Bundestagsdebatte über Vergabekriterien von Sportgroßereignissen wird zum verbalen Salto mortale für manchen Parlamentarier
Berlin, 7. April. – Manchmal muss man Dinge sich setzen lassen. Nicht zuletzt, weil man hofft, dass man sie dann besser versteht. Oder dass sich mit Abstand auch der Ärger legt. Das hilft leider nicht immer. Beispiel: Die Bundestagsdebatte über Vergabekriterien bei Sportgroßereignissen. Die Grünen, die sich seit langem mit dem Thema befassen, hatten einen Antrag gestellt, der zu bester Debattenzeit am Vormittag diskutiert wurde, sicher vor mehr Fernsehpublikum als Abgeordneten. Viele der sonst so öffentlichkeitsscheuen Sportausschussmitglieder drängelten sich ans Rednerpult. Und da fängt das Problem an. Und der Ärger.
Reden wir über Korruption
Im September 2014 hatten die Grünen zu einer Veranstaltung mit vielen Experten und Expertinnen genau zu diesem Thema eingeladen. Dass es für sie ein wichtiges Anliegen ist, über verbindliche Vergabe-Richtlinien bei Großveranstaltungen zu diskutieren, zeigt, dass auch diesmal Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt wieder im sportpolitischen Team ist: „Wer über Sportler und Sportlerinnen spricht, darf über die Veranstalter nicht schweigen. Reden wir also über Korruption in den Chefetagen der großen Sportverbände, insbesondere beim Internationalen Olympischen Komitee und dem Weltfußballverband. Bestechung, Vetternwirtschaft und Intransparenz sind die Merkmale der weltgrößten Festspiele. Ich finde das des Sports nicht würdig“, so die Fraktionsvorsitzende, die den Antrag präsentierte und menschenrechtliche und ökologische Standards als Voraussetzung für die Vergabe von Spielen forderte. Die Grünen, unterstützt von der Linken, stellten ein Bündel von Maßnahmen vor, mit dem die Politik den Sport unterstützen sollte, ohne ihm die Autonomie streitig machen zu wollen.
Aufgeplustere Lobbyisten
Eigentlich eine gute Idee, sich mal um so ein Thema zu kümmern, bei dem der Steuer zahlende Bürger und die Bürgerin ja auch gut repräsentiert sein sollten. Doch die lernten dann rund eine Stunde lang, warum vermutlich manche Sportausschussmitglieder nicht wollen, dass ihr Gremium öffentlich tagt – und dass ihre Interessen nicht immer gut vertreten werden. Denn einige der Parlamentarier, die nun ans Pult traten, bestätigten die gängigen Vorurteile gegen den vor den Spielen in München 1972 initiierten Sportausschuss und seine Mitglieder: Sie entpuppten sich hauptsächlich wieder einmal als getreue Statthalter und aufgeplusterte Lobbyisten des Sports und kaum als politisch verantwortungsvolle Volksvertreter. „Wenn der Sport nicht selbst in der Lage ist, gewisse Dinge zu hinterfragen, müssen wir ihn treiben“, hatte der sportpolitische Sprecher der Grünen Özcan Mutlu seine Kollegenschar aufgefordert.
Bedauern tut nicht weh
Doch davon wollten die Vertreter der Koalitionsparteien nichts hören. Zwar bedauerten sie die menschenunwürdige Situation von Arbeitern im WM-Gastgeberland Katar – das tut ja auch nicht weh. Sie klagten auch über die Machenschaften der FIFA und ein bisschen über das IOC, aber Vorsicht – da sitzt ja mit Thomas Bach ein deutscher Präsident.
Beim Zuhören und später beim Nachlesen der Redebeiträge (im Protokoll ab Seite 22) weiß man nicht genau, ob man den einen oder anderen Beitrag als gelungene Satire, Kamikaze-Versuch der Glaubwürdigkeit, als verbalen Salto mortale mit Bauchlandung, als Dummheit oder clevere Taktik mit Showeffekten einstufen soll.
