Dopingvorwürfe holen Sportausschuss-Vorsitzenden ein
Berlin, 17. März. Frank Ullrich ist seit 15. Dezember 2021 Vorsitzender des Sportausschusses im Deutschen Bundestag. Qua Amt sitzt er nun auch im Aufsichtsrat der Nationalen Anti-Dopingagentur (NADA). Deshalb regt sich nun Unmut über den Thüringer Biathlon-Olympiasieger und ehemaligen Bundestrainer der Biathleten und Langläufer. Weil es eine Doping-Vorgeschichte gibt.
Nicht nur Fritz Güntzler, Obmann der CDU/CSU- Fraktion im Sportausschuss, war überrascht, als er erfuhr, dass die Aufsichtsrats-Personalie am Sportausschuss völlig vorbei gegangen ist. Auch viele aus Ullrichs eigener Partei, der SPD, erfuhren erst bei der Lektüre der NADA-Seite im Internet, dass er schon seit 1. Januar 2022 in deren Aufsichtsrat sitzt. Was sein gutes Recht ist, wie auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages dem Abgeordneten Güntzler auf Anfrage bestätigt.
Informationspflicht? „Kann oder will der/die Vorsitzende des Sportausschusses das Amt im Aufsichtsrat nicht übernehmen, so ist der Ausschuss hierüber zu informieren, damit er die alternativ vorgesehene Benennung eines anderen Ausschussmitgliedes durchführen kann.“ Soweit die klare juristische Sachlage. Ullrich wollte das Amt, deshalb keine Ansage. Den KritikerInnen aber geht es, so betonen sie, um Glaubwürdigkeit in der Anti-Dopingpolitik. Und auch um den Umgang miteinander.
„Das geht gar nicht“, empört sich Güntzler. „Die NADA ist eine der wichtigsten Institutionen in Deutschland, wenn es um das Thema „sauberer Sport“ geht. Wenn wir die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der Institution bewahren wollen, darf im Aufsichtsrat niemand mit einer Dopingvergangenheit sitzen. Solange die konkreten Anschuldigungen gegen Frank Ullrich nicht durch eine unabhängige Kommission aus dem Weg geräumt werden, sollte unser Sportausschuss-Vorsitzender aus Respekt allen Sportlerinnen und Sportlern gegenüber sein Amt im Aufsichtsrat der NADA niederlegen“, fordert der CDU-Mann, der sich überrascht zeigt, dass „das nicht schon im Vorfeld der Wahl öffentlich thematisiert wurde“.
Alles geklärt
Wurde es. Zumindest von einigen sportpolitischen JournalistInnen. Aber auf Nachfragen, ob das mit Ullrich als Sport-Ausschussvorsitzender nicht nur wegen der immer noch im Raum stehenden Doping-Vorwürfe wirklich ein gelungener Coup sei, wurde auch aus Kreisen der SPD abgewunken: Es sei alles geklärt – schließlich gebe es ja die Untersuchung des Deutschen Skiverbandes (DSV). Und auch die Ausschussmitglieder aller Parteien hatten offensichtlich keine Probleme mit dem Kandidaten Ullrich. Sie wählten den Mann aus Thüringen einstimmig mit einer Enthaltung. Nun also Irritationen und Unmut bei den einen, Zurückhaltung und Abwiegeln bei den anderen. Und wieder andere mögen gar nicht reden, könnte ja eigene Versäumnisse an den Tag legen.
Zur Vorgeschichte: Dopingvorwürfe gegen Ullrich gibt es seit 1991. DDR-Biathlet Jens Steinigen hatte die damals in der DDR verantwortlichen Biathlon-Trainer Wilfried Boch, Kurt Hinze und Frank Ullrich beschuldigt, sie hätten ihn zur Einnahme von Dopingmitteln überreden wollen. Hinze verklagte den Athleten, verlor aber den Prozess vor dem Landgericht Mainz. Im März 2009 warf DDR-Biathlet Jürgen Wirth u.a. Ullrich vor, er habe als Biathlon-Trainer die Einnahme des Dopingmittels „Oral-Turnabol“ mit angeordnet und die Einnahme überwacht. Die ehemaligen Mannschaftskollegen Ullrichs beim ASK Oberhof, Andreas Heß und Jürgen Grundler, erklärten gegenüber der ARD-Dopingredaktion damals, dass Ullrich bei einer polizeilichen Vernehmung 1994 die Unwahrheit gesagt habe mit seiner Behauptung: „Tabletten, blau, gelb oder rosafarbene, habe ich nicht auf den Trainingslagern bekommen“.
