Who the hell is Grindel?

Regional-und Landesverbände im DFB haben ihren Kandidaten gewählt, und die nächste Krise droht

Berlin, 19. November. Als hätte der Deutsche Fußball-Bund nicht schon genügend Probleme rund um die WM-Affäre 2006 an der Backe, reitet er sich gerade in den nächsten Schlamassel: Es geht um den Nachfolger des zurückgetretenen Präsidenten Wolfgang Niersbach.

Reinhard Grindel aus Rotenburg an der Wümme ist der Mann, der nun das Kommando im krisengeschüttelten DFB übernehmen soll. Der ehemalige ZDF-Journalist, der für die CDU im Deutschen Bundestag sitzt, wurde am vergangenen Dienstag von den Regional- und Landesverbänden einstimmig als Nachfolger von Niersbach vorgeschlagen. So schnell wie möglich soll es einen außerordentlichen Bundestag geben, wünscht das Amateurlager, um den Auserwählten zu krönen.

Das nun ist ein heftiger Schlag ins Kontor der Profis, die jetzt herummäkeln, dass sie sich vom Alleingang der Amateure überrumpelt fühlen.

Basis will mitreden

Pech gehabt, meine Herren Profis, nicht geschaltet! Eigentlich müsste man doch seine Pappenheimer kennen – und vor allem wissen, wie sie ticken. Und das System, wie das so geht, das lernt man doch schon in den ersten Funktionärs-Trainingseinheiten. Ja, da haben die Amateure mal gezeigt, wie der echte Verbandsprofi zum Schlag ausholt und die Gunst der Stunde nutzt: Die Basis will endlich wieder mitreden, wenn es um Strukturwandel im DFB geht – und auch Pfründe wollen gerettet werden. Und außerdem: Als trostlose Laienspieler haben sich ja schließlich die Profis, die gerne mit dem großen Geld jonglieren, erwiesen und eindrucksvoll demonstriert, was sie alles nicht auf die Reihe kriegen.

Motto der Stunde

Back to the roots“ ist also das Motto der Stunde, und einer der ihren, einer von der Basis soll das Ruder übernehmen. Im Präsidium und beim Wahlkongress haben die Amateure die Stimmenmehrheit. Was heißt: Wenn sich am Freitag (20.11.) das gesamte Präsidium trifft, um das weitere Vorgehen zu beraten, dürfte eigentlich nicht mehr all zu viel zu beraten sein – zumindest in der Kandidatenfrage.

Kopflos ist der DFB derzeit zwar nicht, denn mit den beiden Interimspräsidenten Rainer Koch (Präsident des Bayerischen Fußballverbandes) und Liga-Chef Reinhard Rauball haben sie zwei an der Spitze, die zumindest als bedächtige Krisenmanager rüberkommen.

Warum, fragt man sich, also die übereilte Kandidatenkür? Wollte man nicht erst einmal die vorhandenen Probleme lösen, oder, wie Rauball formuliert: „Erst die Aufklärung der WM-Affäre forcieren, dann Personalfrage klären.“ Wäre ja auch im Sinne eines Neuanfangs eine stimmige Taktik.

Und da sollte man nun meinen, dass diese Vorgehensweise auch für Reinhard Grindel, der in den letzten Wochen immer wieder erklärte, dass alles aufgeklärt werden müsste, die richtige wäre. In seiner Eigenschaft als Schatzmeister könnte sich der 54-jährige gelernte Jurist dann bei der Aufklärungsarbeit richtig hervortun und seinen Bekanntheitsgrad auch im DFB steigern. Denn viele fragen „Who the hell is Grindel?“

Ja, wer ist Reinhard Grindel, der Mann, der nun aus der Tiefe des Raumes kommt und plötzlich zum Krisen-Profiteur wird? Der gebürtige Hamburger war Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, danach erster Mann im Studio Brüssel. 2002 wechselte er die Seiten und wurde Bundestagsabgeordneter für die CDU. Seine Planstelle im Mainzer Sender gibt es immer noch, obwohl Grindel sicher – nach seiner vierten Legislaturperiode – nicht wieder zurückkehren wird. Schlagzeilen machte der Mann von der Wümme, als er vor der letzten Bundestagswahl durchsetzte, dass ein Beitrag über seinen SPD-Konkurrenten Lars Klingbeil von der NDR-Internetseite gelöscht wurde.

