Erkrankter Sportausschuss-Vorsitzender wehrt sich gegen Dopingvorwürfe mit einem Statement
Berlin, 6. April. Frank Ullrich wird bei der ersten Sitzung des Aufsichtsrates der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) am 26. April nicht mit am Tisch sitzen: Der Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses, der qua Amt als erster ein Zugriffsrecht auf diesen Posten hat, lässt nach heftiger Kritik das Mandat erst einmal ruhen, wie er in einem Statement im Sportausschuss wissen ließ, der am Mittwoch tagte.
Damit ist eine Forderung aus dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion erfüllt, der als Punkt 3 auf der Tagesordnung unter dem Titel die „Abberufung des Vorsitzenden des Sportausschusses aus dem Aufsichtsrat der NADA“ forderte. Die Diskussion wurde auf die Sitzung nach Ostern verschoben, da Ullrich wegen Krankheit nicht teilnehmen konnte.
In seinem Statement erklärte der 64-Jährige, dass „ich selbst wissentlich keine Berührung mit Dopingmitteln hatte, dass Doping für mich keinen Platz im Sport hat – weder als Sportler noch als Trainer, – und dass für mich nur der leidenschaftliche, sportliche Einsatz gezählt hat und zählt.“
Verbandsarzt in Stasi-Akte
Wie berichtet, gibt es seit 1991 Dopingvorwürfe gegen Ullrich. Er hat sie stets vehement abgestritten. Dagegen stehen Aussagen von Teamkollegen und ehemaligen Biathleten, die er als Trainer betreute. Auch in einer Stasi-Akte, die die FAZ nun wieder hervorkramte, erinnert sich der ehemalige Verbandsarzt des Deutschen Skiläufer-Verbandes der DDR (DLSV), Hans Joachim Kämpfe, der als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) „Schmied“ der Staatssicherheit geführt worden war, anders als der Sportler Ullrich. Danach sollte Frank Ullrich wie die gesamte DDR-Biathlon-Elite mit dem Testosteron-Präparat Oral-Turinabol gedopt werden. Mediziner Kämpe berichtete ausführlich über die „Anwendungskonzeption u. M. (unterstützende Maßnahmen, Red.) des DLSV im Trainingsjahr 1985/86“ im Juli 1985 schriftlich, dass 21 Biathleten im Kaderkreis 1 und 2 bis Januar 1986 mit je insgesamt 450 Milligramm Oral-Turinabol gedopt werden sollten. Auf der Liste steht auch Ullrich.
Kann das nicht erklären
Der ehemalige Sportler und Trainer weist in der schriftlichen Erklärung vor dem Sportausschuss alle Vorwürfe zurück: Er sei Teil eines sportlichen Systems gewesen, „das für uns Sportler mitunter schwer zu durchschauen war. Die Stasi-Akte des Verbandsarztes (Kämpfe, Red.), der für mich verantwortlich war, zeigt dies. Ich kann mir meinen Namen darin nicht erklären. Zumal ich im dort angegebenen Zeitraum kein aktiver Sportler mehr war.“
Dopingvorwürfe dieser Art gab es nach der Vereinigung viele: Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) empfahl, diese Fälle von der Kommission für Dopingfragen, die der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Steiner leitete, klären zu lassen.
Der Deutsche Skiverband (DSV), dessen Angestellter Ullrich damals war, wollte das in Eigenregie mit einer Kommission aufarbeiten. Vermutlich nicht nur deshalb, weil in dieser Zeit Verantwortliche bei mancher Verpflichtung sich von DDR-Trainern nicht nur Erfolg versprachen, sondern „weil wir die kennen und das doch alles nette Kerle sind“, wie ein Sportdirektor blumig auf die Frage antwortete, ob man da nicht etwas genauer bei der Verpflichtung hinschauen sollte.
Im Juli 2009 jedenfalls kamen die DSV-Aufklärer zu dem Schluss, dass weder „arbeits- noch dienstrechtliche Schritte“ gegen Frank Ullrich, einst auch Major der Nationalen Volksarmee, später Stabsfeldwebel bei der Bundeswehr-Sportfördergruppe Oberhof, nötig seien. Man bescheinigte ihm einen „unbewusst gesteuerten Verdrängungsmechanismus“. Darauf bezog sich Ullrich bei Anwürfen und sah das als Freispruch.
