Ständiger Druck, Zeitverträge, 60-Stunden-Woche, miserable Bezahlung – der ganz normale Alltag von deutschen TrainerInnen
Berlin, 9. Juni. Beim Internationalen Turnfest des Deutschen Turnerbundes (DTB) begegnet man ihnen derzeit allen: Übungsleitern, Heimtrainern, Nachwuchstrainern. Landestrainern, Stützpunkttrainern. Sie sind diejenigen, die für Erfolge im deutschen (Spitzen-) Sport sorgen sollen. Doch deutsche Trainer, vor allem diejenigen, die von ihrem Beruf leben wollen, haben einen schweren Stand. Und das seit Jahrzehnten. Dass sich ihre Situation nach der Umsetzung der Spitzensportreform verbessern wird, daran zweifeln mittlerweile viele.
Am Rand des Turnfests hatte der Berufsverband für TrainerInnen im deutschen Spitzensport (BVTDS) zu einem Gespräch eingeladen. Deren Vorsitzende Dafni Bouzikou übte heftige Kritik.
Sebastian Faust war einmal ein national und international erfolgreicher Trainer. Zuletzt betreute er die DTB-Spitzenturner Sebastian Dauser und Philipp Herder. Nun steht er am Mattenrand, weil er als Trainer ausgestiegen ist. Sein neuer Beruf ist Grundschullehrer.
Söhnke Hinz war einst erfolgreicher Junioren-Bundestrainer im Deutschen Volleyballverband. Auch er ist ein Aussteiger – und auch er arbeitet heute als „normaler“Lehrer an einer Berliner Sport-Eliteschule.
Diese und ähnliche Ausstiegsgeschichten gibt es mittlerweile viele: Es geht um eine hohe Beanspruchung durch den Job, unregelmäßige Arbeitszeiten, den ständigen Druck, verursacht durch Leistungsanforderungen, die Unsicherheit wegen des befristeten Arbeitsverhältnisses, wenig Familienleben. Und zu wenig Gehalt für eine nicht seltene 60-Stunden-Woche. Oder einen Rund-um-die-Uhr-Job, den „viele auch gerne mit Herzblut machen“, wie Hinz sagt. Trotzdem bleibt am Ende vielen nur der Ausstieg.
Eine unendliche Geschichte
„Durch die Reform rückt nun wieder der Athlet in den Mittelpunkt, die Situation der Trainer gerät in den Hintergrund“, sagt Dafni Bouzikou, deren Verband sich seit 2012 um die Belange der TrainerInnen kümmert.
TrainerInnen und Reformen im deutschen Spitzensport – das scheint eine unendliche Geschichte. Die Welt war noch in Ordnung, als die Trainer einst beim Deutschen Sportbund (DSB) angestellt waren. „Mit ordentlichen Vergütung und unbefristeten Verträgen“ erinnert sich Wolfgang Staiger, einst für die Presse im DTB zuständig, der als Betriebsrat Einblick auch in das Trainerleben hatte. Als die Verantwortung für die Trainer auf Wunsch der Verbände an diese abgegeben wurde, fing die Misere an.
„In Deutschland gibt es für den Beruf des Trainers kein allgemein gültiges Anforderungsprofil mit einer Beschreibung von Aufgaben, Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten“, ist im neuen Leistungssportkonzept nachzulesen. Da es kein Berufsbild „Berufstrainer im Sport“ gebe, fehle offensichtlich auch die gesellschaftliche Akzeptanz, heißt es weiter. Und: „Erhebliche Defizite sind im Bereich der vertraglichen Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse der Trainer zu verzeichnen. Sie reichen von arbeitsrechtlich problematischen Mehrfachbefristungen über mangelnde soziale Absicherung, fehlende Weiterbildungsverpflichtungen bis hin zu überdurchschnittlich langen Arbeitszeiten“, lautet die punktgenaue Analyse. Und irgendwie kommt einem das alles sehr bekannt vor.
