Alt-Kanzler Schröder und Genossen springen diesmal auf Olympiazug
Berlin, 22. Februar. Die einzige Entschuldigung ist, dass sie das Kraut, das sie geraucht oder inhaliert haben, irgendwie nicht vertragen: Denn wie kann man sich als ernst zu nehmender Mensch zu diesem Zeitpunkt auf eine neuerliche Bewerbungs-Debatte um Olympische Spiele einlassen? Mit Kopfschütteln und Unverständnis wird – auch sportintern – seit geraumer Zeit schon der Olympia-Aktionismus in Nordrhein-Westfalen bedacht, den der Vermarktungsexperte und Sportveranstalter Michael Mronz zunächst mit Unterstützung der SPD/Grünen-Regierung und nun der CDU/FDP-Regierung vorantreibt.
Und nun löst Alt-Kanzler Gerhard Schröder bei seinem Besuch in Pyeongchang eine neuerliche Debatte aus – und will die deutsche Hauptstadt wieder ins Rennen schicken. Was für eine Schnapsidee, die vermutlich bei Korn und Bier im Deutschen Haus entstanden ist. Und gleich springen Genosse Regierender Bürgermeister Michael Müller, sein Innensenator Andreas Geisel (der bisher ziemlich vernünftig schien) zusammen mit CDU-Bundestagsabgeordneten, Sportausschussmitglied und Chef der Füchse, Frank Steffel, Kawed Niroomand, Geschäftsmann und Manager der BR Volleys, sowie Markus Voigt, dem Vorsitzenden des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI), aufs ungesattelte Pferd, um zügellos loszugaloppieren. Und man fragt sich: Geht’s noch? Haben die aus der letzten Bewerbung nichts gelernt?
Ausgeleierte Klaviatur
Voigt und Niroomand spielen die übliche, ausgeleierte Klaviatur: Olympia sei die Chance, Wohnungsbau und Stadtentwicklung zu verbinden. Vielleicht sollten sie sich mal mit einem Experten für Stadtentwicklung wie dem US-Amerikaner Christopher Gaffney zusammentun, der sich seit langem mit den Auswirkungen von Sport-Großveranstaltungen auf Ausrichterregionen befasst. Er kommt nämlich zu dem belegbaren Schluss, dass „alle Olympischen Spiele unter dem Strich verheerende Auswirkungen haben“. Anschauliche Beispiele: In Turin (2006) oder Vancouver (2010) schlagen sich die Städte noch immer mit jeweils mehreren 100 Millionen Defizit herum. Athens Olympiastätten waren ein Beitrag zur Pleite des ganzen Landes und gammeln vor sich hin. Man hätte mit den verschleuderten Olympia-Milliarden, so heute das bittere Fazit, zum Beispiel das Sozialsystem verbessern können.
Also, wenn schon die letzte deutsche olympische Bewerbungspleite, wo man zu allem Überfluss auch noch Hamburg und Berlin gegeneinander hetzte, nicht reicht, um olympische Gelüste zu bremsen, dann müssten das doch die unüberseh- und -hörbaren Erschütterungen schaffen, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) und dessen Protagonisten in die Schlagzeilen wirbelten. Fast keine Woche verging und vergeht, wo nicht Skandale rund um die olympische Familie aufgedeckt werden. Und dann auch noch der unsägliche Umgang des IOC mit der Dopingproblematik – der schreckt nicht nur sportaffine Menschen mehr und mehr ab.
Nix mitgekriegt?
Frage also: Was haben sich die Politiker und Kaufleute gedacht, die nun Berlin neuerlich in ein riskantes Abenteuer stürzen wollen? Haben sie nix mitgekriegt? Vor allem auch nicht, dass viele BürgerInnen, nicht nur in Berlin, derzeit wenig Lust auf Olympia, geschweige denn eine Diskussion darüber haben wollen, weil die Republik und besonders auch die Hauptstadt andere Sorgen haben?
