DOSB-Vorstandsvorsitzender mit ruhiger Hand

Torsten Burmester setzt auf Dialog,Vielfalt und humanen Spitzensport

Berlin, 12. April. Der letzte Besuch im Hauptstadtbüro des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Berlin liegt fünf Jahre zurück. Es war ein Abschiedsbesuch beim damaligen Vorstandsvorsitzenden Michael Vesper, der sich kurz vor seinem Ausscheiden die Zeit nahm, im Gespräch seine Arbeit über elf Jahre aus seiner Sicht dem kritischen Gegenüber noch mal darzulegen. Diesmal ist es eine Art Kennenlern-Gespräch mit Vespers Nach-Nachfolger Torsten Burmester.

Torsten Burmester, Vorstandsvorsitzender des DOSB. © DOSB

Dasselbe Büro, derselbe Stuhl und fast ähnlich kaltes Wetter, das sich nicht zwischen Regen und Sonne entscheiden kann. Aber eine lockere freundliche Atmosphäre. Torsten Burmester, offiziell seit 1. Februar 2022 Vorstandsvorsitzender im DOSB, wirkt erstaunlich gelassen angesichts des Aufgabenberges, der sich vor ihm türmt. Relativ schnell war klar, dass er Nachfolger von Veronika Rücker werden würde, deren Arbeitsvertrag infolge der chaotischen und skandalumwitterten Hörmann-Präsidentschaft aufgelöst wurde. Burmester stand ganz vorne auf der Kandidaten-Wunschliste des neuen DOSB-Präsidenten Thomas Weikert.

Dass ich mal Vorstandsvorsitzender im DOSB werden würde, war sicher nicht in meiner Lebensplanung“, sagt der 58-jährige Kölner, der im kommenden Mai offiziell 100 Tage im Amt sein wird. Der Frage, ob er es schon bereut hat, den Posten zu übernehmen, weicht er aus. Sicher hat er manches, was er da im Haus des Sports in Frankfurt vorfand, so nicht erwartet. Etwa die Aufarbeitung der umstrittenen Präsidentschaft von Alfons Hörmann, der im letzten Jahr den DOSB wohl in die größte Krise seit seinem Bestehen stürzte. „Ich möchte mich nicht so viel mit der Vergangenheit beschäftigen“, sagt Burmester und verweist auf die zuständige Kommission, deren Bericht im Sommer zu erwarten ist.

Antworten statt aussitzen

Aber der politisch erfahrene Burmester, der von 2002 bis 2005 persönlicher Referent von Bundeskanzler Gerhard Schröder war, dann ins Bundesinnenministerium (BMI) wechselte, wo er stellvertretender Abteilungsleiter Sport war, weiß, dass spätestens bei der Veröffentlichung des Berichts Antworten gegeben werden müssen. Die neue DOSB-Führung muss sich der Vergangenheit stellen. um Glaubwürdigkeit intern, aber auch in der Öffentlichkeit zurückzugewinnen. Aussitzen ist nicht.

Burmester, der bis zu seinem DOSB-Engagement seit 2020 Generalsekretär beim Deutschen Behindertensportverband (DBS) war, hatte beim DOSB kaum Zeit, sich einzuarbeiten. Neben dem eigentlichen Aufgabenbereich gab und gibt es auch in der Mitarbeiterschaft viele Wogen zu glätten: Nach dem Gutsherrenton herrscht nun auf den Etagen in der Otto-Fleck-Schneise ein respektvoller, freundlicher Umgangston. Aus seiner beruflichen Vergangenheit kennt er nicht nur die politischen, sondern auch die sportinternen Fallstricke. Aber der DOSB ist dann doch noch eine Kategorie für sich.

Politik positioniert sich

Während sich die Politik aus Bund und Land nicht nur im Koalitionsvertrag, sondern nun auch auf der Sportministerkonferenz positioniert, von Spitzen- bis Breitensport die Themen für sich abgesteckt hat, scheint man beim DOSB die Geschäfte unaufgeregt angehen zu wollen.

