Deckel wieder drauf

Zur Unzeit wird in NRW eine irritierende neue olympische Bewerbungsdiskussion angezettelt

Berlin, 23. August. Eigentlich hatte man gedacht: Jetzt ist erst einmal der Deckel drauf auf dem Fass deutsche Olympiabewerbung. Und Ruhe im Kontor. Zumindest nach den Referenden von München und Hamburg. Und dem heftigen Kater in den Sportverbänden danach. Doch nun hat man in Nordrhein-Westfalen den Deckel wieder hochgehoben. Mit dem Vorschlag einer Olympiabewerbung der Rhein-Ruhr-Region, der als erster – sicher nicht ohne guten geschäftlichen Grund – von Sportmanager Michael Mronz kam, sorgt nicht nur Ministerpräsidentin Hannelore Kraft für Irritationen, sondern fast die gesamte politische Kaste (SPD, FDP, CDU) von NRW, die darauf ansprang.

Es sei ein großer Traum ließ die Regierungschefin wissen. Und sie würde sich über nichts mehr freuen als über Olympische Spiele in NRW, die aber fern von Gigantismus und bodenständig sein müssten. Träumen könne man ja, meinte der DFL-Korrespondent Moritz Küpper kürzlich, aber das hochverschuldete Bundesland, das schon 2003 mit der Bewerbung „Düsseldorf-Rhein-Ruhr“ im innerdeutschen Auswahlprozess scheiterte, müsse andere Prioritäten setzen. Spiele als Wirtschaftsturbo, Problemlöser oder Image-Politur für Land und Politiker. Das war einmal – Rio lässt grüßen.

Welcher Stern?

Man muss sich schon fragen, auf welchem Stern die plötzlich so olympiabegeisterten PolitikerInnen an Rhein und Weser in letzter Zeit unterwegs waren. Denn wer angesichts der nationalen und internationalen sportpolitischen Gemengelage derzeit ernsthaft über eine Olympiabewerbung nachdenkt, der hat entweder nichts mitgekriegt (was unwahrscheinlich ist) oder es ist ihm völlig egal, was da im Sport derzeit abgeht: Hauptsache Olympia. Was politisch gesehen ziemlich bescheuert wäre. Die Strahlkraft olympischer Spiele ist dahin. Das internationale Olympische Komitee (IOC) zerlegte sein bisheriges Geschäftsmodell und das Rundumpaket Olympia gerade vor und während der Spiele in Rio, und der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach hat sich derzeit mit Korruptions-, Betrugs- und Dopingvorwürfen in seinem Laden herumzuschlagen.

Noch immer Alster-Kater

Die Führungsgarde des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), die sich gerne von Ideen begeistern lässt, besonders wenn sie olympisch sind, winkte bisher ab. Vielleicht sollten die Politiker mal bei ihrem NRW-Landsmann, DOSB-Vize Walter Schneeloch nachfragen, wie denn momentan die olympische Stimmungslage des DOSB-Präsidiums zu einer zeitnahen (wie immer man zeitnah interpretiert) Bewerbung steht. Denn der Alster-Kater soll immer noch anhalten.

Man könnte ja nun sagen: Nur kommunales Gemache. Anstecken lassen hat sich aber offensichtlich die Bundes-SPD. In der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion scheint es auf jeden Fall welche zu geben, die schon wieder auf Olympia-Kurs gehen wollen. Beispielsweise Axel Schäfer, der stellvertretender Fraktionsvorsitzender und stellvertretendes Mitglied im Sportausschuss ist. Entgegen der Stimmung im Wahlvolk ist er schon wieder Feuer und Flamme, wie man in einer Pressemitteilung vom Montag (22.8.) nachlesen kann. „Die Bundestagsfraktion begrüßt den Vorstoß von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft für Olympische Spiele an Rhein und Ruhr. Nach den negativen Abstimmungsergebnissen in München und Hamburg dürfen wir uns nicht entmutigen lassen“, schreibt der Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Bochum auf der Internetseite der Fraktion.

Überrascht

Er irritiert damit nicht nur Parteifreundin und Sportausschussvorsitzende Dagmar Freitag, die am Dienstag auf Anfrage zu Schäfers Aktion sehr überrascht war. „Ich begrüße grundsätzlich den Vorschlag, dass Deutschland auch zukünftige Bewerbungen um die Austragung Olympischer und Paralympischer Spiele ins Auge fasst“, sagt sie. Und dass das Ruhrgebiet mit „seiner Vielzahl an bereits vorhandenen Sportstätten hierfür ausgesprochen geeignet ist“, steht für die Iserlohnerin außer Frage. So weit sind sich Schäfer und Freitag noch einig.

Aber Olympia steht für die Sportausschussvorsitzende „jetzt nicht aktuell auf der Agenda in Deutschland.“ Die „großen Baustellen auf der internationalen Bühne des Sports“ sind für Freitag „Themen wie Doping, Korruption, Intransparenz, Gigantismus, die einer glaubwürdigen Herangehensweise seitens des IOC und der Verbände bedürfen“. Passiere das nicht, dann „werden Veranstaltungen wie Olympische Spiele in aufgeklärten demokratischen Gesellschaften auf Dauer nicht mehr mehrheitsfähig sein.“

Warum ausgerechnet jetzt?

Auch Schäfer möchte „die Durchführung olympischer Großereignisse nicht allein Ländern wie Russland, China oder Katar überlassen“, sagt er in einem Telefonat. Und auch ohne Gigantismus könne man in NRW Spiele veranstalten. Ob das nun seine persönliche oder eine Fraktionsstellungnahme ist, wird in dem Gespräch nicht klar. Warum man ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt, wo der deutsche (Spitzen-) Sport vor einer Reform steht, und die Verbände andere Sorgen plagen, plötzlich wieder eine Olympiabewerbung befeuert, erklärt er wortreich – nicht. „Man muss ja auch solche Themen unterschiedlich angehen und anderer Meinung sein dürfen“, sagt er, und versucht seine „persönliche“ Bewerbungsbegeisterung noch einmal mit persönlichen Sporterfahrungen auf internationaler Bühne zu begründen.

Natürlich habe er auch zu IOC und Bach eine persönliche Meinung, aber man könne sich aus genannten Gründen trotzdem bewerben. Was sagt uns das? Diese Olympianummer kommt nicht nur zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Sie zeigt auch, dass viele PolitikerInnen vom großen Sport, seinen Organisationen und  seinem Geschäftsgebaren sowie  den damit verbundenen Problemen, viel zu weit weg und  in der Einschätzung der Lage oft zu naiv sind. Und deshalb am liebsten  immer noch durch die rosarote Sportbrille  schauen. Sie haben nichts aus den jüngsten Geschehen rund um FIFA. IAAF oder IOC gelernt. Deshalb: Ganz schnell den Deckel wieder drauf aufs Olympia-Fass!