Rücker räumt im DOSB ihren Stuhl

Fehres‘ Brief hat Konsequenzen für Vorstandsvorsitzende (aktualisiert)

Berlin, 12. November. Mit dem Rücktritt der Vorstandsvorsitzenden Veronika Rücker hat die Spitze des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) auf den Brief reagiert, mit dem sich das ehemalige Vorstandsmitglied Karin Fehres gegen massive Vorwürfe der Verbandsführung zur Wehr setzte. Rücker werde ihr Amt zum 31. Dezember 2021 niederlegen, gaben sie und DOSB-Präsident Alfons Hörmann in einer gemeinsamen Erklärung am Freitagnachmittag bekannt. Am Samstag meldeten sich drei DOSB-Vorstände und es gibt nun neue Vorwürfen gegen Hörmann und Rücker.

Der „Primus inter (vermeintlichen) pares“ Alfons Hörmann „opferte“ nun seine „prima inter pares“ Veronika Rücker, rechte und linke Hand des Präsidenten. Im Juni 2017 hatte er der Presse in Berlin seine damals – für die meisten aus der Sportfamilie überraschend – neue Vorstandsvorsitzende vorgestellt. Nach dem robusten, streitbaren Alphamännchen Michael Vesper holte sich der dominante Allgäuer „eine nette Kollegin, Sport- und Verwaltungskennerin“, freuten sich damals DOSB-MitarbeiterInnen. Viele kannten sie als Direktorin der DOSB-Führungs-Akademie in Köln.

Passgenaue Kandidatin

Verbandsentwicklung, Kommunikation und Marketing waren damals die Aufgaben in ihrem Anforderungsprofil .Die gebürtige Nordhornerin sei erste Wahl gewesen, sagte Hörmann. Es gab Kritik an einer fehlenden Ausschreibung. Die sei nicht notwendig gewesen, weil „aufgrund der passgenauen Voraussetzungen von Veronika Rücker ein solch zusätzlicher Prozess keinen Sinn mehr macht. Den Fall, dass jemand abgesagt hat, hat es nicht gegeben oder konnte es nicht geben, da Veronika Rücker die einzige war, die von uns ein Angebot erhalten hat und sie sitzt hier“ rechtfertige Hörmann damals das Vorgehen.

Vier Jahre später muss die 51-Jährige ihren Stuhl beim DOSB räumen, nachdem man sich einvernehmlich darauf geeinigt habe. Rund 72 Stunden brauchte der DOSB, der sich seit dem Frühjahr im Krisenmodus befindet, um sich zu einer Reaktion auf das Fehres-Schreiben durchzuringen.

Das Statement, das Hörmann und Rücker vorlegten, wirft allerdings mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Grund für die neuerliche Auseinandersetzung ist der anonyme Brief vom 6. Mai dieses Jahres, der von der „Mitarbeiterschaft“ unterschrieben war, Präsidium wie Vorstand in die Bredouille brachten und den Dachverband ins Chaos stürzten. In dem Schreiben wurden schwere Vorwürfe über Umgangs- und Führungsstil des Spitzenpersonals erhoben.

Fundierte Prüfung

Als Autorin dieser Mail deuteten die DOSB-Verantwortlichen mit Hilfe eines angeblichen Sprachgutachtens die 62-jährige ehemalige Kollegin Fehres aus: „Wir mussten aufgrund der Hinweise davon ausgehen, dass eine Autorenschaft außerhalb der Mitarbeiterschaft des DOSB in Frage kommt. Deshalb haben wir einen Sprachgutachter beauftragt, das anonyme Schreiben einer wissenschaftlich fundierten Prüfung zu unterziehen“, hieß es in der Erklärung. Wie diese Untersuchung aussah und was festgestellt wurde, wird nicht dargelegt. Wäre es also in dieser Situation nicht geboten, das sprachliche Gutachten zu veröffentlichen, um Transparenz herzustellen? „Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass es im Grundsatz richtig und unsere Verantwortung war, zum Schutze des DOSB den Hintergründen des Schreibens nachzugehen.“ Rechtsberater hätten ihnen das empfohlen.

Der juristische Konflikt zwischen Fehres und dem DOSB schwelt offensichtlich schon länger. Denn: Der Dachverband habe zwei Versuche zu einer außergerichtlichen Klärung mit dem ehemaligen Vorstandsmitglied unternommen, rechtfertigen die DOSB-Verantwortlichen ihr Vorgehen. Fehres hatte in ihrem Schreiben erklärt, dass Hörmann, die Vorstandsvorsitzende Rücker und der zuständige Vorstand für Finanzen und Personal, Thomas Arnold, sie mittels einer Anwaltskanzlei bedrängt hätten, sich als Verfasserin des anonymen Schreibens zu bekennen.

