DOSB – wie ist denn die Lage?

Analysen, Kandidaten und Kollateralschäden des Präsidenten

Berlin, 4. November. Neustartversuche mit KandidatInnensuche einerseits, Vergangenheitsbewältigung, Selbsterkenntnis und -bekenntnisse sowie Selbstfindungskurse sind angesagt. Der scheidende Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Alfons Hörmann, spricht im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa von Kollateralschäden, die man hätte vermeiden können, sinniert über Umsturz und Verschwörung. „Den von einigen angestrebten Wechsel hätte man ganz anders, offener und fairer regeln können, wenn diese den Mut gehabt hätten, mir direkt ins Auge zu blicken. Dann hätte der Neubeginn ohne die vielfältigen Kollateralschäden für den deutschen Sport ablaufen können.“ Wer die Kollateralschäden sind, und ob er sich dazu zählt, bleibt offen.

Zum Ende seiner Präsidentschaft wirkt Hörmann eher als Rächer der Enterbten, mehr Spalter als Versöhner – obwohl er sagt, es gebe keine Abrechnung. Momentan ist er nach wie vor der Entscheider im DOSB. Und es handelt sich nicht nur um eine geordnete „professionelle Übergabe“ (Hörmann). Das Amt zwar verloren, der Einfluss soll bleiben. Deshalb passieren manch überraschende Dinge hinter den Kulissen – wo man doch einen transparenten Neustart versprochen hat. Aber der Reihe nach.

Verstimmung und Befremden

Also drei Koordinatoren – die Sprecher Ingo Weiss (Spitzenverbände), Jörg Ammon (Landessportbünde) und die Sprecherin Barbara Oettinger (Verbände mit besonderen Aufgaben) – versuchen einen Neustart hinzubekommen – mehr oder weniger erfolgreich. Inhalt und Strukturen wurden in drei Arbeitsgemeinschaften er- und überarbeitet, in den Organisationen diskutiert und kritisiert. Am Ende angenommen. Doch von Anfang waren Personalien das Thema, das auch von Streit begleitet wurde. Über die Art der Besetzung der Findungskommission um Ex-Bundespräsident Christian Wulf gab es ziemliche Verstimmung, aber die skurrilen Argumente, mit denen sich manche Verbandsführungskraft über Personen echauffierte, sind mehr als unverständlich und befremdlich.

Nun löst manche/r BewerberIn, mit dem/der sich das Gremium beschäftigt – unterstützt von einer Düsseldorfer Personalagentur – vor allem Befremden aus. Natürlich sind die Namen der acht potentiellen KandidatInnen durchgesickert, offiziell zwar nicht bestätigt. Aber auch nicht dementiert. Und so taucht ein Bewerber auf, der vor kurzem noch auf mehrfache Nachfrage bestritten hat, für das Präsidenten-Amt kandidieren zu wollen. Befremdlich auch, dass jemand sich offiziell für einen Kandidaten ausspricht und dann selbst aufs Karussell aufspringt. Oder einen weiteren Kandidaten ins Rennen schickt? Eine merkwürdige Auffassung von Teamgeist und Fairplay. Und sicher keine Methode, um eine Vertrauensbasis aufzubauen. Aber im Sport läuft es schon immer etwas anders, vor allem wenn es um die Verteilung von Ämtern geht – da ist dann mancher sich selbst der Nächste: Hauptsache für mich/meine Interessen läufts.

Zweite Runde

Die BewerberInnen um das oberste Sportamt müssen sich nun in einer zweiten Runde noch einmal vor der Findungskommission einfinden, bevor die eine endgültige Kandidaten-Empfehlung ausspricht. Am 14. November werden sich die KandidatInnen den VertreterInnen der Mitgliedsorganisationen präsentieren. „Dann fahren alle nach Hause. In den Mitgliedsorganisationen hat man noch drei Wochen Zeit bis zur Mitgliederversammlung, sich zu entscheiden, wen man wählen wird“, sagt Ingo Weiss auf Nachfrage. Also einen neuen Mann, eine neue Frau wird es geben. Dass die Delegierten bei der Mitgliederversammlung in Weimar am 4. Dezember eine Wahl im Sinne eines Neustarts treffen, hoffen vor allem die MitarbeiterInnen in Frankfurt, denen bei manchem Kandidatennamen, der kursiert, schon wieder der Angstschweiß auf die Stirn tritt.

Dabei kennt doch im DOSB offensichtlich nur einer den Begriff Angst, wie nun in der „Zusammenfassung der Ergebnisse zur Kulturanalyse im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB)“ vom 1. November 2021 zu lesen ist. Auf zweieinviertel Seiten fassen BeraterInnen der Wiesbadener Firma „permitto GmbH“, die sich auf ihrer Website als die „Beratungsboutique für Change Management & Transfomation“ bezeichnet, zusammen, wie es um die Kultur im Dachverband steht. Und Überraschung: Alles halb so schlimm! Mhm.