Wie also nähert man sich den vielen offenen Baustellen, zu denen immer neue kommen? Sondieren, sortieren. Nach der Lageanalyse in den Dialog gehen. Und vor allem dem Gegenüber zuhören. Das scheint die Vorgehensweise des neuen Vorstandsvorsitzenden zu sein. Doch die Politik der ruhigen Hand gefällt nicht allen. Besonders denen nicht, die sich in ihrer Arbeit ausgebremst sehen, im Stillstand wähnen oder einfach von den sich nicht verändernden Umständen frustriert sind.

Der Brief der Sportdirektoren, die beklagen, dass man in der Spitzensportreform nun seit Jahren nicht vorwärts kommt, war nun sicher nicht der Posteingang, den er sich gewünscht hat. Zumal er öffentlich wurde. Was ihn aber als Politprofi nicht wundern dürfte. Auch hier sucht er das Gespräch – zeitnah mit der Sprechergruppe. Die Kritik der Direktoren ist berechtigt – und sie sind nicht die einzigen, die unzufrieden sind, aber die Versäumnisse aus der Vergangenheit sind nicht so schnell aufzuholen. Burmester spricht von Umsetzungsproblemen. Und verweist auf das Beispiel Trainer-Verträge, die immer noch zu oft – widerrechtlich – Kettenverträge sind. „Wir haben ein Trainer-Konzept, aber wir kommen mit der Umsetzung nicht weiter“, beklagt er. Verzichtet aber auf Schuldzuweisung.

Altbekannter Dauerbrenner

Umsetzungsschwierigkeiten sind im DOSB in vielen Bereichen ein altbekannter Dauerbrenner. Das fordert die Frage heraus, welche Probleme denn nun bis zur Mitgliederversammlung im Dezember gelöst werden müssten. Beziehungsweise welche Schwerpunkt-Themen angepackt werden?

Das Alltagsgeschäft im DOSB hat auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine etwas außer Tritt gebracht. Und somit vielleicht auch die To-do-Agenda. Burmester erklärt: „Da erlebt man eine Zerrissenheit. Es liegt ja nicht in der DNA des Sports, Mitspieler und Mitspielerinnen oder Länder auszuschließen. Auch wir im Sport haben wie die Politik einen Umdenkprozess durchgemacht.“ Es hat etwas gedauert, bis der Sport reagierte, aber: DOSB und Landessportbünde haben einen Fonds von 200 000 Euro für ukrainische SportlerInnen aufgelegt. Die UkrainerInnen können in Deutschland trainieren, auch an Maßnahmen teilnehmen. Und vor allem die LSBs, einzelne Verbände und Vereine sorgen für Unterbringung und Unterstützung im täglichen Leben der Sportflüchtlinge.

Werte und Menschenrechte“ – es wird  gerade im DOSB ein Beirat vorbereitet – ist die Überschrift, unter die Burmester gerne die Arbeit des Dachverbandes in den nächsten Jahren stellen möchte. Nicht nur Sonntagsreden über Werte, sondern auch danach leben und handeln – das würde dem Sport gut anstehen und vor allem auch manchen Funktionärinnen, deren Image in den letzten Jahren sehr gelitten hat.

Positive Lockdown-Folgen

Wie wichtig Sport ist und welchen Wert er in der Gesellschaft hat, wurde während Corona deutlich. Die Lockdown-Folgen zu bekämpfen, steht auf Burmesters Liste ganz vorne. Dabei ist der Sport trotz düsterer Milliarden-Schadensprognosen im großen und ganzen ohne tiefe Schrammen durch die letzten zwei Jahre gekommen. Dank vieler finanzieller Hilfspakete von Bund und Ländern. Und dank der Kreativität vieler Vereine, die immer am Ball blieben und ihre Mitglieder digital bei Laune hielten. Ebenso wie viele BürgerInnen hat vor allem die Politik erkannt, dass Sport nicht nur der Gesundheit zuträglich, sondern auch unverzichtbare Größe für den sozialen Zusammenhalt ist. Dennoch – nach Corona will man nun auch Bewegungsmuffeln und Couchpotatoes Beine machen. Bund, Länder, DOSB, Deutsche Sportjugend und Deutscher Fußballbund wollen einen Bewegungsgipfel initiieren und eine Bewegungskampagne starten. Das ist nicht zuletzt auch deswegen vonnöten, weil der Breitensport in den letzten Jahren im DOSB keine wesentliche Rolle spielte.

