Die Definition der breiten Mehrheit

Das Berliner Olympiastadion.

Das Berliner Olympiastadion.

Hamburg und Berlin wollen die Spiele / Umfrage in den Städten als Vorentscheidung

Berlin, 20. Februar – Wenn in den nächsten Tagen in Hamburg oder Berlin das Festnetztelefon klingelt, dann könnte ein(e) Mitarbeiter(in) vom Forsa-Institut an der Strippe sein, um die olympische Begeisterung des Telefonbesitzers abzurufen. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat eine weitere Umfrage in Auftrag gegeben, um der Kür einer Bewerberstadt für die Olympischen Spiele 2024 näherzukommen. Berliner und Hamburger werden gefragt. Ja was eigentlich? Was genau, das will der DOSB vorab ebenso wenig verraten wie die Dauer der Umfrage. Aber bei einer Zahl ist der DOSB immerhin offen: In jeder Stadt sollen 1.500 Menschen ihre olympische Befindlichkeit outen.

3.000 entscheiden maßgeblich

Nun entscheiden also 3.000 meist telefonisch überrumpelte Menschen maßgeblich mit über die angehende deutsche Bewerberstadt – wer die Mehrheit hat, der macht das Rennen, so sieht es wohl aus.

Da komme keiner mit Konzepten oder Finanzplan oder gar Innovationen. Zustimmung ist das Zauberwort. Denn nach der letzten Bewerbungs-Pleite mit München will man nun vielleicht doch hören, was die Bevölkerung so will.

Aber Umfragen und Statistiken, das ist eben auch so eine Sache, wenn man sich nur darauf verlässt. Es hört sich schon fast wie das Pfeifen im Wald an, wenn Michael Vesper, Vorstandsvorsitzender des DOSB, in einem sid-Interview vor wenigen Tagen erzählt, die Zustimmung zu Olympia sei gewachsen. Woran macht er das bitte fest? Natürlich haben sich die Verantwortlichen in Hamburg und Berlin in den letzten Wochen überschlagen, die eigene Klientel und die Bürger mit allen möglichen Aktionen zu motivieren, aber Begeisterung sieht anders aus.

Hamburgs Olympiapark. Quelle: Gärtner + Christ

Hamburgs Olympiapark. Quelle: Gärtner + Christ

Transparent und partizipativ

Eher als Hals-über Kopf-Aktion mutet das an, was der DOSB Olympiabewerbung nennt. Da beschließt das Präsidium im Oktober 2014, sich für Olympia 2024/2028 zu bewerben. In dem Beschlussvorschlag für die Mitgliederversammlung, die am 6. Dezember das ganze dann abnicken durfte, hieß es: „Der Bewerbungsprozess ist transparent und partizipativ zu gestalten, und in Abstimmung mit der Bewerberstadt ist zu geeigneter Zeit ein Bürgerentscheid abzuhalten.“ Transparent und partizipativ – davon ist eigentlich wenig zu merken, und bei den Bewerbern wird Klage geführt, dass „man doch in manchen Dingen vom DOSB überrollt und alleingelassen oder gar überrascht wird“.

Fair Play und Teamgeist, die bei jeder öffentlichen Rede gerne als positive Umgangs-Attribute im Sport gepriesen werden, bleiben auf der Strecke. Aus den letzten fehlgeschlagenen Bewerbungen – Berchtesgaden 1992, Berlin 2000, Leipzig 2012 und München 2018 – haben die nationalen Sportführer nichts gelernt, keine Konsequenzen gezogen. Wer glaubt, im Parforceritt und nach Gutsherrenart eine Bewerbung durchziehen zu können, der kann nicht dazugelernt haben. Doch – zumindest beim Kreieren einer neuen Stelle: Bernhard Schwank, einst Leistungssportdirektor, dann für die Münchener Kampagne federführend, hat nun das Amt des „Vorstandes Internationales/Olympiabewerbung“ inne. Was will der DOSB uns mit dieser neu geschaffenen Position in alter Besetzung sagen? Ist das neue Amt vielleicht schon im Blick auf olympische Bemühungen für 2028 geschaffen worden? Kann Schwank alte Fehler, die bei der bayerischen Bewerbung gemacht wurden – aus eigener Erfahrung – besser umschiffen als ein anderer?

