Kritik am olympischen Bewerbungsprozedere bringt viele(s) in Bewegung
Berlin, 1.März. Irgendwie war es klar: Kurz vor dem ersten Etappenziel werden alle mal wach: Der öffentliche Gegenwind um das olympische Bewerbungsprozedere, das der DOSB für die deutschen Kandidaten Hamburg und Berlin angeleiert hat, bläst allen heftig entgegen. Nicht nur aus den Medien, sondern auch aus den eigenen Reihen. Und hinter den politischen Kulissen wird offensichtlich auch an den Machern im DOSB ziemlich herumgemäkelt – etwas zu spät allerdings. Die Reaktion Betroffener und Beteiligter: Aktionismus aller Orten, ein Perpetuum mobile – alle(s) auf einmal in Bewegung. Zunächst schlug DOSB-Präsident Alfons Hörmann Dienstag letzter Woche in Berlin beim Seeheimer Kreis der SPD-Fraktion auf, um über die deutsche Olympiabewerbung zu referieren. Ebenso ließ sich der DOSB-Boss beim Netzwerk Sport der CDU über den „Wert olympischer und paralympischer Spiele für Deutschland“ aus.
Bewerbung im Sportausschuss
Überrascht rieb sich so mancher die Augen, als die Einladung für die Bundestags-Sportausschusssitzung am 4. März auf den Tisch flatterte. Tagesordnungspunkt drei lautet „Olympische Spiele 2024/2028 – Zeitplan und Ausgestaltung der Entscheidungsfindung durch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) sowie Anforderungen an die Bundesregierung im Bewerbungsprozess“. Vertreter von DOSB und Bundesinnenministerium werden zum Gespräch gebeten. Beantragt haben die sportpolitischen Sprecher der Grünen Monika Lazar und Özcan Mutlu diesen Tagesordnungspunkt. Die Grünen befassen sich schon seit geraumer Zeit intensiv mit Großereignissen, zuletzt in einer Veranstaltung im September 2014. Und nun konnten sie offensichtlich die dominierende Koalitionsmehrheit von der Tragweite des Themas überzeugen.
Bedauerlicherweise ist auch diese Sitzung des Sportausschusses mit den spannenden Inhalten (es geht auch um Dopingopfer-Hilfe und Maccabiade) wieder nicht öffentlich, weil, ja weil sich die Mehrheit in dieser Runde offensichtlich immer noch nicht gerne beim Politikmachen oder anderem Treiben zuschauen lassen möchte.
Wie auch immer – nun wird das Bewerbungsprozedere thematisiert, wenn auch viel zu spät – es bleibt nur noch reagieren statt agieren. Was wollen die Parlamentarier damit signalisieren? Wir haben gemerkt, dass wir endlich was tun müssen? Jetzt ist ja nichts mehr zu ändern oder retten an der missglückten Bewerbungsstrategie.Will man sich distanzieren, wenn es schief läuft, nach dem Motto „Wir haben es ja gleich gesagt“? Oder will man vor weiteren Überraschungen gewappnet sein – etwa wie es denn nun mit der Bürgerbeteiligung der gekürten Kandidatenstadt weitergehen soll.
Kritik aus dem Sport an der Politik
Und beim Stichwort Bürgerbeteiligung erregen sich vor allem im Sport derzeit eine Reihe Verantwortlicher. Da gibt es welche, die nur „unter uns“ das ganze Wahlprozedere plus Umfrage als „unausgegorenen Schwachsinn“ bezeichnen. Andere wie der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL) Christian Seifert, packen öffentlich den Holzhammer aus und schlagen zu – allerdings meckern sie über Politiker. „Grundsätzlich bin ich dafür, dass man die Bevölkerung mitnimmt“, sagt Seifert in der „Sport-Bild“. Gut so. Aber: „Nach meinem Verständnis wähle ich Politiker, damit sie mir komplexe Entscheidungen abnehmen. Eine solche Entscheidung wie eine millionenschwere Bewerbung um Olympische Spiele, die im Erfolgsfall Milliarden-Investitionen mit sich bringt, muss man steuerlich, ökologisch, finanziell, sozial unter ganz vielen Gesichtspunkten abwägen.“ Stimmt.
