NADA-Vorsitzende Andrea Gotzmann über die Freude am Job, falsche Signale und den Einsatz von Asthmamitteln
Berlin, 8. März. AthletInnen haben die Nase schon lange voll: Sie fühlen sich im Stich gelassen, nicht ernst genommen und vorgeführt vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Vor allem auch im Bezug auf dessen Umgang mit der Doping-Problematik. Eine Umfrage der Stiftung Fair Sport unter 2000 Aktiven aus sechzig Ländern und fünfzig Sportarten ergab, dass über die Hälfte der SportlerInnen der Meinung ist, dass man sie um saubere Wettbewerbe betrügt und die eigenen Verbände in Interessenskonflikten stehen. Nicht nur die SportlerInnen, auch viele Nationale Antidoping-Agenturen (NADA) stellen sich mittlerweile gegen die IOC-Dopingpolitik. Auch die deutsche NADA und ihre Vorsitzende Andrea Gotzmann gehen auf die Barrikaden. Dass das IOC drei Tage nach den Winterspielen die Russen nach kurzer Sperre und einigen Sanktionen wieder in die olympische Familie aufgenommen hat – trotz weiterer aktueller Dopingfälle im OAR-Team -, kann die ehemalige Basketballerin nicht verstehen.Während viele Beobachter den Kampf gegen Doping im Spitzensport als Kampf gegen Windmühlen sehen und schon verloren geben, will Gotzmann, die seit 2011 an der Spitze der NADA steht, nicht aufgeben, wie sie in einem Interview mit Sportspitze(n) sagt. Ganz im Gegenteil.
Frau Gotzmann, haben Sie nach der Entscheidung des IOC, die Russen wieder in die olympische Familie aufzunehmen, eigentlich noch Freude an Ihrem Job?
Gotzmann: Die Aufhebung der Suspendierung seitens des IOC ist für mich nicht verständlich. Der Schritt ist das völlig falsche Signal. Aber ich werde sicher nicht müde, diese Themen weiter anzusprechen und mich für die sauberen Sportlerinnen und Sportler einzusetzen.
Macht es denn noch Sinn, sich für sauberen Sport einzusetzen?
Gotzmann: Ja, natürlich. Wir haben in Deutschland einen mühsamen Weg hinter uns und aus unserer Geschichte gelernt. Vor allem durch die so wichtige Präventions- und Informationsarbeit können wir sehr viel tun, um Doping und damit massive gesundheitliche Schäden zu verhindern. Dafür setzen wir uns mit 36 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der NADA täglich ein.
Wie erklärt man nun Athleten, die sich an die Regeln halten, dass sie weiter und häufig kontrolliert werden?
Gotzmann: Für die Sportlerinnen und Sportler, die sich jeden Tag dem Dopingkontrollsystem unterwerfen, ihre Meldepflichten erfüllen und immer für uns erreichbar sind, ist diese Situation mehr als frustrierend. Aber nur mit einem unberechenbaren Kontrollsystem können wir Athletinnen und Athleten schützen – auch vor unberechtigten Dopingvorwürfen. Daher halten wir es für wichtig, das System nicht herunterzufahren, im Gegenteil, wir fordern ein, dass andere nachziehen. Erst wenn Präventionsmaßnahmen und Kontrollen auf einem international anerkannten Niveau sind, haben wir ein wichtiges Ziel erreicht. Man sollte sich nicht nur sportlich für Wettbewerbe qualifizieren, sondern auch in der Anti-Doping-Arbeit. Dafür müssen zumindest die gültigen Standards weltweit umgesetzt werden.
Wir wissen von vier Doping-Fällen bei den Winterspielen in Südkorea – darunter zwei Russen. Was wird da nach Ihrer Erfahrung dann irgendwann noch kommen?
Gotzmann: Da kann man zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nur spekulieren. Wir wissen aus den Re-Analysen der Proben der Olympischen Spiele von London und Peking, dass unter den bisher bekannt gewordenen 111 positiven Analyseergebnissen ein großer Teil auf russische Sportlerinnen und Sportler entfiel. Wir haben kürzlich auch in Deutschland 460 langzeitgelagerte Proben aus diesem Zeitraum mit neuesten analytischen Methoden re-analysiert. Ergebnis: Es war keine einzige positive Probe dabei.
Wie soll es aus Ihrer Sicht nun weitergehen, wenn mit der Dopingproblematik vom IOC so umgegangen wird, wie in jüngster Vergangenheit? Doping, so sagte mir vor kurzem ein Experte, der seit Jahrzehnten den Sport in- und auswendig kennt, wird man in diesem System und bei dieser Macht-und Marketingpolitik nie mehr in den Griff bekommen. Sauberer Sport ist passé. Sehen Sie das auch so?
Gotzmann: Nein, das sehe ich nicht so. Die jetzigen Ereignisse haben sicherlich einen großen Vertrauensverlust in die gesamte Anti-Doping-Arbeit nach sich gezogen. Aber wir haben seit Gründung der WADA (1999) und der NADA (2002) auch vieles verbessert. Mit meinen Kolleginnen und Kollegen der anderen NADOs werden wir nicht nachlassen, faire Bedingungen für alle Sportlerinnen und Sportler einzufordern. Die überwiegende Mehrheit der Athletinnen und Athleten will den sauberen Sport, für sie kämpfen wir. Sport ohne Doping ist und bleibt das Normale!
