Nach den Doping-Razzien in Seefeld und Erfurt: Warten auf den großen Knall und wirkliche Konsequenzen
Berlin, 10. März. Die jüngsten Doping-Razzien und ihre Nebenwirkungen haben die Sportfamilie nachhaltig verunsichert. Auch wenn seit dem spektakulären Auftreten von Polizei und Staatsanwaltschaft bei der Nordischen Ski-WM im österreichischen Seefeld und in der Erfurter Arztpraxis Schmidt einige Tage ins Land gezogen sind. Es herrscht weiter mediale Aufregung, teilweise selbst verursacht, weil man einem Athleten als „Enthüller“ auf dem Leim ging, der sich als geläutert darstellte, aber offensichtlich munter mit Blutinfusionen weitermachte. Gespannt warten nun alle, welche Namen welchen Blutbeuteln zugeordnet werden, die unter anderem in einer Erfurter Garage gefunden wurden. Wird nun wirklich ein „weltweit agierendes Netzwerk“ auffliegen, wie der Sprecher des österreichischen Bundeskriminalamts, Dieter Csefahn, vorhersagt? Oder wird am Ende nach aller Aufregung – wie üblich – wieder Gras über alles wachsen, ohne dass konsequent durchgegriffen wurde? Der Heidelberger Molekularbiologe und Antidoping-Kämpfer Werner Franke gibt sich da aus Erfahrung keinen Illusionen hin.
Viele, die den Sport – auch und besonders den nordischen Skisport – in unterschiedlichen Professionen seit Jahrzehnten begleiten, verfallen längst nicht mehr in Aufregung oder gar Schnappatmung, wenn mal wieder eine(r) aus der Spur geraten ist. Gerade noch als SiegerIn oder SpitzenläuferIn gefeiert, und dann das Elend: Als Doping-SünderIn ertappt, mit zerknirschtem Blick aus treuen blauen Augen, heult man reuig ein Geständnis in die Kamera und gelobt Besserung.
Zweifel sind angebracht – in jeder Hinsicht, wie nun das jüngste Beispiel des österreichischen Langläufers Johannes Dürr zeigt, der sich mit einem oscar-reifen Auftritt als geläuteter Dopingsünder präsentierte und wenig später als Wolf im Schafspelz entpuppte. Denn er hatte, nachdem er 2014 erwischt wurde, munter weitergedopt und soll sogar anderen Sportlern Tipps gegeben haben, wo man „Hilfe“ bekommt. Sicher kann man in dieser dopingverseuchten Spitzensportwelt offensichtlich mittlerweile nur noch darin sein: Es kann immer noch schlimmer kommen.
Ein Philosoph als Doping-Experte
David Müller ist Doktor der Philosophie. Vielleicht ist er deshalb so sachlich, analytisch und gelassen, weil er sich mit dem Menschen, dessen Fehlern und Abgründen während des Studiums ab und an auseinandersetzte. Denn eigentlich – sollte man meinen – müsste Müller dieser Tage nur noch rotieren: Der 35-Jährige ist „Leiter Information und Prävention der Nationalen Anti-Doping-Agentur NADA Austria“. Aufregung? Nein – er wusste ja durch die Zusammenarbeit mit den Behörden, dass etwas kommen würde.
Müller kennt sich in Sachen Doping aus wie wenige. Er promovierte 2014 in Wien zu dem Thema, mit dem er sich jahrelang beschäftigte und Fakten zusammentrug. Der Titel seiner 932 Seiten umfassenden, von Experten hochgelobten Dissertation: „Doping und dopingäquivalentes Verhalten in sportlichen und außersportlichen Handlungsfeldern“ (ISBN-10: 9783868840186). Der gebürtige Niederösterreicher stellt die Dopingproblematik und alles was dazugehört, überzeugend und ungeschönt dar. Mittlerweile ist die Arbeit zu einem Lehrbuch nicht nur für StudentInnen geworden.
Müller ist also der richtige Mann an der richtigen Stelle. Und gerade dieses Wissen, was so alles am Laufen ist, frustriert das nicht? Natürlich sei es nicht immer einfach. Frust, naja: „Wenn Sie genau wissen, da stimmt etwas nicht, aber es fehlt am Ende an Beweisen – das ist schon manchmal frustrierend. Deshalb ist ja die Zusammenarbeit wie jetzt in Seefeld mit Polizei und Staatsanwalt wichtig für uns. Sie haben mit ihren Ermittlungen nun justiziable Beweise beigebracht.“ Blutbeutel, Gerätschaften und Täter auf frischer Tat ertappt.
