Walther Tröger zum 90. / Jahrzehnte im Dienst des nationalen und internationalen Sports
Berlin, 1.Februar – „Waren Sie mal wieder daheim?“ Selbst wenn ein großes Donnerwetter bevorstand, weil er sich mal wieder fehlinterpretiert sah, begann das Gespräch immer mit der Frage nach Neuigkeiten aus der gemeinsamen Heimat, dem Fichtelgebirge. Und endete stets versöhnlich. Nun wird der Mann, der internationale und deutsche Sportgeschichte mitgeschrieben hat, am 4. Februar 90 Jahre alt.
Walther Tröger ist – obwohl Jahrzehnte lang weltweit unterwegs und zwischenzeitlich in Frankfurt am Main zuhause – bodenständig und heimatverbunden geblieben. Seine Geburtsstadt ist Wunsiedel, die im sogenannten Sechsämterland liegt, das nach der historisch politischen Gliederung des Markgrafentums Brandenburg-Bayreuth und nicht wie irrtümlich viele meinen nach dem bekannten Kräuterschnaps benannt ist. Die Heimatstadt führt ihn stolz in der Liste berühmter Töchter und Söhne.
Betrachtet man seine Vita, dann war sein Geburtsort in vielfacher Hinsicht schon so etwas wie ein Omen. Denn Walther Tröger ist ein Mann der Ämter – er sammelte sie im Lauf seines Lebens wie andere Krawatten. Oder Briefmarken. Wer dem Oberfranken zuhört, wenn er auf seine Funktionärskarriere zurückblickt, verliert schnell den Überblick über Ämter und Auszeichnungen. Er dagegen erinnert sich an Details, die andere schon lange vergessen haben.
Der Mann mit der Aktentasche
Dem Mann, der immer mit einer prall gefüllten Aktentasche unterwegs war, wird ein Elefantengedächtnis nachgesagt – er weiß alles und vergisst nichts. Manchem, der zusammen mit ihm eine Weile im Sport unterwegs war, und der heute im Sport ganz vorne steht, ist das gute Gedächtnis nicht unbedingt genehm.
„Zu Fuß bin ich nicht mehr so flink unterwegs, aber mein Kopf arbeitet nach wie vor, auch wenn alles etwas langsamer geht“, sagte er bei einem längeren Telefonat. Und trifft man ihn, ist er immer irgendwie noch wuselig wie früher, ist mittendrin in der „Sportfamilie“ und wirkt dann doch, wenn er mit seinem Rollkoffer im Schlepptau durchs Foyer zieht, im Kreis der geschniegelten Business-Funktionäre wie aus der Zeit gefallen. Walther Tröger ist einer der letzten aus der Garde der Funktionäre mit Statur, mit dem Ruf von Verlässlichkeit, Werten, Leidenschaft und Freude für und am gesamten Sport.
Es waren andere Zeiten, als er an den Sporthebeln saß. Aber wenn er mit WegbegleiterInnen in Erinnerungen schwelgt, dann überwiegen – neben manchen schlechten – die guten Anekdoten.
„Erinnern Sie sich… da habe ich…“ Und dann erzählt er, als ob es gestern gewesen wäre, Namen, Ereignisse – es sprudelt. Und manchmal hält er inne, wenn er merkt, dass er das jetzt etwas zu rosarot erzählt. Da kommt dann der sachliche, manchmal penible Walther Tröger durch, der selbst in der Erinnerung nicht verklären will, was nicht zu verklären ist.
Über 40 Jahre kennen wir uns? Nee, das glaub ich nicht. „So alt sind Sie doch noch gar nicht.“ Ein charmanter Versuch, sein Gegenüber zu trösten, dass die Zeit auch da an mittlerweile grauen Haaren abzulesen ist. Dabei – das kann alles noch nicht so lange her sein?
Vom ADH zum IOC
Nach seinem Jurastudium in Erlangen wurde er 1953 Geschäftsführer beim Allgemeinen deutschen Hochschulverband. 1961 wechselte er in die Geschäftsführung des Deutschen Sportbundes (DSB) als Abteilungsleiter Internationale Beziehungen. 1970 übernahm er offiziell das Amt des Generalsekretärs des Nationalen Olympischen Komitees von Deutschland (NOK), obwohl er schon neun Jahre lang dessen Aufgaben erledigte.
