Der neue Sprecher der LSBs Thomas Härtel über Corona und die Frauen, Ukraine-Hilfe und das Rollenverständnis des Sports
Berlin, 30. März. Die Welt im Krisenmodus – und der Sport mittendrin: Nach Corona hält nun der russische Angriff auf die Ukraine den Globus in Atem. Neben den großen Problemen muss sich der deutsche Sport mit hausgemachten alten und neuen Problemen herumschlagen. Mit Thomas Härtel, Präsident des Landessportbundes (LSB) Berlin, der nun nach kommissarischer Leitung offiziell zum Sprecher der LSBs gewählt wurde, sprach sportspitze über Krisenbewältigung, Neustarts, GmbHs und Zukunftsaufgaben.
Herr Härtel, nun auch noch Krieg vor der Haustür. Der Sport national und international hatte ja mal wieder Anlaufschwierigkeiten, sich zu sortieren und zu positionieren, als die Russen die Ukraine angriffen. Aber es gab dann doch vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und auch von den LSBs nicht nur Erklärungen, sondern auch finanzielle und praktische Hilfe.
Härtel: Wenn nicht jetzt, wann dann muss man deutlich Flagge zeigen? Der Sport hat schon bei der Flüchtlingskrise seine Stärke bewiesen, und gezeigt, dass und wie er Hilfe leisten kann. Das will er jetzt auch tun. Der DOSB hat einen Fonds von 100 000 Euro aufgelegt, die LSBs geben ebenso 100 000 Euro, um konkrete Projekte für Flüchtlinge zu finanzieren. Wir helfen koordinierend, etwa um Hilfsgüter zu verteilen oder Verbands- und Vereinsräume zur Verfügung zu stellen. So haben wir in Berlin im Internat des Horst-Korber-Zentrums für geflüchtete SportlerInnen eine Unterkunft eingerichtet.
Turnhallen sollen, wenn es nach DOSB und LSBs geht, nicht wieder belegt werden.
Härtel: Aus mehreren Gründen wollen wir das nicht: Es ist doch keine menschenwürdige Unterbringung, wenn man da dicht an dicht, ohne persönlichen Raum, auf längere Zeit untergebracht wird. Das haben wir doch 2015 mit den Flüchtlingen erlebt. Für uns sind die Hallen auch Integrationsräume: Mit einem Sportangebot können wir Kinder und Jugendliche in den Alltag und in ihre vorübergehende oder neue Heimat einbinden. In Berlin gibt es die Zusage der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey und der Sozialsenatorin Katja Kipping, dass die Hallen frei bleiben. Für die damit zum Ausdruck kommende Anerkennung der Leistungen des Sports sind wir dankbar.
Was kann der Sport denn nach dem Krieg zur Versöhnung und Verständigung beitragen? Russland und Belarus sind erst einmal von der Sportbühne ausgeschlossen.
Härtel: Der Sport hat doch auch hier eine weitere Stärke: Brücken zu bauen. Es wird immer wieder vom völkerverbindenden Sport geredet – er hat die Chance, diese Kraft dann auch unter Beweis zu stellen. Ich denke, die Solidarität, die der Sport der Ukraine entgegenbringt, wird sich dann besonders nach dem Krieg zeigen, wenn es um Aufbauhilfe im Land geht. Aber auch, wenn es darum geht, mit nationalen und internationalen Sportkontakten verschüttete Kommunikationswege zwischen den Kriegsparteien wieder freizulegen und zu reparieren.
Kommen wir zur zweiten großen Krise: Corona, wir sind das Virus immer noch nicht los, aber Vereine und Verbände können durchatmen, oder? Der Sport ist nicht untergegangen.