Langer Bart
„Diese Trainerproblematik hat einen langen Bart“, sagt Ex-Betriebsrat Staiger. Wie wahr. Am 29. November 2005 wollte man mit einer „Traineroffensive“ der miserablen Situation entgegensteuern, die man bis dahin trotz wiederholter Versuche nicht in den Griff bekommen hatte. So jedenfalls hatte sich das der Bundesvorstand Leistungssport gedacht, um Position und Stellenwert der Trainer zu stärken. „Die konzeptionelle Verankerung erfolgte im Steuerungsmodell Leistungssport des DOSB, das 2006 von der Mitgliederversammlung verabschiedet wurde“, ist im DOSB-Archiv nachzulesen. „Ziele waren der Ausbau der Trainerstruktur, größere Wertschätzung des Trainerberufs in der Öffentlichkeit, Steigerung der Attraktivität des Trainerberufes, Motivierung des Trainernachwuchses.“
Und dann heißt es: „Unter der Prämisse ‚Der Trainer ist der wichtigste Partner des Athleten‘, wurden folgende Maßnahmen eingeleitet: Prämierung der Trainer des Jahres, schrittweise Anpassung der Trainervergütung, Einführung und Finanzierung eines Prämiensystems, Erhöhung der Anzahl der Bundestrainer“.
Probleme erkannt, aber bei der Umsetzung hapert es nach wie vor. Und: im Sport verstößt man seit langem ungeniert gegen geltendes Arbeitsrecht – etwa mit Kettenverträgen. Viele dieser Zeitverträge seien „nicht rechtskonform“, sagt die moderierende Arbeitsrechtlerin und Personalleiterin der Messe Berlin, Julia Borggräfe und wundert sich, dass auch die Politik als Geldgeber das so hinnimmt. Deshalb fordert Bouzikou auch eine Zuwendungsbestimmung.
Die sportpolitischen Sprecher Eberhard Gienger (CDU/CSU-Fraktion) und André Hahn (Fraktion Die Linke), sehen natürlich auch dringenden Handlungsbedarf. „Eine Erhöhung der Zuwendungen steht im Raum, die Verbände müssen aber ihre Trainer mehr in den Fokus rücken und nachweisen, wofür sie die Mittel brauchen“, sagt der ehemalige Reck-Weltmeister Gienger. Das wäre ja ein Ansatz, aber da kommt einem schon die Frage in den Sinn, wo die Mittel für eine bessere Bezahlung von TrainerInnen in den letzten Jahren unter den Augen der Parlamentarier denn hingegangen sind. Von 2008 bis 2016 wurden diese Mittel nämlich vom BMI verdoppelt, kamen aber offensichtlich nur in den seltensten Fällen bei denen an, für die sie gedacht waren. „Ja, da wurden neue Trainerstellen geschaffen, anstatt die bestehenden ordentlich auszustatten“, sagt Staiger.
Dis Aussage von Sportdirektor Wolfgang William lässt Julia Borggräfe auch sichtlich tief Luft holen, als er unumwunden zugibt, dass man etwa die Verlängerung der beim Turnerbund noch üblichen Vier-Jahres-Verträge auch als eine Art Druckmittel für Erfolgssteigerung benütze. Und da ist der Turnerbund nun sicher nicht der einzige Verband.
Genervt und wütend
Die Stimmung bei den Trainern sei angesichts der Diskussion rund um die Leistungssportreform miserabel, sagt Bouzikou. „Sie sind genervt, frustriert und wütend, weil ihre Situation nicht mitbedacht wird.“ Es gäbe so viel zu klären, etwa die Arbeitszeiten oder die Gleichstellung von Frauen und Männern, um den Job populärer zu machen. „Doch die Verantwortlichen ducken sich weg.“
Einer, der die Situation der TrainerInnen sicher gut nachvollziehen kann, ist Dirk Schimmelpfennig, einst selbst Bundestrainer beim Deutschen Tischtennisbund, heute Vorstand Leistungssport im DOSB. Man sei auch daran, viele Dinge umzusetzen. Ob allerdings nun die Erarbeitung eines Muster-Trainervertrags, für den extra eine Kommission eingerichtet wurde, das brennendste Problem ist, das es zu lösen gilt, sei dahingestellt. Derzeit ist vieles andere dringlicher: Etwa, wie es nun für die Trainer weitergeht, die in einem Bundesstützpunkt beschäftigt sind, der vielleicht bald nicht mehr existiert, weil ein Punkt im Reformkonzept ist, Trainingsstätten zu zentralisieren. Oder wie es weiter geht, wenn Mischfinanzierungen von Trainern wegen Stützpunktauflösungen nicht mehr stehen? Gäbe es genug andere Stellen,um diese Trainer umzusetzen? Was passiert, wenn ein Trainer oder eine Trainerin mit Familie umziehen muss? Fragen über Fragen.