Viele Städte und Regionen in Europa und Übersee haben in letzter Zeit ihre Olympiapläne ad acta gelegt – und Tokio, Gastgeber für die Sommerspiele 2020, würde lieber heute als morgen die Ausrichtung zurückgeben: Schon jetzt ist Japan, ein reiches Industrieland, weit, weit über seinem Budget und musste vieles zurückfahren, will es nicht den finanziellen Kollaps riskieren.
Trotz Nachhaltigkeits- und Abspeckversprechen des IOC und internationaler Verbände: Die Ansprüche und Forderungen sind geblieben. In den Host-City-Verträgen, die das IOC mit den Ausrichterstädten abschliesst, diktiert das IOC nach wie vor die Regeln. Das aktuelle Beispiel Pyeongchang zeigt, wie Milliarden in den Sand – in diesem Fall in den Schnee – gesetzt wurden, um für 14 Tage ein Spektakel zu veranstalten, bei dem dann die Gastgeberstadt draufzahlen wird, deren Einwohner kaum etwas davon haben, außer für zwei Wochen Jubel und Trubel mit Gästen aus aller Welt. Ski und Rodel gut? Von wegen. Die Koreaner können damit herzlich wenig anfangen – und die meisten hätten lieber auf das Spektakel verzichtet. Warum? Unter anderem, weil sie täglich auf die kahle, breite Pisten-Schneise mitten durchs Naturschutzgebiet schauen, wenn die Olympia-Karawane weiter gezogen ist. Und sie werden sich fragen: War es das wert, 60 000 Bäume zu fällen und die Natur zu verschandeln?
Elitäre Rentner-Gang
Nein, das ist es nicht wert, für eine mittlerweile elitäre Rentner- und Businessgang, die sich IOC nennt, auf Kosten von AthletInnen, Ausrichtern und BürgerInnen eine lukrative Luftnummer durchzuziehen! Das sind Gründe, warum keiner, der richtig nachdenkt, derzeit mehr Olympische Spiele will. Manche in Politik und Sport haben das auch erkannt. Der Noch-Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagt, man müsse die BürgerInnen mitnehmen, und verlangt eine gut überlegte Strategie, wenn man sich wieder bewerben möchte.
Im Koalitionspapier der Groko findet sich dieser Gedanke wieder. Man wolle zunächst einmal „für Aufbau und Umsetzung“ Olympischer Spiele eine langfristige Strategie erarbeiten. Das wäre vor allem auch deshalb angebracht, um nicht für sinn- und aussichtslose Olympia-Abenteuer Milliarden zu verpulvern, wie bei den Pleite-Bewerbungen der letzten Jahre. Und – die BürgerInnen für Spiele zu gewinnen und sie mitzunehmen.
Über den Olympia-Ballon, den sein Parteifreund Schröder da losgelassen hat, ist der Präsident des Landessportbundes Berlin, Klaus Böger (SPD) sauer. In der RBB-Abendschau,die die Debatte um die mögliche Berlin-Bewerbung für die Spiele 2032 herrlich ironisch aufgriff, reagierte Böger harsch: „Ich habe die Schnauze voll“, sagt er genervt Und spricht von einer „Nicht-Debatte“.
Kurzer Dienstweg
Dass ausgerechnet die Genossen, die derzeit ja wohl andere Probleme haben als Olympiabewerbungen, auf den Schröder-Olympiazug aufspringen, ist um so unverständlicher, da sie im Bundestag kompetente Sportpolitiker wie etwa die Sportausschuss-Vorsitzende Dagmar Freitag haben. Die hätte man ja mal auf kurzem Dienstweg fragen können, was olympische Sachlage ist, bevor man sich blamiert und unglaubwürdig wird, wenn man auf ein desolates Olympiakarussell aufspringt, das die IOC-Verantwortlichen ins Eiern gebracht haben,
Runderneuerung ist angesagt. Und gerade SPD-Politiker sollten in diesen Tagen wissen, was gemeint ist.