Erfindung der Finnen
Blutdoping git als eine „Erfindung“ der Finnen, die schon in den 1970-er Jahren im Sport damit hantiert haben. Es scheint in den letzten Jahren wieder verstärkt im Einsatz zu sein. Zwischendurch waren offensichtlich andere Methoden und Mittel mehr en vogue, die die Dopingfahnder erst einmal wieder in den Proben „entdecken“ mussten. Erlebt Blutdoping eine Renaissance? „Könnte man meinen“, sagt Müller. „Eigenblutdoping gehört aber zu den Dauerbrennern, weil es viel schwieriger ist, das nachzuweisen.“
Werner Franke sagt: „Eigenblutdoping ist die sauberste Art des dreckigen Geschäfts.“ Einerseits. Sieht man aber die Fernsehbilder des Langläufers Max Hauke, der noch mit der Kanüle und dem Blutbeutel am Arm in einem deprimierenden Zimmer verhaftet wird, dann läuft einem ein kalter Schauer den Rücken hinunter: Schmuddelecke, Dreck, Bakterien, Ekel schießen einem durch den Kopf. Und ein Deja-vu: Ist es Einbildung oder Erinnerung? 1985 bei der WM in Seefeld – das Zimmermädchen im Hotel, das entgeistert vor zwei Zimmern in Papierkörbe mit blutgetränkten Papiertüchern und Mullresten starrte und sich laut fragte: „Kann ein Mensch soviel Nasenbluten haben?“
Riskant
Damals war abgenommenes Blut nur wenige Wochen haltbar und wurde alle 14 Tage durchgetauscht, also zurückgeführt, und neues wurde abgenommen. Heute lagern die Blutbeutel über längere Zeiträume in Spezialkühlschränken bei minus 82 Grad. Der rote Saft wird mit speziellen Konzentraten angereichert, die später bei der Rückführung mit ausgewaschen werden. Das Risiko des Eigenblutdopings ist aber nach wie vor groß: Thrombosen, Embolien, Bluthochdruck, Belastungen des Herz-Kreislaufsystems können folgen. Bei nicht steriler Handhabung können lebensbedrohliche Blutvergiftungen auftreten. Und wenn Blut vertauscht würde, lauten die Risikofaktoren Hepatitis oder HIV-Infektion. Auch Unverträglichkeit mit Atemnot, Kreislaufkollaps und Schock wären möglich.
Aber das schreckt offensichtlich nicht ab. Sind das nun Draufgänger, Blödmänner, oder haben die einfach nur Gottvertrauen in den Arzt und ihr Umfeld? „Ich glaube, das Risiko sehen diese AthletInnen nicht. Das Ganze entwickelt sich ja über einen längeren Zeitraum, hat ja eine Vorgeschichte. Die fangen nicht mit der Nadel im Arm an, sondern es ist ein schleichender Prozess, wenn man so seine Leistung steigern will“, sagt Müller. Der deshalb auf Aufklärung setzt. Er ist ja auch für Prävention zuständig, „Wir können nicht früh genug anfangen, Nachwuchssportler zu warnen, ihnen klar zu machen, dass sie sich auch selbst betrügen“, sagt Müller.
„Lange Spieße“
Einsicht durch Überzeugungsarbeit? Der Sportdirektor des US-Skiteams, Jim Paige, sollte 2002 in Denver/Colorado vor Gericht erklären, warum er Blutdoping unterstützte und welcher Arzt das umgesetzt hat. Dort musste sich unter anderen der Vorsitzende des Doping-Kontrollprogramms des Nationalen Olympischen Komitees der USA, Dr Wade Exum, verantworten. Paige weigerte sich, den Namen des Arztes zu nennen und erklärte, dass man sich „angesichts der anderen Nationen, die Doping treiben, dazu gezwungen sah, mit gleich langen Spießen zu kämpfen“. Paige war es auch, der den Arzt bezahlte, der den Nordischen Kombinierer Kerry Lynch mit Wissen und Einverständnis des Trainers Doug Peterson bei der WM 1987 in Oberstdorf mit Blutdoping versorgte. Lynch war der erste, der Blutdoping einräumte und seine WM-Silbermedaille zurückgeben musste.
