Olympiasieger fallen nicht vom Himmel

Bei den Spielen von Rio entzauberte das IOC endgültig sich selbst und den olympischen Mythos / Und der DOSB reformiert mal wieder

Berlin, 22. August. Das war’s dann also. Die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro, die bunt und rhythmisch eröffnet und beendet wurden, waren aber doch so ganz anders als die Erwartungen, die alle von diesem Land haben: Überschäumende Alegria (Lebensfreude), heiße Samba, farbenfroher Karneval. Lange Gesichter bei denen, die ihre Klischees nicht so erfüllt bekamen, wie sie dachten: Gastgeber war ein krisengeschütteltes Land mit einer angeschlagenen Regierungs- und Politikkaste und protestierenden Menschen, die eigentlich momentan für alles andere als Olympia einen Kopf haben. Veranstalter war ein Internationales Olympisches Komitee (IOC), das ebenfalls im Vorfeld mit Gigantismus-, Korruptions- und Doping-Vorwürfen zu kämpfen hatte und dann noch vom russischen Staatsdoping überrollt wird.

Dennoch: IOC-Präsident Thomas Bach spricht vor der Weltpresse von Partystimmung (die es tatsächlich immer wieder gab – vor allem, wenn brasilianische Sportler mitmischten) und „iconic“ (kultigen oder epochalen, was meint er?) Spielen. Und der Präsident versteht die ganze Kritik nicht. Die Wahrnehmung in den sozialen Netzwerken sei positiv und gebe das Bild „von fröhlichen Spielen“ wieder, sagt er bei der Abschluss-Pk. Ach wie schön wäre die olympische Welt, wäre da nicht die miesmachende Presse, die einfach nicht fünf grade sein lassen kann. Und die mit Fragen nach dem Skandal um den IOC-Spitzenfunktionär Patrick Hickey nervt, der wegen illegaler Ticket-Geschäfte festgenommen wurde. Oder warum Bach mit den Russen so nachsichtig umgeht, was weltweit nur wenige verstehen?

Großartige Gastgeber

Vielleicht beschreibt der Satz des brasilianischen Schriftstellers und Sängers Chico Burque, mit dem er eigentlich die reichen Eliten seines Landes im Wettbewerb um Erfolg, Einfluss und Geld gemeint hat, das IOC und die olympische Familie. „Jedem geht es nur um den individuellen Erfolg, niemandem um Gerechtigkeit.“ Das möchte man dem IOC-Präsidenten Bach entgegenhalten, der jederzeit die Spiele wieder an Rio vergeben würde. „Die Brasilianer waren großartige Gastgeber, vereinigt hinter den Olympischen Spielen“, die ein „großartiges Erbe“ hinterlassen werden, sagt Schönredner Bach. „Das sind Spiele mitten in der Wirklichkeit.“ Aber nicht die Wirklichkeit Bachs und des IOC. Es klappte diesmal nicht, mit olympischem Flair Probleme eines Landes völlig auszuklammern, in einer Blase 16 Tage unbeschwert zu feiern, als wäre die Welt in Ordnung.

Die sozialen Konflikte des Landes wurden durch leere Ränge in den Wettkampfstätten symbolisiert. Denn Olympia können sich nur Leute mit Geld leisten, und das haben die meisten Brasilianer nicht. Und ein ungeheueres Sicherheitsaufgebot machte in den olympischen Tagen den ansonsten nicht ungefährlichen Alltag der Cariocas etwas unbeschwerter. Aber, was bleibt den Brasilianern, die sich auch nicht mental verbogen, um perfekte Gastgeber zu sein?

