Neues BMI-Referat tüftelt an Strategie

Großsportveranstaltungen Thema nach den olympischen Bewerbungspleiten

Berlin, 8. August.- Sportgroßveranstaltungen wie Olympische Spiele oder Fußball-Weltmeisterschaften stoßen auf immer mehr Skepsis und vor allem bürgerlichen Widerstand – nicht nur in Deutschland. Auch diejenigen, die Sport mögen und selber treiben, haben die Nase voll von kommerziellen Sportveranstaltungen, bei denen FunktionärInnen und Sponsoren bestimmen, wo und wie es langgeht.Die Zeiten, da sich die Deutschen als Veranstaltungs-Weltmeister feiern ließen und selbst feierten, sind längst vorbei. Spätestens seit der letzten gescheiterten Olympia-Bewerbung Hamburgs, die nicht einmal die nationale Hürde nahm, ist das allen klar. Das soll sich ändern: Seit dem 16. Mai 2019 gibt es im Bundesministerium für Inneres, Bau und Heimat (BMI), das auch für Sport zuständig ist, das lange angedachte neue Referat „Sportgroßveranstaltungen“.

Sportgroßveranstaltungen: Jahrzehntelang rissen sich PolitikerInnen um olympischen und weltmeisterlichen Glanz – Olympia war ein Selbstläufer. Gerne gab man viel versprechenden FunktionärInnen nach. Nicht zuletzt deshalb, weil den veranstaltenden Ländern überwiegend nur Vorteile versprochen wurden, die sich aber spätestens nach dem Weiterzug der Sportkarawane in einen schweren Kater wandelten. Olympische Spiele als Risikofaktor in mehrfacher Hinsicht. Vorteile für Land und Leute, verbesserte Infrastruktur? Diktatoren polieren mittlerweile gerne mit den fünf olympischen Ringen ihr Image auf, erfüllen Wünsche von IOC oder FIFA, wenn die sich zahm verhalten und nicht etwa genau wissen wollen, wie es um die Einhaltung von Menschenrechten oder die Zerstörung der Umwelt steht. Andere Regierende, die ihren BürgerInnen mit Sport-Großveranstaltungen wirtschaftlichen Aufschwung und damit bessere persönliche Lebensverhältnisse versprechen – wie zuletzt in Rio de Janeiro – haben offensichtlich nur auf ihre eigenen Konten oder die ihrer Seilschaft geschaut statt auf das Wohl der BürgerInnen.

Nix im Weg

Vor einigen Tagen feierten sich, ein Jahr vor Tokio, das Organisationskomitee der Spiele im Land der aufgehenden Sonne und die Verantwortlichen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) wieder in gewohntem Ritual: Es sei alles auf gutem Weg und im Rahmen, und es stehe den besten und futuristischsten Spielen ever nix im Weg.

Der Tsunami und die daraus resultierende Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011? Kein Thema – zumindest für die Organisatoren. Ganz im Gegenteil: Am Strand vor dem Atomreaktor wird gefahrloser Alltag mit Badegästen demonstriert. Fachleute kritisieren diese Art der Verharmlosung heftig.

Kostenexplosion, Korruption sind ständige Begleiter, wenn es um Bewerben, Vergabe und Durchführung Olympischer Spiele oder sportlicher Großereignisse geht. Fußball-Weltmeisterschaften? Gerade jetzt fällt das WM-Sommermärchen 2006 der Republik auf die Füsse, die doch derartige unsaubere Mittel mit Abscheu und Empörung immer weit von sich weist. (Das kennt man ja auch vom Doping). Juristische Verjährung hin oder her – es könnte für einige Funktionäre, aber auch für manche politische EntscheidungsträgerInnen noch zu einem verspäteten Alptraum werden.

Gekaufte Spiele? Auch das müssen sich die Macher von Tokio nun fragen lassen, denn gegen den Chef des Bewerbungs-Teams und Chef des NOK, Tsunekazu Takeda, wird wegen Stimmenkaufs ermittelt. Und: Kostenexplosion? Japans Premierminister Shinzo Abe musste höchst persönlich eingreifen, als der Mittelbedarf durch die Decke schoss. 6,6 Milliarden US-Dollar waren einst veranschlagt, und die Steuerzahler müssten keinen Cent zahlen, beteuerten die Olympiamacher. Mittlerweile errechneten Experten eine Summe von über 20 Milliarden, die die Spiele trotz abgespeckter Bauten und Programme kosten, für die auch der japanische Steuerzahler aufkommen muss.