Ertappte Blutdoper hatten oft viele Erklärungen für ihre manchmal unerklärlichen Erfolge. Die kurioseste hatte der Allgäuer Johann Mühlegg, der nach diversen Auseinandersetzungen den Deutschen Skiverband verließ und dann für Spanien startete. Bei den Olympischen Spielen 2002 in Lake Placid erklärte er der Weltpresse, für seine phänomenalen Rennen, bei denen er Gold holte, seien eine Wunderheilerin und Wunderwasser verantwortlich. Ihm folgten noch viele Blutpanscher mit skurrilen Ausreden . Und immer wieder waren auch Österreicher dabei.
Es werden Wunder geschehen
Warum? 1991 titelte der Spiegel: „Es werden Wunder geschehen“. Denn: Nach dem Fall der Mauer wurden viele Trainer, Funktionäre und Mediziner aus der ehemaligen DDR in Österreich mit offenen Armen empfangen. Das ostdeutsche Know-how, so war zu lesen, werde sicher Auswirkungen auf den österreichischen Spitzensport haben – ohne allerdings damit explizit zu unterstellen, dass es da einen Transfer der systematischen Dopingpraktiken des „Staatsplanthema 14.25“ gebe. Ehemalige DDR-Cheftrainer standen so in Diensten des österreichischen Sports
Auch Biathlon-Chefcoach Kurt Hinze, der als Biathlon-Papst der DDR galt und wegen seiner Doping-Vergangenheit vom DSV ausgemustert wurde, leistete von da an im Nachbarland Entwicklungshilfe und baute das Biathlon-Zentrum Hochfilzen auf. Zu den „auffälligsten Importen“, schreibt Müller gehörten Doping-Stratege Bernd Pansold, Schwimmtrainer Rolf Gläser und Leichtathletik-Trainer Helmut Stechemesser.
Oberstaatsanwalt Kai Gräber, der Leiter der Schwerpunktstaatsanwaltschaft Doping in München, könnte sich vorstellen, dass die Recherchen rund um den neuesten Fall bis zum Beginn des Jahrtausends zurück- und auch über die Manipulationen im Skilanglauf hinausgehen könnten.
Ariadne-Faden
Was heißt das? Der Ariadne-Faden führt von den Ereignissen der Gegenwart auch in die Vergangenheit durch ein Spitzensportlabyrinth, das aus mehr als nur dem Skilanglauf oder einer DDR-Spur nach Erfurt besteht. Der Allgemeinmediziner Dr. Mark Schmidt ist in Erfurt zu Hause. Er hat Schlagzeilen im Zusammenhang mit Dopingvorwürfen gegen Radfahrer der Teams Gerolsteiner und Milram gemacht. Koordinierender Teamarzt bei Gerolsteiner war Ernst Jakob, Chefarzt der Sportklinik Hellersen in Lüdenscheid. Dort war Schmidt formal angestellt. Jakob war als Sportmediziner in Freiburg an einem Forschungsprojekt beteiligt, bei dem er – nach eigener Aussage – Skilangläufern aus dem Schwarzwald Testosteron verabreicht hat. 2006 in Turin sorgte Jakob mit für Aufsehen, als die Skilangläuferin Evi Sachenbacher mit einer fünftägigen Schutzsperre wegen unerklärlich hoher Blutwerte belegt wurde.
Mark Schmidt arbeitet jetzt in der Praxis seiner Mutter Heidrun, die in DDR-Zeiten als Ärztin beim SC Turbine Erfurt tätig war, wo unter anderem Ausdauersportler, also Läufer und Radfahrer, aktiv waren. Schmidts Vater Ansgar, der nun in Seefeld festgenommen wurde, war bis Dezember 2018 in der Kanzlei Spilker & Collegen in Erfurt als Anwalt tätig.
Spilker? Ja, es ist der Jochen Spilker, der in den 1980-er Jahren neben seinem Anwaltsjob auch als Leichtathletik-Cheftrainer von Eintracht Hamm zugange war und später Frauen-Bundestrainer wurde. Spilker und seine Methoden gerieten 1990 in den Fokus. Im „Spiegel“ wurde das Dopingsystem um Jochen Spilker beschrieben. Das sogenannte „Hammer-Modell“ beinhaltete, Sprinterinnen männliche Hormonen zu verabreichen. Dafür wurde Spilker 1994 wegen „Inverkehrbringens von Fertigarzneimitteln entgegen §21 des Arzneimittelgesetztes ohne Zulassung“ zu einer Geldstrafe verurteilt.
