Magdeburger Kater und unterirdische Diplomatie

DOSB-Mitgliederversammlung in Koblenz: Das Damoklesschwert Leistungssportreform und ein Präsident in der Kritik

Berlin, 1. Dezember. „Auf ein Neues“, möchte man sagen, dabei ist alles nahezu beim Alten. Allerdings hat sich eine bleierne, lähmende Schwere wie unsichtbarer Nebel über Sportdeutschland gelegt: Seit im vergangenen Jahr die Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) mit einer Politbüro-Mehrheit von 98,6 Prozent der Stimmen im Magdeburg dem gemeinsamen Konzept von DOSB und Bundesinnenministerium (BMI) der „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“ zustimmte, ist viel geschehen, aber wenig passiert: Das Grummeln hinter den Kulissen hält ebenso an wie der öffentliche und nicht-öffentliche Dauer-Streit zwischen den an der Reform beteiligten Protagonisten. Keine guten Voraussetzungen für die DOSB-Mitgliederversammlung am Samstag in der Rhein-Mosel-Halle in Koblenz.

Trotz der gebetsmühlenartigen Versicherung von Bund, Ländern und DOSB, einen gemeinsamen Kurs zu steuern, erschöpft sich die einzige Gemeinsamkeit mittlerweile darin, dass jeder sein eigenes Ding durchzieht. Die Gemengelage hat sich auch deshalb nicht verbessert, weil der Sport wegen der schwierigen Regierungsbildung noch weiter auf das langersehnte Geld für die Reform warten muss. Die Leistungssportrefrorm schwebt wie ein Damoklesschwert über den Machern.

Auf den ersten Blick verspricht die Tagesordnung business as usual, auf den zweiten sind dann doch interessante Punkte zu finden. Etwa unter TOP 16.3 ein Antrag des Bundes Deutscher Radfahrer, der Deutschen Triathlon-Union und des Deutschen Leichathletikverbandes, bei dem es um die Finanzierung des Anti-Doping-Kontrollsystems geht. Mit der bisherigen Verteilung der Kosten sind die Spitzenverbände nicht mehr einverstanden und stellen die Frage, ob nicht aus der Lotterie „Sieger-Chance“ ein Teil des Geldes fließen könnte. Leitbild und Finanzierung der nicht-olympischen Verbände sind weitere Themen. Doch über allem geistert und wabert die Reform. DOSB-Präsident Alfons Hörmann und sein für Leistungssport zuständiger Vize Ole Bischof werden in ihren Berichten den Deligierten und besonders auch den AthletInnen einiges dazu erklären müssen. Das Thema wird nicht klein gehalten werden können, auch wenn man es sicher wollte: Schließlich wird Bundesinnenminister Thomas de Maizière in seinem Grußwort nicht nur zur internationalen Lage des Sports, sondern auch zum Stand der nationalen Sport-Befindlichkeiten Stellung nehmen.

Diplomatie

Die zufällige Regie will es, dass der Tagungsort Koblenz die Geburtsstadt eines berühmten Politikers ist: Clemens Freiherr von Metternich, der später auch wegen des Sekts, aber vor allem wegen seines diplomatischen Geschicks als österreichischer Außenminister beim Wiener Kongress 1814 gefeiert wurde, wo man nach der erzwungenen Abdankung Napoleons die europäische Welt wieder befrieden wollte. Eine historische Szenerie, die man als Omen deuten könnte, wenn man denn wollte.

Diplomatie wäre im deutschen Sport nun auch gefragt, um vor allem interne Beziehungskisten und externe Beziehungskrisen wieder auf die Reihe zu bekommen. Etwa das völlig zerrüttete Verhältnis zwischen der Abteilung Sport im BMI und dem DOSB. Die Kommunikation beschränkt sich auf Unumgängliches, aus dem anfänglichen Miteinander ist bestenfalls ein Nebeneinanderher und schlimmstenfalls ein Gegeneinander geworden. Zwar demonstrieren Alfons Hörmann und Minister Thomas de Maizière – zumindest öffentlich – immer noch hartnäckig Harmonie, aber die findet ein abruptes Ende, wenn der DOSB-Präsident sich dann auf der Arbeitsebene mit des Ministers Beamten begibt.

Natürlich gehören immer zwei dazu, sich in die Haare zu kriegen. Mittlerweile aber scheint es zur fixen Idee Hörmanns geworden zu sein, Gerhard Böhm, Abteilungsleiter Sport im BMI, als politisches Feindbild auszumachen.

