Berliner LSB-Präsident Böger und Sportdirektor Brandi hören auf – Gespräch über Funktionäre, Bildung und Sozialarbeit als mögliches Berufsfeld für Ex-Leistungssportler
Berlin, 20 .November. Ein erfolgreiches Tandem tritt ab: Klaus Böger war fast zehn Jahre lang Präsident des Berliner Sports. Dr. Heiner Brandi stand 34 Jahre lang in Diensten des LSB, zunächst im Jugendbereich, die letzten sieben Jahre als Direktor. Bei der Mitgliederversammlung am 23. November werden sie zum letzten Mal in ihren Funktionen dabei sein. Beide stehen nicht nur für ein erfolgreiches Miteinander zwischen Spitzen- und Breitensport: Ihre Arbeit ist besonders davon geprägt, dass Bildung und Sozialarbeit im Sport zwei unverzichtbare Komponenten sind.
Herr Böger, Herr Brandi, fällt Ihnen der Abschied schwer?
Böger: Es ist meine freie Entscheidung aufzuhören. Ich gehe mit dem Gefühl: Es war eine gute Zeit, und man hat einiges bewegt. Und ich gehe auch beruhigt, weil ich weiß, wir überlassen das Feld nun auch guten Nachfolgern.
Brandi: Wenn man nach 34 Jahren im LSB sein Berufsleben beendet, ist das schon mit ambivalenten Gefühlen verbunden. Aber ich bin 66 Jahre alt, und man muss auch loslassen können. Der Landessportbund ist im Moment in einem Verjüngungsprozess hier in der Geschäftsstelle – und das ist auch gut so.
Wenn Sie die internationalen und nationalen negativen Schlagzeilen zum Sport sehen, ausgelöst vor allem durch die handelnden FunktonärInnen, weil sie etwa mit Themen wie Doping, Korruption oder Führungsfragen sehr lax und unverständlich umgehen – ist das noch Ihr Sport? Und erleichtert das den Abschied?
Böger: Es ist doch vielmehr so: Sport mit seiner großen Integrationskraft national und international war noch nie so wichtig wie in diesen Zeiten. Große und kleine Sportereignisse bringen Menschen zusammen und stärken den sozialen Zusammenhalt.
Handeln denn die Verantwortlichen entsprechend?
Böger: Ich habe Zweifel. Beispiel Doping: Fakt ist – wir haben Regeln, stehen für Fairness, haben die gleichen Ausgangsbedingungen und Dopingkontrollen. Aber wie mit den Regeln und Werten umgegangen wird, finde ich erschütternd. Und natürlich schlägt das von der Spitze durch bis zu den Landessportbünden, ihren Verbänden und Vereinen. Hier an der Basis sollen Kinder und Jugendliche auf diesem nicht immer einfachen Weg zum Leistungssport gebracht werden. Da braucht es Vertrauen. Die ungeklärte und lax verfolgte Dopingproblematik signalisiert aber doch: Der Ehrliche ist der Dumme.
Sind SportfunktionärInnen zu selbstherrlich?
Böger: Sehr viele internationale Großverbände wie Fifa, Uefa, und eben auch das IOC haben nicht den Ruf, eine treuhänderisch arbeitende Organisation im Weltsport zu sein. Ich finde es bedeutend, wenn Dr. Bach vor der UNO über Werte des Sports spricht. Aber dann muss er – in diesem Kontext – zum Beispiel auch anders in Sachen Doping reagieren, als er reagiert und reagiert hat.
Brandi: Sport hat viele Facetten. Beunruhigend ist natürlich schon, dass Kommerzialisierungsprozesse inzwischen in manchen Sportarten ein Ausmaß angenommen haben, das teilweise zur Entfremdung von der Basis führt. Da muss man sehr aufpassen, dass man den Bogen nicht überspannt.
Ohne Geld geht es ja im Sport nun gar nicht mehr – auch bei Landessportbünden nicht. Am 20. Dezember 2017 ist Ihnen beiden etwas gelungen, wofür Sie einen langen Atem brauchten: Die Fördervereinbarung „Zukunftssicherung Sport“ mit dem Senat. Das heißt: Eine finanzielle Grundlage und mehr Planungssicherheit für den Berliner Sport. Woran lag es, dass das so lange dauerte? Weiß der Innensenator Andreas Geisel besser als seine Vorgänger, was er am Sport hat?