Gut vernetzt
Der Westdeutsche Spilker zog 1990 nach Ostdeutschland – nach Erfurt in Thüringen, eröffnete dort eine Anwaltskanzlei, spielte schnell eine gesellschaftliche Rolle, stieg auch wieder in den Sport ein: Als Vizepräsident des Landessportbundes Thüringen. Er knüpfte ausgezeichnete Verbindungen in die Politik. Zwei ehemalige Landesminister, ebenfalls aus dem Westen , Andreas Birkmann und Manfred Scherer, die vorher als Ressortchefs für Justiz und Inneres auch für Doping zuständig waren, sind jetzt Kanzleikollegen. Ebenso wie der Vater von Mark Schmidt, der in der Thüringer Sporthilfe aktiv war, die sich besonders für Nachwuchssportler engagiert, nach dem Motto: Auf dem Weg vom Talent zum Weltmeister. Schmidt wurde 2017 aus dem Sporthilfe-Vorstand verabschiedet.
Sein Sohn, der im Bereich Leistungsdiagnostik promovierte, betreute offensichtlich „etwa 50 bis 60 Sportler regelmäßig: vor allem Schwimmer, Radsportler, Fußballer, Handballer und Leichtathleten“, wie er 2014 im Deutschen Ärzteblatt berichtete.
Und weiter sagte er in dem Bericht, sein Herz hänge – als ehemaliger Leistungssportler – an der Sportmedizin. Woran hängt sein Herz noch? Am Wohlergehen der Kundschaft, die auf Parkplätzen in Autos oder in extra angemieteten, nicht unbedingt nun sterilen, Räumen angezapft wurden? Ging es nicht eher um ein erfolgreiches Geschäftsmodell, das dem Sportmediziner und den anderen Beteiligten am Herzen lag?
Lückenlose Aufklärung
Niemand in Thüringen oder im deutschen Sport will etwas mitbekommen haben. Alte Seilschaften funktionieren offensichtlich immer noch gut, neue Seilschaften noch besser. Es klingt lächerlich, wenn der Thüringer LSB -Vorsitzende Stefan Hügel von „lückenloser Aufklärung“ spricht. Ist daran jemand wirklich interessiert? Wie war das vor sieben Jahren, als der Arzt Andreas Franke AthletInnenUV-bestrahltes Blut zuführte? Müsste man nicht umso genauer als verantwortlicher Verband hinschauen, wen man beispielsweise für eine sportmedizinische Untersuchungsstelle lizenziert? Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Alfons Hörmann, sah sich bemüßigt, unmittelbar nachdem die Ereignisse bekannt geworden waren, sich zu distanzieren: „Die Vergabe der Lizenz ist Sache des LSB.“
Stimmt: Die Lizenz, die am 31.12.2018 ausgelaufen war, war aber offensichtlich gerade wieder verlängert worden. Dem LSB sei nicht aufgefallen, dass Mark Schmidt schon eine Weile in der Praxis dabei war. „Diesen Umstand haben wir leider bei der Fortsetzung der Lizenz für die betroffene Arztpraxis nicht berücksichtigt. Wir haben an dieser Stelle nicht tiefgründig genug die bestehenden Dopingbelastungen im Prozess um die Anerkennung der Lizenzfortschreibung als sportmedizinische Untersuchungsstelle bewertet“, sagt LSB-Präsident Hügel in einer Thüringer Zeitung. Schon der Satz wäre ein Rücktrittsgrund. Und noch erschreckender ist es, wenn Hügel – übrigens ebenso wie der DOSB-Präsident -sich erleichtert zeigt, dass ja in den Spitzen- und Nachwuchskadern niemand von der Schmidtschen Betreuung betroffen sei. Die anderen, etwa Kinder an Sportschulen oder in Vereinen, die dort betreut wurden, was ist mit denen?
Wer kontrolliert wen?
Der DOSB hielt es offensichtlich für geboten, am Freitag nach der „Operation Aderlass“ eine Pressemitteilung über die Verfahren im Rahmen der sportmedizinischen Untersuchungen unter dem Titel „Keine systematische Betreuung von Kaderathleten in beschuldigter Praxis“ herumzuschicken. Nicht erst diese Pressemitteilung wirft Fragen zu medizinischen Untersuchungszentren und Untersuchungsstellen und dem dort arbeitenden Personal auf. Und: Wer kontrolliert wie wen? Könnte es sein, dass Kontrolleure und Lizenzvergeber sich selbst kontrollieren? Was entscheidet beispielsweise die Medizinische Kommission des DOSB, wo Experten wie ihr Vorsitzender Bernd Wolfarth, gleich in Mehrfachfunktion im Sport – etwa als Mannschaftsarzt der deutschen Biathleten – tätig sind?