De Maiziere sollte einfordern

Warum, so fragt sich der wohlmeinende kritische Begleiter, ein nationales Ausscheidungsrennen, bei dem unnötig Steuergeld und personelle Ressourcen verplempert werden? Über 51 Millionen D-Mark wurden für die Berliner Bewerbung um die Sommerspiele 2000 aus öffentlichen Kassen rausgeworfen. Auch die Bewerbung um 2012 endete mit hohen Ausgaben für die Bewerber, darunter Hamburg, und mit finanziellen Skandalen in Leipzig. Den Trouble damals erlebte der heutige Bundesinnenminister Thomas de Maizière hautnah als sächsischer Minister mit. Die Erfahrung, wie die Leipziger Bewerbung in den sächsischen Sand gesetzt wurde, müsste ihn veranlassen, die Sportfunktionäre mehr zu kontrollieren und von ihnen transparente, inhaltlich gut erarbeitete Bewerbungskonzepte einzufordern, bevor man sich wieder auf ein olympisches Abenteuer einlässt. Auch diesmal wird der olympische Städte-Vorlauf sicher nicht ganz billig. Gäbe es echte nationale inhaltliche Kriterien und Vorgaben, könnten sich Kandidaten beim DOSB bewerben, und dort würde nach harten Fakten von Fachleuten – besonders externen – über eine deutsche Bewerbung entschieden, und man könnte (sich und) dem Steuerzahler viel ersparen.

Zeitdruck

Diesmal aber werden in Hektik und unter Zeitdruck Planungen durchgezogen, Etats aufgestellt, und es wird mit Zahlen in den Städten öffentlich jongliert, die nie Bestand haben können, weil man gar nicht weiß, was auf die Kommunen tatsächlich zukommen wird. Was auch davon abhängen wird, wie weit die Umsetzung der so gefeierten IOC-Strukturänderungen, von denen man jetzt so gar nichts mehr hört, fortgeschritten ist. Wie also sollen Diskussionen mit den Bürgern wahrhaftig und ehrlich geführt werden (falls das überhaupt irgendwer will), wenn die Voraussetzungen unklar und viele Kriterien noch immer verschwommen sind?

Zäh und leblos

Irgendwie fühlt sich diese Olympiabewerbung zäh an, gezwungen, leblos. Keiner will so richtig. Vieles mutet provinziell und kleinkariert an, viele scheinen beim Zuruf „Olympia“ in Deckung zu gehen. Abgeordnete und Politiker aus Bund und Ländern, selbst die, die sonst zu allem etwas wissen und gerne vor den Kameras stehen, drängeln sich nicht, um olympische Statements abzugeben. Die jeweiligen Städte bemühen sich, Athleten und Prominente für den olympischen Gipfelanstieg zu gewinnen, aber „Feuer und Flamme“ (Hamburger Motto) sind sie nicht. Und außer dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller, der qua Amt schon olympischen Enthusiasmus verkünden muss, scheint zum Beispiel der Berliner Sportsenator Frank Henkel eher zur olympischen Jagd getragen werden zu müssen, als dass er sich freiwillig für das Berliner Motto „Wir wollen die Spiele“ warmläuft.

In Hamburg scheinen an den Spielen vor allem Wirtschaftsvertreter interessiert zu sein, die sich schon zeitig in die Startlöcher begaben – und denen der DOSB-Präsident dann auch schon das eine oder andere positive Signal gegeben haben soll. In Berlin hatte man weniger Zeit, für den DOSB Hof zu halten, da die politischen Vertreter mit sich selbst und anderen Dingen mehr beschäftigt waren – etwa Bürgermeisterwechsel, Flughafengerangel usw. Dennoch: Die Hauptstadt hofft noch – nach einer eher unglücklichen Beziehungskiste Olympia und Berlin – auf ein Happy End.

Kein Selbstläufer mehr

Wie will man nun auf den letzten Metern Menschen für Olympische Spiele begeistern, die ja – zumindest glaubt das die Funktionärskaste noch immer – ein Selbstläufer sind, ein Phänomen, von dem sich alle in den Bann ziehen lassen? Doch genau an diesem Punkt muss man mittlerweile ein dickes Fragezeichen setzen. Ist das wirklich noch so? Die Menschheit wird weltweit mit Events und Mega-Events überschüttet. Die Spiele sind ein Event von vielen, auch wenn gebetsmühlenartig immer wieder betont wird, dass Olympia an sich schon etwas Besonderes ist, Werte vermittelt und friedensstiftend ist.

