Die ganze Mischpoke am Start

European Maccabi Games in Berlin – Spiele der Versöhnung und eine Ausstellung

Berlin, 25. Juli. Wenn Bundespräsident Joachim Gauck in der Berliner Waldbühne die 14. European Maccabi Games am Dienstag (28. Juli) mit einem anspruchsvollen Programm eröffnet, dann ist „die ganze Mischpoke am Start“. Mit dem Wort Mischpoke, in der deutschen Umgangssprache eher negativ besetzt, beschreiben Juden je nach Kontext mal liebenswert, mal zynisch Familie, Gesellschaft und Sippschaft. Also wir freuen uns auf die Mischpoke und das, was sonst noch kommt.

Etwa beim Medaillenregen. „Bei Gold werden alle meschugge“, also flippen aus. Vermutlich dann, wenn „die schnellste Ische Europas“ im Schwimmbecken angeschlagen hat. Zumindest werben mit solchen Sprüchen die Organisatoren auf großen Plakaten selbstbewusst für die Spiele. 2.600 Teilnehmer aus 36 Ländern werden bis zum 5. August im Berliner Olympiapark ihre Besten in 19 Sportarten ermitteln

Es ist ein besonderes Symbol, dass die Sportspiele von Juden aus ganz Europa zum ersten Mal in Deutschland ausgetragen werden“, betont Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Sie finden 70 Jahre nach Kriegsende dort statt, wo 1936 die Nazis jüdische Sportler nicht dabei haben wollten: im Olympiapark. Die selbsternannten Herrenmenschen befürchteten, dass ihre bescheuerte These von der Überlegenheit einer angeblichen arischen Rasse widerlegt werden könnte. Und sie wurde widerlegt. Nicht nur durch den US-Amerikaner Jesse Owens, sondern auch durch viele andere Aktive – auch jüdische Athleten, deren Teilnahme sie nicht ganz verhindern konnten, wenn sie nicht einen Boykott der Spiele riskieren wollten. Dennoch: Der Widerstand des internationalen Sports gegen politische Unrechtsverhältnisse ließ auch damals zu wünschen übrig. Aber: Diese Makkabiade in Deutschland ist somit auch ein verspäteter Triumph über das Unrechtssystem.

Gegen braune Parolen

Und ist zugleich auch eine Demonstration gegenüber denjenigen, die heute glauben mit ihren braunen Parolen, antisemitischen Übergriffen und ihren Angriffen auf Flüchtlingsheime, das demokratische Deutschland ins Wanken bringen zu können. Sie haben keine Chance. Aber trotzdem: Nicht nur wegen der Ewiggestrigen, sondern auch wegen anderer Extremisten steht natürlich auch bei diesem Großereignis die Sicherheitsfrage ganz vorne auf der Agenda der Veranstalter. Organisationschef Oren Osterer setzt auf die erfahrene Berliner Polizei, die bei diesen Spielen von dem größten „Spagat zwischen Offenheit und Sicherheit“ spricht.

Widerstand

Bei der Vergabe der Games gab es einigen Widerstand. Vor allem mit Rücksicht auf Holocaust-Überlebende, so das Argument, sollte man auf Deutschland und Berlin als Austragungsort verzichten. Aber die Bedenkenträger setzten sich nicht durch. Berlin gewann das Rennen gegen Madrid. 50 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland gebe es wieder ein „normalisiertes Verhältnis zu Deutschland, gerade auch zu Berlin“, so Osterer. Berlin ist vor allem für Jugendliche attraktiv. Und nicht zuletzt empfinden es junge Teilnehmer als Genugtuung, auf ehemaligem Nazigelände Wettbewerbe auszutragen.

Alon Meyer, Präsident vom Dachverband Makkabi Deutschland, sieht diese Spiele deshalb „als Spiele der Versöhnung“. Fünf Millionen Euro kostet die Veranstaltung, die zur Hälfte über die Startgebühren (1.000 Euro – ohne Reisekosten) finanziert werden. Jeder Sportler muss für seine Unterbringung und Verpflegung im Estrel Hotel – dem komprimierten Athletendorf – selbst zahlen. Das Land Berlin beteiligt sich ebenso wie verschiedene Bundesministerien. Große deutsche Unternehmen hielten sich dagegen zurück.

Ab morgen sind wir alle eine Mischpoke und feiern gerne mit Gewinnern und Verlierern.

Später Triumph und Trost

Jüdische Sportidole kehren heim – eine Ausstellung in Berlin

Es ist eine Heimkehr der besonderen Art und ein später Triumph. 70 Jahre nach Kriegsende begegnet man mitten in Berlin auf dem Washingtonplatz vor dem Hauptbahnhof berühmten Sportlern und Sportlerinnen, die einst Idole in Deutschland waren. Namen wie Helene Mayer, Gretel Bergmann, Lilly Henoch, Alfred Flatow oder Erich Selig. „Ja, die sagen mir noch was. Da war ich ein kleiner Junge. Und die waren auch auf Sammelbildern“, sagt der 87-jährige Herr Sander aus Stuttgart, dem sein Sohn, den er gerade in Berlin besucht, den Text über Julius Hirsch vorliest. Ein australisches Ehepaar erkundigt sich „about this people“ und ist gerührt, als es die Hintergründe hört.

Schicksale, die berühren: Da wurden Menschen zuerst verehrt und gefeiert, dann vom nationalsozialistischen Terrorsystem verfolgt und von ihren Landsleuten und Sportkameraden im Stich gelassen, nur weil sie jüdischen Glaubens waren.