Härtel: Im Verhältnis zu den anfänglichen Befürchtungen, wo über riesige Mitgliederverluste und Milliardenschäden doziert wurde, sind wir guten Mutes. Natürlich gab es Mitgliederverluste, aber die Menschen finden wieder zurück in den Verein. Kinder und Jugendliche, die kein Angebot hatten in Coronazeiten, kommen wieder zurück. Auch SeniorInnen sind wieder froh, ein Angebot zu haben. Manche LSBs haben zwar – wie auch schon vor der Krise – weiter mit der demographischen Entwicklung zu kämpfen und in bestimmten Altersgruppen Mitglieder zu-(rück)-zugewinnen. Aber wir sind wieder gefragt. Der Berliner Sport – und nicht nur der – wächst wieder: Wir haben 684.298 Mitglieder, das sind 22.222 mehr als im Vorjahr. Das heißt: Zwei Drittel derjenigen, die im ersten Pandemie-Jahr Vereine verlassen haben, sind wieder zurück. Und das ist das Verdienst der Vereine, die sich auch in der schwierigen Zeit um ihre Mitglieder gekümmert haben. Auffällig ist, dass wir viele Mitglieder-Verluste bei den Frauen haben. Da müssen wir uns besonders bemühen.
Heißt das: Die Frauen übernahmen überwiegend, während Corona im Home-Office, mit Beschulung und Bespaßung der Kinder, Haushalt etc. die ihnen zugedachte Rolle? Und hatten keine Zeit mehr, selbst Sport zu treiben?
Härtel: Das stellt sich uns so dar. Meistens haben die Frauen diese Aufgaben hauptsächlich übernommen – vor allem die Mütter hatten gut zu tun, wenn Kita, Schule und Vereine geschlossen waren. Darum müssen wir um Frauen besonders werben.
Wo braucht der Sport denn noch Hilfe, um die Corona-Folgen aufzufangen bzw. abzufedern?
Härtel: Die Bundesregierung und viele Länder haben ja das Signal gegeben, den Sport weiter zu unterstützen. Coronahilfen laufen noch weiter. Der Politik ist schon bewusst geworden, etwa angesichts der psychischen und physischen Auffälligkeiten vieler Kinder nach den Lockdowns, welchen gesundheits- und sozialpolitischen Beitrag Sport in dieser Gesellschaft leistet. Das hat man in den Koalitionsvereinbarungen der Ampel nun auch berücksichtigt.
Es geht aber nicht nur um den Breitensport, sondern auch um den Leistungssport, wo regelmäßiger Trainingsbetrieb in Coronazeiten für viele gar nicht möglich war und auch nicht ohne Folgen für die einzelnen Athleten und Athletinnen blieb. Und Gesundheits- sowie Turn- und Freizeitsportvereine, die zum Beispiel Kursangebote anbieten, die großen Einschränkungen unterlagen, brauchen auch weiter finanzielle Unterstützung.
Ich will aber nochmal eins deutlich machen: Die überwiegende Mehrheit der Vereine ist sehr sorgsam mit Antragstellungen für Corona-Hilfen umgegangen. Sie haben sich nur Unterstützung geholt, wenn es gar nicht mehr anders ging.
Der DOSB und der gesamte deutsche Sport hatten ja im letzten Jahr eine schwere hausgemachte Krise zu bewältigen. Die hatte sich schon lange abgezeichnet. Erst ein anonymer Brief löste eine Art Dominoeffekt aus, der ein führungsuntaugliches Präsidium zu Fall brachte und viele Fragen aufwarf, die immer noch nicht geklärt bzw. beantwortet sind. Der Neustart begann holprig. Die neue Führung ist schon weit über 100 Tage im Amt. Und offiziell ist es sehr still. Es ist nicht erkennbar, wo die Reise des deutschen Sports nun hingehen soll.
Härtel: Zunächst einmal: Seit langem haben wir in Ingelheim bei unserem Treffen der Landessportbünde mit dem DOSB wieder eine offene Gesprächsatmosphäre erlebt. Es gab keine einstündige Selbstdarstellung, wie wir das in der Vergangenheit erlebten, sondern es war ein offener Austausch.
Natürlich waren die Spiele in Peking, die Ukraine, Corona Themen. Und wir haben ein Papier verabschiedet, wo es um das Rollenverständnis der Mitgliedsverbände Landessportbünde und Spitzenverbände im DOSB geht. Klare Zuordnung, klare Aufgaben. Da gab es in den Arbeitsgruppen im letzten Jahr gute Vorarbeit.