Klug geworden?

Aus Erfahrung wird man klug. Das scheint tatsächlich der Grund dafür zu sein, dass es nun ein neues Referat im BMI gibt. Bisher sitzen dort zwei Mitarbeiter. Es soll aber personell noch wachsen.

Schlechte Erfahrungen hat der deutsche Sport mit Olympiabewerbungen zur Genüge gemacht: Historisch gesehen, gab es bisher fünf erfolgreiche deutsche Bewerbungen und fünf Ablehnungen.

Berlin 1936 und München 1972 waren Ausrichter Olympischer Sommerspiele, Garmisch Partenkirchen 1936 der Winterspiele. Zwei Weltkriege zerstörten Olympiazusagen für Berlin 1916 und Garmisch-Partenkirchen 1940, das 1960 gegen Squaw Valley bei einem erneuten Versuch scheiterte.

Nach den Münchener Spielen 1972 fielen deutsche Bewerber regelmäßig durch: 1992 Berchtesgaden (gegen Albertville), 2000 Berlin (Sydney), 2012 Leipzig (London), 2018  München (Pyeongchang)und 2022. 2024 scheiterte Hamburg, das auch noch mit Berlin im Wettbewerb war, an einem Bürgerentscheid.

Viele Theorien

Über Gründe des Scheiterns der deutschen Bewerbungen gibt es viele Theorien und Meinungen. Unumstritten ist aber, dass Verhalten und Auftreten von Sportorganisationen sowie deren Protagonisten – stellvertretend seien IOC und FIFA genannt – die für Ablehnung solcher Großereignisse sorgen. Ebenso wie die wachsende Kommerzialisierung und Medialisierung des Sports. Und die Ungleichverteilung der Risiken, die meist die Bewerberstädte und Länder und nicht die Veranstalter, also die Sportverbände, tragen.

Und schließlich wurde die Bevölkerung nicht mitgenommen. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Alfons Hörmann, schwafelte gerne von Sportdeutschland, das hinter einer Bewerbung stehen müsse, definierte aber nie genau, was er damit meinte. Jedenfalls lebte die Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen nicht in Hörmanns Sportdeutschland. Dass die in Hamburg dann nicht so wollten wie FunktionärInnen und auch SportlerInnen, endete dann bei manchem Enttäuschten mit einer Bürgerbeschimpfung.

Die Grünen am Ball

Nicht nur die ökologischen Folgen von Sportgroßereignissen waren deshalb 2013 ein Grund für die „Grünen“ im Bundestag, sich mit diesem Thema eingehend zu beschäftigen. Mit einem Antrag „Vergabekriterien für Sportgroßveranstaltungen fortentwickeln – Menschen- und Bürgerrechte bei Sportgroßveranstaltungen stärker berücksichtigen“ forderten sie nicht nur Transparenz bei Bewerbungs- und Vergabeprozessen ein. Im September 2014 luden sie zu einer prominent und sportfachlich top besetzten Veranstaltung mit dem Titel „Andere Spiele sind möglich!“ ein. Und blieben bis heute bei dem Thema am Ball.

Die Pleiten-Pech-und-Pannen-Bewerbungen hatten auch das BMI längst alarmiert: Neben den Konzepten der erfolgreichen Konkurrenz wurde ebenso das eigene Vorgehen untersucht.  Nicht nur unabhängige Experten kamen zu dem Schluss, dass  eigenes Unvermögen, falsche Stimmungseinschätzungen in internationalen Gremien und Selbstüberschätzung Gründe des Scheiterns waren. Dass es auf Dauer kaum zu vertreten ist, weiter Millionen an Steuergeld zu versenken, war auch beim BMI 2014 die Erkenntnis. Und eine weitere: Eine Strategie für Großveranstaltungen muss her.