Und weiter sagt der Fußballmann, man dürfe ein Meinungsbild nicht allein auf Umfragen reduzieren.“ Stimmt wieder. „Wenn ich das delegiere auf eine Meinungsumfrage in der Fußgängerzone, überfordere ich erstens den Normalbürger und unterstütze zweitens die Tendenz, dass hinterher ganz viel zugespitzt wird.“
Zunächst: Seriöse Umfragen macht man nicht in der Fußgängerzone. Was will Seifert aber damit sagen? Dass der Bürger zu dumm ist, Sachverhalte einzuschätzen, dass er zwischen Fakten und Popanz nicht unterscheiden kann? Ins gleiche Horn stößt Gernot Tripcke, Geschäftsführer der Deutschen Eishockeyliga: „Wir sollten nicht zu viel Rücksicht auf irgendwelche Abstimmungen nehmen. Mal ketzerisch gefragt: Warum sollen Leute befragt werden, die sich eh nicht für Sport interessieren?“ Ja, Herr Tripcke, vielleicht weil wir in einer Demokratie leben? Weil auch Leute, die nun nicht ausgewiesene Sportfans sind, eine Meinung zu Sportevents, die sie mitbezahlen müssen, haben dürfen? Und warum bitte, kommen Sie jetzt erst mit der Kritik, die Sie eigentlich an die eigene Adresse richten müssten?
Sportverbände fragten nicht nach
Denn: Niemand hat bei der Mitgliederversammlung des DOSB am 6. Dezember 2014 in Dresden, als eine deutsche Bewerbung beschlossen wurde, mal nachgefragt, wie man sich das alles so vorstellt, geschweige denn Kritik geübt, obwohl über die Bürgerbeteiligung nach dem Münchener Bewerbungs-Debakel vor allem der DOSB-Präsident und sein Vorstandsvorsitzender Michael Vesper bei jeder Gelegenheit schwadronierten. Haben die Fachverbände da nicht zu gehört, abgeschaltet oder was? Wollte man die gut angerührte Harmoniesoße nicht durch Nachfragen versalzen? Oder fürchtete man den Bannstrahl der nachtragenden DOSB-Führer?
Par ordre de mufti
Auch bei DOSB-Mitgliederversammlungen gäbe es nicht nur theoretisch die Möglichkeit zu diskutieren. Man müsste sich bei einer Abstimmung eventuell dann der Mehrheit beugen – so ist das halt mal in einer Demokratie. Aber im Sport lief eben jahrzehntelang vieles „par ordre de mufti“. Im alten DSB und NOK schlugen wenigstens auf den Mitgliederversammlungen die Wogen manchmal hoch, und es wurde heftig diskutiert, auch wenn schon damals ebenso im Vorfeld versucht wurde, die Reihen zu ordnen und zu schließen. Heute funktioniert das Einpeitschen auf Einheitsmeinung unheimlich gut – alles unter Kontrolle.
Nun – nicht ganz, wie sich jetzt zeigt. Bürgermeinung ernst nehmen? Ja, solange es unsere ist. Bürger und Bürgerinitiativen sind Politikern und Funktionären einfach nur lästig und nervig, zerstören sie doch die schönste Geschäftsidee und gewinnbringende Projekte durch Rumgenöle, Demos und öffentlichen Druck. Man solle, so zum Beispiel der Parlamentarische Staatssektretär Ole Schröder vom BMI, so was wie Olympische Spiele „Profis überlassen“.Was dabei rauskommt sieht man.
Nix mit geheim
Dass die Bürgermeinung aus allen gesellschaftlichen Bereichen am Entscheidungsprozess berücksichtigt wird, soll auch, wie Hörmann immer wieder betont, die jetzt sechsköpfige Expertenrunde garantieren, die ja der Geheimhaltungsstufe 1 unterliegt. Aber manche halten das „geheim“ nicht mehr aus. Da outet sich dann zum Beispiel der DOSB-Vizepräsident Wirtschaft und Finanzen, Stephan Abel, öffentlich selbst als Mitglied dieser Runde, wie man hört. Nix mit geheimer Kommandosache, auch andere Namen wie der eines ehemaligen Fernseh-Intendanten aus Nordrhein-Westfalen machen schon die Runde.
Wer stimmt alles mit….
Und überhaupt: Wer stimmt im Präsidium nun eigentlich bei der Kür mit ab? Das Ehren- und Präsidiumsmitglied Thomas Bach, seines Zeichens IOC-Boss, ist zu Neutralität verpflichtet, woran der clevere Anwalt sich sicher halten wird. Was macht Claudia Bokel, IOC-Mitglied und DOSB-Präsidiumsmitglied? Wie steht es um die Vizepräsidentin Bildung und Olympische Erziehung, Gudrun Doll-Tepper, die gleichzeitig dem Präsidium des Landessportbundes Berlin angehört und sich für ihre Heimatstadt im „Bewerbungswahlkampf“ in keiner Weise bemerkbar machte?
Zwar hat der DOSB einen Zeitplan herausgegeben, aber wer nun im Präsidium mitstimmen darf, ist nicht bekannt. Wir erinnern uns an die vielzitierte Transparenz.
Übrigens: Die Kandidatenstädte sollen schon am 9. März das Signal bekommen, ob sie Reisetickets für den 21. in die Frankfurter Paulskirche buchen können.