MinisterInnen wollen Sportpolitik wahrnehmbarer gestalten

Konferenz verabschiedet Hamburger Erklärung als gemeinsame Basis

Berlin/Hamburg 8. April. Na endlich, möchte man sagen: Die Sportministerkonferenz (SMK) will die Sportpolitik in Deutschland aktiver gestalten. Das jedenfalls beschlossen die Ressort-ChefInnen der Länder bei ihrer außerordentlichen Sportministerkonferenz in Hamburg. Bei der war auch die im Bund für Sport zuständige SPD-Innenministerin Nancy Faeser anwesend. Am Ende des zweitägigen Treffens stand die „Hamburger Erklärung“.

In den letzten Jahren wurde die Sportministerkonferenz eigentlich nur wahrgenommen, wenn es mal wieder Streit um Finanzierungs-Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern ging. Dass die Länder und mit ihnen die Landessportbünde ein unschätzbares gesundheits- und bewegungspolitisches, aber auch sozial- und bildungsengagiertes Gerüst in der deutschen Gesellschaft bilden, wurde dabei oft übersehen. Und dass die Republik auch ohne das Engagement der vielen Ehrenamtlichen (natürlich nicht nur) im Sport aufgeschmissen wäre, sieht man derzeit bei der Unterstützung durch Vereine und Verbände bei der Hilfe für Ukraine-Flüchtlinge.

Gruppenfoto der SportministerInnen und StaatssekretärInnen, Unterzeichnung der Hamburger Erklärung. Vorn v.l. Joachim Herrmann (Staatsminister des Innern, für Sport und Integration in Bayern), Nancy Faeser (Bundesministerin des Innern und für Heimat), Andy Grote (Senator für Inneres und Sport Freie und Hansestadt Hamburg), Peter Beuth (Minister für Inneres und Sport Hessen) bei der
Außerordentlichen Sportministerkonferenz im Hotel Le Meridien Hamburg. © Witters – Freie und Hansestadt Hamburg

Nicht nur diese Hilfe, sondern auch das Angebot der Vereine und Verbände, das Zusammenspiel von Sport und Kommunen wird von vielen BürgerInnen als selbstverständlich hingenommen. Und oft auch noch darüber gemeckert.

Augen geöffnet

Vielleicht hat Corona nun vielen – auch den SportpolitikerInnen – die Augen geöffnet, was für ein Pfund sie im und mit dem Sport haben, besonders eben mit dem Breitensport. Der vor allem in den letzten Jahren von der Dachorganisation des Sports, dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) vernachlässigt worden ist. Sport für alle stand weniger im Fokus als der olympische Spitzensport.

Nun soll alles anders werden: Die Ampelkoalition verspricht einen Sportentwicklungsplan. Und jetzt ist in der Hamburger Erklärung zu lesen, dass die herausragende Rolle des Sports für die Gesellschaft nicht nur gesehen wird, sondern man nun auch daran intensiv mitwirken will. „Wir als Sportministerkonferenz haben klar den Anspruch formuliert, künftig aktiver und wahrnehmbarer Sportpolitik in Deutschland zu gestalten“, sagt der gastgebende Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD). Der Sport brauche jetzt das politische Gewicht.

Golfplatz-Beschlüsse

Bisher, so sagen böse Zungen, erschöpfte sich die Arbeit der SMK-ChefInnen häufig vor allem auf dem Golfplatz. Und viele Beschlüsse scheiterten oft eben daran, dass Bund und Länder plötzlich merkten, dass Mischfinanzierungen für Trainer an Stützpunkten oder die Frage, wer für wen in welchem AthletInnen-Kader nun definitiv zuständig ist, nicht ohne Haken sind.

Wie schwierig es wird – auch ohne Bund –, sich nicht in die Haare zu geraten, zeigte Corona: Der Flickenteppich der Entscheidungen in den 16 Bundesländern, welche Ministerien nun zuständig sind, Alleingänge und Vorpreschen einzelner Ministerpräsidenten bei der Frage, welche Sportveranstaltungen doch oder doch nicht stattfinden dürfen oder können, machte es den Sportverantwortlichen an der Basis bis zu den Verbänden nicht leicht. Die Kakophonie der Länder, die man zum Beispiel bei der Schulpolitik zur Genüge kennt, ist auch im Sport keine Unbekannte. War auf Referentenebene oft vieles geklärt, bröckelte das gemeinsame Beschluss-Konstrukt nicht selten dann, wenn sich die MinisterInnen auch parteipolitisch selbst im Sport verhakten.

Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU),dessen Landessportbund vor allem auch sozialpolitisch immer großes Engagement zeigt und oftmals Vorreiter mit den Berlinern und Nordrhein-Westfalen ist, spricht von einer „Neuausrichtung“. Zu der auch gehört, dass die SMK nun regelmäßig zweimal im Jahr tagen will. Weitere Termine sollen „anlassbezogen“ stattfinden. Und auch die Bundesinnenministerin Nancy Faeser verspricht, dass sie regelmäßig dabei sein will. Ihre Amtsvorgänger gaben sich bei der SMK, wenn überhaupt, nur selten die Ehre.

