Neuer Haushalt und Folgen für den Sport/ Fragen an den Sportökonom Lutz Thieme
Berlin, 26.Juni. Viel Geld, viele Ansprüche: Diese Erfahrung vieler Bundesfinanzminister musste nun auch der neue im Amt, Lars Klingbeil (SPD) machen, der zu Beginn der Woche den Haushaltsentwurf dem Kabinett und der Öffentlichkeit vorstellte. Die Zahlen machen den Betrachter ganz schwindlig: 503 Milliarden Euro umfasst er, davon 81,8 aus Schulden finanziert. Plus 60 Milliarden Euro aus schuldenfinanzierten Sondervermögen – also Schulden.
PolitikerInnen scheinen solche Summen zu beflügeln. Und sie kommen schnell in Versuchung, ihre Wunschliste zu verlängern. Man müsse sparen und so habe er schon mal 50 Milliarden Euro, die Kabinettsmitglieder mehr haben wollten, abgewehrt, ließ Klingbeil im ZDF „heute-journal“ die Zuschauer und den Moderator Christian Sievers wissen, der nach Sparmaßnahmen fragte, die man etwa beim Personal, Förderprogrammen und Verwaltungsausgaben umsetzen wolle.
Auch der deutsche Sport will natürlich ein größeres Stück von dem Kuchen abhaben. Die Forderungen von Seiten des Sports sind in den letzten Jahrzehnten immer höher geworden, die Politik stattete das Füllhorn für den Sport immer üppiger aus, dennoch gab es häufig Streit zwischen DOSB und dem damals für Sport zuständigen Bundesinnenministerium um die Finanzen. Nun ist alles auf Anfang, trotzdem stellt sich die Frage: Ist der neue Haushalt für den Sport so etwas wie ein Phyrussieg? Nach dem Kabinettsbeschluss stehen Staatsministerin Christine Schenderlein laut Etat-Entwurf für 2025 über rund 333 Millionen Euro zur Verfügung – das ist ungefähr so viel, wie auch die alte Regierung veranschlagt hatte. Und: Geld für den Sport kann auch aus dem Sondervermögen fließen. Dafür hatte sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) stark gemacht. Und so verständigten sich Bund und Länder, dass von den 100 Milliarden Infrastruktur-Sondervermögen auch Mittel für die Sportinfrastruktur verwendet werden können.
Ministerin Schenderlein sieht in dem Haushaltsbeschluss ein klares Bekenntnis zu den Themen Sport und Ehrenamt. Und stellt weiter fest: „Zusammen mit den im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen und im Sondervermögen der Bundesregierung für die Länder in Höhe von 100 Milliarden Euro vorgesehenen Mitteln wird ein starkes Zeichen für die Sport-Infrastruktur Deutschlands in den kommenden Jahren gesetzt. Das gibt den Spielraum, um die notwendigen Investitionen in Sportanlagen und Schwimmbäder anzugehen.“
Ist das so? Oder ist es eher Wunschdenken, dass der Investitionsstau von 30 Milliarden Euro – davon spricht der DOSB – mit Hilfe des Sondervermögens bei der Fülle anderer Probleme, mit denen sich Länder und Kommunen herumschlagen müssen, tatsächlich abgebaut wird? Jetzt sind die Parlamentarier – Haushälter und der zuständige Sportausschuss – gefragt. Sie entscheiden, was der Sport erwarten kann. Über den Zahlendschungel und eventuelle Auswirkungen sowie Problemlösungen sprach sportspitze mit dem Sportwissenschaftler und Sportökonomen Lutz Thieme, Professor an der Hochschule Koblenz.
Herr Professor Thieme, der Haushaltsentwurf wurde nun vorgestellt. Aus Sicht einer Laiin würde ich sagen: Kein Grund zur Freude für den Sport, was da raus kam. Wie sieht der Ökonom und Sportexperte das?
Thieme: Im Koalitionsvertrag hat die neue Bundesregierung ihre Ziele im Sport beschrieben. Diese sind zum einen inhaltlicher Art, wie beispielsweise hinsichtlich der Spitzensportförderung, einer Traineroffensive oder dem Bekenntnis zu Sportgroßveranstaltungen. Es gibt zum anderen aber auch Aussagen zu einem finanziellen Engagement des Bundes, allen voran die Zusage, Ländern, Kommunen und Vereinen nach Bedarf bei der Modernisierung und Sanierung von Sportstätten zu helfen und dafür mindestens eine Milliarde Euro zur Verfügung zu stellen.