Die hatte noch Ex-Sportminister Thomas de Maizière mit seinem mittlerweile in den einstweiligen Ruhestand versetzten Abteilungsleiter Gerhard Böhm angeleiert. Und das Ansinnen fand sich dann auch mit einem Satz im aktuellen Koalitionsvertrag wieder. Aus dem BMI heißt es dazu auf Anfrage, die Bundesregierung habe danach „den Auftrag, eine langfristig angelegte Strategie für Sportgroßveranstaltungen aufzubauen und umzusetzen. Die gescheiterten Bewerbungen Deutschlands um Olympische Spiele zeigen, dass es notwendig ist, Finanzierung und Nachhaltigkeit, Verantwortlichkeiten und professionelles Management in Einklang zu bringen. Vor diesem Hintergrund erfolgte die bewusste Entscheidung für ein eigenständiges Referat.“ Und das sagt uns auch, dass Kritiker damit offensichtlich bestätigt werden, dass der DOSB es alleine nicht hinbekommt.

Vorstandsvorsitzende für Internationales

Beim DOSB wurde die neue Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker 2017 u.a., wie Hörmann bei ihrer Vorstellung betonte, auch engagiert, um sich um die Aufgabe „Internationales“ zu kümmern. Sie übergab diese an den früheren Pressesprecher Christian Klaue als der auf dem eigens geschaffenen Posten eines Direktors für Kommunikation, Marketing und Internationales. überraschend zurückkehrte – bevor er sich nach einem kurzen Intermezzo wieder Richtung IOC verabschiedete.

Im DOSB gibt es ein Ressort Internationales, das Katrin Grafarend leitet. Ihre Reaktion auf das neue BMI-Referat: „Wir freuen uns, dass sich das BMI diesem wichtigen Themenfeld gezielt annimmt. Auch wir haben das Thema seit einiger Zeit verstärkt auf der Agenda.“ Man sei, sagt sie, an einer „engen Zusammenarbeit mit dem BMI interessiert.“ Der DOSB stehe mit der zuständigen Abteilungsleitung im Austausch. Und: „Zum jetzigen Zeitpunkt ist es verfrüht, über die Aufteilung von Arbeitsinhalten zu sprechen“, sagt Grafarend, die sich bei der Frage, wer etwa in Bewerbungsverfahren federführend sei, nicht festlegen will: „Die Bewerbungsverfahren internationaler Sportgroßveranstaltungen unterscheiden sich deutlich, daher kann nicht generell von einer Federführung an A, B oder C gesprochen werden.“

Gemeinplätze

Man sollte nun meinen, dass gerade den DOSB die Probleme rund um Großveranstaltungen, vor allem nach den negativen Bewerbungen, besonders umtreiben. Der DOSB verfasste 2017 ein Strategiepapier mit dem Titel „DOSB – Die starke Stimme des Sports“. Als übergreifendes strategisches Ziel führt er unter Punkt D „Olympische Spiele und Paralympics nach Deutschland holen“ auf. Wie das gehen soll, weiß er wohl selber nicht. Es werden Forderungen wie „Bevölkerung vom Sinn und Nutzen sportlicher Großveranstaltungen bis hin zu den Olympischen Spielen und Paralympics überzeugen“ aufgeführt. Lösungsvorschläge? Nicht nur bei diesem Punkt ist das vermeintliche Strategiepapier eine Ansammlung von Gemeinplätzen.

Da ist das BMI schon weiter. Obwohl Kritiker sagen, das komme alles zu spät. Spätestens nach der München-Pleite hätte man wirklich reagieren müssen. „Aber Analyse, Selbstkritik und schonungslose Fehlersuche ist nicht das Ding des deutschen Sports. Schuld sind immer die anderen – nie man selbst“ sagt einer, der in den letzten Jahren ganz nah dabei war. „Es reicht ganz sicher nicht mehr, nette AthletInnen als Botschafter vor Kameras zu stellen.“ Was vielen auf dem sport(politischen) Parkett häufig als Motivationshilfe und Begründung genügte, um eine Bewerbung zu starten.

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat sich ausführlich 2014 mit den „Deutschen Olympiabewerbungen – Historischer Überblick und Problemlagen“  beschäftigt. Nicht nur für Sportpolitiker, sondern auch für Haushälter, die gerne großzügig mit Steuergeld um sich werfen, eine lohnenswerte komprimiert zusammengefasste Lektüre. Es hat alles noch seine Gültigkeit, auch wenn in den letzten Jahren noch kritische Varianten dazu gekommen sind.

