Höchste Zeit für Antworten des DOSB -aktualisierte Neufassung

Wannseegespräch mit dem Philosophen Gunter Gebauer über (Spitzen-) Sport in Coronazeiten

Berlin,22. August. Durch Corona, so der Eindruck, mutieren in Deutschland viele zu Meckerern, Lamentierern, Verweigerern und Leugnern. Solidarität und Rücksichtnahme – das war vielleicht am Anfang der Krise zu spüren. Nun setzt sich allerorten wieder Egoismus durch. Es soll alles so schnell wie möglich wieder sein, wie es war: Ungebremstes Wachstum, hohe Umsätze – und vor allem individueller Spaß. Ob wilde Wochenend- oder Strandpartys im Urlaubsort, abstandslose Pseudo-Demos oder maskenfreie Fahrten mit Bus und Bahn – es gilt wieder: Ich will machen, was ich will, mein Ding durchziehen und vor allem Spaß haben – auch auf Kosten von Mitmenschen. Dazu gelernt haben viele, aber nicht alle.

Umdenken, in sich gehen, überlegen, dass es nicht so weitergehen kann – aus vielerlei Gründen wäre das jetzt angesagt. Auch im Sport. Wer in den letzten Monaten, seit das Virus die Welt in Atem hält, beobachtet, was im Sport so läuft oder auch nicht, der reibt sich schon manchmal ungläubig die Augen. Und möchte die Diskussion mit dem Einwurf beleben, dass Spitzensport oder Bundesligafußball, hochgepuschte Sport-Events in Zeiten wie diesen nicht systemrelevant, sondern irrelevant und ein Risikofaktor sind. Ja, Fußball und Spitzensport sind eine lukrative Wirtschaftsbranche und ein gewinnbringender Faktor der Unterhaltungsindustrie. Und bleiben trotzdem eine Nebensache. Sport in Krisenzeiten und danach: Darüber geben in den Wannseegesprächen von sportspitze.de unabhängige FreundInnen und ExpertInnen in Sachen Sport Auskunft.

Professor Gunter Gebauer, Philosoph und Sportsoziologe, ist seit Jahrzehnten ein kritischer Begleiter des Sports. „Eigentlich müssten wir jetzt noch über eine weitere Herausforderung des Sports reden, den Klimawandel“, sagt Gebauer, als er an diesem heißen Augusttag zum Termin an den Berliner Wannsee kommt.

Ja das ist ein weiteres Thema, das den Sport in Zukunft noch intensiver beschäftigen wird, als ihm lieb ist.

Nicht überraschend ist Corona heute unser Thema. Die Pandemie wirkt wie ein gesellschaftliches Brennglas, und schon lange vorhandene Probleme treten deutlich zu Tage: Welche sind das im (Spitzen-)Sport?

Der Spitzensport muss seine Stellung zur Gesellschaft bestimmen. Dafür braucht er Wortführer, die in der Lage sind, dieses Verhältnis zu bestimmen. Von Seiten des Sports müsste ein Vorschlag gemacht werden, der mehrere grundlegende Probleme klärt“, sagt der Professor.

Die da wären?

Mein erster Punkt ist: Was kann der Sport für die Gesellschaft leisten? Ist seine Rolle in der Krise durch ein Virus, das die Körper aller Menschen angreift, immer noch wichtig? Oder ist sie gerade verzichtbar geworden, weil es nicht um Gesundheit im Allgemeinen (die ‘Trumpfkarte’ des Sports), sondern um Vermeidung von Kontakt und Ansteckung geht?

Die zweite Frage, die es zu beantworten gilt: Tritt in einer solchen Situation nicht das Interesse an Spitzenleistungen gegenüber dem Interesse zurück, das eigene Leben zu erhalten?

Drittens: Kann der Spitzensport die moralischen Ressourcen einer Gemeinschaft stärken und ihr Mut zur Überwindung der Krise geben? Hat der DOSB diesen Aspekt überzeugend dargestellt? Und könnte der organisierte Sport diesen Beitrag für die Gesellschaft mit eigenen Mitteln erbringen? Wenn nicht, warum könnte er das nicht?

Und viertens wäre da: Welchen Wert hat der Sport in einer Situation der Krise im Vergleich zu anderen Bereichen des öffentlichen Lebens, beispielsweise zum Theater, zur Musikkultur, zur Dichtung, zu den Performativen Künsten und zur Bildenden Kunst? Kann er Allianzen mit diesen bilden? Gibt es Gespräche mit Vertretern dieser Bereiche? Wenn nicht, warum nicht?