Mit aller Kraft

Wir wollen den Sport jetzt mit aller Kraft voranbringen. Denn der Sport hat unter Corona sehr gelitten. Wir wollen, dass die gebeutelten Sportvereine wieder voll durchstarten können. Deshalb setze ich mich im Bundestag für die nötigen Haushaltsmittel für ein Restart-Programm ein“, verspricht die Bundesministerin.

Den Restart-Knopf haben die Vereine schon lange gedrückt – wenn sie denn überhaupt in den letzten zwei Corona-Jahren die Stopp-Taste bedient hatten: Viele Vereine waren im Kontakt mit ihren Mitgliedern, boten digitale Übungsprogramme an. Oder trafen sich – unter strengsten Hygienebedingungen – zum Walken, Radeln oder Joggen privat. Deutschland ließ sich auch vom Virus nicht in Bewegungs-Starre versetzen, sondern bewegte sich dennoch  – halt außerhalb des Vereins. Aber alle sind froh, dass sie jetzt wieder das Team und die KursfreundInnen live erleben können. Und, wie sich der Sprecher der Landessportbünde, Thomas Härtel, freut: „ Die Menschen kommen zurück in den Verein.“ Experten wie der Koblenzer Sportwissenschaftler Lutz Thieme  können von ansteigenden Zahlen vor allem bei Kindern und Jugendlichen nahezu überall berichten. Die bundesweite Bewegungskampagne, die der DOSB nun starten will, wird vom Bund mitfinanziert. Und sollte vor allem Frauen ansprechen, die in der Pandemie bewegungstechnisch auf der Strecke blieben, da neben dem Beruf auch die meiste Arbeit für Familie und Haushalt an ihnen hängen blieb.

Bereits bestehende Programme aus den Ländern, etwa Bewegungs-Gutscheine, sollen auf die bundesweite Anwendung überprüft werden. Außerdem will die SMK zusammen mit der Bundesinnenministerin zu einem Bewegungsgipfel einladen. Wann? Das ließen sie offen.

SMK als Phönix

Die SMK scheint wie ein Phönix aus der Asche zu steigen: Diskussionsfreudig, inhaltsintensiv, richtungweisend. Viele Themen: Auf der Tagesordnung stehen Sportgroßveranstaltungenn ebenso wie die Schaffung eines Zentrums Safe Sport, das die SMK unterstützt. Ein erster Fahrplan zur Umsetzung soll bis zur Jahrestagung der SportministerInnen im Herbst 2022 vorliegen.

Und natürlich war auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine Thema. Die SMK ist dafür, das Programm „Integration durch Sport“ von BMI und DOSB weiter auszubauen. Dass der DOSB seinen Mitgliedsorganisationen empfohlen hat, nicht an Wettkämpfen oder Trainingsmaßnahmen in Russland oder Belarus teilzunehmen, findet die SMK richtig. Der stellvertretende SMK-Vorsitzende Joachim Herrmann (CSU), der für den verhinderten rheinland-pfälzischen Innenminister und SMK-Vorsitzenden Roger Lewentz übernahm, verwies noch einmal auf die integrative und verbindende Kraft des Sports: „Wir haben schon in der Vergangenheit, wie auch in der täglichen Praxis erlebt, was der Sport für die Integration leisten kann und welchen Stellenwert der Sport für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in solchen Krisen haben kann. Insbesondere die Sportvereine können eine wichtige Rolle spielen, um eine echte Willkommenskultur zu schaffen und Sprachbarrieren zu überwinden.“

Erstaunlich, dass so ausführlich und schwerpunktmäßig über den Breitensport geredet wurde, wo doch auch gerne LandespolitikerInnen alles für die SpitzenathletInnen tun, um auch einen kleinen glänzenden Strahl vom heimischen potenziellen Olympiasieger abzubekommen. In den letzten Jahren waren deshalb auch bei der SMK der Spitzensport und seine Reform zentrale Diskussionspunkte.

Weikert und die Fragen

DOSB-Präsident Thomas Weikert kündigte in Hamburg ein gemeinsames Vorgehen mit dem BMI in einem strukturierten Programm an, um gemeinsam die besten Lösungen für den Leistungssport zu finden. Aber da müssten sich nun erstmal alle Beteiligten darüber im Klaren sein, welchen (Leistungs-) Sport man wolle. Weikert stellte viele Fragen. Hoffentlich hat er auch Antworten darauf, wenn er mit der Politik in den wegweisenden Dialog geht. Etwa zum Thema: Klärung der jeweiligen Rolle und Zuständigkeiten,  Entbürokratisierung oder Flexibilität bei Entscheidungen. Da ist Politik nicht immer ein guter Ratgeber geschweige denn Vorbild.

Nun wird sich die SMK an den selbst gestellten Vor- und Aufgaben messen lassen müssen. Man darf gespannt sein, wie lange der Gestaltungs-Anspruch der SMK im Sport anhält. In der Vergangenheit sind nach einem kurzem Spurt und dynamischen Tatendrang manchem/r MinisterIn im sportlichen Alltagsgeschäft nicht selten die Luft aus- und die Lust verloren gegangen.