Der Blick in den Haushaltsentwurf zeigt nun, dass diese inhaltlichen Vorhaben im Rahmen der auch bislang üblichen Haushaltsvolumina umgesetzt werden müssen. Einen spürbaren Beitrag des Bundes zur Stärkung der Sportinfrastruktur von Kommunen und Vereinen vor Ort sehe ich angesichts der nunmehr geplanten Summen nicht.
Der DOSB spricht in einer ersten Bewertung von Konstanz im Kernhaushalt der Sportförderung, aber auch davon, dass aus der für die Stärkung der kommunalen Sportinfrastruktur vorgesehenen „Bundesmilliarde“ nun 640 Millionen Euro geworden sind, von denen nur 400 Millionen Euro durch die neue Staatsministerin verantwortet werden. Es war einmal von vier Milliarden für die kommunale Sportinfrastruktur die Rede, jetzt ist es nicht mal eine – was bleibt denn da übrig?
Thieme: In der Tat bleibt der Haushaltsentwurf in Bezug auf die Sportinfrastruktur sogar hinter dem Koalitionsvertrag zurück. In der ersten Phase der Koalitionsverhandlungen war von einer Milliarde Euro pro Jahr zu lesen, im Koalitionsvertrag fand sich dann die Formulierung „mindestens eine Milliarde Euro“ in der gesamten Legislaturperiode. Mutmaßlich hat die nachträgliche Öffnung des Sondervermögens für Sportstätten, die von vielen Akteuren im organisierten Sport als großer Erfolg gefeiert wurde, dazu geführt, dass die Bundesregierung nun mit Verweis auf eventuell fließende Gelder aus eben diesem Sondervermögen für Sportstätten die „Bundesmilliarde“ nicht mehr erreichen wird. Wichtig ist auch noch, darauf hinzuweisen, dass die nunmehr geplanten 640 Millionen Euro das Förderniveau der letzten Legislaturperioden, insbesondere umgesetzt im Programm „Sport, Jugend, Kultur“, sehr deutlich unterschreitet.
Sportstätten sind jetzt im Sondervermögen verankert, so dass daraus auch Geld für Sportstätten ausgegeben werden darf. Ist das nicht eine Mogelpackung? Länder und Kommunen können entscheiden, wofür Sie das Geld verwenden – wenn also jetzt wirtschaftliche Projekte anstehen, die eine gute Infrastruktur benötigen, wird man sich in den meisten Fällen wohl eher für eine intakte Straße als für dichte Fenster in der Sporthalle entscheiden? Oder?
Thieme: Zunächst einmal ist es für die Sportstättensituation vor Ort eine gute Nachricht, dass auch Sportstätten aus dem Sondervermögen gefördert werden können. Es ist aber völlig offen, in welchem Umfang dies tatsächlich erfolgt. Letztlich verlagert man die Auseinandersetzung um die Verteilung auf die kommunale Ebene. Das hat eine gewisse Logik, da man vor Ort am besten weiß, was am Notwendigsten ist. Allerdings muss wohl vielerorts das Notwendige hinter dem Notwendigsten zurückstehen. Es bedarf also guter Argumente in den Kommunen, warum Sportstätten zum Notwendigsten gehören.
Wenn die Bundesregierung jetzt mit Verweis auf das Sondervermögen hinter der für Sportstätten versprochenen einen Milliarde Euro zurück bleibt, dann ist das keine gute Nachricht für die Kommunen. Diese konnten bislang mit dem Sondervermögen plus der einen Milliarde Euro für Sportstätten rechnen. Jetzt fehlen 360 Millionen Euro, was zwar ein vergleichsweise geringer Betrag ist, dessen Symbolwirkung auf die Kommunen und den Sport aber nicht unterschätzt werden sollte.
Kann eine Sportministerin eigentlich das so hinnehmen? Und was muss auch der Sportausschuss im Deutschen Bundestag tun, will er in den nächsten vier Jahren endlich mal ernst genommen werden?
