Eine Grünen-Konferenz beschäftigte sich in Berlin mit Sportgroßereignissen: Andere Spiele sind möglich – wenn man sie denn will
Heureka – alles fließt, fragt sich nur wohin….
Sisyphos hätte längst schon resigniert: Zwei Schritte vor, fünf zurück. Die Diskussionen über Sinn und Unsinn von Sportgroßveranstaltungen wie Olympischen Spielen oder Fußball-Weltmeisterschaften erinnern an das Absurde, das Albert Camus in Sisyphos sah. Vergabekriterien, Nachhaltigkeit, Transparenz, Korruption, politischer Missbrauch, Inszenierung, Bürgermitbestimmung sorgen seit Jahrzehnten mehr oder weniger aktuell für Schlagzeilen, besonders aber dann wieder, wenn eine Vergabe-Entscheidung ansteht.
In Deutschland erlebten der Deutsche Sportbund (DSB) und seine Nachfolgeorganisationen Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB) bei Bewerbungen in den letzten Jahrzehnten bei Olympia-Bewerbungen Pleiten, aus denen man aber offensichtlich nichts gelernt hat. Das wurde zum wiederholten Mal auf der Veranstaltung der Grünen unter dem Motto „Andere Spiele sind möglich! Sportgroßereignisse nachhaltig und im Einklang mit Menschenrechten gestalten“ deutlich – besonders in der Person von Michael Vesper, der seiner Doppelrolle als Phrasen-Schönredner und ignoranter Abwiegler wieder mal gerecht wurde.
Glaubwürdigkeit statt Mauscheleien
Die Grünen fordern seit Jahren klare Vergabekriterien und Menschen- sowie Bürgerrechte ein. Vor zwei Jahren scheiterten sie im Bundestag mit einem Antrag zur Vergabepraxis. Demnächst soll ein neuer eingebracht werden. Mit ihrem Diskussionspapier wollen sie, wie Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sagt, den Sport wieder in den Vordergrund rücken. Derzeit seien Weltverbände wie die FIFA oder das IOC unglaubwürdig: „Das Niveau der FIFA entspricht etwa dem des Bösewichts in James-Bond-Filmen.“
Da ist was dran. Mit Tricks und Mauscheleien, Regelauslegungen nach Gutsherrenart, Verkauf der Ringe und damit dem Ausverkauf der olympischen Werte, aber auch mit Drohgebärden und Anschmiegen an Mächtige, agieren Funktionäre weltweit und auch zu Hause, um sich Prestige, Wichtigkeit und Macht zu erhalten.
An die schon vielgepriesenen Reformen – die zwar noch keiner richtig kennt – der FIFA und des IOC mag keiner so recht glauben. Überfällig sind sie schon lange. Die Grünen haben da klare Forderungen: „Wir brauchen im internationalen Sport demokratische Entscheidungsfindungen, wir brauchen Glaubwürdigkeit und Transparenz bei den Vergabeprozessen“ so Göring-Eckardt.
Ändern ja, aber nicht bei mir
Zwar reden viele im Sport Verantwortliche auch von Aufklärung, Korruptionsbekämpfung, personeller und inhaltlicher Erneuerung. Sylvia Schenk von Transparency International, die von Veranstaltung zu Veranstaltung reist, um gegen Auswüchse zu kämpfen, stellte auch hier wieder vor, dass man, wenn man denn will, mit bestimmten Instrumentarien Korruption verhindern und die Kontrolle behalten kann.
Ändern muss sich was, ja. Aber bitte nicht bei mir! Nehmen wir die FIFA. Nach den skandalösen Ereignissen um die Vergabe der WM an Katar wurde deutlich, was sich da für ein Schmierentheater abgespielt hat. Der öffentliche Druck zwang zum Handeln. Schön – und jetzt? Ein Korruptionsbericht, der fertig vorliegt, ist immer noch nicht veröffentlicht. Präsident Josef Blatter, der Mann, der mit eiserner Hand und wenig Widerspruch das FIFA-Zepter schwingt, tritt nun doch zu einer weiteren Amtszeit an. Ist das die Erneuerung? Belastetes Personal?
Doch man darf nicht ungerecht sein: Die FIFA reformierte ihre Ethikkommission, die in zwei Kammern arbeitet – eine ermittelnde und eine Recht sprechende. Das könnte man als Fortschritt bezeichnen, der aber keinesfalls freiwillig war oder gar von Einsicht gelenkt wurde.
