Ethikkommission empfiehlt Vertrauensabstimmung und Neuwahlen
Berlin, 7. Juni. Als Konsequenz aus den Vorwürfen von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die sie in einem anonymen Brief gegen Präsidium und Vorstand des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) erhoben hatten, hat die Ethikkommission der Dachorganisation vorgezogene Neuwahlen empfohlen. Das Gremium unter Vorsitz des ehemaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière legte nach rund vier Wochen Beratungen, Gesprächen und Anhörungen einen Bericht vor, der im Ergebnis eine Vertrauensabstimmung durch die Mitgliederversammlung im kommenden Dezember vorschlägt.
Der Bericht wurde kein Persilschein – weder für den Präsidenten, noch für die ehren- und hauptamtlichen Führungsgremien des DOSB. Nach Anhörungen, Sitzungen, vielen Gesprächen liegt nun eine Analyse vor, die bestätigt: Im DOSB liegt vieles im Argen, vor allem auch hausgemacht. Und trotz mancher – sagen wir – vorsichtigen Formulierung, besonders wenn es um die Vorwürfe gegen den Präsidenten geht, müssen auch KritikerInnen zur Kenntnis nehmen: Die Ethikkommission hat als Löschtrupp ihren Einsatz soweit und im Rahmen des zu Erwartenden erfüllt. Nun sind die Mitgliedsorganisationen an der Reihe. Und die DOSB-Spitze.
Präsidium und Vorstand erklärten in einem Statement am frühen Montagabend: „Die Empfehlung der Ethik-Kommission werden wir in der heute und morgen stattfindenden Präsidiums- und Vorstandssitzung intensiv diskutieren und beraten. Unser Anspruch im DOSB ist ein Miteinander, das auf Ehrlichkeit, Transparenz und gegenseitiger Wertschätzung beruht. Deshalb war uns eine Klärung durch das gemäß Satzung zuständige Gremium wichtig.“
Transparenz hergestellt
Wie auch immer man nun im einzelnen den Bericht bewerten mag – eins ist neu: Er wurde öffentlich gemacht. „Die Ethikkommission ist nicht die richtige Instanz, darüber zu entscheiden, ob zwischen allen Beteiligten und insbesondere dem Präsidenten und dem Präsidium gegenüber eine ausreichende Vertrauensbasis für eine gedeihliche Zusammenarbeit für die Zukunft besteht. Eine klare Empfehlung der Ethikkommission in die eine oder andere Richtung würde keine Ruhe in die Debatten bringen. Die richtige Instanz für die Bekräftigung, Wiederherstellung oder Neubegründung von Vertrauen ist die Mitgliederversammlung des DOSB.“ heißt es in dem neunseitigen Bericht. Und weiter: „Deshalb empfiehlt die Ethikkommission, dass sich der Präsident Hörmann gemeinsam mit dem gesamten Präsidium auf der nächsten Mitgliederversammlung im Dezember dieses Jahres einer Vertrauensabstimmung stellt: Es sollten im Dezember 2021 vorgezogene Neuwahlen für das gesamte Präsidium stattfinden.“
Wer den Bericht aufmerksam liest, der fragt sich allerdings, wie man ein halbes Jahr lang nun mit dieser Situation, wo ja die Brandherde immer noch lodern, klarkommen will: Wie soll eine angeschlagene Führungscrew glaubwürdig den Sport und seine Interessen vertreten? Denn: „Nach Auffassung der Ethikkommission kann es im deutschen Sport jedenfalls mit einer so unterschiedlichen Beurteilung der handelnden Personen und der gelebten Strukturen in dieser Art nicht weitergehen. Es fehlt offensichtlich wechselseitig an ausreichendem Vertrauen und am notwendigen Zutrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es gibt zu viel Selbstbespiegelung, Demotivation und Gerüchte, Unzufriedenheiten und Unklarheiten. Das ist ein Zustand, der auch mit dem Führungsverhalten von Präsidium und Vorstand zusammen hängen muss. Dies müssen sich Präsidium und Vorstand vorwerfen lassen“, schreibt der Vorsitzende.
Rücktritt?