Idiotisch und unklug

Taktisch idiotisch und politisch unklug sei das, wenn man so mit einem Geldgeber des Spitzensports umgehe, sagen Sportvertreter, die befürchten, dass dieses Auftreten „uns allen auf die Füße fallen wird“. Apopos Stil und Umgang: Zwar gibt es derzeit keinen amtierenden Sportausschuss, aber dass man die bisherigen Mitglieder nicht eingeladen hat, und die Anfrage der bisherigen Vorsitzenden Dagmar Freitag explizit per Mail negativ beantwortete, ist mindestens unbedacht. Denn: Man könnte sich ja im Sportausschuss wiedersehen. Andere, wie die Sporthilfe, sehen die PolitikerInnen auch ohne „Amt“ gerne in ihren Reihen.

Die Parlamentarier – nicht nur aus dem Haushalt – werden für den Sport wichtiger denn je. Denn die einst so komfortable Situation des Sports hat sich verändert: Er ist nicht mehr das politische Hätschelkind, dem man ohne Vorbehalt jeden Wunsch erfüllt. Dafür ist in der einst so heilen Sportwelt national und international zu viel passiert. Und für die Politik wird es angesichts von vergammelter Infrastruktur, steigender Armut oder fehlender Wohnungen immer schwieriger, Bürger und Bürgerinnen – selbst wenn sie sportaffin sind – zu vermitteln, wofür man Millionen an Steuergeld für Spitzensport ausgeben soll, wenn es dringendere Probleme zu lösen gibt. Zumal der Spitzen-(sport) seine Legitimation verspielt hat – zumindest was den Wertekanon angeht. SportfunktionärInnen können nicht nur von der Politik, AthletInnen oder TrainerInnen Leistung erwarten und Geld fordern, wenn sie selbst Leistungsverweigerer sind und nur auf ihre vermeintlich angestammten Rechte pochen.

Einfache Formel

Erfolg ist gleich mehr Geld. Mit dieser einfachen Formel begründen Sportführer ihren Heißhunger auf Millionen, die im Sport offensichtlich immer in einem Fass ohne Boden landen. Denn kaum gibt es mehr Mittel, sind sie auch schon wieder weg. Und keiner weiß so recht, wo sie geblieben sind. Das System ist unübersichtlich und intransparent. Und manchmal verlieren die föderalen Teamplayer aus Kommunen, Ländern und Bund den Überblick, wer nun was so hineingebuttert hat.

Wenn es Sport und Politik mit ihrem Refomkonzept und dern ständig propagierten Tugenden Wahrheit Klarheit, Glaubwürdigkeit und Transparenz ernst meinen, kann es ihnen ja nur recht sein, wenn nun der Bundesrechnungshof (und die Rechungshöfe der Länder) mal genau hinschaut, wie das Geld im Sport eingesetzt wird.

In den letzten Jahren  wurde der Sporthaushalt des Bundes um 26 Prozent von 132 auf 169 Millionen erhöht – eine Steigerungsrate, von der andere gesellschaftliche Gruppierungen nur träumen können. Dennoch: es reicht dem Sport nicht.

So ist die Idee zur Reform, auf die man nach den Winterspielen in Sotschi gekommen ist, eine geniale Geldvermehrungsmaschine. 100 Millionen sollten es mittlerweile schon zusätzlich sein, ließ zunächst überraschend öffentlich der Vorstand Leistungssport, Dirk Schimmelpfennig, in Köln das staunende Publikum (die Athleten bei der Gründung ihres Vereins) wissen. Wenn es dann vielleicht „nur“ 60 oder 70 Millionen mehr werden, wäre die Taktik aufgegangen.

Aber davon ist man noch weit entfernt: Der Sport muss liefern, bevor das Geld fließt. Und auch gut begründen, warum er es braucht. Fachkompetenz sei gefragt. Da waren sich Bund, Länder und DOSB bisher öffentlich einig. Doch Lippenbeknntnisse sind das eine, Eigeninteressen das andere: Wechselnde Koalitionen sorgen nur noch für Verwirrung wie etwa jüngst die vorgelegte Liste der Bundesstützpunkte, die ein erklärtes Ziel der Reform – die Zentralisierung – ad absurdum führte. Nur noch lächerlich sei das, sagen Fachleute, die mittlerweile sicher sind, dass sich so gut wie nichts ändern wird.

Ab in die Tonne?

Also die Reform ab in die Tonne? „Fragen nach der Effektivität – also das Richtige zu tun – und nach der Effizienz – Dinge richtig zu tun – um es vereinfacht zu sagen, sind offensichtlich nie gestellt worden“, so der Ökonom und Sportsoziologe Lutz Thieme. Folge: Ein Problemberg. Und Chaos. 12 Monate nach den ersten Umsetzungs-Versuchen ist die Verunsicherung größer, die Stimmung schlechter denn je.