Karriereorientiert

Andere Schlagzeilen machte er auf dem politischen Parkett eher nicht. Der große politische Durchbruch gelang dem Politiker, dem ehemalige Journalisten-Kollegen und Parlamentarier nachsagen, dass er sehr karriereorientiert und zielstrebig sei, nicht. Er war Obmann im Innenausschuss, saß in Untersuchungsausschüssen, hatte den Ruf eines Hardliners, galt als fleißig und hartnäckig.

Dann wurde er Mitglied im Sportausschuss des Bundestages und stellvertretender Ausschussvorsitzender. Und 2013 DFB-Schatzmeister. Von diesem Moment an hatte er wohl seine politische Karriere schon gedanklich abgeschlossen. „Ich habe vor, bei meiner Arbeit in Berlin etwas kürzer zu treten“, wird er in Zeitungsinterviews kurz nach Antritt ins Schatzmeister-Amt zitiert.

Interessenkollision

Die öffentliche Kritik, er befinde sich doch mit seinem neuen Amt und als Mitglied des Sportausschusses im Interessenkonflikt, konnte ihn kaum treffen: Schließlich ist er nicht der einzige im Sportgremium mit so einer Ämterkonstellation. Eher hätte ihn da schon treffen müssen, dass er von manchen als verlängerter politischer Arm von DOSB und DFB oder, anders gesagt, als deren Lobbyist verdächtigt wurde. Als es nun um die Aufarbeitung der WM-Krise ging, wurden wieder Forderungen laut, dass es ja wohl nicht angehe, dass der vermeintliche Aufklärer gleichzeitig auf der Anklagebank sitzt. Grindel solle sein Ausschuss-Mandat doch ruhen lassen, was er nun zu Beginn der Woche auch tatsächlich getan hat. Bei den wenigen öffentlichen Sitzungen des Gremiums fiel er durch manchmal aggressive Fragen, längere Ko-Referate oder süffisante Bemerkungen gegenüber Kollegen und -innen auf. Bei Bundestagsdebatten tritt er staatstragend, aber auch volksnah in die Bütt, schwadroniert da gerne, dass der wahre Sport ja nicht in der verlotterten Spitze der Fifa stattfinde, sondern an der Basis, wo einem beim Spiel von Kindern das Herz aufgehe.

Pathos und Nähe

Viel Pathos bringt Nähe – auch zu den Fußball-Landesfürsten, von denen manche ihren Verband immer noch nach Gutsherrenart führen und sich teilweise als unpolitische Hauruck-Entscheider disqualifizieren – die Personalie Grindel scheint unter anderem so entstanden zu sein. Auch wenn der Kandidat natürlich in seinem niedersächsischen Heimatverband einen großen Fürsprecher hat. Auch weil man sich erhofft, dass der politische Hintergrund Grindels bei der Aufklärung der WM-Krise helfen könnte.

Ich weiß, wo an der Basis der Schuh drückt“, sagte Grindel, als er 2011 erster Vize-Präsident beim Niedersächsischen Verband wurde. Kurz darauf übernahm er beim DFB das Amt des Antikorruptionsbeauftragten, das er bis November 2013 innehatte – ohne dass man bisher von nennenswerten Erfolgen erfahren hätte.

Seit er Schatzmeister ist, ist Grindel eher selten in Berlin. Statistisch ist das zu belegen: 16 namentliche Abstimmungen hat er in dieser Legislaturperiode verpasst. Etwa die als es um die Transparenz von Nebeneinkünften der Abgeordneten ging. Wäre für einen Antikorruptionsbeauftragten doch genauso wichtig wie ein „Ja“ beim Gesetz zur Strafbarkeit von Abgeordnetenbestechung, das der Bundestag 2014 verabschiedete. 582 Abgeordnete stimmten für dieses Gesetz, drei dagegen. Grindel enthielt sich mit sechs anderen.

Im Kicker erregt sich deshalb ein Kommentator über den potentiellen Kandidaten: „Mitten in den größten Skandalen in der Geschichte der nationalen und internationalen Verbände wird der Name jenes Mannes gehandelt, der sich bei der Verabschiedung eines Gesetzes gegen Stimmenkauf und Korruption der Stimme enthalten hat.“