U.M. waren Vitamine
Der gebürtige Trusetaler Ullrich wies alle Vorwürfe energisch zurück, und betonte, dass er unter der Bezeichnung „unterstützende Mittel“ (u.M.) im DDR-Leistungssport Vitamine, Mineralsalze und physiotherapeuthische Maßnahmen verstanden habe.
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) empfahl, die Angelegenheit Ullrich von der Kommission für Dopingfragen, die der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Steiner leitete, klären zu lassen. Das wollte der Deutsche Skiverband (DSV) nicht, dessen Angestellter Ullrich damals war. Der DSV und sein damaliger Präsident Alfons Hörmann, setzten eine eigene fünfköpfige Untersuchungskommission ein.
Keine rechtlichen Schritte
Im Juli 2009 stellte das Gremium fest, dass weder „arbeits- noch dienstrechtliche Schritte“ gegen Frank Ullrich, einst auch Major der Nationalen Volksarmee, später Stabsfeldwebel in der Bundeswehr-Sportfördergruppe Oberhof, nötig seien.
Als verantwortlicher Lauftrainer der DDR-Biathleten hatte Ullrich „nicht die Möglichkeit, aktiv zum Doping in der ehemaligen DDR beizusteuern“, gehabt, so die Kommission. Und: Es „wäre ihm in einem System, in dem Leistungsmanipulationen als Staatsziel vorgegeben und flächendeckendes Doping in einer hierarchischen Struktur mit Befehl und Gehorsam von oben nach unten zwingend angeordnet worden ist, mit Sicherheit nicht möglich gewesen“, sich da zu verweigern.
Die Kommission stellte dennoch fest, dass „alle im sportlichen Umfeld der Spitzenathleten tätigen Personen, auf Grund der Art und Weise der Verabreichung der sogenannten „Blauen Pillen“ davon gewusst haben mussten, dass es sich um etwas „Verbotenes“ handelte“. Wenn Ullrich davon ausgegangen sei, es seien legale trainingsunterstützende Mittel, dann sei dies „ein unbewusst gesteuerter Verdrängungsmechanismus.“
Olle Kamellen
Manche verstehen nicht, warum da nun in den „ollen Kamellen“ herumgekramt wird. Es gebe doch das DSV- Untersuchungsergebnis. Das sei alles geklärt. Andere hoffen, wenn man die Füße still halte, könne man das aussitzen. Nicht nur Güntzler sagt, das gehe einfach so nicht. „Frank Ullrich hat es in den letzten Jahren versäumt, für Aufklärung zu sorgen und versucht scheinbar seine Doping-Vergangenheit unter den Tisch zu kehren. Von einem Vorsitzenden des Sportausschusses im Deutschen Bundestag erwarte ich, dass er Konsequenzen aus den Anschuldigungen zieht und sich zudem für eine vollumfängliche Aufklärung seiner Doping-Vergangenheit einsetzt. Das wäre das einzig richtige Zeichen für „sauberen Sport“ in Deutschland.“
Grüne fordern reinen Tisch
Reinen Tisch zu machen fordert auch der Obmann der Grünen, Philip Krämer. Er verweist darauf, dass die Ampel-Parteien sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt haben, „die Dopingprävention stärker zu fördern und die Dopingvergangenheit Deutschlands mit Forschungsprojekten aufzuarbeiten“. Zu diesem Zweck müsse auch die NADA unterstützt und weiter aufgewertet werden.