Böger: Das ist ein Ergebnis nachhaltiger und intensiver Bemühungen von uns. Und natürlich der Teamarbeit der gesamten Organisation. Das ist für den Berliner Sport ein Meilenstein. Wir sind froh, dass wir das geschafft haben. Aber es gibt in vielen Bereichen noch Bedarf, der nicht gedeckt ist. Die Sportstätten etwa sind trotz der Fördervereinbarung nicht gesichert. Insgesamt muss die Sportinfrastruktur verbessert werden. Das Entgelt für ÜbungsleiterInnen ist überhaupt nicht mehr angemessen. Auch da muss etwas in Bewegung kommen.
Brandi: Für den organisierten Sport, für die Verbände und Vereine ist diese Fördervereinbarung ein Glücksfall, weil wir Fördersummen garantieren können. Unabhängig davon ist es richtig, dass es Bereiche gibt, die unterfinanziert sind, dazu gehören die Übungsleiter- und auch die Trainerfinanzierung. Dazu haben wir aus den sportpolitischen Kreisen aller drei Regierungsparteien aber nun das deutliche Signal bekommen, dass dafür mit dem nächsten Doppelhaushalt noch einmal etwas getan werden soll.
Ist das die Erkenntnis im Senat, dass Sport ein wichtiger gesellschaftspolitischer Faktor in dieser Stadt ist, dass man mehr Mittel gibt?
Böger: Es gab ja mehrere Koalitionen, die immer wieder gesagt haben, man brauche eine verbindliche Finanzierung, um die geringer werdenden Lottomittel aufzufangen, und nicht einen Mechanismus mit extra Beschlüssen auf minimalen Niveau. Diese Erkenntnis hat sich durchgesetzt. Und der zuständige Senator hat das nun zusammen mit den Koalitionsfraktionen umgesetzt.
Brandi: Eine Fördervereinbarung stand in mehreren Koalitionspapieren. Das war es dann aber auch schon. Der jetzige Senator Andreas Geisel hat mit der Umsetzung auch ein Stück Glaubwürdigkeit und die Koalitionsvereinbarung eingelöst, in dem er dieses Thema gleich in das 100-Tage-Programm des neuen Senats mit aufgenommen hat.
Der LSB Berlin hat es geschafft, Spitzen- und Breitensport zusammenzuhalten. Projekte wie „Berlin hat Talent“, „Kleine kommen ganz groß raus“ oder „Kooperation Schule und Verein“ und und und… belegen, dass das Miteinander funktioniert und dass der eine Bereich den anderen bedingt. Und dass man Menschen zum lebenslangen Sport treiben animieren möchte. Wie haben Sie das hingekriegt? Sie müssen doch mit Ihrem Team im LSB, den 60 000 Ehrenamtlichen in Verbänden und Vereinen, sehr zufrieden sein.
Böger: Sind wir auch. Natürlich funktioniert so etwas immer nur im Team. Heiner Brandi ist Gestalter einer aktiven Jugendpolitik in diesem LSB. Er war ja hier zunächst Jugend-Abteilungsleiter. Er hat mich damals, als ich sportpolitischer Sprecher im Parlament war, von der Bedeutung von Sport und Sozialarbeit überzeugt. Dass es zum Beispiel eine GSJ, die „Gesellschaft für Sport und Jugendsozialarbeit“ gibt, dafür musste die Politik – auch meine SPD – erst mal gewonnen werden. Denn dass Sport auch Sozialarbeit sein kann, das war damals eine kühne These. Brandi hat aber alle überzeugt. Der Erfolg gab und gibt ihm Recht.
Lebenslanges Sporttreiben ist ein weiterer Punkt. Als die freie Trägerschaft für Kitas zur Diskussion stand, hat Brandi die Chance erkannt und die Initiative ergriffen den LSB ins Spiel zu bringen. Kinder in Bewegung bringen… von klein auf.
Es gibt mittlerweile 21 Kitas in der Trägerschaft des LSB, und die Plätze sind heiß begehrt…Und diese Trägerschaft hatte ja auch weitere Folgen und zeigt, wie ernst es der LSB mit seinem Bildungsauftrag nimmt.
