Papiertiger im Sportzirkus

Null-Toleranz – Bundestag beschäftigt sich mit dem Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes

Berlin, 21.Mai. Verwundert es nun wirklich, dass gerade jetzt ausgerechnet zwei Athleten aus Wurfdisziplinen, nämlich Betty Heidler und Robert Harting, ihre Zweifel am Freitag im Bundestag diskutierten Entwurf zum Anti-Dopinggesetz äußern? Nein, natürlich nicht. Da fällt einem die berühmte Nachtigall ein, die man in diesem Fall nicht nur trapsen, sondern trampeln hört.

Antidoping-Kampf in Deutschland. Wie lang geht das nun im deutschen Sport, ohne dass man irgendwie richtig zu Potte kommt? Im Sport wurde viel geredet, verschleiernder Aktionismus betrieben – und immer weiter gedopt, trotz vieler Beteuerungen alles dagegen zu tun. Der Sport, immer auf seine Autonomie pochend und seine Sportgerichtsbarkeit als taugliches Instrument gegen Sünder anführend, wehrte sich gegen eine gesetzliche Regelung – bis heute. Und so sind die Reaktionen von Diskus-Olympiasieger Harting und der ehemaligen Hammerwurf-Weltmeisterin Heidler nicht nur symptomatisch, sondern auch logisch – und zeigen außerdem, dass es auch mit einem Gesetz weder an Ausreden noch Verschwörungstheorien von potenziellen Sündern mangeln wird.

Mit Empörung zurückgewiesen

Jeweils bei spektakulären Fällen wurde auch in Deutschland, das sich gerne als Vorreiter im Antidopingkampf feiern ließ, immer wieder öffentlich und lautstark über ein Gesetz diskutiert. Der DSB wie auch die Nachfolgeorganisation DOSB wehrten sich vehement – warum zeigen etwa auch die Vorfälle rund um Mediziner am Freiburger Universitätsklinikum. Oder auch die Nicht-Auseinandersetzung von Sport (und Politik) mit Dopingopfern – nicht nur aus der ehemaligen DDR. Nur eine kleine Expertengruppe blieb all die Jahre standhaft, wenn es um ein Antidopinggesetz ging, das es in Nachbarländern wie Italien, Frankreich, Spanien oder in Skandinavien schon lange gibt. Nun seit März, seit die Bundesregierung einen Entwurf vorgelegt hat, gibt es plötzlich mehr und mehr Befürworter. Selbst Bedenkenträger/innen versuchen nun opportunistisch, ihr Fähnchen schon mal in Stellung pro Gesetz auszurichten.

Kernpunkt des Gesetzes ist, dass ab 2016 dopende Athleten nicht nur eine sportrechtliche Sperre treffen soll, sondern auch staatsanwaltschaftliche Verfolgung und Gefängnisstrafen bis zu drei Jahren drohen.

Besonders strittig in der Vorlage ist die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit. Bisher ist nur strafbar, Dopingmittel in „nicht geringen Mengen“ zu besitzen. Wobei man hier über die Auslegung von „geringe Menge“ trefflich gestritten hat und weiter streitet. Das neue Gesetz sieht vor, den Besitz von Dopingmitteln überhaupt zu verbieten. Das macht Sinn, denn die Ausrede, die Ampullen im heimischen Kühlschrank gehörten jemand anders, zieht dann nicht mehr.

Horror-Szenarien

Nicht nur Harting, der das Gesetz grundsätzlich nicht ablehnt, wie er sagt, malt sich nun Horror-Szenarien aus: Das würde Manipulationen Tür und Tor öffnen. Was heißt: Der arme, erfolgreiche oder weniger erfolgreiche deutsche Athlet, dem Pillen vom bösen Konkurrenten in die Tasche gesteckt, Mittel in den Energiedrink oder in die Zahnpasta gemixt werden, ist dann stigmatisiert, für Medien und Fans erledigt, wird strafrechtlich verfolgt und gesperrt. Und die internationale Konkurrenz, die, so Harting, ohnehin vom Antidoping-Gedöns der Deutschen genervt sei, lacht sich ins Fäustchen. Vielleicht ist das gar nicht schlecht, wenn die Kollegen/innen von auswärts genervt sind – und: Man sollte ja erst mal vor der eigenen Tür sauber machen, bevor man sich über andere aufregt!

Kritik üben zu recht Datenschützer: Die Rolle der NADA und die Art der Kooperation mit der Staatsanwaltschaft etwa ist unausgegoren: Der Datenaustausch wäre momentan kaum zu kontrollieren. Auch wundern sie sich, dass man sich in dem Gesetz auf den sowieso umstrittenen NADA-Code bezieht.