Thomas Konietzko, Präsident des Deutschen Kanuverbandes, der keine klaren Worte scheut, hat in Magdeburg wie seine KollegInnen der Reform zugestimmt. „Wenn ich das jetzt objektiv beurteile, so haben wir keine richtige Analyse gemacht und uns nicht vorstellen können, wie komplex so eine Reform ist“, stellt er nüchtern fest. So wie er beurteilen die meisten seiner KollegInnen die Lage. Der Sprecher der Spitzensportverbände, Siegfried Kaidel, schildert „Ratlosigkeit“ in den Verbänden. Andrere stellen Desinteresse, Unzufriedenheit und große Verärgerung fest. Der „Magdeburger Kater“ lässt sie nun seit einem Jahr mit schwerem Kopf herumlaufen, weil „wir den Versprechungen der eigenen Leute aufgesessen sind“.

Wir wollen ja

Vertrauen und Verlässlichkeit sind Wörter, die bei den vielen (Telefon-) Gesprächen in den letzten Tagen immer wieder fallen. „Wir wollen ja unterstützen und an der Refrom mitarbeiten, aber so nicht. Heute ist es ein Hü, morgen ein Hott“, sagt der Sportdirektor eines Spitzensportverbandes. Und kommt auf die handelnden Personen zu sprechen.

BMI. Die säßen am längeren Hebel, natürlich  müsse man auch da das eine oder andere kritisch sehen. Ja, und da ist sie wieder, die Personalie Alfons Hörmann. Der falsche Mann am falschen Platz zur falschen Zeit. Das ist die Meinung vieler im deutschen Sport, die auch diesmal keiner öffentlich vertritt. Bevor das zu Lasten des gesamten Sports geht,  „muss man die Reißleine ziehen“, fordern sie. Aber wer das tun soll, bleibt offen. An der Analyse, dass der DOSB-Boss „Hauptverursacher der irreparablen Karambolage nach innen und außen“sei, halten sie fest. Zum jetztigen Zeitpunkt könne nur einer das Führungsproblem lösen, und der wird es nicht tun: der Präsident selbst.

Zusammenfassend heißt das also: Lage besch…., Schuldige(r) ausgemacht. Folgen? Das präsidiale Alphatier bleibt weiter der Betablocker für den gesamten deutschen Sport.

Es wird nix passieren, schon gar keine öffentliche Präsidententenschelte. Man werde weiter wursteln, Frust schieben und sich hin und wieder aufregen, sagen die einen. Andere spielen Rücktritts- und Zukunfts-Szenarien durch. Insellösungen, die mancher Verband mittlerweile für sich gefunden hat, seien keine Dauerlösung. Mutlosigkeit und Mangel an wirklichem Veränderungswillen würden den Sport nicht weiterbringen, sagen enttäuscht die, die am liebsten alles auf Anfang stellen würden.

Stand by

Nicht nur weil der Advent ja angeblich die Zeit der Besinnung ist, sondern weil die gesamte Republik wegen der sich ziehenden Regierungsbildung im Standby-Modus verweilt,, haben die Sportmacher Zeit für eine Denkpause und können sich sortieren. Da reicht es aber nicht, ein seichtes Leitbild in Koblenz zur Diskussion zu stellen.

Wenn ausgerechnet eine Organisation, die für Bewegung steht, bei ihrer Kernarbeit, dem Breitensport, fast zum Stillstand kommt, dann läuft da etwas ziemlich schief. Wo wurde in den letzten Jahren vehement und nachhaltig öffentlich vom Präsidenten zu gesellschaftspolitischen Themen Stellung genommen? Wann hielt er flammende Plädoyers für einen besseren Schulsport oder für Vereine und deren Arbeit im Nachwuchsbereich? Oder für die unerlässliche Arbeit des Ehrenamtes? Wo stützte die DOSB-Führung konstant und überzeugend die eigenen Leute, die gerade in vielen Breitensportbereichen Jahrzehnte lang gute, nachhaltige Arbeit leisten? Wie stellt sich der DOSB zu konkurrierenden Herausforderungen wie E-Sport? Wo ist die Stimme des Sports bei (sport-)politischer Tagesaktuallität geblieben? Fragen, mit denen sich eine Mitgliederversammlung auch auseinandersetzen sollte und müsste..

Nicht nach einer Pfeife

Zur Erinnerung: Es gibt keinen Spitzensport ohne Breitensport. Darüber hat man nun Zeit nachzudenken, während man auf die Reform-Millionen wartet. Und nicht nur nachzudenken, sondern umzudenken: Koblenz wäre ein guter Ort, um einen „diplomatischen, aber klaren Diskurs“ zu führen, sagt Konietzko. Mit dem Ergebnis, dass auch hier ein „Kongress tanzt“. Und zwar nicht mehr nach nur einer schrillen Pfeife.