Böger: Die Kita-Idee war nicht nur toll, sondern auch zukunftsorientiert. Es gibt keinen anderen Landessportbund, der das macht. Wir waren Vorbild mit unserer neuen Ausbildung zu Erzieherinnen und Erziehern mit bewegungs- und sportpädagogischem Profil. Natürlich geht das über die klassische Verbandsarbeit hinaus. Aber – Sport in der Kita und in der Schule weiter nach vorne zu bringen, das ist doch die Grundvoraussetzung, um Kindern Freude am Sport zu vermitteln und sie dadurch als Vereins- und Verbandsmitglieder und für ein lebenslanges Sporttreiben zu gewinnen. Neben dem sportlichen Angebot muss man auch strategisch Linien besetzen. Leider muss das aber noch vielen in und außerhalb des Sports erklärt werden.
Gäbe es in manchen Bezirken den Sport und sportliche Sozialarbeit nicht, dann würde es noch heftiger zugehen. Das sagen auch besonders BezirkspolitikerInnen. Sehen Sie das auch so? Wie wichtig ist Sport in Problem-Kiezen?
Brandi: Sport geht ja über die körperliche Bewegung hinaus. Sport trägt ganz wesentlich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei, er trägt zur Persönlichkeitsbildung bei. Und das ist gerade in solchen Stadtvierteln, in denen andere Organisationen Schwierigkeiten haben, enorm wichtig. Der Sport ist attraktiv für Kinder und Jugendliche, er erreicht viele, oft besonders diejenigen, die sich anderen Angeboten der Jugendhilfe entziehen. Da kann man wirklich einen enorm großen Einfluss ausüben.
Böger: Dahinter steht ja die Erkenntnis, dass Sport neben der körperlichen Bewegung unglaublich viel auch im Kopf bewegt. Das wird noch von vielen in der Bildung – von der Kita bis zur Schule – unterschätzt. Es ist ja noch längst nicht so, als wäre die große Bedeutung des Sports in der institutionalisierten Kindheit, also vorschulischen Bildung oder in der Schule voll erkannt. Mitnichten. Wir sind ja froh, drei Sportstunden in der Schule zumindest festgeschrieben zu haben. Wenn die dann auch noch von ausgebildeten Fachkräften und tatsächlich gegeben würden, wäre das noch besser. Und die Idee, jeden Tag – etwa in Ganztagsschulen – Bewegungsangebote zu machen, soll ja keine Idee bleiben.
Was müsste dafür geschehen?
Böger: Ohne pädagogische Konzeption geht es nicht. Deshalb haben wir hier eine weitere Schiene Sport und Sozialarbeit gelegt, wo wir uns zusammen mit einer privaten Hochschule weiter professionalisieren und den neuen Studiengang „Soziale Arbeit und Sport“ eingerichtet haben, der im nächsten Jahr beginnen soll. Wir hoffen, dass zum Beispiel auch Leistungssportler in dem Berufsfeld Sport und Sozialarbeit vermehrt einsteigen. Um gleich noch einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Natürlich wollen wir das große Geschenk des deutschen Sports – die Ehrenamtlichkeit – nicht mit solchen Aktionen kaputt machen, sondern ergänzen.
Brandi: Wir sind übrigens einer der größten Träger von Sozialarbeit in Schulen und überhaupt auch einer der größten Kooperationspartner von Schulen. Und zwar sowohl mit Übungsleitern als auch mit Trainern. Mit der GSJ haben wir über 50 hauptamtliche Mitarbeiter, die Sozialarbeit in Schulen machen.
Soziales Engagement allerorten: Besonders vorbildhaft eingesetzt haben sich die Berliner Vereine und Verbände bei der Flüchtlingsbetreuung. Trotz schwerer Belastungsproben zeigten sie Herz und Engagement, boten Hilfe und Sportprojekte. Bei der Räumung der Hallen gab es dann etwas Verdruss. Aber: Was haben Sie zurückbekommen? Sind Flüchtlinge im Berliner Sport heimisch geworden? Sie bilden auch Flüchtlinge zu Übungsleitern aus?