Nein, die Spiele sind mittlerweile dickes Geschäft, bei dem alle mitverdienen wollen, manche sich nicht mit dem begnügen, was ihnen zusteht, und sich gerne korrumpieren lassen, wenn der Preis stimmt. Natürlich gibt es auch honorige Leute in der internationalen und nationalen olympischen Familie. Sie müssen aber mehr und mehr zusehen, wie die letzten Werte verramscht werden. Alle selbsterklärten IOC- Reformer entlarven sich früher oder später als profitorientierte Manager und keineswegs als Erneuerer der olympischen Bewegung. Sicher liegen die olympischen Macher im Trend, ihre Ware und neue Geschäftsidee so originell und teuer wie möglich unter die Leute zu bringen, aber damit hat sich das Sujet Olympia gemein gemacht. Und somit müssen IOC und auch nationale Dachorganisationen, die sich mehr dem Business als ihrem eigentlichen Auftrag verschrieben haben, auch wie alle anderen behandelt werden: Privilegien ade für sogenannte Non-profit-Gesellschaften, deren Profession fast nur noch Geschäft und Profit und der Drang nach Macht und zu den Mächtigen ist, der manchmal eine fatale Selbstüberschätzung der eigenen Rolle und Bedeutung zur Folge hat.

Zuhause nicht als Spektakel-Plattform

Genau diese Mentalität ärgert viele Bürger und Bürgerinnen zunehmend nicht nur hier, sondern auch in vielen anderen europäischen Städten. Und deshalb wollen sie ihre Heimatstadt, ihr Zuhause nicht mehr als Plattform für ein überteuertes Spektakel zur Verfügung stellen. Es gebe genügend andere Dinge, die in einer Stadt wie Berlin erstmal angegangen werden müssten, als Olympische Spiele. Wer in seinem Umfeld kaputte Straßen oder marode Schulen oder Turnhallen hat, der lässt sich auch von noch so schönen Rechenbeispielen nicht überzeugen, dass sich im Sog Olympias das alles ganz schnell zum Guten wendet.

Selbst die eigene Klientel in Vereinen kommt bei manchen Plänen ins Grübeln, ob das alles wirklich so gut ist für den Sport, den sie treiben wollen und ihren Kiez. „Wissen sie, die Stadt ist schon so ständig im Umbruch.Wir leben mit Absperrungen wegen Staatsgästen, Events, Fanmeile usw. Mit Olympia wird es nicht besser. Ohne auch nicht. Und wenn ich an die Schulden der Stadt denke, dann wird mir nicht wohler. Wer in dieser Stadt Weltklassesport sehen will, der kann das, wer Sport treiben will, der kann das auch.“ Diese Meinung eines Berliner Vereinsmitglieds nach einer Infoveranstaltung könnte man auf viele andere übertragen.

Befürworter können nicht verstehen, dass man Olympische Spiele nicht als Chance sehen will. Schließlich wolle man doch bescheidene, keine gigantischen Spiele. Ja, und da fragen nun wieder Gegner, was bescheidene Spiele sind. Und was vor allem das IOC darunter versteht. So erlebt man auch in Sportgruppen einen olympischen Riss.

Schuld sind dann die Befragten

Präsident Alfons Hörmann, der für die missglückte Münchenbewerbung mit verantwortlich war und der teilweise ein recht eigenwilliges Demokratieverständnis hat, will diesmal – zumindest wenn es darum geht, wer die Bewerbung vielleicht versiebt hat – von Anfang an seine Hände in Unschuld waschen. Deshalb also die Befragung der Bürger. Und die sind dann schuld, wenn es schief geht. Nach dem Motto: Wir wollten ja, aber das Fußvolk nicht.

Nun hatten sich im September 2014 bei der ersten Forsa-Umfrage, die der DOSB im Auftrag gab, 53 Prozent der Hamburger und 48 Prozent der Berliner für Olympische Spiele ausgesprochen. Das ist nun nicht wirklich die breite Mehrheit, von der der Präsident und sein Vorstandsdirektor Vesper immer wieder sprechen.