Back to the roots“ scheint nun das Handlungsschema des DOSB und seines Vorstandsvorsitzenden, der selbst aus dem Handball kommt, und an der Sporthochschule in Köln studierte, zu sein. Und da ist auch der Koalitionsvertrag eine Art Wegweiser: „So ein Vertrag ist ja erst einmal eine Willensbekundung. Wir – Sport und Politik – müssen ins Gespräch kommen und gemeinsam diesen Vertrag ausgestalten. Es ist ein Angebot der Politik, das wir aufnehmen“, sagt Burmester.

Ein Stichwort aus dem Papier: „Sportentwicklungsplan.“ Was der alles umfassen wird, bleibt abzuwarten. Verbesserung der Sportstätteninfrastruktur, eine Art „Goldener Plan“ gehören für Burmester auch unter diesen Titel.

Vielfalt und humanen Spitzensport

Seit Monaten wabert eine Spitzensport GmbH durch die Lande, an der das BMI arbeiten soll. Details kennt niemand. Oder doch der DOSB? Burmester schüttelt den Kopf. „Wir müssen doch erst mal klären, welchen Sport, besonders Spitzensport wir wollen. Erst dann können wir uns über Strukturen und Instrumente unterhalten, wenn wir die Ziele wissen, die wir ansteuern.“

Was heißt das dann? Hat das BMI etwas anderes vor als der DOSB? Beim BMI möchte man ähnlich wie in den Niederlanden, Dänemark oder Großbritannien mit Hilfe von Potas-Rankings zum Erfolg kommen. Wie bekommt man das mit Vielfalt und humanen Spitzensport – das sind die Paradigmata Burmesters – zusammen?

Sport in einem Guss

Eine ganzheitliche Betrachtung ist dafür wohl Voraussetzung. Bisher laufen im Sport, aber auch in der Politik Entscheidungen oft neben einander her: jedes Ressort arbeitet für sich, keine übergreifende Kooperation. Sport und Sportpolitik in einem Guss ist wohl nun das angestrebte Ziel – nicht nur der SMK. Es gibt eine Menge Bereiche, die, sind sie ineinander verzahnt, als ein gut funktionierendes Sport-Uhrwerk laufen könnten: Ein guter Kita- und Schulsport, noch mehr Kooperationen zwischen Schule und Verein, sind gute Voraussetzungen, um Kinder über die Talentsichtung und Nachwuchskonzepte vielleicht an den Leistungssport heranzuführen. Den sozialen Zusammenhalt mit Bildungsprojekten wie „Demokratie stärken“ sind für Burmester ebenso wichtig wie dafür zu sorgen, dass SportlerInnen in jeder Hinsicht gewaltfreien Sport treiben können, und in einem von allen getragenen Safe Sport Zentrum entsprechende Prävention und Hilfe angeboten werden.

Am Ende des Gespräches noch das Thema Klima, das zu Sportgroßveranstaltungen führt. Und einer eventuellen Olympiabewerbung. „Da lassen wir uns nicht treiben“ sagt er. „Wir wollen alles richtig machen. Dazu müssen wir einen klugen Prozess einleiten, die gesellschaftliche Akzeptanz schaffen, also Bürger und BürgerInnen davon überzeugen.“ Schnellschüsse? In diesem Fall nicht mit Burmester. Wie gesagt, man ist noch in der Findungsphase.

Wo der DOSB nun genau hinsteuern wird, das wird sich im Dezember bei der Mitgliederversammlung in Baden-Baden zeigen. Jedenfalls deutet sich an, dass eine Reihe von Wendemanövern eingeleitet werden – im Bezug auf den Breiten-, aber auch auf den Spitzensport. Und Skipper Torsten Burmester gibt das Kommando: Klar zur Halse!