Böger: Im September 2015 kam es darauf an, gemeinsam zu handeln. Wir aus dem Sport haben Verständnis gezeigt auch für die Sporthallenbelegung. Nicht alle waren begeistert, aber wir haben beruhigt und geholfen. Doch wir haben dann auch klare Kante gezeigt, als sich der Eindruck verfestigte, dass es für die Politik und Verwaltung das einfachste zu sein schien, einfach nur Sporthallen zu belegen und nicht nach Alternativen zu suchen.
Im Zug der Hallen-Räumung haben wir dann auch darauf geachtet, dass Renovierung und Sanierung nicht zu kleinteilig angelegt wird. Im Großen und Ganzen ist das gelungen. Es hat halt – wie immer in Berlin – alles etwas länger gedauert als im Terminkalender eingetragen.
Und der Senat war ja auch noch großzügig, oder?
Böger: Ja: Manche Sportvereine haben Einbußen erlitten. Der Senat stellte fast eine Million Euro zur Verfügung, um die Verluste abzufedern.
Brandi: Wenn Sie fragen, was haben wir zurückgekriegt: Ich werde immer wieder von Flüchtlingen angesprochen und erlebe, wie stark die Integrationskraft des Sports ist. Vor kurzem hat ein Flüchtling, der an der Übungsleiter-Ausbildung teilgenommen hat, angeboten, bei Veranstaltungen des LSB als Dank freiwillig mitzuhelfen. Das große Engagement sehen wir hier auch an einem Auszubildenden im LSB: Der junge Mann mit einer berührenden Lebensgeschichte kommt aus Syrien und ist voller Tatendrang und Ideen.
Was war in Ihrer neunjährigen Präsidentschaft für Sie das herausragende Ereignis?
Böger: Da gab es viele beeindruckende Sportveranstaltungen und großartiges Engagement in Vereinen und Verbänden. Das berührendste Ereignis waren die European Maccabi Games 2015. Es war für mich persönlich ergreifend, mit Überlebenden des Holocaust die besten jüdischen Sportler hier in Berlin im Olympiapark starten zu sehen.
Herr Brandi, was war für Sie der Höhepunkt Ihrer 34-jährigen Tätigkeit?
Brandi: Es gab wirklich viele Höhepunkte. Aber was wirklich ein Erfolg für mich war, ist das Kita-Projekt. Dass alle Kitas da freiwillig zu uns kamen, und es bisher nicht bereut haben.
Berlin wächst. Der LSB Berlin ist im Gegensatz zu anderen ein Landesverband, der noch Mitgliederzuwachs hat. Liegt das allein am Zuzug? Oder am guten Angebot? Wird das so weitergehen? Haben Sie eine spezielle Strategie?
Brandi: Der Zuwachs speist sich aus zwei Quellen. Das eine ist der Zuzug. Das andere ist, dass es unseren Vereinen gelingt, mit vielfältigen und qualitativ guten Angeboten Mitglieder zu gewinnen. Das belegt ja auch der wachsende Organisationsgrad. Ob das so weitergeht, das kann natürlich keiner sagen. Und das hängt von der Sportinfrastruktur ab.
Marode und fehlende Sportstätten sind auch in der Hauptstadt ein Dauerbrenner.
Böger: Ja, leider! Hier muss entschieden gehandelt werden. Es gibt viele kleine Probleme, die aber schwerwiegende Folgen haben können, wenn man kleinkariert oder gar nicht reagiert. Und das Leben von Ehrenamtlichen damit auch erschwert und sie vergrault.
Zumal Ehrenamtliche ja nicht unbedingt von den Bäumen fallen.
Böger: Die zunehmende Bürokratie macht den Ehrenamtlichen zu schaffen. Wir tun alles, um Ehrenamtliche zu gewinnen und ihnen Wertschätzung entgegenzubringen. Unsere Ehrungsveranstaltungen für langjähriges Engagement waren für mich immer Höhepunkte der Präsidentschaft. Das Wundergebilde Verein ist eine großartige Einrichtung. Und sich dafür einzusetzen, ist eine lohnende Aufgabe.
Können Sie da auch die nicht organisierten Sporttreibenden überzeugen?
Böger: Selbst wenn nicht, können sie von unserem Know-how etwa bei Angeboten wie „Sport im Park“ profitieren. Und wenn der organisierte Sport sich für etwas einsetzt, dann tut er das ja für alle Sporttreibenden. Wir halten dieses große Schiff Sport mit unterschiedlichen Kabinen zusammen.