Genaue Vorstellung

Das BMI scheint es ernst zu meinen. Und offensichtlich haben die Verantwortlichen eine genaue Vorstellung, wo sie hin wollen. Was also soll das BMI-Referat sein? Dienstleister für den DOSB, Lobbyist, Promotor? „Das Referat hat insbesondere die Aufgabe, eine nachhaltige nationale Strategie für Sportgroßveranstaltungen unter Einbindung der Länder, der betroffenen Städte, des Sports, der Wirtschaft und der relevanten gesellschaftlichen Gruppen zu entwickeln, umzusetzen und fortzuschreiben“ heißt es auf Anfrage aus dem BMI. „Ferner hat es die Aufgabe, die Bewerbungen, Vorbereitungen und die Durchführung von internationalen Sportgroßveranstaltungen in Deutschland eng zu begleiten und die nationalen Akteure zu koordinieren.“ Womit die Frage der Federführung beantwortet ist.

Nachfrage in Nordrhein-Westfalen, wo der CDU-Landesvater Armin Laschet die Olympiabewerbung quasi von der rot-grünen Vorgänger-Regierung geerbt hat und sie nun weiterbetreibt. Wie kommt das BMI-Referat in den Ländern an, die sich ja oft auch in Sportfragen nicht unbedingt untereinander einig sind? Am 13. Juni 2019, so ein Sprecher der NRW-Landesregierung, seien bei der Sportreferenten-Konferenz die Länder informiert worden, „dass mit den Organisationsveränderungen in der Sportabteilung des BMI das Referat ‚Sport 4‘ mit dem Aufgabenbereich ‚Sportgroßveranstaltungen‘ eingerichtet wurde“. Aber schon vorher habe die Sportabteilung der Staatskanzlei mit der BMI-Sportabteilung „regelmäßig“ in Fragen der Planung und Förderung von Sportgroßveranstaltungen zusammengearbeitet.

Natürlich ziehen Sportevents Vermarktungs-, Veranstaltungs- und Werbeagenturen an. Auch in NRW ist das so. Neben den staatlichen Playern Bund und Land engagiert sich von der ersten Minute an der Sport- und Eventmanager Michael Mronz. Die Vision von einem „überregionalen, gemeinschaftlichen und nachhaltigen Konzept für Olympische und Paralympische Spiele in der Metropolregion Rhein-Ruhr“ ist auch seine. „Wir begrüßen die Initiative von Herrn Mronz zur Erstellung eines Konzeptes …“ antwortet der Staatskanzlei-Sprecher.

Streichliste

Im BMI will man sich, so heißt es von Insidern, zwar in Zukunft externe Fachleute als Berater holen, aber keine kommerziellen Sportveranstalter – was immer das heißen mag. Wie dem auch sei: „Damit“, so das BMI weiter, „nimmt das Referat ministerielle Fachaufgaben im Bereich der Sportpolitik wahr.“ Weiß das auch der DOSB? Der verweist ja gerne auf seine Autonomie und lässt sich ungerne hineinreden.

Aber Politik und Sport werden nur zusammen erfolgreich sein, wenn überhaupt, wenn sie BürgerInnen noch vom Sinn von Großveranstaltungen überzeugen wollen. Wohnungsnot, dahinsiechende Städte, neue Verkehrskonzepte und Klimaproblematik sind die drängenden Themen, für die aus Sicht der SteuerzahlerInnen Geld ausgegeben werden soll: da stehen kommerzielle Großveranstaltungen – nicht nur im Sport – eher auf der Streichliste.

2021 ist Nordische Skiweltmeisterschaft im Oberallgäu, 2024 die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Spätestens hier können BMI und DOSB belegen, wie ernst sie es mit Transparenz, Finanzierung oder Nachhaltigkeit meinen. Ob sie sich weiter auf Knebelverträge, Steuererleichterungen und Vorschriften internationaler Verbände einlassen.Und Veranstaltungen wie die Nordische quasi auf Zuruf finanzieren. Oder ob die Strategie auch vorsieht zu verzichten, wenn es zu teuer, zu überdimensioniert und die Anspruchshaltung der Sportverbände ein zu großer Luxus auch für ein reiches Land wie Deutschland werden könnte.

Und vermeintliche Sommermärchen können schnell zum Horror werden. Vorher. Mittendrin und Hinterher. Auch Woodstock mit Love and Peace and Rock ‘n‘ Roll wäre mit und ohne Strategie so wie vor 50 Jahren heute nicht mehr möglich – the times are changing auch für Sportgroßveranstaltungen.