Die Erinnerung an olympisches Fußball-Gold, das sie gegen die Deutschen gewonnen haben – und das die Brasilianer am vorletzten Tag der Spiele endlich in wahre olympische Begeisterung versetzt hat. Gegen Deutschland, das sie bei der Fußball-Weltmeisterschaft doch so schmerzlich in ihrem Stolz getroffen hatte. Nach der 1:7-Niederlage damals hatte das DFB-Team das ganze Land in tristeza -Traurigkeit versetzt. Nun ist die Revanche gelungen, und Rio und der Rest des Landes sind kurz im Feiermodus. Denn: Wenn die olympische Karawane weitergezogen ist, dann bleiben die alten Probleme und Schulden, an denen die wirtschaftlich gebeutelten Brasilianer wohl lange zu knabbern haben.

Der Mythos ist dahin

Die Spiele von Rio werden auch damit verbunden sein, dass der Mythos Olympia mit strahlenden und reinen Helden und Heroinen, endgültig entzaubert ist. Die Faszination ist dahin: Das Gespenst Doping spuckt in den Köpfen auch derer, die noch an das Gute im Sport und an saubere Athleten glauben wollen. Durch die Doping-Diskussion und die Inkonsequenz des Handelns der Verantwortlichen im Bezug auf das russische Staatsdoping ist nun der Generalverdacht immer mit am Start. Das IOC und sein Präsident, die stets die Formel der „Null-Toleranz-Politik“ gegen Dopingsünder beschworen, zeigten jetzt, dass es bei folgenlosen Beschwörungen bleiben soll. Die Realität von Rio: Die olympische Idee, die olympischen Werte und die Seele der Olympischen Spiele wurden zugunsten des Geschäftsmodells Olympia von einer unglaubwürdigen, teilweise korrupten IOC-Kaste verkauft. Da wirkt dann auch die Aktion, ein Flüchtlingsteam einzuladen und unter olympischer Flagge starten zu lassen, eher berechnend und weniger als edle Tat im Sinne bester olympischer Gesinnung.

Die Leichtigkeit des Seins Olympischer Spiele ist dahin …

Trotzdem: Obrigado – „Danke!“ möchte man den AthletInnen sagen, die hier sauber an den Start gegangen sind. Sie waren es, die dann doch noch für magische Sport-Momente sorgten. Momente, in denen es menschelte – ob Sieg oder Niederlage. Und danke auch, dass man mit sympathischen Protagonisten mitfiebern konnte, die einem sonst nur alle vier Jahre einmal begegnen. Hier flackert kurzzeitig die olympische Flamme heller auf. Oder, wenn die Männer von den Fidschis Rugby-Olympiasieger werden. Danke auch an die Aktiven, die zum ersten Mal lauten Widerstand leisteten – und sich gegen das IOC und seinen Präsidenten im Umgang mit der Doping-Problematik wehrten, wenn auch manche Äußerung ein verbales Foul war.

In die Jubelarien über die großen HeldInnen, die da mit ihren xten „eingefahrenen“ Goldmedaillen für vielstrapazierte historische Momente sorgten, möchte man nicht so recht einstimmen. Man muss befürchten, dass manche HeldenInnen in einigen Jahren, wenn die eingefrorenen Dopingproben geöffnet werden, als Betrüger entlarvt werden könnten. Da kommen sie schon wieder, die Zweifel an den Halbgöttern, die in den Olymp aufgestiegen sind.

Aufatmen beim DOSB

Auch deutsche Athleten sind unter ihnen und freuten sich über Medaillen – vor allem über viele goldene. Doch: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Die Diskussion, wie es im Spitzensport weitergehen soll, hat schon wieder  in Rio Fahrt aufgenommen. Und wird sich, wenn die Empfangsfeier in Frankfurt vorbei ist und sich die Heimkehrer gesammelt haben, vermutlich stürmisch fortsetzen. Jetzt hat die Führungscrew des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) erst einmal etwas aufgeatmet. 42 Mal Edelmetall – es hätte noch schlimmer kommen können.