Auch Amateure

Als Zugeständnis an die DOSB-Funktionäre wird die Stärkung der Sportgerichtsbarkeit in dem Gesetz gesehen. Wundern darf man sich hier schon, denn erst vor einigen Wochen wurde im Zusammenhang mit dem Schadenersatzprozess um Claudia Pechstein festgestellt, dass die internationale Strafgerichtsbarkeit schwere Mängel aufweist und deshalb infrage zu stellen ist. Auch eine fehlende Kronzeugenregelung oder die Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht werden kritisiert. Und: Das bayerische Justizministerium, schon lange Befürworter eines Anti-Doping-Gesetzes, will die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit nicht nur auf Hochleistungssportler beschränken, sondern auch auf Amateure ausweiten. Was Sinn machen würde, wenn man den steigenden Medikamentenmissbrauch in Deutschland insgesamt und die Umsätze im Breitensport im besonderen wie auch dessen Vernetzung in den Hochleistungssport sieht.

Trotz Einwürfen und Mäkelei an handwerklichen Fehlern, auch der Drohung einer Sammelklage von Athleten, die DOSB-Präsident Alfons Hörmann „angedeutet“ wurde, wird die Koalition an dem Gesetz zunächst nicht viel verändern. Bundesjustizminister Heiko Maas und Bundesinnenminister Thomas de Maizière versuchen sich als Dompteure im Sportzirkus, der mit seiner in all den Jahren propagierten „Selbstreinigung“ eine Totalpleite hinlegte. Der Gesetz-Entwurf ist nun auf dem Weg, justiert werden muss sicher in der Praxis dann doch das eine oder andere Schräubchen. Aber: Wird das Gesetz im Kampf gegen den Dopingsumpf wirklich etwas bringen?

Fördersystem im Fokus

Und da muss man das (Förder-) System des deutschen Hochleistungssports in den Fokus rücken. Dann wird ganz schnell deutlich, dass es sich bei dem Gesetz – national und international gesehen – höchstens um ein Symbol ohne Tiefenwirkung handeln kann. Denn nach wie vor hängen Medaillen und Erfolge von staatlicher finanzieller Unterstützung ab. In der Kasse des Fachverbands, der erfolgreich ist, klimpert auch die Kohle. Fehlen die Leistungen, gibt es nichts, und alle geraten unter Druck – und in Versuchung. So funktioniert das seit Jahrzehnten.

Und was suggeriert die Aussage des für Sport zuständigen Bundesinnenministers Thomas de Maizière? Der sagte vor kurzem, die schlechten Medaillenbilanzen der letzten Zeit seien nicht mehr akzeptabel für eine Sportnation wie Deutschland. Die Athleten würden mit reichlich Steuergeld unterstützt, und deshalb fordert er mehr Spitzenplätze mit weniger Doping – wie immer er sich das vor allem auch im internationalen Bereich vorstellt. Wobei der DOSB und seine Fachverbände selbst schuld sind an dieser Forderung: Sie schüren eine Erwartungshaltung durch oft irrationale eigene Einschätzungen (Zielvorgaben) bei ihren Medaillen-Hochrechnungen vor Qlympischen Spielen oder Weltmeisterschaften. Und deshalb wäre es sicher nicht verkehrt gewesen, sich mit diesem Gesetz gleichzeitig mal über Grundsätzliches im deutschen Spitzensport klar zu werden, wenn es denn erfolgversprechend sein soll.

Doppelmoral

Auch hier wird wieder einmal die Doppelmoral im deutschen Sport deutlich. Die Politik greift mit Nulltoleranzpolitik per Gesetz durch und fördert gleichzeitig mit finanzieller Abhängigkeit und Erfolgszwang den Griff in die manipulierende Trickkiste in einem völlig veralteten und vortäuschenden Fördersystem. Warum? Weil sich auch Politiker nach wie vor einreden, Image, Bedeutung und wirtschaftliche Leistungsstärke eines Landes würde auch heute noch an (häufig fragwürdigen) Sporterfolgen festgemacht. Aber das ist Schnee von gestern. Das Sportgeschäft und seine Protagonisten sind als machtpolitisch und ökonomisch orientierte Globalplayer unterwegs. Schneller, höher weiter – diese Kriterien gelten nur noch in superlativen und rekordverdächtigen Steigerungsformen. Wie vieles andere im hochgepuschten Sportzirkus. Insofern ist das Gesetz erstmal nur ein Papiertiger oder – positiv gesehen – eine Goodwill-Aktion. Für wen auch immer.

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