, noch bevor Corona kam“, wie Projektleiter Thieme erleichtert sagt, bei den 401 Gesundheitsämtern in Deutschland. „Die Website baederleben.de ist ein Datenbecken, das wir gebaut haben, um wesentliche Informationen zu den Bädern zusammenzuführen, Bäder zu suchen, Bäder zu zählen und die Bäderentwicklung nachzuvollziehen.“

Viele Details

9600 Bäder gibt es nach der neusten Datenlage in der Republik – im Jahr 2000 waren es ca. 7200. „Wobei das schwer vergleichbar ist, weil nicht klar ist, was mitgezählt wurde“, sagt Thieme. „In unseren Daten sind nahezu 100 Prozent Hallen- und Freibäder erfasst.“

Interessant für Schwimmbadfans ist, dass sie auf der Website Details abrufen können, die für sie wichtig sind. „Wenn jemand wissen will, ob das Bad, das man besuchen will, einen Zehn-Meter-Turm hat, wie weit es vom Wohnort weg ist, ob es ein Nichtschwimmerbecken hat und wie teuer der Eintritt ist, so kann er das abrufen. Eine solche strukturierte Datenlage gab es bisher nicht“, so Thieme. Und da es sich um ein „Open-Data-Projekt handelt, sind nun alle aufgefordert, das Becken mit Daten aufzufüllen und auch falsche Daten herauszufiltern.“ NutzerInnen können Daten eintragen oder korrigieren. Dass dann alle Fakten korrekt sind, dafür soll ein „Bad-Pate“ sorgen, den es für jedes Bad geben soll. Der überprüft die Eingaben und schaltet dann die Informationen frei.

Hilfreich für Entscheider

Das Datenangebot liefert nicht nur hilfreiche Hinweise, sondern man kann auch Entwicklungen genauestens verfolgen – beispielsweise das seit Jahren von der DLRG beklagte Bädersterben.

Auch für KommunalpolitikerInnen, Landes- und BundespolitikerInnen ist diese neue Datenübersicht sehr nützlich. Denn: Nicht jede Kommune braucht ihr eigenes Bad – da sollte man aus der Vergangenheit gelernt haben. Fragen, wie es mit der Bäderversorgung aussieht, wie Kommunen auf diesem Sektor sinnvoll zusammenarbeiten können – und so nicht sinnlos Steuergeld ausgegeben wird – auch da ist auf der Datengrundlage gut zu arbeiten. Dagmar Freitag (SPD), Sportausschussvorsitzende im Deutschen Bundestag, weiß, wie manche schnell Geld haben möchten, um ihr Prestigeprojekt umzusetzen, ohne genau zu überlegen, dass es mit dem Bau ja nicht getan ist. Der Bund helfe bei der Finanzierung sagt sie, aber: „Die Investitionskosten sind das eine, die Kommunen müssen schon sehr genau vorher rechnen, ob sie hinterher die Betriebskosten finanzieren können. Nicht jede 8000-Seelen-Gemeinde braucht ein eigenes Hallenbad, da hilft auch schon ein Lehrschwimmbecken, damit die Kinder schwimmen lernen. Und den Rest kann man vielleicht im Rahmen interkommunaler Zusammenarbeit lösen. Aber all das lässt sich besser diskutieren und entscheiden auf einer validen Datengrundlage.“

Thieme bekräftigt das. „Damit werden nachhaltigere Entscheidungen vor Ort und ein zielgerichteter Einsatz von Fördermitteln möglich.“

Und auch der Vorsitzende der Bäderallianz , Achim Haag, sieht mit dem Projekt Bäderleben den perfekten Rahmen, „um eine genaue Anzahl an Bädern inklusive ihrer Ausstattung und Verfassung festzuhalten.“ Was heißt – nach der ersten Datenerhebung müsste eine Fortschreibung erfolgen, die sich dann zum Beispiel mit Sanierungen beschäftigt.

Versäumt

Bei der hybriden Pressekonferenz in Berlin wurde auch noch einmal deutlich, warum Schwimmbäder so wichtig sind. Dagmar Freitag formulierte es so: „Wer nicht schwimmen kann, der gefährdet sein Leben.“

Schwimmunterricht für Kinder ist deshalb wichtiger denn je, vor allem auch für die Mädchen und Jungen, die einen anderen kulturellen Hintergrund haben. Der Deutsche Schwimmverband (DSV) und auch der DOSB haben in den letzten Jahren viel versäumt und eine Menge nachzuholen. Der neu gewählte DSV-Präsident Marco Troll verspricht im Deutschlandfunk: „Es geht darum, dass wir im Breitensport endlich etwas tun müssen.“

Und auch DOSB-Vizepräsident Andreas Silbersack zeigte durch seine Anwesenheit in der Hauptstadt, dass er das Thema wichtig nimmt. „ Jedes Schwimmbad, dass als Folge der heute veröffentlichten Studie saniert oder gerettet wird, macht Sportdeutschland ein Stück besser.“

Landessportbünde wie etwa der in Berlin sind da schon weiter: Sie bieten beispielsweise Intensiv-Schwimmkurse in Kooperation mit Vereinen und Bädern in den Ferien an, die schneller ausgebucht sind als sie angeboten werden. So leben Bäder weiter, wenn in ihnen Leben ist.

Michael Palmen, Fachgebietsleiter Sportanlagen im Bisp, hofft, dass das Projekt bis Ende 2021 im Ziel ist. „Die Schaffung valider empirischer Grundlagen zu Bädern für Leistungs-, Wettkampf, Schul- und Vereinssport sehen wir auch in einem Gesamtzusammenhang mit einer geplanten Datenerfassung zum gesamten Sportstättenbestand in Deutschland.“

Somit ist Bäderleben eine Art Pilotprojekt für das große Ziel eines bundesweiten digitalen Sportstätten-Atlas.

www.baederleben.de