Nur unter dem Druck der Ereignisse
Theo Zwanziger, selbst FIFA-Vorstandsmitglied, formuliert das so: „Das ist nur unter dem Druck der Ereignisse zustande gekommen. Ich glaube, wenn wir morgen wieder darüber abstimmen müssten, gäbe es diese Kommission schon nicht mehr.“
Vor allem der mediale Druck habe zum Handeln gezwungen, sagt Zwanziger, der auch als DFB-Präsident auf nationaler Ebene damit so seine Erfahrungen hat. Er ist überzeugt, dass nachhaltige Veränderungen aus den Verbänden selber kommen müssen. „Der Sport hat in seinen Satzungen – das wird beim IOC und beim Deutschen Olympischen Sportbund nicht anders sein als bei den Fußballverbänden – klare wertorientierte Begriffe. Diese Begriffe mit Inhalt zu füllen, entschieden gegen Diskriminierung einzutreten, das darf nicht nur in der Satzung stehen, sondern das muss glaubwürdig rübergebracht werden. Diese Glaubwürdigkeitslücke muss man schließen, sonst ist das alles Heuchelei.“
Scheinwelt mit Fakes
Heuchelei: Der Philosoph Gunter Gebauer hatte in seinem Einführungsbeitrag über die Scheinwelt des großen Sports gesprochen: Da werde die Macht der Bilder genutzt, um dem Zuschauer Fakes vorzuführen – das fange mit zusammengeschnittenen, angeblichen Live-Fernsehbildern an und setzte sich bei der gefakten (gedopten) Leistung fort. Heuchelei – oder mehr noch: Ich schaffe mir eine Welt nach meinem Gusto und meinen Interessen und nach denen meiner manchmal nicht unproblematischen Gastgeber. Bilder wie die von einem Betrüger Ben Johnson, der umringt von einer Pressemeute das Olympische Dorf nach seinem vermeintlichen 100-m-Jahrhundertlauf geschmäht verlässt, wird es nie mehr geben, hatte Juan Antonio Samaranch nach dem olympischen PR-Desaster in Seoul gesagt – und alles dafür getan. Dass auch Diktatoren bei richtigen olympischen Inszenierungen gut aussehen können, wissen wir seit 1936. Der Schein muss gewahrt werden, koste es nun Glaubwürdigkeit oder Menschenrechte.
Symbiose Sport und Politik
Jens Siegert, Leiter der Heinrich- Böll -Stiftung in Moskau, sagt, dass menschenrechtliche Standards im Sport offensichtlich ohnehin nicht gelten. Denn sonst hätte man die Olympischen Spiele nicht nach Sotschi vergeben dürfen. Auch die Leichtathletik-WM hätte nicht in Russland stattfinden dürfen. Denn: Putin legitimiere mit dem Sport auch seine Politik. Nicht nur er. „Wer sagt, der Sport sei unpolitisch, liegt falsch. Der Sport wird auch nicht ausgenutzt. Sondern es ist eine Symbiose, die sich da zwischen Sport und Politik bildet“, sagt Siegert weiter, der auch die Vetternwirtschaft kritisiert, das enge Verknüpfungssystem zwischen Politiker und Sportfunktionär, die manchmal in Personalunion agieren.
Das Argument, wenn es nach Menschenrechten ginge, könne man in fast gar kein Land, auch die USA oder Deutschland, mehr Sportgroßereignisse geben, weist er zurück. „Wenn wir über Menschenrechte reden, dann reden wir über Menschenrechte überall in der Welt. Und es gibt durchaus Kriterien, mit denen man beurteilen kann, ob systematisch Menschenrechte verletzt werden.“
FIFA und IOC sind Unternehmen
Miriam Saage-Maaß vom European Center for Constitutional and Human Rights stimmte zu, warnte aber auch davor, dass man ganz schnell Menschenrechte bei solchen Auseinandersetzungen instrumentalisieren könnte. Natürlich gebe es Prüfmechanismen und Sanktionsmöglichkeiten, aber wer soll da entscheiden? Bei Unternehmen, die global agieren, sind Menschenrechts-Standards verpflichtend. Wie aber ist es nun mit einer sogenannten Non-Profit-Organisation, als die FIFA und IOC ja nach wie vor gelten, obwohl sie wie Unternehmen agieren? Tom Koenigs, Menschenrechtssprecher der Grünen, ist der Meinung, dass man auch FIFA und IOC wie Unternehmen bewerten sollte.
Doch das hört man im Sport nicht gerne. Man lässt sich gerne als Heilsbringer feiern: Mit Sport und durch Sport werde die Welt besser. Durch Sportgroßereignisse würden Diktaturen aufgebrochen, gesellschaftliche Missstände aufgedeckt – und nach den Spielen würde alles besser sein, so die Argumente, die gebetsmühlenartig wiederholt werden: Griechenland (hochverschuldet und in einer existenziellen Krise u.a. wegen der Olympischen Spiele), Peking (die Lage für Regimekritiker ist schlimmer als vor den Spielen), Russland (Ukraine , Homosexuelle, Rassendiskriminierung) sind schlechte Beispiele für olympische nachhaltige Erfolgsgeschichten.