Thieme: Angesichts der immensen Summen, die gerade zwischen Bund, Ländern und Kommunen hin und her geschoben werden, fallen die fehlenden Millionen im Sportetat einerseits nicht sehr stark ins Gewicht, sie betreffen aber andererseits einen sensiblen Bereich der Kommunalpolitik sowie die Glaubwürdigkeit der Staatsministerin. Ich bin auf die Reaktionen aus dem Sportausschuss und auf den Umgang des Sportausschusses mit dem Haushaltsentwurf gespannt, da sich daran ablesen lassen wird, welche Rolle die Mitglieder des Sportausschusses für sich und ihren Ausschuss in dieser Legislaturperiode beanspruchen werden.
Auch für den DOSB ist das ja eher eine unsichere Situation im Hinblick auf die Frage, wo die Reise im Sport generell hingehen wird. Das ist nun nicht gerade eine günstige Ausgangslage.
Thieme: Ja, auch weil die „Bundesmilliarde“ eine zentrale Forderung des DOSB war. Nun muss eine Regierung nicht alle Forderungen erfüllen und schon gar nicht in der geforderten Höhe. Aber in Bezug auf die kommunalen Sportstätten war der Koalitionsvertrag sehr präzise. Die dort enthaltene Zusage wurde nun innerhalb sehr kurzer Zeit kassiert. Das scheint mir keine vertrauensbildende Maßnahme zu sein. Zu Recht wird im Bereich der Wirtschaftspolitik immer wieder auf die Bedeutung verlässlicher Rahmenbedingungen verwiesen. Dies gilt aber auch für die Sportpolitik, insbesondere für längerfristig angelegte Vorhaben wie die Olympiabewerbung oder die Spitzensportreform.
Was wäre Ihr Vorschlag, was man nun tun könnte?
Thieme: Die vergangenen Legislaturperioden waren nicht von Harmonie zwischen dem organisierten Sport, der jeweiligen Bundesregierung und den Ländern als weitere wichtige Akteure geprägt. Mit der Installation einer Staatsministerin im Bundeskanzleramt hat die neue Bundesregierung einen strukturellen Akzent gesetzt, der Koalitionsvertrag beschreibt die inhaltlichen Schwerpunkte der Sportpolitik. Verlässlichkeit ist ein hohes Gut, insbesondere in konfliktträchtigen Handlungsfeldern mit vielen Akteuren, die gerade bei neuen handelnden Personen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden sollte.
Bezüglich der Sportstätten müssten Entscheidungen auf mehreren Ebenen getroffen werden. Die erste Ebene ist die Entscheidung, ob der Bund ein Problem sieht, zu dessen Lösung er einen Beitrag leisten möchte. Dies wurde im Koalitionsvertrag bejaht. Die zweite Ebene betrifft den Umfang und das Ziel des Lösungsbeitrags. Hierzu enthält nunmehr der Haushaltsentwurf eine Aussage, dass der Beitrag angesichts der vermuteten Dimension des Problems recht klein, man könnte auch sagen symbolisch ausfallen soll. Je größer der Beitrag zur Problemlösung ist – und das ist die dritte Ebene – lohnt es sich darüber nachzudenken, wie die Verteilung der Fördermittel gestaltet werden soll, damit ein bestimmtes Ziel erreicht wird. Dann wird es technisch. Antragsverfahren oder Pauschale? Nur jene Kommunen bedenken, die in finanzieller Notlage sind oder eine relativ geringe Versorgung mit Sportstätten aufweisen, die Zu- oder Abwanderungen zu bewältigen haben? Eine Quotierung zwischen den verschiedenen Sportstättentypen? Diese Feinjustierung müsste dann allerdings auf Daten beruhen, die aktuell lediglich rudimentär vorliegen. Das Förderprogramm müsste auf der Programmebene evaluiert werden, um nachsteuern zu können.
Allerdings sind die aktuell zu verteilenden Bundesmittel so gering, dass die Wirkung unterschiedlicher Verteilungsverfahren wohl nicht ins Gewicht fällt. Angesichts des aktuellen Sanierungsstaus sollte man sich aber mit solchen Fragen beschäftigen, um konzeptionell gewappnet zu sein, wenn relevante Finanzmittel zur Verfügung stehen.