Es mag ein schwacher Trost sein: Immerhin haben die Mitglieder des IOC noch die Wahl, wenn sie im Sommer 2015 über die Winterspiele 2022 abstimmen. Peking oder Almaty in Kasachstan sind noch im Rennen, nachdem Oslo seine Bewerbung zurückgezogen hat. Grund zur Panik sieht Gian-Franco Kaspar, IOC-Mitglied und Vorsitzender der Wintersportverbände, aber nicht. Geschweige denn eine Krise des IOC, die er im Deutschlandfunk vehement verneint.
Zwar räumt er ein, dass die Kosten von Sotschi und auch das Image des IOC sicher ein Grund für die Olympia-Müdigkeit seien. Aber nein – das IOC hat doch keine Krise! Dass die Norweger, eine begeisterte Wintersportnation, nicht mehr wollten, sei hausgemacht, sagt er. Präsident Thomas Bach sah den Rückzug als politisch motivierte Entscheidung einer Minderheitenkoalitionsregierung. Die aber, wie Norwegens Regierungschefin Erna Solberg sagt, entsprechend dem Bürgerwillen fiel. „Die Unterstützung im Volk war einfach zu gering.“ Das mussten auch norwegische Sportler und Sportlerinnen erkennen, die den „fehlenden Enthusiasmus“ schon im letzten Jahr mit Bedauern feststellten.
Da muss man nun aber fragen: Wie steht es um die Wahrnehmung der Herrschaften auf dem schweizerischen Olymp? Sind sie in einer Wolke eingehüllt, die ihnen noch weiter die (Ein-)Sicht vernebelt? Oder: Welches Kraut rauchen die denn?
Denn mit ihrer Einschätzung und Analysen der Situation liegen sie schwer daneben: Ob Graubünden, München, Stockholm, Krakau oder nun Oslo: Die Bürger und Bürgerinnen haben die Nase voll von Gigantismus, Umweltzerstörung und der Selbstherrlichkeit engstirniger, eitler und nach Profit, Macht und Image heischender Funktionäre.
Skandinavische Zeitungen sehen das „historische Ende der Winterspiele“. Bach widerspricht – was sonst. „ Niemand muss sich um die Olympischen Spiele Sorgen machen. Wir sehen weltweit, wie diese Spiele mehr denn je als Premiumprodukt wahrgenommen werden. Es würden sonst nicht sehr kühl kalkulierende Firmen oder TV-Anstalten Verträge bis ins Jahr 2032 abschließen.“
Ja, auch manche Fernsehleute haben schon aufs falsche Pferd gesetzt, Herr Bach. Auch unter Medienvertretern herrscht nicht selten Selbstverliebtheit, die dann in Selbstüberschätzung und Eigentoren endet.
Nächste Frage: Wie mögen wohl bei der Art von Beratungsresistenz die angekündigten Reformen aussehen, wenn null Bereitschaft besteht, sein Produkt zu hinterfragen, die aktuelle Diskussion um und über das IOC aufzunehmen, geschweige denn mal alle Karten auf den Tisch zu legen? Wer bitteschön, ist da der kühl kalkulierende Macher?
Man kann auch überziehen – nicht zuletzt die Geduld des geneigten Publikums, das häufig nicht nur als Zuschauer, sondern auch als Steuerzahler unbotmäßig gemolken wurde. Das IOC hat in den letzten Jahrzehnten mit allem übertrieben, mit Wachstum, Anforderungen und der eigenen Wichtigkeit. Wenn die Verantwortlichen nicht bereit sind, eine Runderneuerung von innen zu starten, sich als Nebensache und nicht als Nabel der Welt zu sehen, ihre geschlossenen Reihen zu öffnen und sich als gläserne Funktionäre und Institution zu präsentieren, dann wird nicht nur die norwegische Zeitung Aftenposten mit ihrer apokalyptischen Prophezeihung vom olympischen Ende Recht behalten.