Auch das Safe Sport Zentrum war Diskussionspunkt. Wir sind für dieses Zentrum, aber es gibt doch eine Reihe Fragen zu klären, etwa im juristischen Bereich – im Bezug auf den derzeit zu starken Täterschutz und zu schwachen Opferschutz.
War die „Vergangenheitsbewältigung“ ein Thema? Etwa die Rolle der Vorstände und ihr Verbleib im Amt?
Härtel: Wir haben uns kurz über das Verfahren der Aufarbeitung ausgetauscht. Und es wird einen Schlussbericht der Untersuchungskommission – wie angekündigt – geben. Dann obliegt es der Mitgliederversammlung im Dezember dieses Jahres die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
Nun wird ja zum Beispiel eine – schon von der letzten Bundesregierung geplante – Spitzensport GmbH diskutiert, die im Bundesinnenministerium, so hört man, gepuscht wird. Was sagen Sie zu dieser Idee?
Härtel: Ich möchte auf keinen Fall eine neue Instanz – ob in einer Form einer GmbH oder anderen Organisationsform – in die nicht der Sport gleichberechtigt mit seiner Eigenverantwortung eingebunden ist. Grundsätzlich muss auch einmal eine Debatte über die gesellschaftliche Rolle des Sports und speziell des Spitzensports geführt werden. Wir fangen immer wieder neue Sachen an, ohne zu wissen, wohin wir denn wollen.
Das scheint im Sport Methode zu haben. Man leiert etwas an – siehe zuletzt die Spitzensportreform – und dann merkt man, dass sich plötzlich Baustellen auftun, über die man nicht nachgedacht hat und die keiner in den Griff bekommt.
Härtel: Um so wichtiger ist es doch, dass wir wissen, wo die Reise hingehen soll. Das gilt erst recht für die Politik, wo ein klares Bekenntnis zum Spitzensport – und vor allem, welcher Spitzensport es denn sein soll – fehlt.
BMI, Parlamentarier und Sport müssen sich damit auseinandersetzen, worauf man sich fokussieren will, und wie man erreicht, international wettbewerbsfähig zu sein. Das Potentialanalysesystem (Potas) muss evaluiert werden. Wir brauchen statt Bürokratie mehr Effektivität z. B. auch durch Projektförderung.
Wir haben noch viele Hausaufgaben zu erledigen. Zum Beispiel, die Verbände davon zu überzeugen, dass erarbeitete Grundlagen und Kriterien oder Evaluation kein Teufelszeug sind. Wir müssen Transparenz herstellen und gewährleisten, um auch die Bürger und Bürgerinnen für den Spitzensport und vor allem Sportgroßveranstaltungen wieder zu gewinnen. Wir müssen uns die Fragen stellen, die uns auch die Bürger und Bürgerinnen stellen. Wir brauchen Argumente, um zu erklären, warum viel Steuergeld für Spitzensport ausgegeben wird, warum für bestimmte Sportarten. Und: Was der Bürger am Ende davon hat.
Das müssen wir erst mal für uns beantworten…
….na, da kommt: Nationale Repräsentanz und Vorbildfunktion als Antwort…
Härtel: Das reicht aber den Menschen nicht mehr. Wir müssen mit den Bürgern und Bürgerinnen in den Dialog gehen, sie mit einer klaren Rolle des Sports für die Gesellschaft überzeugen. Da kommen wir auch an Themen wie Nachhaltigkeit, Partizipation oder Vielfalt, Integration und Inklusion nicht vorbei.
Ist es Ihnen und den Landessportbünden deshalb so wichtig, mit einer eigenen Geschäftsstelle in Berlin so nahe an der Politik zu sein?
Härtel: Ja, weil wir als Landessportbünde ja von vielen Politikfeldern betroffen sind, und von Beginn an in Diskussions- und Entscheidungsprozesse involviert sein wollen. Das nennt man Lobbyarbeit. Alexander Fuchs ist unser hauptamtlicher Mitarbeiter. Noch sitzt er hier bei uns im Berliner LSB, soll aber im Hauptstadtbüro des DOSB, der die Geschäftsstelle derzeit finanziert, räumlich angedockt werden. Wir wollen bei aller Eigenständigkeit schließlich abgestimmt und gemeinsam die Interessen des Sports vertreten.