Schimmelpfennig sagt, der DOSB habe die Verbesserung der Trainersituation zu einer Kernaufgabe erklärt. Dadurch, dass man die Förderung der Athleten im Fokus habe, werde sich ja auch „automatisch die Situation der Trainer verbessern“. Und kontert damit den Vorwurf, man habe die Trainer beim DOSB aus den Augen verloren.
Berufsbild Trainer
So soll die Ausbildung verbessert werden, man habe auch Kontakt zu Hochschulen und sportwissenschaftlichen Zentren, sagt er auf Nachfrage, um nicht nur besser zu qualifizieren, sondern ein Berufsbild zu schaffen, dass auch ein gutes Image bekommt. Auch die DOSB-eigenen Trainer- und Führungsakademien sollen eingebunden werden, um vielleicht Trainern auch so etwas wie eine „Duale Karriere“ zu ermöglichen.
„Wir planen die Vollumsetzung mit der Reform für das Jahr 2019. Das gilt auch für die Verbesserung der Trainersituation“, sagt der DOSB-Vorstand. Und die ist dringend notwendig, denn immer mehr gute TrainerInnen kehren dem DOSB und seinen Verbänden den Rücken, weil sie ganz aussteigen beziehungsweise im Ausland ein besseres Angebot bekommen.
Ob die Verbände bei dieser neuerlichen „Traineroffensive“ mitziehen werden? Der Abgang von Sebastian Faust kam bei einigen Turnern nicht gut an: Sie sind der Meinung,er habe doch gewusst, worauf er sich bei dem Trainerjob einlasse. Dass sich die Lebenssituaton ändern kann, man Kinder hat und eine mehrköpfige Familie ernähren muss, was mit einem Gehalt von vielleicht brutto 3500 Euro schon knapp wird, verstehen viele nicht. „Viele haben Fußball-Bundesligatrainer vor Augen“, sagte vor kurzem André Hahn in einem Interview mit dem Olympischen Feuer. „Aber das ist eine völlig andere Kategorie.“ Andere sehen den Trainerjob auch als Hobby, das man zum Beruf macht. „Das war bei mir der Fall. Und es war auch gut“, sagt Söhnke Hinz. Aber die Arbeit, die Zeit, den Druck – die sieht keiner. „Wenn es nötig ist, sterbe ich auf dem Spielfeld“ wird der ehemalige Superkicker und mäßige Trainer Maradona zitiert. Diese Erwartungshaltung haben Funktionäre und manchmal auch das Publikum gegenüber den Coaches, die sie für Menschen am Rande des Wahnsinns und der Hingabe halten. Denn sonst könne man ja eigentlich diesen Job nicht machen.
Und man muss ihn gut machen. Denn noch immer gilt die Sündenbocktheorie: Wenn etwas schlecht läuft, sind als allererste die TrainerInnen schuld. Das funktioniert nicht nur im Fußball.
2014 hatten die Grünen im Bundestag eine Kleine Anfrage zur „Förderung des Leistungssportpersonals – Situation der Trainerinnen und Trainer“ gestellt – und bekamen eine sehr ausführliche Antwort, die die Handelnden im Sport, aber auch Parlamentarier noch einmal nachlesen sollten.
Geredet wurde in den letzten Jahren viel, getan wenig. „Wir müssen die Missstände nicht nur diskutieren, sondern endlich handeln“, sagt Schimmelpfennig, der vermutlich wie kein anderer in der DOSB-Führungscrew weiß, dass sich nur dann Erfolg einstellen wird, wenn das Team AthletIn/TrainerIn vom Verband optimal unterstützt wird. Umdenken ist angesagt, ebenso wie eine andere Haltung und soziale Umgangsformen gegenüber denen, ohne die auch Funktionäre überflüssig wären: AthletInnen und TrainerInnen. Und auch die TrainerInnen selbst müssen Sportart übergreifend sich mehr vernetzen,austauschen, kooperieren. Dani Bouzikou beschreibt das als „einen Kulturwandel, der eintreten müsse“. Ob der nun in diesem Sportsystem wirklich gewollt wird, das bezweifelt nicht nur sie.