In der DFB -Zentrale wenig begeistert

Mindestens einen Tag pro Woche ist Grindel im Dienstfahrzeug, das ihm der DFB stellt, für denselben unterwegs. Das Amt des Herren aller Kassen – eine neue Passion, die weitere Amtsgelüste weckt(e). So scheint es. Wenn sein Wagen vor der DFB-Zentrale in Frankfurt steht, dann sind nicht unbedingt alle begeistert, dass der Kassenwart schon wieder im Hause ist und jetzt auch noch der neue Boss werden will. Denn mit Auftreten und Umgangston soll er sich nicht  immer Freunde machen. „Robust-arrogant“ ist die Umschreibung des persönlichen Stils von Herrn Grindel, den auch auf der politischen Bühne in Berlin viele so beschreiben. Und wo sich manche jetzt klammheimlich freuen, dass sie ihn nun bald los sein könnten und ihm „viel Glück beim Kicken“ wünschen. Falls er gewählt wird, würde er dann auch sein Bundestagsmandat aufgeben.

Wer vor einigen Wochen auf Grindel als DFB-Präsident gewettet hätte, wäre ausgelacht worden. Obwohl: Schon seit seinem Einstieg in die niedersächsische Fußballszene war immer wieder das Gerücht im Umlauf, er strebe die höchsten Weihen im Fußball an und bereite sich akribisch darauf vor. Kritiker sagen, er habe keine Ahnung vom Fußball – es reiche eben nicht als Student selbst mal beim SC Victoria Hamburg gekickt zu haben. Mit seinem Vorgänger Niersbach, der zumindest fußballerisches Fachwissen hat, verbindet Grindel auf den ersten Blick nicht viel: Niersbach war ein großgezogenes DFB-Eigengewächs, Grindel ist Quereinsteiger. Niersbach war ein Mann für die Profis und den großen Fußball, Grindel ist angeblich der Basis verbunden, was er noch beweisen muss. Es verbindet aber beide, dass sie Fans sind, vor allem von Fußball-Größen, in deren Nähe sie sich gerne sonnen und in deren Kreis sie sich aufgenommen wähnen. Doch Niersbach musste nun schmerzlich feststellen, dass der Treueschwur „Elf Freunde sollt ihr sein“ nichts weiter als ein Spruch war und er im Regen stehen gelassen wurde. Eine Warnung an den Neuen!

Den Großen ganz nahe

Grindel ist den „Großen“ vielleicht noch nicht ganz so nahe wie der Ex-Präsident. Aber 2006 während der WM kam er dann mit der großen Fußballfamilie Fifa schon mal in Berührung – und mit einem, der nun aus dem Clan ausgeschlossen wurde, der aber für den DFB bei der Aufklärung der WM-Affäre eine Rolle spielen könnte: Jack Warner, Ex-Fifa-Exekutivmitglied und korrupter Strippenzieher. Der besuchte damals sein Nationalteam aus Trinidad und Tobago in Rotenburg, wo die Männer aus der Karibik ihr Quartier aufgeschlagen hatten.

Damals wußte Grindel vielleicht noch nicht, wer der Mann von der Insel war. Heute weiß er es um so besser. Und so schließt sich irgendwie ein Kreis und alles steht auf Anfang.

Fragen und Zeitpunkte

Und da stehen nun Fragen: Ist jetzt der richtige Zeitpunkt, einen Kandidaten zu küren, wenn weder die Affäre aufgeklärt noch eine neue Struktur fertig konzipiert ist. Ist Reinhard Grindel wirklich der richtige Mann, die Krise zu bewältigen, und derjenige, der den DFB zu neuen Ufern führen kann? Ist jetzt der richtige Zeitpunkt, über die Höhe von Aufwandsentschädigungen zu diskutieren, die auch einem ehrenamtlichen Präsident Grindel zustehen?

Ganz sicher nicht. Aufklärung, Transparenz, Offenheit haben die Fußball-Funktionäre versprochen. Nun bringen sie aber erst Mal wieder sich und ihre Interessen in Stellung. Die Probleme – auch die neuen, die nun nach den Vorfällen in Frankreich und in Hannover den Fußball besonders, und  den Sport insgesamt  mit betreffen – gilt es erst einmal zu lösen. Und dann kann man mit dem richtigen Mann oder der richtigen Frau den DFB runderneuern.

Reinhard Grindel wäre gut beraten, seine Krönungsmesse solange wie möglich hinauszuschieben, um erst einmal die Reinigungsarbeiten abzuschließen. Eins ist sicher: Diejenigen, die nun überstürzt den Präsidenten-Stuhl besetzen wollen, haben nichts verstanden und gelernt aus den Ereignissen der letzten Monate – deshalb: Rote Karte für alle selbstherrlichen Ignoranten und machtgierigen Strippenzieher!

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