Großen Anteil am deutschen Sport

Zwischen Erfolg und Verfolgung – Jüdische Stars im deutschen Sport bis 1933 und danach“ ist der Titel einer Ausstellung, in der nicht nur an jüdische Athletinnen und Athleten mit großformatigen Foto-Skulpturen erinnert wird, sondern auch die Begleittexte erzählen, welchen großen Anteil sie an der Entwicklung des modernen Sports in Deutschland hatten.

Bis 1933, wo Verbände und Vereine in vorauseilendem Gehorsam schon mal ihre jüdischen Leistungsträger und Mitglieder ausschlossen. Schließlich wollte man sich ja mit den neuen Machthabern gut stellen.

Turner ganz vorne dabei

Besonders die Deutsche Turnerschaft konnte es nicht erwarten, mit den Nazis gemeinsame Sache zu machen, deren Führer Edmund Neuendorf, wie Professor Joachim Teichler in seiner Einführung zitiert, „Seit an Seit mit Stahlhelm und SA den Vormarsch ins dritte Reich“ propagierte. So musste der berühmte Turner Alfred Flatow seinen Berliner Verein verlassen. Er und sein Cousin Gustav Felix, ebenfalls ein erfolgreicher deutscher Turner, werden später deportiert. Alfred stirbt 1942 im Lager Theresienstadt, sein Cousin verhungert dort drei Jahre später.

Verbände der Leichtathleten, Boxer, Tennisspieler, Kanuten, Ruderer, Schwimmer, Skifahrer und Fußballer warfen nicht nur Leistungsträger, Rekordhalter, Olympiasieger oder Welt- und Europameister aus ihren Verbänden und Vereinen, sondern Mannschaftskameraden und Freunde. Sie waren Steigbügelhalter und Mittäter in dem Unrechtssystem, das diese deutschen Sportler ausgrenzte, entrechtete, sie zur Flucht aus ihrer Heimat nötigte oder sie ermordete.

Schweigen

Sechs Millionen tote Männer, Frauen, Kinder jüdischen Glaubens. Menschen, die Deutschland und Europa kulturell entscheidend mitprägten – bis die Todesmaschinerie über sie hinweg rollte.

Nach 1945 wollte auch im Sport kaum jemand sein moralisches Versagen eingestehen; die Mauer des Schweigens hielt auch hier Jahrzehnte, bröckelte erst in den letzten Jahren. Wie etwa beim Deutschen Fußball-Bund, der, wie Horst R. Schmidt von der DFB-Kulturstiftung sagt, aus Anlass des 100-jährigen Verbands-Jubiläums und der WM 2006 sich mit der Aufarbeitung der NS-Zeit beschäftigte. Heraus kam, nachdem man sich bei der Jubiläumsschrift 2000 noch sehr mit der eigenen Vergangenheit zurückgehalten hatte, das Buch „Fußball unterm Hakenkreuz“ 2005. Einige DFB-Präsidenten wie Egidius Braun oder Theo Zwanziger fühlten sich verpflichtet, NS- Geschichte in ihrem Verband aufzuarbeiten und jüdische Sportler noch zu Recht und Ehren kommen zu lassen. Eine Reihe anderer Verbände hat da noch großen Nachholbedarf.

Fans als Forscher

Professor Lorenz Peiffer, der sich seit Jahrzehnten mit jüdischen Sportlern und Sport in der NS-Zeit beschäftigt und die Ausstellung mitgestaltete, freut sich besonders, dass das Interesse an der Vergangenheit ihres Vereins auch bei vielen Fangruppierungen geweckt wurde. „Ohne deren Mithilfe wären viele Dinge vielleicht gar nicht entdeckt worden“, freut sich der Historiker über die „Laien-Historiker“ und verweist auf das Beispiel von Kurt Landauer, dem Präsidenten von Bayern München vor und nach dem Krieg.

Gesichter statt Zahlen

Geschichte bekommt ein Gesicht – und lässt manches nachvollziehen und noch schrecklicher erscheinen, als das, was eine nüchterne Zahl ausdrücken kann. Marie und Lena sind zufällig über den Washingtonplatz gelaufen und zwischen den „Skulpturen“ stehen geblieben. „Lilly Henoch, da gibt es doch eine Halle in Berlin“, sagt Marie. Dass die Leichtathletin und Handballerin Lehrerin in Berlin war und 1942 in Riga ermordet wurde, das wussten die beiden 18-jährigen bis eben nicht. Was sie da lesen, erschüttert sie. Etwa, dass Nelly Neppach, vom Tennisverband lange schikaniert und diffamiert wurde. Ihr Verein Tennis Borussia Berlin schloss die selbstbewusste, erfolgreiche Spielerin schließlich aus. Sie nahm sich nur wenig später das Leben.

Oder das Schicksal von Speer- und Diskuswerferin Martha Jacob, die bis 1933 ein unbeschwertes Leben führte. Im April jenes Jahres flieht sie und emigriert nach einer längeren Odyssee durch Europa nach Südafrika, wo sie ein neues Leben beginnt. 1952 besucht sie für einige Tage ihre Heimatstadt Berlin – und bricht vor schmerzhaften Erinnerungen zusammen.

Für sie wäre diese Ausstellung vielleicht ein Trost, ein kleiner Schritt, um vergeben zu können…

Die Ausstellung auf dem Washingtonplatz dauert noch bis 16. August 2015 auf dem Washingtonplatz. Weitere Informationen auf www.juedische-sportstars.de

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