Arbeitsrechtliche und ethische Fragen sind zu klären / Betroffene gefordert
Berlin. 10 Mai. Es erinnert an den Untergang der Titanic: Man fährt schnurstracks den Problemen entgegen und glaubt, sie umschiffen zu können. Dann kracht alles aus den Fugen. Und das Schiff bekommt Schlagseite. Wer über den Zustand „Sportdeutschlands“ etwas wissen will, der muss sich nur die Schmierenstücke im Deutschen Fußball-Bund (DFB), dem Deutschen Schwimmverband (DSV) und nun auch im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) anschauen. Was ist da los in Organisationen, die so gerne von Wahrheit, Klarheit und Transparenz reden? Oder Respekt einfordern. Oder Fairplay propagieren und erwarten. Sich Rechte herausnehmen, die sie anderen aber nicht zubilligen. Seit der Offene Brief von MitarbeiterInnen im DOSB hohe Wellen schlägt, wird vor allem laviert.
Die Ethik-Kommission des DOSB, deren Mitglied Hansjörg Geiger sich am Montag nicht dazu äußern wollte, ob der Vorgang schon bei der Kommission eingegangen ist, soll sich nun am Mittwoch mit den Vorwürfen auseinandersetzen, die gegen die Dachorganisation, deren Führungsgremien und ihren Präsidenten Alfons Hörmann im Raum stehen. Das sagte Hörmann laut einer dpa-Meldung im Münchener Presseclub. Er sehe „keinerlei Grund, in irgendeiner Form“ sein Amt bis zur Klärung der Vorwürfe ruhen zu lassen. „Unser Ziel wird sein, all die Punkte klar, offen und transparent zu beantworten“ sagte er weiter, und sowohl er wie das Präsidium seien von den Vorwürfen getroffen. Nun stehen aber schon neue Merkwürdigkeiten im Raum.
Nibelungentreue ist das Wort, das wohl am besten umschreibt, was sich da derzeit auf der DOSB-Führungsetage, aber auch im Großteil der Verbände abspielt: bedingungslose und emotionale Treue zum Präsidenten. Nicht alle ordnen sich jedoch widerspruchslos ein. Zum Beispiel einige Landessportbünde. Oder Präsidiumsmitglied Jonathan Koch, der als Aktivensprecher am Präsidiumstisch sitzt, distanzierte sich wie folgt von dem Statement, das das Präsidium am Freitag (7. Mai) mit den Unterschriften von sieben Präsidiumsmitgliedern veröffentlicht hatte: „Bei der Abstimmung zu der am 7. Mai veröffentlichten Positionierung des DOSB-Präsidiums habe ich mich enthalten. Mit Teilen des Wordings war ich nicht einverstanden. Trotz einer Enthaltung wurde ich namentlich unter dieser Positionierung geführt. Dies möchte ich hiermit richtig stellen“, schrieb Koch, der auch betont, dass in erster Linie „das Wohl der Mitarbeiter*innen in dieser Angelegenheit stehen muss, weshalb ich ausdrücklich an alle Akteure appelliere, die Arbeit der Ethik-Kommission zu unterstützen und eine sportpolitische Ausnutzung dieses Schutzbedarfs zu unterlassen.“
Keine Unterschriften mehr
Nach dieser Richtigstellung verschwanden auf der DOSB-Website unter dem auch dort veröffentlichten Statement die Unterschriften, und es gab einen Zusatz: „Wir veröffentlichen die Erklärung vom 7. Mai ohne Namensnennung, damit nicht der Eindruck entsteht, der dsj-Vorsitzende Stefan Raid zähle offiziell zu den Unterzeichnern. Stefan Raid ist erst seit dem Abend des 7. Mai 2021 Mitglied des DOSB.“ Die Logik dieses Zusatzes ist nicht ersichtlich, eine Anfrage bei der DOSB -Pressestelle dazu und auch zu der Koch-Unterschrift blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Nur wenige haben sich, neben demLandessportbund Nordrhein-Westfalen – und der hat nach der Erfahrungen der letzten Monate mit dem DOSB guten Grund dafür – klare Stellung bezogen. Die LSBs aus Berlin und Hessen haben sich vorsichtig kritisch geäußert. Die Spitzensportverbände und deren Sprecher Ingo Weiß, einst selbst Präsidiumsmitglied, basteln derzeit an einer Stellungnahme wie man hört. Andere zeigen Solidarität, indem sie gar nichts sagen.
Solidaritätsadressen
Und es flattern Solidaritätsadressen von Leuten ins Haus, die sich auch Alfons Hörmann verbieten müsste. Etwa die vom Präsidenten der Deutschen Eislaufgesellschaft, Matthias Grosse, die auf der DESG-Seite zu finden ist.