Die ehemalige Frankfurter Sportdezernentin wählte aber den Weg in die Öffentlichkeit. „Um den Vorgang nicht weiter eskalieren zu lassen, haben der Vorstand und Alfons Hörmann als persönlich Betroffener unmittelbar nach einer entsprechenden Empfehlung der Ethik-Kommission Ende Oktober entschieden, keine weiteren rechtlichen Schritte zu unternehmen“, schreiben Hörmann und Rücker, die die „volle Verantwortung“ für den gesamten Vorgang übernehmen, „in den der Vorstand sowie einzelne Präsidiumsmitglieder nur teilweise eingebunden waren. Dies gilt insbesondere für das Schreiben des Anwalts, dessen Inhalte ausschließlich durch uns freigegeben wurden.“ Am Freitagvormittag wusste Karin Fehres noch nichts davon, dass man nicht mehr rechtlich gegen sie vorgehen wolle.

Am Samstag nun wandten sich Leistungssport-Vorstand Dirk Schimmelpfennig, Finanzvorstand Arnold und die Geschäftsführerin der Sportjugend, Christina Gassen, an die DOSB-MitarbeiterInnen. Nach ihren Angaben  haben der Verbandspräsident und die Vorstandsvorsitzende mit ihrem juristischen Vorgehen gegen Fehres gegen einen gemeinsamen Beschluss des Vorstandes gehandelt. „Den gesamten  Vorgang bedauern wir zutiefst“ heißt  es in der Stellungnahme. Die Rolle von Arnold in der Angelegenheit ist unklar: War er nun  an dm Vorgehen gegen Fehres beteiligt oder nicht?

Als Trio aktiv

Und auch hier muss man sich fragen, warum die Aktion des Trios am Rest-Präsidium und Vorstand vorbei durchgezogen wurde. Wie passt das zu den eigenen Good-Governance-Regeln, für die Thomas Arnold Beauftragter im Haus des Sports ist? Was steht in der Empfehlung der Ethikkommission? Und warum werden nun die „Anwälte beauftragt, eine Dokumentation dieses aktuellen Vorganges zu erstellen, um diese der Ethik-Kommission zur Einschätzung zu übergeben“, wenn es schon eine Empfehlung gibt?

Es ist und bleibt ein Krisenmanagement- und Kommunikationsfiasko. Das haben wohl nun auch die treusten Unterstützer festgestellt – die Front bröckelt mittlerweile. So distanzierte sich die Deutsche Sportjugend, deren zweite Vorsitzende sie war ebenso, wie der Turnerbund , wo sie als Vizepräsidentin tätig war öffentlich vom Umgang mit Fehres. Und auch die „Erhebung“ Hörmanns  in den Stand des Ehrenpräsidenten soll sich erledigt haben, heißt es.

Auch Arnold

Der Rücker-Rücktritt reicht vielen nicht. Am späten Freitagabend wurde kolportiert, dass auch Vorstand Thomas Arnold zeitnah gehen wird. Oder muss. Er war auch in das Vorgehen gegen Fehres involviert. Immer mehr Verantwortliche äußern sich dahingehend, dass die gesamte Führungsspitze aus Präsidium und Vorstand abgelöst werden müsse, um einen Neustart hinzubekommen.

Divide et impera – teile und herrsche: Zumindest teilt der „politisch“ verantwortliche Hörmann die Schuldfrage auf und regiert fröhlich weiter: Der Fall Fehres ist vor allem ein Fall Hörmann. Und der will offensichtlich durchregieren bis zum letzten Tag, dem 4. Dezember. Sein Festhalten am Präsidentenamt bedeutet eine massive Belastung für die angestrebte Neuausrichtung des Verbandes. Was also machen die Mitgliedsverbände, die sich am Sonntag in Düsseldorf treffen, um die von der Findungskommission ausgedeuteten Kandidaten Claudia Bokel, Stephan Mayer und Thomas Weikert zu befragen? Die Bewerbungsgespräche der neuen Präsidenten oder der neuen Präsidentin können  nicht allein Thema in Düsseldorf sein. Die Verbände müssen auch die aktuelle Situation nicht nur diskutieren, sondern agieren. Die Frage stellt sich also: Wer sollte noch auf dem Podium bei der Mitgliederversammlung sitzen? Dazu eine Aufforderung an die Mitgliedsorganisationen vom einstigen Einwohner des Tagungsortes Weimar, Friedrich Schiller: „Wer nichts waget, der darf nichts hoffen.“