Eberhard Gienger, einst Turnweltmeister und DOSB-Vizepräsident, sitzt für die CDU im Sportausschuss und landet häufig auf der sportpolitischen Matte mit einer besondern Art des Gienger-Saltos. Wie auch diesmal. „Wo verlaufen die Grenzen von Sport und Politik?“ fragte er. Und es stellte sich heraus: Er weiß es offensichtlich nicht. Denn: Im Antrag der Grünen seien zwei Ebenen vermischt worden, auf der einen Seite die internationale Politik und Diplomatie, auf der anderen Seite die gesellschaftlichen Akteure rund um den Sport. Somit richte man sich mit überhöhten Erwartungen an falsche Adressaten oder verwechsle gar die Maßstäbe mit den Möglichkeiten der Akteure. „Dann können Sport und Politik die internationalen Herausforderungen nicht bewältigen und die Missstände nicht beseitigen.“ Irgendwie hat der Weltmeister da etwas verpasst – die Trennung, die er beschreibt, gibt es schon lange nicht mehr. Die Politik mischt kräftig mit, und die Funktionäre sehen sich gerne an der Seite der Macht und machen selbst Politik.
Falsch und billig
„Die Verantwortlichkeit nur auf die Politik, die Sponsoren und den organisierten Sport zu schieben, ist meiner Meinung nach falsch und billig“ so Michaela Engelmeier, sportpolitische Sprecherin der SPD und Vizepräsidentin im Deutschen Judo-Bund. Für sie „ist es eine durchaus wichtige Debatte“, die von den Grünen angestoßen wurde. „Nicht gut finde ich hingegen, dass Sie den international organisierten Sport offensichtlich politisieren wollen.“ Liebe Frau Engelmeier: Ist das nicht schon so!? Sind nicht Herren wie Juan Antonio Samaranch, der sich sogar selbst und sein IOC für (friedens)politische Sporttätigkeit als Nobelpreisträger ins Gespräch brachte, manchmal sogar die besseren Politiker? Oder der neue Zeus in Lausanne Thomas Bach, der gerne mit Wladimir Putin, den Parteioberen in Peking oder arabischen Ländern globale olympische Geschäfte abwickelt und gleichzeitig vor der UNO sich als Sportpolitiker mit Herz feiern lässt. Wer hat da wohl wen politisiert?! Man kann keine falsche Antwort geben.
Nur Polemik
Spätestens hier steigert sich der Ärger. Was soll der Versuch, Bürgerinnen und Bürger zu veralbern? Jeder, der sich informiert, weiß inzwischen, was da in der Schweiz abgeht, wo die großen Sportorganisationen FIFA und IOC sitzen. Und wie das internationale Sportgeschäft läuft. Nur manche bundesdeutsche Abgeordnete offensichtlich nicht. Und der Ärger steigert sich, wenn das Publikum die polemischen Beiträge eines Frank Steffel, Vorsitzender des Handballvereins Füchse Berlin-Reinickendorf, oder eines Reinhard Grindel, unter anderem DFB-Schatzmeister, miterlebt. Beide sitzen für die CDU/CSU-Fraktion im Sportausschuss. Sind das die Menschen, die den deutschen Sport nicht nur mitgestalten, kontrollieren und nach vorne bringen sollen? Da tröstet dann kurz der konstruktive Beitrag von Andre Hahn (Die Linke).