Die Ämterliste wuchs und wuchs. Nicht nur in seiner Sportart Basketball, die seine Leidenschaft ist, wurden ihm Ämter und Arbeit angetragen: 1991 kam der Ruf in die Programm-Kommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), ab 1983 stand er dem IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch zur Seite. Bis 1990 pendelte Tröger zwischen dem IOC-Sitz Lausanne und der Zentrale des Deutschen Sports in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise.
Und da war er in einer schwierigen Lage: Er gab nicht selten so etwas wie den Vermittler zwischen zwei Dienstherren und Männern, die sich nicht unbedingt mochten: dem NOK-Präsidenten Willi Daume und dem IOC-Chef Samaranch, die in vielen Dingen diametral entgegengesetzter Meinung waren. Ein Balance-Akt für Tröger zwischen Loyalität, Sacharbeit und Politik. Er habe diesen Spagat ziemlich gut hinbekommen, lobten ihn damals Wegbegleiter.
Rollenwechsel mit Problemen
Aus dem Hauptamtler mit vielen Ehrenämtern wurde im Dezember 1992 der ehrenamtliche Präsident: Tröger trat die Nachfolge von Willi Daume im NOK an. Mit der neuen Rolle hatte er anfangs Schwierigkeiten – der Vergleich mit dem Visionär, Vordenker Willi Daume nervte und ärgerte ihn. Er, der immer als der kühle Technokrat, Taktiker, Pragmatiker und – am allerschlimmsten – als Betonkopf beschrieben wurde, fühlte sich von Öffentlichkeit und Medien ungerecht beurteilt und missverstanden. Obwohl den Fichtelgebirglern nachgesagt wird, dass sie wie der dort abgebaute Granit hart im Nehmen seien, war Tröger dann doch angefressen. Andere Meinungen, konstruktive Kritik – das nahm er oft als persönlichen Angriff. Und sofort ging er nicht selten barsch in Verteidigungs- und Rechtfertigungsstellung.
Das war die Zeit, in der Walther Tröger auch gerne Briefe schrieb: An JournalistIn oder ChefredakteurIn, wenn aus seiner Sicht doch sachlich einiges zu klären war. Streit und Diskussionen ging er nicht aus dem Weg – die zog er unter vier Augen ebenso wie öffentlich mit seinen FunktionärskollegInnen, PolitikerInnen oder JournalistInnen durch. Und wenn das geklärt war, war das geklärt.
Nachtragend? Walther Tröger, wie anders könnte es bei so vielen Ämtern sein, hat sich viele Freunde, aber auch manchen Feind fürs Leben gemacht. Die wenigen, denen er nicht besonders zugetan ist, sind ihm aber ganz sicher nicht nur beruflich auf die Füße getreten, sondern haben ihn auch persönlich verletzt. Und da bleibt er – trotz Altersmilde – dann doch unversöhnlich. Aber der Macher Tröger hat viele weiche Stellen, was sich an seinem Einsatz für den Behindertensport oder die Förderung des Sports in Entwicklungsländern zeigt. Das waren und sind Herzensangelegenheiten.
Athleten-Interessen vorrangig
Tröger, der von der Pike auf das Sportgeschäft gelernt hat, wusste genau, wovon er redet, kannte Machstrukturen und die Wege, wie Dinge in Gang zu bringen sind. In einer NOK-Pressemitteilung zu seinem 65. Geburtstag schrieb der Laudator: Tröger sei „der präzise, kompetente Pragmatiker, der jeder Vordergründigkeit abhold ist und nach dessen Selbstverständnis bei allen Entscheidungen im Sport der Athlet im Mittelpunkt zu stehen hat und dessen Interesse vorrangig zu beachten ist“.
Das trifft zu, und Tröger selbst würde dies sicher auch heute noch so unterschreiben. Vieles andere nicht mehr. Entwicklungen im nationalen und internationalen Sport würden nicht nur ambivalente Gefühle, sondern nicht selten „Bauchschmerzen“ auslösen. Da sei nicht nur vieles im Argen, sondern auch nicht mehr nachzuvollziehen.