Wer in diesen Tagen nachfragt, warum Alfons Hörmann von vielen, die sich nun mal wieder vornehm zurückhalten, als Problemverursacher angesehen wird und trotz vieler Kritik noch immer Präsident ist, bekommt die Antwort: „Er hat es geschafft, dass die Fördermittel ja mehr als verdoppelt wurden. Das ist es, was zählt. Und der einzige positive Punkt, den ich in seiner bisherigen Amtszeit sehe“ sagt ein Verbandspräsident.
Köpfe einschlagen
Solidarität bräuchten vor allem jetzt im Sport Kinder und Jugendliche, Vereine, die mit Corona auch schwierige Zeiten haben. Überhaupt haben Vereine und Ehrenamtliche nicht verdient, was sich derzeit auf den Führungsetagen abspielt – denn sie sind der Lebensnerv des deutschen Sports. Und nicht Funktionäre, die sich aus Selbstüberschätzung und Eitelkeit auf Kosten des Sports die Köpfe einschlagen. Nein, von solchen Menschen möchte man nicht geführt und erst recht nicht repräsentiert werden. Weder bei einem Fußball-Großereignis noch bei Olympischen Spielen.
Solidarität bräuchten die MitarbeiterInnen im DOSB schon seit langer Zeit. Die Vorwürfe tauchten bereits zu Zeiten des Duos Thomas Bach / Michael Vesper auf, als sich der Verband vor allem dem Spitzensport und Olympia verschrieb und der Breitensport mehr und mehr in den Hintergrund geriet. Verschärft hat sich das dann, so erzählten immer wieder Betroffene, mit dem Präsidentenwechsel. Immenser Arbeitsdruck, unsichere Arbeitsplatzsituation und der Zwang zu ständiger Verfügbarkeit hätten dazu geführt, dass MitarbeiterInnen krank wurden. Oder frustriert ausstiegen.
Das momentane DOSB-Krisenmanagement lässt nichts Gutes ahnen: Nach Auftauchen des Briefes wird sofort von einer Fakemail gesprochen. Präsidium und Vorstand formulieren aber dann je eine Stellungnahme, in der man unter anderem auch schrieb, man nehme die Vorwürfe ernst, von denen man ja zum ersten Mal höre. Also Fakemail? Warum dann ein Solidaritätsstatement mit Aufklärungszusage?
Es entspricht ja nicht unbedingt der Lebenserfahrung, dass ausgerechnet ein Vorstand, der für die Personalfragen im Haus auch zuständig ist, nicht mitbekommen haben will – und zwar über einen längeren Zeitraum – wie es um die Stimmung im eigenen Laden steht. Auch die Rolle des Betriebsrates ist in diesem Zusammenhang zu hinterfragen. Die Vorwürfe in dem Brief sind aus arbeitsrechtlichen und ethischen Perspektiven zu überprüfen. Da stehen Fragen im Raum: An wen haben sich Betroffene gewandt? Wurde dem vorgetragenen Vorwurf oder Problem vom für Personalfragen zuständigen Vorstand nachgegangen? Hat es da zwischen dem hauptamtlichen Vorstand und dem ehrenamtlichen Präsidenten und Präsidium entsprechende Gespräche gegeben? Wenn nicht, warum nicht?
Ein dickes Brett
Anne Jacob, Professorin für Recht und Compliance sowie Fachanwältin für Sportrecht, sagt auf Anfrage: „ Das ist ein dickes Brett, das man da vor sich hat. Es geht in dem Schreiben um arbeitsrechtliche Vorwürfe einerseits. Da stellen sich Fragen an den hauptamtlichen Vorstand. Und es gilt ethische Verfehlungen zu klären – damit müsste sich dann die Ethik-Kommission befassen.“
Ob die Unabhängige Ethik-Kommission oder die Ombudsstelle die richtige Adresse für betroffene MitarbeiterInnen sind, ist zweifelhaft. Viele haben kein Vertrauen zu einem Gremium, das an das Unternehmen oder den Verband angedockt ist, der nun überprüft werden soll, so die Erfahrung von Clearingstellen.
Wenn das Anliegen der BriefschreiberInnen nicht verpuffen soll, müssen aber auch sie sich jetzt erklären und Farbe bekennen: beim Anwalt, bei einer unabhängigen Beschwerdestelle. Oder bei der Ethik-Kommisssion, wo auch auch die beiden Juristen Thomas de Maizière und Hansjörg Geiger nichts unversucht lassen dürfen, um die Vorwürfe zu klären.
Denn so Anne Jacob, was nützen ein Ethikcode und Complianceregeln in Verbänden, wenn sie nicht gelebt werden.