Das haben die Hanseaten nicht verdient
Natürlich geistert zwischen sachlichen Reden und inhaltsleerem Getöse immer wieder die Selbstbeweihräucherung im Bezug auf die Kür Hamburgs zum nationalen Olympiabewerber 2024. Zwischendurch denkt sich der Bobachter: Diese Art von Satire haben die Hanseaten nicht verdient. Sie haben Unterstützung und konstruktiv-kritische Begleitung verdient, aber keine Aufforderung, der Welt zu demonstrieren, am deutschen Wesen zu genesen… naja, es mal wieder allen zu zeigen. Auch ohne Unterstützung der Grünen, wie sich Grindel nicht verkneifen kann, schließlich hätten sie ja nicht an dem vom DOSB einberufenen Expertengespräch teilgenommen, wo sie Kritik und Vorschläge hätten einbringen können. Er müsste es besser wissen – geschenkt!
Kein Staatssport
Interessant sind die Grindelschen Ausführungen, wenn er den Grünen vorwirft, sie wollten kontrollierten Staatssport, und über Bürgerbeteiligung schwadroniert. „Etwas weniger Kontrolle, etwas weniger staatlicher Einfluss, die Autonomie des Sports achten, auch das gehört zum Verhältnis von Politik und Sport, so wie es zumindest wir als Union haben.“ Kurz elder Statesman, um dann weiter zu poltern: „Sie vergießen hier Krokodilstränen wegen der Bewerber für die Olympischen Winterspiele 2022. Gleichzeitig verlangen Sie eine Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen (…) Wenn man im Fall von München diese Form der Bürgerbeteiligung nicht durchgeführt hätte, sondern auf das Votum der von den Bürgern gewählten parlamentarischen und kommunalpolitischen Gremien vertraut hätte, dann hätten wir in meinen Augen eine sehr gute Chance für eine Winterolympiade in München.“ Nicht nur den Bürgerwillen stellt der Parlamentarier Grindel da in Frage, sondern auch die von ihm geforderte Autonomie des Sports, wenn Politiker entscheiden, wo es lang geht.
Gelebte Demokratie
SPD-Kollege Axel Schäfer dagegen forderte Selbstkritik der Parlamentarier ein. Man könne es nicht zulassen, dass durch Sportgroßereignisse und damit aufoktroyierten Verträgen oder Regeln „die Demokratie zum Teil außer Kraft gesetzt wird.(…) Wenn es in vier Städten in Bayern eine Mehrheit gegen Olympische Spiele gibt (…), dann ist das auch ein Teil der Demokratie, von der wir und mit der wir leben. Der DOSB ist heute der Meinung, dass man eine Vergabe nur noch durchführen kann, wenn das auch so von den Bürgerinnen und Bürgern (…) akzeptiert wird“, richtete er an die Adresse Grindels.
Soll man den Sportausschuss wollen
Fazit des Ganzen: Die Debatte war längst überfällig – und wären außer den Grünen und Linken auch die anderen Sportpolitiker wirklich an Sportpolitik interessiert, hätte so eine Diskussion vor einer neuen deutschen Bewerbung für Olympische Spiele stattfinden müssen. Nun landet der Antrag erst einmal in den Ausschüssen. Erschreckend an den Auftritten war, dass mancher Parlamentarier offensichtlich Nachhilfe in Sachen Demokratieverständnis braucht. Und am Ende stellt sich auch die Frage: Soll man überhaupt einen Sportausschuss wollen, in dem manche Mitglieder ihrer Aufgabe und ihrem Wahlauftrag überhaupt nicht gerecht werden? Zu einem besseren Image des Gremiums hat diese Diskussion nur bedingt beigetragen, die Oppositionsparteien versuchten es. Die Koalitions-Vertreter sollten die eingeforderte Transparenz wie manches andere auch im Sportausschuss umsetzen: Das finge dann schon mal mit öffentlichen Sitzungen an. Oder mit der Neutralität der Mitglieder, die nicht gleichzeitig ein tragendes Funktionärsamt haben sollte, wenn sie just über diesen Bereich entscheiden müssen. Die Glaubwürdigkeit bleibt auf der Strecke, wenn man sich in Interessenkonflikten als kläffender Pudel eigentlich selbst in die Hand beißen müsste.