DOSB-Präsident Alfons Hörmann stellt fest: „50 Prozent mehr Goldmedaillen – das ist so schlecht nicht. Mit diesem Schicksal würden viele gerne tauschen.“ Stimmt, was das Tauschen angeht, vielleicht. In London 2012 waren es 44 Medaillen, davon 11 goldene. Der Abwärtstrend sei nun erst einmal gestoppt, so Hörmann bei der Abschlusskonferenz in Rio. In dieser Kurz-Analyse stimmen er und der zuständige Vorstand Leistungssport im DOSB, Dirk Schimmelpfennig, überein. Auch in der Einschätzung, dass es trotzdem Handlungsbedarf gebe. Denn: Es gab keinen Trendwechsel, was Finalteilnahmen angeht. Auch diesmal standen Deutsche selten in einem Endlauf oder -kampf. Und Schimmelpfennig sagt, Schwimmer, Radfahrer, Fechter, Leichtathleten „haben den Anschluss an die Weltspitze verloren“.

Das überrascht nun alles nicht. Der Abwärtstrend in diesen Sportarten ist ja seit geraumer Zeit schon zu beobachten. Bedenklich ist nun aber, dass viele AthletenInnen jetzt sogar völlig an ihrem eigenen Leistungsniveau scheiterten, obwohl sie, wie die Schwimmer von „optimalen Vorbereitungen“ sprachen.

Unendliche Geschichte

Handlungsbedarf sah und sieht der deutsche Sport nach allen olympischen Spielen in den letzten Jahrzehnten. Auch diesmal wollen Hörmann und die Seinen im DOSB die Ärmel hochkrempeln und loslegen. Aber seit über eineinhalb Jahren ist man schon dabei, ein Spitzensportkonzept zusammen mit dem zuständigen Bundesinnenministerium zu erarbeiten, das den deutschen Sport wieder international auf die Erfolgsspur bringen soll. Ob und wie das genau gehen soll, da sind sich die Beteiligten noch nicht wirklich einig. Nicht nur der Föderalismus, sondern auch machtpolitische und finanzielle Eigeninteressen erschweren das Ziehen an einem Strang und vor allem in eine Richtung. So dass man auch diesmal befürchten muss, dass die Reformbemühungen im deutschen Sport eine unvollendete Geschichte bleiben.

Spitzensport in Deutschland: Politiker und Funktionäre setzen diesen gleich mit Medaillen. Aber ist es nur das Edelmetall, was man heute in einer leistungsstarken, reichen und freien Gesellschaft mit Spitzensport verbinden sollte? Diese Frage gilt es zu klären, vor allem für die jungen Menschen, die sich dem Leistungssport verschreiben und Jahre ihres Lebens auf einen Höhepunkt, der Olympische Spiele heißt, hinarbeiten, ohne Garantie, ob sie da hinkommen – zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie dann -wen?

Professionelle Ich-AGs

17 Goldmedaillen. Bei genauem Hinsehen ist der Goldglanz, der auf den DOSB fällt ziemlich matt. Denn: Wer die Erfolgslisten von Rio durchgeht, findet u.a. Reiter, Fußballer und eine Tennisspielerin unter den Edelmetallsammlern. Frage: Wie ist der DOSB oder der zuständige Fachverband an deren Erfolgen tatsächlich beteiligt? Sind Reiter und Tennisasse nicht eher professionelle Ich-AGs, die ihr Ding nahezu in Eigenregie durchziehen? Ebenso die Fußballer. Sie arbeiten in erfolgreichen Strukturen, gestützt von einem finanzstarken Verband und einer Liga.