Es ist höchste Zeit, dass der organisierte Sport gute Antworten auf diese Fragen findet“, sagt der Philosoph.

Weniger Arbeitsanfall – Kurzarbeit

Da viele Events und die Olympischen Spiele ausgefallen sind, würde man glauben, dass der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) nun gerade wegen des Wegfalls dieser Events die Chance nutzen würde, die MitarbeiterInnen vielleicht mit zukunftsweisenden Aufgaben und aktuellen Problemlösungen zu beschäftigen. Mitnichten: Der DOSB hat seine 170 MitarbeiterInnen im Haus des Sports in Frankfurt am Main bis Anfang August in Kurzarbeit geschickt. Begründung: Wegen der Absage der Spiele und zahlreicher DOSB-Veranstaltungen wird kurzfristig mit einem verringerten Arbeitsanfall gerechnet. Mehr Arbeit scheint es nicht geworden zu sein, denn eine weitere Kurzarbeitsphase steht im Raum. Die MitarbeiterInnen sehen das allerdings anders – es gebe genug zu tun… Man rede „hauptsächlich über den vermeintlichen Problemlöser Geld und wenig über inhaltliche Kurskorrekturen“, hört man von ihnen.

Das mit dem Geld klappt auch diesmal – obwohl zum Beispiel der Auftritt des DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann vor dem Sportausschuss nicht so gut ankam. Aber die Politik knickt immer ein, wenn es um Sport und Fußball geht. Wenn schon keiner ins Stadion oder  in die Halle als Zuschauer darf, dann sorgen  PolitikerInnen für ein finanzielles Trostpflaster in den Kassen der Proficlubs. Die warten nun auf die Richtlinien, wer wie das Steuergeld abrufen kann. Das Bundesinnenministerium hat die Eckdaten erarbeitet, die Richtlinien sollen spätestens Anfang September kommen.

Ist das noch verhältnismäßig?

Professor Gebauer, es gibt mittlerweile kaum einen gesellschaftlichen Bereich, der nicht Geld vom Staat fordert. Es verdichtet sich mehr und mehr der Eindruck, dass Corona auch für Versäumnisse und Fehler der Vergangenheit herhalten muss. Auch im Sport verfestigt sich dieses Bild. Denn Profiverbänden und –vereinen werden Millionen z.B. für entgangene Zuschauereinnahmen aus Steuergeld zugesichert. Ist das alles noch verhältnismäßig?

Die simple Forderung finanzieller Unterstützung, ohne weitere Begründung und ohne belastbare Verlustrechnungen erweckt den Eindruck, man wolle den vorbeiziehenden Lastkahn mit Mitteln, die relativ frei vergeben werden, auf keinen Fall verpassen. Aus der Sicht von Lobbyvertretern ist diese Haltung verständlich. Sportvereine funktionieren aber anders als die Industrie. Sie haben Mitglieder, die Vereinsbeiträge zahlen. Der DOSB ist einer der mitgliederstärksten Verbände der Welt. Er hat vermutlich die meisten ehrenamtlichen Mitarbeiter, eine dichte Organisationsstruktur und wird von den Kommunen gefördert. Von Seiten des DOSB müßte differenziert angegeben werden, welche Sportarten der öffentlichen Unterstützung bedürfen. Und warum die Gesellschaft ein Interesse an ihrer finanziellen Unterstützung hat“, so Gebauer.

Aber es gibt ja Verbände und besonders Vereine, die nicht um Geld betteln, sondern sehr kreativ sind, sich selber helfen.

Ja, man erfährt auf den Sportseiten der Qualitätspresse von einer ganzen Reihe einfallsreicher Initiativen einzelner Fachverbände, Vereine und Veranstalter. So entsteht der Eindruck: Trotz aller Beschränkungen kann man Veranstaltungen wie Turniere und Meisterschaften durchführen, zwar unter restriktiven Bedingungen, aber interessant genug, um das öffentliche Interesse an der jeweiligen Sportart wach zu halten.“

Welche Rolle spielt der Spitzensport?

Apropos öffentliches Interesse. Das ist nun seit Jahren ein Punkt, wo sich viele BundesbürgerInnen fragen, welche Rolle spielt der Spitzensport denn in dieser Republik und welche sollte er spielen? Gerne wird ja vom Sport auf die Kultur verwiesen, die ja s o v i e l Geld bekomme. Die Kulturschaffenden müssen in diesen Pandemie-Zeiten um Mittel kämpfen – dem Sport wird das Geld ohne große Diskussion von Bund und Ländern zugesagt. Was läuft da ab in dieser Republik?