Erkenntnis ohne nennenswerte Folgen
„Ärzte, die Leistungssportler betreuen, stehen in einem Spannungsverhältnis. Einerseits verstehen sie sich als Heiler und Behandler, anderseits wird von ihnen erwartet, als Leistungsoptimierer tätig zu sein. Sie bewegen sich im Spannungsfeld der Wünsche der Athleten, der Erwartungen von Publikum, Verbänden, Sponsoren und Managern, dem jeweils eigenen professionellen Interesse an der Gesundheit und der Leistung der Athleten und ihren eigenen Wünschen nach Profilierung. Hinzu kommt, dass Sportmediziner, die Leistungssportler betreuen, in höherem Maße als andere Mediziner institutionell gebunden sind. Nach den Zielen des Wohls und des Erfolgs der Sportler sind sie Organisationen und Institutionen (Sportverbänden, Sponsoren, öffentlichen Förderern) verpflichtet und dadurch mit Loyalitätskonflikten konfrontiert. Darüber hinaus setzen sich viele Betreuer auch selbst unter Erfolgsdruck. Das gilt insbesondere für jüngere Sportmediziner. Sie haben einen höheren Reputationsbedarf als ältere und neigen eher dazu, auf entsprechende Wünsche der Sportler bzw. ihrer Verbände einzugehen. Die Arbeit und enge Vertrautheit mit prominenten Sportlern steigert das Ansehen, führt aber leicht zu persönlichen und finanziellen Abhängigkeiten.“
Wenig Konsequenzen
Soweit die Ethikkommission der Deutschen Ärztekammer 2009. Eine Lageanalyse, die sich wie ein Persilschein liest. Denn trotz der Erkenntnisse sind Konsequenzen gegen Doping unterstützende Mediziner doch eher die Ausnahme. „Entsprechende Meldungen an die Standesvertretungen führen zu keinen oder nur eingeschränkten Sanktionen“, bemängelt auch Müller in seiner Dissertation nach umfangreichen Recherchen. Frage: Gilt der Hippokratische Eid auch für Sportmediziner? Sollten sie nicht zuallererst und nur dem Wohl und der Gesundheit der Menschen/Athleten verpflichtet sein?
Der ehemalige Leichtathlet, Trainer und renommierte Anti-Doping-Kämpfer Henner Misersky gehört schon lange zu denjenigen, die ein härteres Vorgehen auch gegen Ärzte fordern. In einem Interview in der „Thüringer Allgemeinen“ antwortete er auf die Frage, wer denn nun die Kriminellen sind – Sportler oder Ärzte: „Es ist eine Betrugsgemeinschaft, auch wenn die kriminelle Energie bei Arzt und Sportler nicht unbedingt aus gleichen Motiven gespeist wird. Ich frage mich seit langem, warum betreuende Mediziner bei Großveranstaltungen nicht ihr Equipment mit Zentrifugen, Medikamentenlisten, Infusionstechnik offenlegen müssen.“
Bewusst integriert
Verfilzt, verkrustet, intransparent. Misersky wundert es nicht, dass im Sport auch 30 Jahre nach der Wende, nach dem Ende auch des sportlichen Wettrüstens zwischen Ost und West Betrüger, Manipulateure und Geschäftemacher dicke mitmischen. „Das ist ja nicht systembedingt. Es ist gleichgelagert wie damals, nur mit anderen soziologischen Nuancen. Denn auch in der DDR haben zumindest die volljährigen Sportler gewusst, dass sie sich bewusst in ein Betrugssystem integrieren.“
Der Doping-Bekämpfer David Müller ist ebenso wie Misersky überzeugt, dass man vieles verbessern und Betrügern das Handwerk legen könnte. Aber will man das überhaupt? Unabhängige Kontrollen und Dopingfahnder, konsequente und nicht willkürliche Verbotslisten, sinnvolle Grenzwerte, unabhängig überprüfte Ausnahmeregelungen oder logische Zusammensetzungen von Testpools wären auf seiner To-do-Liste, wo man ansetzen könnte, wenn man es ernst meinte.