Bekannte Erkenntnisse

Aber, da ist doch zu hören, dass die Stimmung im Haus des Sports nach wie vor unterirdisch sei. Noch schlimmer als im Mai, als das anonyme Schreiben, das aus der Mitarbeiterschaft kommen soll, veröffentlicht wurde. Das Schreiben, in dem Vorstand und Präsidium mangelhafter Umgangsstil, Respektlosigkeit gegenüber den MitarbeiterInnen vorgeworfen wurde. Und die Rede von einem Klima der Angst war, das im Haus des Sports herrsche. Das war auch der Hintergrund, warum der Dachverband die nun „umfassende und wissenschaftlich fundierte Analyse“ der Wiesbadener in Auftrag gab.

Einige Erkenntnisse der neuerlichen Untersuchung sind aus dem Bericht der Ethikkommission bekannt, den deren Vorsitzender Thomas des Maizière vorgelegt hat. Doch vieles, was nun in der Permitto-Arbeit aufgeschrieben ist, wirkt normal harmlos. 159 (von wie viel insgesamt beim DOSB Beschäfitigten?) inklusive Präsidium und Vorstand seien befragt worden. Die Wünsche der Mitarbeitenden etwa, dass ihnen Respekt und Wertschätzung von den Führungsgremien entgegengebracht werde, dass man in der Arbeitsweise von den eigenen Ansprüchen noch weit entfernt sei oder die Rollenverteilung zwischen Präsidium und Vorstand geklärt werden müsse – das hat auch die Ethikkommission schon so zusammengefasst. 1272 individuelle Beschreibungen seien abgegeben worden, heißt es in dem Bericht aus Wiesbaden. Was bedeutet das? Nur einmal sei bei den Befragten der Begriff „Angst“ verwendet worden? „Insgesamt zeigt die Kulturanalyse eine sehr positive Veränderungsenergie. Die Befragten trauen dem DOSB in den nächsten drei Jahren eine nachhaltige positive Entwicklung zu. Das ist eine wichtige Basis für notwendige und erstrebenswerte kulturelle Veränderung.“

Frage: Wieso nur in den nächsten drei Jahren? Was ist danach? Das ist nicht die einzige Frage, die man sich nach der Lektüre der Zusammenfassung stellt. Erst, wenn man den gesamten Bericht zu lesen bekäme, wüsste man, ob die Aussage der DOSB-Vorstandsvorsitzenden Veronika Rücker wirklich begründet ist, mit der sie in der FAZ zitiert wird: „Das hat uns alle sehr erleichtert!“ Sie meint damit, es gebe keine Belege für eine flächendeckende Kultur der Angst im DOSB.

Was hat sich geändert?

Das sah die Ethikkommission doch etwas anders. „Nach Auffassung der Ethikkommission kann es im deutschen Sport jedenfalls mit einer so unterschiedlichen Beurteilung der handelnden Personen und der gelebten Strukturen in dieser Art nicht weitergehen. Es fehlt offensichtlich wechselseitig an ausreichendem Vertrauen und am notwendigen Zutrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es gibt zu viel Selbstbespiegelung, Demotivation und Gerüchte, Unzufriedenheiten und Unklarheiten. Das ist ein Zustand, der auch mit dem Führungsverhalten von Präsidium und Vorstand zusammen hängen muss. Dies müssen sich Präsidium und Vorstand vorwerfen lassen“, heißt es in jenem Bericht.“ Was also hat sich seit dieser Analyse aus der ersten Juniwoche verändert, wenn nun plötzlich offensichtlich alles gar nicht so schlimm ist auf den Etagen im Haus des Sports? Man ist fast geneigt zu fragen: Welches Kraut rauchen die nun, das sie so beglückt?

Lärm um Nichts?

War das alles nur viel Lärm um offenbar nichts? Mitnichten. Denn: Warum reagierten Präsidium und Vorstand nach Bekanntwerden des Schreibens wie ein aufgeregter Hühnerhaufen? Warum wurde schnell eine Ergebenheitsadresse für den Präsidenten gebastelt? Warum kündigte Alfons Hörmann seinen Rückzug an, wenn nichts an den Vorwürfen stimmt? Warum zogen der amtierende Präsident und sein Präsidium einen Rückzug vor, anstatt sich der von de Maizière empfohlenen Vertrauensfrage bei der Mitgliederversammlung zu stellen? Warum zeigte er nicht das Beharrungsvermögen, das ihm viele nachsagen, wenn er Opfer von Machenschaften oder einer Intrige sei?

Zwei Analysen – mit einer sehr widersprüchlichen Einschätzung der Lage. Kann so ein Change of Culture, ein Neuanfang  gelingen?