Der neidische Blick auf die Kultur und Kulturschaffenden ist etwas peinlich. Es gibt so viele Schauspieler, Sänger, Musiker, Kabarettisten, Artisten, frei schaffende Künstler, die keine Möglichkeit haben, finanzielle Ressourcen zu bilden. Sie haben keine öffentlichen Auftritte; Lesungen und Vorstellungen werden abgesagt, Filmdrehs werden verschoben. Kaum einer von ihnen hat einen Sponsor, einen Mäzen, ein Unterstützer-Netzwerk, einen Verein oder eine Kommune, die einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen kann. Ihre künstlerische Performance ist ihr Beruf, den sie zu 100 Prozent ausüben. Unter den Athleten der Sommer-Sportarten sind sehr viele Studierende – sie hätten im Prinzip die Möglichkeit, den Ausfall der Wettkämpfe für ihre Ausbildung zu nutzen. Das ist sicher recht schwer, aber es ist möglich!“, so Professor Gebauer.

Pandemie als Chance

Und man fragt sich, warum darüber nicht öffentlich diskutiert wird. Wie über so vieles nicht. Denn die Pandemie wäre – wie gesagt – die Chance, dass der Sport sich sortiert: Spitzensport als Geschäftsmodell ähnlich den USA mit AthletInnen, die dort auf internationalen und nationalen Events ihr Geld verdienen, indem sie für Geldgeber wie Unternehmen, Fernsehsender, reiche Scheichs etc. an den Start gehen. Staatliche Subventionen nur noch für den Breitensport. Schließlich ist das ja die ursprüngliche Aufgabe des Deutschen Sportbunds gewesen, Bewegung und Gesundheit der Bevölkerung und den Schulsport zu fördern. Und das gilt doch sicher auch für die Nachfolgeorganisation DOSB?

„Ihr Vorschlag hört sich klar und rigoros an. Die Wirklichkeit ist, wie ich glaube, etwas anders. In den USA kommt die öffentliche Hand nicht für den Breitensport auf; der wird privat in Clubs betrieben und Spitzensport in den Profiligen, die ihre eigene Problematik haben (private Besitzer, kaum Dopingkontrollen, Verflechtung mit der Werbeindustrie etc.). Die Olympischen Sportarten werden hochprofessionell an den Universitäten und Colleges unter Prestige-Gesichtspunkten betrieben. Wer das Studienprogramm nicht schafft (was bei den Leistungsträgern nicht unbedingt gefördert wird), muss die Uni verlassen.

In Deutschland haben wir viel zu wenig Sponsoren und Mäzene, die eine wertvolle Sportart unterstützen, die kaum eigene Einnahmen generieren kann. Ich bin unbedingt dafür, dass man eine gute Argumentation entwickelt, die den kulturellen Wert bestimmter Sportarten darstellt und damit zeigt, dass sie mit öffentlichen Mitteln gefördert werden sollten. Wir haben in Berlin eine Arbeitsgruppe unter der Ägide des ehemaligen Kultursenators Volker Hassemer gegründet, die an einer solchen Argumentation arbeitet und Konzepte für die Integration von Kultur und Leistungssport vorschlägt. Daran sind neben Vertretern des Sports in gleicher Weise Repräsentanten der Theater-, Tanz- und Musikszene Berlins beteiligt.“

Schöne Illusionen

Ein schöner Gedanke, aber da sind die meisten Sportfunktionäre schneller weg als die Argumente vorgetragen werden. Wie ließ Schiller seinen Feldherrn Albrecht von Wallenstein sagen: “Ich kenne meine Pappenheimer.“ Also, Herr Professor, weg von schönen Illusionen: Welche Zukunft hat der bezahlte Sport, und wie muss er aussehen, wenn er denn eine hat?

Das Interesse an hohen sportlichen Leistungen und an spektakulären Live-Bildern professioneller AthletInnen ist nach wie vor sehr hoch. Ich kann mir aber vorstellen, dass nach dem Schock der Pandemie, der Angst um Gesundheit und der Erfahrung von Leid und Tod die Allüren und das aufdringliche Gehabe von hochbezahlten Athleten, das bornierte Auftreten von Sportmanagern, die übersteigerte Bedeutsamkeit von Sport weniger Akzeptanz haben wird. Der Sport kann das Leben mit Glück erfüllen, aber einen Sinn gibt man ihm auf andere Weise.“

Hinweis: DOSB-Präsident Alfons Hörmann forderte eine Unterlassungserklärung, die sich auf zwei Formulierungen des ursprünglichen Textes bezog. Dieser Forderung ist Sportspitze nachgekommen. Alle früheren Fassungen des Textes sind damit nicht mehr autorisiert.