Tröger konterte einst den Vorwurf, er sei nur Verwalter, kein politischer Kopf und erst recht kein Visionär, mit dem Satz des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt: „Wer Visionen hat, gehört zum Arzt.“ Wenn nicht Visionen, so hatte er für viele Situationen Gespür, die Erfahrung und Weitsicht: Die Fusion des DSB mit dem NOK sah er als einen großen Fehler. Viele Befürworter von damals sehen das heute auch so. Selbst der letzte DSB-Präsident Manfred von Richthofen, ein leidenschaftlicher Fusions-Befürworter, korrigierte sich einige Zeit später, nachdem er sah, wie Fusions-Präsident Thomas Bach den neuen Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) führte. „Tröger hatte Recht. Die Fusion ist Krampf, das war ein Fehler.“
Auch die Reformaktionen beobachtet er mit gewisser Skepsis– nicht zuletzt deswegen, weil er so einige schief laufende Erneuerungs-Versuche im deutschen Sport miterlebt hat. Wenn er über die internationale Sportbühne spricht, dann fällt das Wort „beunruhigend“. Viele Dinge, die er früher verteidigt hätte – etwa die (heute ungebremste und unkontrollierte ) Kommerzialisierung -, sieht er kritisch. Die Performance der Handelnden sei auf vielen Feldern mehr als problematisch. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt… und die heißt: Wende zum Guten, back to the roots, der Olympischen Idee.
Der Virus Sport
Hofft einer, der seit über 60 Jahren im Dienste des Sports steht und auch negative Erfahrungen machen musste. Aber trotzdem den Virus Sport nie los geworden ist. Auch dann nicht, als man innerhalb der eigenen Reihen nicht besonders freundlich mit ihm umging. Die schmerzlichste Niederlage für ihn war wohl – nach zehn Jahren NOK-Präsident, als er 2002 bei der Mitgliederversammlung in Nürnberg aus diesem Amt gewählt wurde. So einfach wollte er sich aber nicht abservieren lassen: Das Stimmenpaket war längst zugunsten des Ex-Schwimmers Klaus Steinbach geschnürt. Aber Tröger hielt an seiner Kandidatur fest – und ließ sich auch nicht mit Versprechungen davon abbringen. Eine weitere bittere Enttäuschung für ihn war, dass er 1992 nicht in die IOC-Exekutive gewählt wurde. Niederlagen, die er nicht vergessen, aber verdaut hat.
Aber was sind diese Momente gegen die schwärzesten und schlimmsten Stunden in seiner beruflichen Laufbahn, die in seinem Leben tiefe Spuren hinterlassen haben? Der Terroranschlag während der Spiele 1972 in München, wo er Bürgermeister im Olympischen Dorf war und das Grauen hautnah erlebte. „Da verliert man den Glauben an die Menschheit. Und das Gefühl, jemandem ausgeliefert zu sein, nicht zu wissen, wie es ausgeht, ist kaum auszuhalten“, sagte er Jahre später einmal in einem Gespräch.
Politik – die sollte tunlichst draußen bleiben aus dem Sport. Da hat er wohl spätestens seit den Spielen in Peking 2008 und der aktuellen Entwicklung mittlerweile auch einen Perspektivwechsel vollziehen müssen.
Er konnte sich über Politik aber dennoch ziemlich echauffieren: Nämlich, wenn seine Heimatstadt mal wieder wegen Neonazis Schlagzeilen machte, die zum Grab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess marschierten. Er atmete auf, als „die Kultstätte“ 2011 endlich aufgelöst wurde.
Nichts für Feiglinge
„Altwerden ist nichts für Feiglinge“, sagt Tröger und zitiert damit den verstorbenen Joachim Fuchsberger, dem er freundschaftlich verbunden war, seitdem „Blacky“ bei den Spielen in München Stadionsprecher war. Walther Tröger stellt sich dem Alter, „trotz mäßiger Befindlichkeit“, wie er sagt. Und auch den Feierlichkeiten, die nun auf ihn warten: Am Montag wird das mit seiner Familie im kleinen Kreis sein. Und am Dienstag feiert ihn dann der Sport, der ihm so viel zu verdanken hat, auf einen Empfang, den der DOSB ausrichtet. Also dann: Mit einem Stamper Sechsämtertropfen – ad multos annos!