Erschwerend kommt hinzu, dass die Grauzone offensichtlich immer größer wird, Stichwort: Asthmamittel und Norweger. Was können Sie zu diesem Graubereich sagen? SportlerInnen nehmen Mittel, haben dafür eine Ausnahmegenehmigung, weil sie das aus medizinischen Gründen brauchen. Aber eine Häufung ausgerechnet vor sportlichen Großveranstaltungen ist doch sehr auffällig? Und dann reist man noch ungeniert mit Koffer voll Mitteln an.
Gotzmann: Auch Athletinnen und Athleten erkranken, sie haben dann, wie jeder andere Mensch auch, ein Recht auf medizinische Behandlung. Ebenso muss chronisch erkrankten Sportlerinnen und Sportlern ein Weg eröffnet werden, um Leistungssport betreiben zu können. Dies berücksichtigt das Anti-Doping-Regelwerk der WADA mittels der Erteilung einer TUE (Therapeutic Use Exemption). Medizinische Ausnahmegenehmigungen werden in Deutschland auf Basis eines umfangreichen Regelwerks erteilt. Um eine Medizinische Ausnahmegenehmigung zu erhalten, muss eine Vielzahl von Voraussetzungen erfüllt sein. Gefälligkeitsgutachten erhält man bei dieser stringenten Vorgehensweise der NADA sicher nicht.
Okay, aber nochmal zu den Asthmamitteln…
Gotzmann: In Bezug auf das Krankheitsbild Asthma bzw. die Anwendung der sogenannten Beta-2-Agonsiten gibt es ganz klare Vorgaben im Regelwerk der WADA. Sicherlich haben wir auch zunächst nachgefragt, was es denn mit den 6.000 „Dosen“ Asthmaspray der norwegischen Mannschaft in Pyeongchang auf sich hatte. Aber man muss sich die Zahlen auch einmal genau anschauen: Ein handelsübliches Asthmaspray, ein so genannter Fertiginhalator, enthält üblicherweise rund 200 einzelne Inhalationsdosen („Hübe“) des Wirkstoffes. Somit entsprechen 6.000 Einzeldosen des Wirkstoffes ca. 30 Asthmasprays in Form von Fertiginhalatoren. Mit Blick auf die Kälte in Südkorea und möglicherweise auftretendem Belastungsasthma müssen die Mannschaftsärzte sich auf entsprechende Situationen vorbereiten. Ob und inwiefern diese Medikationen dann tatsächlich angewendet wurden, ist nicht bekannt.
DOSB-Präsident Alfons Hörmann war nicht darüber informiert (das jedenfalls sagte er zu Journalisten in Pyeongchang), ob im deutschen Team zum Beispiel Asthmamittel genommen werden und ob es Ausnahmegenehmigungen gibt. Gab es die im deutschen Team?
Gotzmann: Wir bewerten und werten aus, welche Anträge für medizinische Ausnahmegenehmigungen wir im Ressort Medizin der NADA erhalten und letztendlich durch das TUE-Komitee genehmigt wurden. Eine Übersicht über die Einnahme erlaubter Substanzen erstellen wir nicht (z.B. erlaubte inhalative Applikation festgelegter Konzentrationen der Beta-2-Agonisten Salbutamol, Salmeterol und Formoterol). Über die Anzahl der genehmigten TUEs wird der DOSB im Rahmen der Nominierungslisten informiert. Informationen zu TUEs einzelner Wettkämpfe können wir leider nicht erteilen.
Letzte Frage: Wenn auch Funktionäre am sauberen Sport interessiert sind, müsste man sich doch auch mehr für Ihre Arbeit bei der NADA interessieren. Mal abgesehen davon, dass der DOSB mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen sollte, so wäre es doch besonders wichtig, auch inhaltlich auf dem laufenden zu sein – besonders als Sportchef? Gibt es da keine Nachfragen, um gerade bei der Dopingproblematik auch optimal auf dem Stand der Dinge zu sein?
Gotzmann: Der Austausch mit dem DOSB, insbesondere im Rahmen der Nominierung, ist eng. Als Vorstandsvorsitzende der NADA und damit Verantwortliche für die Anti-Doping-Arbeit in Deutschland, habe ich über unsere Aktivitäten im Bereich des Kontrollsystems und der Prävention zur Vorbereitung der Olympia-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer anlässlich einer Pressekonferenz im Deutschen Haus in Pyeongchang informiert. Die NADA hat bei den 156 deutschen Olympiateilnehmern seit April 2017 1.049 Proben [657 Kontrollen] genommen, wobei 53 Athletinnen und Athleten aus Sportarten der höchsten Risikokategorie bis zu 10 Mal kontrolliert wurden [644 Proben; 313 Kontrollen]. Insgesamt wurden bei den 415 potenziellen Olympiakandidaten 1.719 Proben [1.111 Kontrollen] genommen. Zudem wurden Proben aller Olympia-Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Langzeitlagerung überführt.