Was legen diese Sätze nahe? Wäre es also nicht besser, nun einen klaren Schnitt zu machen – der da heißt: Rücktritt? Bei so einem zerrütteten Vertrauensverhältnis scheint ja nur noch wenig zu kitten zu sein. Zumal, wie in dem Bericht festgestellt wird, es auch mit den externen Beziehungen nicht zum Besten steht: „Es ist auch zu konstatieren, dass die Beziehungen des Präsidenten/Präsidiums/Vorstands zu Teilen der Spitzenverbände, zu Teilen der Landesverbände, zum Internationalen Olympischen Komitee, zum Bundesministerium des Innern und zu wichtigen Teilen der Medien dringend verbessert werden müssen. Teilweise fehlt es hier an Grundvertrauen.“
Thomas de Maizière hat in seiner Zeit als Bundesinnenminister, der für den Sport zuständig ist, auch so seine Erlebnisse mit den DOSB-Führern gehabt. Um so weniger dürfte er von dem einen oder anderen Vorwurf überrascht gewesen sein.
Grundvertrauen kann, so betonen manche, die mit der DOSB-Führungscrew – ob intern oder extern – ihre Erfahrungen gemacht haben, nicht mehr entstehen. Die Beziehungskisten sind nach problematischen Jahren vermutlich kaum noch zu retten.Nicht zuletzt auch deswegen, weil die Einschätzungen der Sachlage der Beteiligten konträr auseinanderliegen.
„Der Ethikkommission ist vor allem aufgefallen, dass zwischen der Kritik der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Sicht des Vorstandes und des Präsidiums auf ihre Arbeit und ihr Arbeitsverhältnis ein enormes Missverhältnis besteht. Das ist ein kritischer Befund an sich, unabhängig davon, wer Recht hat und welche Betrachtungsweise zutrifft.“
Diskrepanz
In dem Brief, der die Untersuchung ins Rollen brachte, wurde ein „Klima der Angst“ geschildert, was nun auch kein neuer Vorwurf war. „Die Diskrepanz der widersprüchlichen Meinungen, die der Ethikkommission zu diesem Thema vorgetragen worden sind, ist erstaunlich und für sich genommen schon ein Problem“, schreiben die Untersucher. Denn sie bekommen zwei völlig unterschiedliche Realitätsbeschreibungen: Während Vorstand und Präsidium ihre Zusammenarbeit besser denn je beschreiben und alles „suppi“ finden, klagen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen über mangelnde Kommunikation, fehlendes Feedback, Transparenz, Respekt und Wertschätzung.
Auch über den Umgangsstil des Präsidenten sind die Beurteilungen derer, die mit ihm am Tisch sitzen, und derjenigen, die für den DOSB arbeiten, diametral auseinander. Und man muss wiederholt die Frage stellen, wie es um die Empathie der Führungscrew im DOSB steht. Präsident Hörmann räumte selbst vor der Kommission ein, dass sein Führungsstil „einschüchternd“ sei. „Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Vertreter des organisierten Sports beklagen, es fehle ihnen gegenüber an Respekt und Wertschätzung. Kritik nehme Präsident Hörmann dauerhaft übel. Manchmal vergreife er sich im Ton, auch vor Dritten. Lob und Dank kämen zu kurz, heißt es in dem Bericht.
Dennoch will die Kommission „Fragen eines angemessenen Führungsstils nicht im Einzelnen bewerten … Aber insgesamt ist nach Auffassung der Ethikkommission festzustellen, dass es auch an Präsident Hörmann liegt, zukünftig seinen Führungsstil so zu verändern, dass der Geist von Respekt und Wertschätzung klarer bei Dritten, insbesondere bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erkennen ist“, fordert das Gremium. Und erklärt: „Präsident Hörmann hat der Kommission zugesagt, über seinen Führungsstil selbstkritisch zu reflektieren, an sich zu arbeiten und über Veränderungen und Verbesserungen nachzudenken.“
Nur Herumdoktern
Innerhalb des DOSB hat die Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker nun Verbesserungsaktionen angeleiert: Führungsleitbild, Personalentwicklungskonzept, Klausurtagungen, wie sie der Kommission erklärte. Aktionismus nach langem Nichtstun – bekannte Problemlösung im DOSB.
Das wäre wieder nur ein Herumdoktern an Symptomen, das aber die wirklichen Ursachen nicht bekämpft. Die Diagnose, wie es um den DOSB steht, hat die Kommission nun mehr oder weniger deutlich zu Papier gebracht und auch einen Lösungsvorschlag gemacht, den man auch so lesen könnte: Neue Männer/Frauen braucht der DOSB – je früher je besser. Deshalb wäre der Rücktritt jetzt die Bewegung im deutschen Sport, die ihn voranbringt.