Was ist aber in den Augen des DOSB eine breite Mehrheit? DOSB-Pressesprecher Christian Klaue sagt, das könne man jetzt so nicht sagen. Wie dann? Also 52 Prozent, nur so als Beispiel, sind keine breite Mehrheit? Aber vielleicht in Relation zu der anderen Stadt, die vielleicht dann nur 39 Prozent Zustimmung hat? Wie ist das gedacht? Anworten, die von Hörmann dazu zu lesen oder hören sind, sind wage und manchmal ziemlich krude.

Wann und wie die Umfrageergebnisse nun veröffentlicht werden, „wird in geeigneter Form und zu gegebener Zeit bekannt gegeben“, sagt Klaue. „Wir wollen uns da nicht vorab auf einen Tag und eine Uhrzeit festlegen. Wir haben natürlich einen Plan im Kopf, wollen das aber jetzt nicht ankündigen.“

Keine Beeinflussung bitte

Und auch die Besetzung des Expertengremiums, das dann die Umfrage analysieren und eine Empfehlung für einen Kandidaten aussprechen soll, wird erst unmittelbar vor dem 16. März bekannt gegeben. Das ist der Tag, an dem das DOSB-Präsidium mit just diesem Gremium tagen soll. „Wir wollen die Experten aktuell nicht nennen, um eine Beeinflussung zu vermeiden“, sagt Klaue. Also wie will man eine Beeinflussung vermeiden? Man darf davon ausgehen, dass die Experten wissen, dass sie am 16. März beim DOSB aufschlagen sollen. Dürfen die Experten jetzt nicht mehr fernsehen, Zeitung lesen, ins Internet gehen? Sind die eingesperrt wie Geschworene in US-amerikanischen Spielfilmen? Oder glaubt man etwa, da würde jemand mit einem Geldbündel oder einem Exklusiv-Wochenende in einem Fünfsterne-Hotel für Zustimmung sorgen wollen? Wie war das mit der Transparenz?

Kür in der Paulskirche in Frankfurt

Zum zweiten Mal ist die Frankfurter Paulskirche Tagungsort für ein sportliches Spektakel: Das erste Mal feierten sich die Sportfunktionäre bei der Vereinigung von Deutschem Sportbund und Nationalem Olympischen Komitee von Deutschland zum DOSB am 20. Mai 2006 an dem Ort, an dem die deutsche Demokratie ihren Anfang nahm.

Und nun soll am 21. März Hamburg oder Berlin als Olympiabewerber gekürt werden – nach einem merkwürdigen Prozedere. Das Präsidium wird den Vorschlag vorlegen, und die Mitgliederversammlung darf dann abnicken. Damit ist aber noch nichts klar. Im September müssen erst mal die Bürger und Bürgerinnen der auserwählten Kommune darüber abstimmen, ob sie denn nun wirklich Bewerber sein wollen. Was passiert bei einem Nein? „Dann wird Deutschland eben nicht dabei sein“, sagte Hörmann bei einem seiner zahlreichen Auftritte der letzten Monate. Aber ein Nein, das werden die Funktionäre zu verhindern wissen und die Fanfare zum nationalen olympischen Begeisterungseinpeitschen blasen.

Also: Falls bei Ihnen das Festnetztelefon in den nächsten Tagen klingelt und Forsa nachfragt: Überlegen Sie sich gut, was Sie sagen. Es könnte schwerwiegende olympische Folgen in jeder Hinsicht auch für Sie persönlich haben.

 

2017 Kür in Lima

Bisher haben Boston und Rom ihre Bewerbung für die Sommerspiele 2024 offiziell angekündigt. In anderen Ländern wird noch nachgedacht. Etwa in Katar, das sich offensichtlich alle Sportevents kaufen will, die zu haben sind – koste es, was es wolle. Auch in Paris soll man über eine weitere Bewerbung nachdenken, wobei an der Seine wie in manch anderen Ländern vor allem die politische Lage und auch damit verbundene Sicherheitsfragen Verantwortliche zögern lassen. Wie lang am Ende die Kandidatenliste sein wird, aus der die IOC-Mitglieder dann ihren bevorzugten Bewerber wählen können, wird sich im September in Lima bei der 127. Session des IOC zeigen.