Neutral, aber wir reden überall mit
Michael Vesper, DOSB-Generalsekretär, der sich bei solchen Anwürfen einerseits auf die „politische Neutralität des Sports“ beruft, sich anderseits aber dann doch in die politische Debatte begibt, verwickelt sich in Widersprüche und wird unglaubwürdig. Etwa so: „Wenn ein Torwart sich vor einen Zug schmeißt, diskutiert die ganze Nation über Depression und Suizidgefahren. Wenn ein Fußballtrainer sein Burnout öffentlich macht, diskutiert die Republik über Burnout. Wenn sich ein prominenter Fußballspieler bekennt, homosexuell zu sein, ist plötzlich das Thema Homosexualität in aller Munde. Ich glaube, der Sport hat wie kein zweiter die Möglichkeit, auf Dinge hinzuweisen.“ Stimmt, Herr Vesper, dass er aber in vielen Fällen Verursacher ist, etwa weil die Athleten einem ungeheueren Druck ausgesetzt sind, keine ausreichende Betreuung haben, allein gelassen werden, wenn sie in eine Krise stürzen, davon kein Wort?
Auch auf dieser Veranstaltung wurde deutlich, dass das Kommunizieren miteinander offensichtlich schwer fällt. Vor allem innerhalb des Sports, aber auch unter den beteiligten Gruppierungen, die sich etwa in Berlin für oder gegen eine Olympia-Bewerbung stark machen. In den Diskussionsbeiträgen wurde mehr als deutlich, dass auch hier ein Versagen des DOSB vorliegt: Wer die Bürger und Bürgerinnen mitnehmen will, der muss offen mit Bewerbungs– und Entscheidungskriterien umgehen, was wohl nicht der Fall ist. Auf der anderen Seite muss man auch jemandem wie Tilmann Heuser vom BUND die Möglichkeit geben, sich erst eine Meinung zu bilden, Argumente von allen Seiten zu hören, anstatt gleich Nein zu einer Berliner Olympiabewerbung zu sagen.
Streitkultur passe
Offene Diskussion und eine gute Streitkultur sind im deutschen Sport schon lange passe. „Entscheidungen“, so sagte vor kurzem mal einer, der lange in den obersten Sportgremien dabei war „sind meistens in Etagen- und Klüngelrunden gefallen. Und daran hat sich nichts geändert. Wer am Hebel sitzt, der zieht auch dran.“
Aber eigentlich sollte nun dem letzten Funktionärsträger im deutschen Sport aufgefallen sein, dass es nicht mehr so einfach ist, alles durchzusetzen. Und wenn Vesper und der DOSB glauben, dass ihre Vorstellung von Bürgerbeteiligung an einem olympischen Entscheidungsprozess ist, sich Stakeholder aus gesellschaftlichen Organisationen nach Frankfurt zu holen, dann haben sie offensichtlich immer noch nicht verstanden, was in einer Demokratie unter Bürgerbeteiligung zu verstehen ist.
Das lassen Sie mal unsere Sorge sein
Wie wäre es denn auch mal, die 28 Millionen eigenen Mitglieder – in der größten Bürgerbewegung, als die sich der DOSB so gerne lobt – mal zu fragen, wie sie zu Olympia und den Folgen für sie und ihren Verein oder Verband stehen? Da hätte man schon ein Meinungsbild bundesweit aus den eigenen Reihen. Aber will man das? Wie sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann mit fast arrogantem Unterton vor kurzem in Berlin auf die Frage, wie sich der DOSB eine Bürgerbeteiligung vorstelle? „Das lassen Sie mal unsere Sorge sein.“ Ja, das ist ja nun die Sorge des passionierten Sportfans, was da abgeht.
Funktionäre national und international versuchen verzweifelt beim Tanz um das Goldene Kalb Sport den Takt zu halten, geraten aber mehr und mehr durch Buhrufe und kritische Zwischenfragen außer Tritt.
Die Konferenz der Grünen sollte auch den anderen Parteien, dem Bundestags-Sportausschuss und der Bundesregierung zu denken geben, ob man für und um jeden Preis überhebliche Funktionäre im Hochleistungssport unterstützen soll oder ob man sie nicht endlich mal auf den Platz verweist, wo sie und ihr Produkt auf der Rankingliste der Wichtigkeit hingehören: auf die Hinterbänke.