Warnungen ignoriert
Als der Mann aus Trusetal, der kurz vor der Bundestagswahl sein Herz für die SPD entdeckte, als beliebter Gegenkandidat mit Olympiaglanz dann den umstrittenen CDU-Kontrahenten Hans-Georg Maßen bezwang, erfüllte sich wohl Ullrichs Herzenswunsch, den er auch schon im Wahlkampf äußerte: Als Parlamentarier für den Sport zu kämpfen, und das als Vorsitzender des Sportausschusses. Der Wunsch wurde ihm erfüllt. Öffentliche, aber auch interne Kritik, dass diese Personalie wegen der Dopingvorwürfe den Genossen über kurz oder lang auf die Füße fallen könnte, wurde ignoriert. Den NADA-Sitz, der mit dem Ausschussvorsitz verknüpft ist, hatte zunächst wohl keiner von den SPD-Entscheidern, aber auch die Ausschussmitglieder, die ihn wählten, trotz Vorwarnungen auf dem Schirm.
Wenig sensibel
Auch Ullrich zeigte wenig Sensibilität, dass er wegen der im Raum stehenden Vorwürfe nicht unbedingt der richtige Mann (oder gerade deswegen doch?) in dem NADA-Gremium sein könnte. Die Brisanz war ihm offensichtlich nicht klar, denn er sah keinen Grund, die FraktionskollegInnen oder den Sportausschuss zu informieren, dass die NADA ihn schon angefragt hatte. Glücklich sei man über die ganze Situation nicht, so die SPD-Obfrau und Sprecherin im Sportausschuss, Sabine Poschmann, die sich ihren Start im Sportausschuss sicher ohne Ärger ums Personal vorgestellt hat.
Glücklich, geschweige denn von Einsicht geprägt sind auch einige Sätze des Parlamentariers Ullrich in seinen aktuellen Einlassungen nicht. Er werde „die Kritik, die ich nicht zutreffend finde, die aber weder dem Amt schaden, noch das Vertrauen von Dopingopfern beschädigen soll, für mich abwägen und in dieser Zeit das Amt bei der NADA ruhen lassen. Gleichzeitig nehme ich das Angebot von der SED-Opferbeauftragten des Deutschen Bundestages, Evelyn Zupke, dankend an, mit ihr ins Gespräch zu kommen.“ So weit, so gut. Wie lange die Bedenkzeit dauern soll, lässt er offen.
Irritationen
Irritierend dann folgende Sätze: „ Ich werde mit ihr auch den Austausch mit Doping-Betroffenen suchen. Das ist letztlich eine Chance, gemeinsam mehr Licht in das DDR-Sportsystem zu bringen und in die Rolle, die wir darin gespielt haben. Die Gespräche werden auch helfen zu eruieren, wo wir Doping-Opfer besser unterstützen können.“
Was meint er mit der Rolle, die „wir da gespielt haben“? Zum DDR-Sportsystem gibt es schon viele, die seit Jahren viel Licht in die dunklen Sportecken gebracht haben, die sich um Aufklärung und Unterstützung für die Opfer bemühen. Der Olympiasieger Ullrich aus Thüringen gehört bisher nicht zu den Aufklärern der ersten Stunde. Und seine Einlassung vom Mittwoch spricht nicht dafür, dass er viel dazu beitragen will oder wird.
Fritz Güntzler, Obmann der Unionsfraktion im Sportausschuss, sagt, auf Sportspitze-Anfrage, das Statement Ullrichs „kann nur ein erster Schritt sein. Es bleibt völlig offen, was daraus folgen soll. Es ist zudem völlig unklar, wie lange er das Amt nun ruhen lassen will. Als Sportausschussvorsitzender ist es Frank Ullrichs Pflicht, sich kritisch mit seiner Doping-Vergangenheit auseinanderzusetzen und aktiv zu einer unabhängigen Aufklärung beizutragen. Gespräche mit ehemaligen Doping-Opfern reichen hier nicht aus.“
Güntzler: Weg frei machen
Die Opposition bleibt bei ihrer Forderung: „Frank Ullrich muss sein Amt im Aufsichtsrat der NADA niederlegen und den Weg für ein anderes Mitglied des Sportausschusses frei machen. Es ist zu spät, jetzt noch glaubhaft für „sauberen Sport“ im Aufsichtsrat der NADA einzutreten. Deshalb werden wir unseren Antrag im Sportausschuss aufrecht erhalten“, so Güntzler.
GenossInnen hoffen, dass Ullrich nun doch mal auf den Rat derer hört, die von ihm und auch von der Partei weiteren Schaden abwenden wollen. Und das heißt: Am besten wäre es, wenn er noch vor Ostern zunächst einmal das NADA-Amt zur Verfügung stellen würde.