Reflexartige Beteuerung
Empört waren in den letzten Tagen auch deutsche, vor allem nordische SportlerInnen, die davon sprachen, dass „Idioten“ den Sport „ruinieren“. Schon fast reflexartig beteuern AthletInnen, dass sie sauber sind, sich nichts vorzuwerfen haben. Und die Offiziellen schwafeln mit ernster Miene von „lückenloser, brutaler Aufklärung“. Bemerkenswert die Einlassung des DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann im ZDF: „Seitens des DOSB kann ich sagen: Hoffentlich gibt es bald die notwendige Klarheit. Da sind wir nicht in Sorge, sondern in Vorfreude. Es gibt nicht Schlimmeres als die Phase der Spekulationen oder Interpretationen.“ Die Vorfreude wäre erklärungswürdig.
Vielleicht, weil „keine deutschen Sportler – Stand heute – betroffen sind“, wie Hörmann letzten Sonntag im TV-Gespräch betonte. Aber Vorsicht: Böse Buben und Mädchen, die am Tropf oder sonstwo hängen, gibt es überall, wie sich nun ganz deutlich zeigt.
Anti-Doping-Gesetz trotz Widerstand
Die Deutschen haben seit vier Jahren ein Anti-Doping-Gesetz. Nicht ohne Grund: Der deutsche Sport, immer auf Autonomie und eigene Gerichtsbarkeit pochend, hat jahrzehntelang in Sachen Doping nichts richtig auf die Reihe gekriegt. Die Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Dagmar Freitag verweist auf die Bedeutung des Anti-Dopinggesetzes. das eine schwere Geburt war. Bis zuletzt hatte sich der Sport gewehrt. Sportverantwortliche würden sich jetzt wieder „erschüttert“ zeigen, doch Erschütterung alleine reiche nicht, um den Sport sauber zu halten. „Dafür braucht es eine gesetzliche Grundlage, die wir in Deutschland seit Ende 2015 mit dem Anti-Doping-Gesetz gegen den erbitterten Widerstand des DOSB verabschiedet haben“, wird sie im sid zitiert.
Das Gesetz scheint aber nicht unbedingt die abschreckende Wirkung zu haben, die es haben sollte. Misersky begründet das so: „Weil bisher in Deutschland kein am Dopingbetrug beteiligter Mediziner seine Approbation verloren hat und keiner ins Gefängnis musste. Nur mit diesen Konsequenzen würde die Hemmschwelle höher sein und die Szene kalte Füße bekommen.“ Übrigens – nicht nur der DOSB und sein ehemaliger Präsident und jetziger IOC-Chef Thomas Bach hatten sich gegen das Gesetz gesträubt, auch viele Fachverbände und, oh Wunder, viele im Landessportbund Thüringen wollten es nicht.
Politik und Sport sehen sich in Deutschland als Partner. Doch nach den jüngsten Ereignissen ist ernsthaft die Frage zu stellen, ob Politik nicht endlich über einen Rollenwechsel nachdenken muss: Bund und Länder als Geldgeber sollten als kritische Kontrolleure und nicht als distanzlose Claqueure auftreten. Doch diesen Part hat die Politik bisher nicht angenommen, was am jüngsten Reformversuch des deutschen Spitzensports beispielhaft zu sehen ist.
Und die AthletInnen? Was Müller im Rahmen seiner Recherchen doch „erschüttert“, sei die Einstellung zum Spitzensport und zur absoluten Spitzenleistung, die mit dem Import der DDR-Trainer nach Österreich eingezogen sei. Wie kann man diese Einstellung beschreiben? Um Erfolg zu haben, muss das getan werden, was der Trainer sagt – absolute Unterwerfung. „Befehlen und gehorchen“, erklärt Misersky den Umgangsstil im ehemaligen DDR-Sport, den nur wenige nicht mitgemacht haben. Und der an vielen Orten immer noch herrschst.
Noch mal zurück zum Anfang des Gesprächs mit David Müller, der eindringlich zum Schluss wieder auf Präventionsarbeit verweist. Man müsse die Athleten von Anfang an stark machen. Da setzt dann nicht nur der Philosoph Müller auf das Gute im Menschen, auf den Verstand der mündigen und in sich gefestigten AthletInnen. Zumindest bis zur nächsten Enttäuschung.