Professioneller will der DOSB den Spitzensport aufstellen. Sind Kanuten oder Ruderer, die am meisten zur Medaillen-Ausbeute mit beitrugen, nachahmenswerte perspektivische Erfolgsmodelle? Bedingt. Aber da sollte der DOSB auch einen Blick auf die eigenen Mitgliederstatistiken werfen. Der organisierte Sport verlor im vergangen Jahr wieder 502 909 Mitglieder. Viele Sportarten, besonders auch diejenigen, die nun in Rio abstürzten, befinden sich seit Jahren im Abwärtstrend. Aber auch die erfolgreichen Kanuten und Ruderer verlieren an Zuspruch.Vielleicht muss man Schwimmsport, Leichtathletik, Fechten und manch andere Disziplin als langsam dahinsiechend einstufen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil man sich zu sehr und zu lange um die Spitze und weniger um Nachwuchs gekümmert hat. Hausgemachte Fehler, aus denen im Laufe der Jahre die Probleme gewachsen sind, die nun in Rio teilweise offensichtlich wurden.

Uncool

Bei vielen Jugendlichen gelten olympische Kernsportarten wie Schwimmen oder Leichtathletik als „uncool“ und dank miserablen Sportunterrichts oft auch als „Qualsportarten“. Über eine „Weichei-Generation“ klagte vor kurzem ein Nachwuchstrainer. Der Abteilungsleiter Leistungssport des Landessportbundes Berlin, Frank Schlizio, sagt im Bezug auf Schwimmen: „Wir haben hier hervorragende Bedingungen, aber keine geeigneten Kinder.“ Sie gilt es zu finden, zu motivieren und zu betreuen – auch nach dem Sport. SpitzenathletInnen oder OlympiasiegerInnen fallen nicht einfach vom Himmel.

 Neues aus dem Postkasten

Geplante Sportfördermittel für 2017

In Rio war der Ruf nach mehr Geld für den deutschen Spitzensport nicht zu überhören. Man könne nur  mit der Weltspitze mithalten, wenn man mehr finanzielle Mittel in die Hand bekäme. Da dürften sich nun die heimkehrenden DOSB-Funktionäre nicht  besonders freuen, wenn sie hören, was die Fraktion Die Linke im Bundestag auf ihre Kleine Anfrage  zum Etat für die Sportförderung 2017 als Antwort bekommen hat. „Der Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt sieht im Etat des Bundesinnenministeriums des Inneren (BMI)…Sportfördermittel in Höhe von rund 63 Millionen Euro hervor“ heißt es in einer Mitteilung des Bundestages. Die Olympischen Spitzenverbände dürfen exakt mit staatlichen Zuweisungen von 62,79 Millionen ( im letzten Jahr waren es 63,14 Millionen) rechnen. Die nichtolypmischen Verbände sollen 2, 4 Millionen ( 2,46) und die paralympischen Sport 7,13 (7,23)  Millionen erhalten.

Für den olympischen Spitzensport sind laut Vorlage außerdem noch  Projektfördermittel in Höhe von 71,56 Millionen Euro ( 75,38 Millionen im Vorjahr) eingeplan.Für Projekte soll der paralympische Sport 323 000 Euro ( 630 000 Euro) im kommenden Jahr zusätzlich bekommen. In ihrer Antwort geht die Bundesregierung im besonderen auf die Belange  des Sports für Menschen mit Behinderung ein. Es sei ein unverändertes Anliegen der Bundesregierung, eine führende Sportnation zu sein. „Dies gilt auch für den Spitzensport der Menschen mit Behinderung.“

Der Geldgeber Verteidigungsministerium  hat ebenso Kürzungen der Sport-Zuwendungen geplant: Statt 35,71 Millionen wie im Vorjahr stehen 30,28 Millionen an Personal- und Sachkosten im Plan.

Die Meldung vermittelt auf den ersten Blick Kürzungen,aber:

Insgesamt fördert der Bund nach diesem Entwurf den Sport mit annähernd der gleichen Summe wie im Olympiajahr.

Jetzt muss der DOSB liefern. Mit einem schlüssigen, transparenten  Spitzensportkonzept.  Und muss belegen, dass mangelnder Erfolg vor allem an mangelnder finanzieller Förderung liegt, wie viele im Sport behaupten.