Und es käme auch auf die Personen in den Gremien an. „Daher ist es wichtig, dass dem Aufsichtsrat der NADA Personen angehören, die sich ohne jeglichen Zweifel für einen sauberen Sport einsetzen. Frank Ullrich konnte in den letzten Jahrzehnten nicht nachgewiesen werden, dass er aktiv am Doping-System der DDR mitgewirkt hat. Demnach steht seiner Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der NADA nichts im Wege,“ so Krämer, der anfügt: „Eine Kommission des DSV stellt 2009 aber fest, dass Frank Ullrich zumindest von der Doping-Verabreichung in der DDR gewusst haben muss. Im Sinne einer glaubwürdigen Anti-Doping-Politik des Deutschen Bundestages wäre daher zentral, dass Frank Ullrich reinen Tisch macht und darlegt, was er tatsächlich wusste.“
Keine Antwort
Frank Ullrich hat auf Nachfrage von sportspitze.de bis Redaktionsschluss nicht geantwortet. Öffentlich äußern möchte sich auch die Obfrau und Sprecherin der SPD, Sabine Poschmann, nicht. Ebenso wenig wie Ullrichs Vorgängerin Dagmar Freitag, die das Anti-Dopinggesetz trotz großer Widerstände maßgeblich mit auf den Weg gebracht hat. Auch sie dürfte über diese Diskussion sicher nicht erfreut sein.Wie manch andere GenossInnen auch nicht. Einer bringt das, was offensichtlich viele denken, so auf den Punkt: „Würde man Sport bei uns wirklich ernst nehmen und hätte man vorher bei der Wahl der Person mal genauer hingeschaut, dann hätte man sich diese Diskussion, die zu erwarten war, sparen können.“
NADA: Kein Problem
Die NADA hat mit dem Aufsichtsratsmitglied Ullrich offensichtlich kein Problem. Sie läßt auf Anfrage wissen: „Der Aufsichtsrat der NADA übt eine überwachende Funktion aus. Das operative Geschäft, inklusive aller strategischen Entscheidungen, wird vom Vorstand der NADA, Frau Dr. Andrea Gotzmann und Herrn Dr. Lars Mortsiefer seit September 2011 verantwortet. Diese grundlegende und klare Trennung von operativem Geschäft und Aufsichtsfunktion ist einer der wesentlichen Kernpunkte der Strukturreform der NADA im Jahr 2011 gewesen. Hierdurch ist es dem Stiftungsvorstand möglich, die Compliance-Anforderungen der WADA nach operativer Unabhängigkeit zu erfüllen.“
Außerdem, so heißt es weiter: „Gute und professionelle Zusammenarbeit unter vielfältigen Aspekten, gekennzeichnet von gegenseitigem Respekt sowie Objektivität und Fairness im Umgang miteinander, ist für uns von entscheidender Bedeutung und prägt die aktuelle Arbeit der NADA.“
Parteien-Gezänk?
Viel Lärm um nichts? Parteien-Gezänk? Eher nicht. Es gehe um Glaubwürdigkeit, eigene Ansprüche und die Art, wie das abgelaufen sei, heißt es von Sportausschuss-Mitgliedern. Laut NADA-Satzung wäre es, wie gesagt, auch möglich, „ein vom Ausschuss benanntes Mitglied des Sportausschusses“ in den Aufsichtsrat zu schicken, wie es beispielsweise der DOSB tut, der statt des Präsidenten seinen Vorstandsvorsitzenden Torsten Burmester entsendet oder die Bundesinnenministerin, die die Abteilungsleiterin Sport, Beate Lohmann, in das Gremium schickt.
„Es geht ja hier nicht um Formalien oder das Recht, auf einem Stuhl Platz zu nehmen, sondern darum, was man für ein Signal nicht nur in den Sport, sondern in die Gesellschaft schickt“, fasst es ein verstimmter SPD-Kollege zusammen. 31Jahre hängen da Vorwürfe in der Luft.
Güntzler jedenfalls will die Angelegenheit auf die Tagesordnung des Sportausschusses bringen, die Sache nicht auf sich beruhen lassen.