Die Stiftung ist gefragte Anlaufstelle in Coronazeiten / Altersvorsorge für Spitzenathleten läuft
Berlin, 14. Oktober. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe ist in Coronazeiten noch mehr zur Anlaufstelle und Kummerkasten für die deutschen SpitzentathletInnen geworden als sonst. Sorgen bereiten die verschobenen Spiele, das Wegbrechen individueller Sponsorengelder, Existenz- und Karrierefragen. Und natürlich geht es auch um die von der Sporthilfe und dem Bundesministerium für Inneres, Bau und Heimat (BMI) auf den Weg gebrachte Altersversorgung, die im August gestartet wurde. Eine Art Lagebericht gab die Deutsche Sporthilfe in Berlin.
Sicher hätte sich Thomas Berlemann einen ruhigeren Start als Vorstandsvorsitzender der Sporthilfe gewünscht als er im April die Nachfolge von Michael Illgner antrat, der zur Deutschen Bank wechselte. So richtig Zeit, sich in Ruhe zu sortieren und in sein Amt einzuarbeiten, hatte der 57-jährige Telekom-Manager nicht, denn die Pandemie und die Folgen – Lockdown und verschobene Tokioter Spiele – ließen dafür keine Zeit.
Kein Stillstand
Also, von wegen Stillstand. Neben der täglichen operativen Arbeit wurde die Corona-Zeit auch genutzt, nicht nur gegenwartsorientierte, sondern auch zukunftsweisende Tätigkeiten und Konzepte zu beraten.
Um zu wissen, worüber man eigentlich redet und keine Luftschlosszahlen in die Welt zu setzen, gab die Sporthilfe eine Studie bei der Sporthochschule Köln in Auftrag. Sie soll die tatsächlichen finanziellen Schäden der Corona-Pandemie für Deutschlands Spitzensportler feststellen.
Außerdem wurde die Digitalisierung vorangetrieben, damit Athleten leichter Zugang zu Förderprogrammen haben. Ein Strategiekonzept wurde zusammen mit der Unternehmensberatung bain& company erarbeitet. Über neue Programme und Kooperationsmöglichkeiten mit Vereins-, E-Sport- oder Trendsportarten wurde nachgedacht. Und die Sporthilfe selbst wollte wissen, wie sie von SportlerInnen und Stakeholdern gesehen wird, ob die Werte, für die sie steht, etwa Fairness, Leistung, Miteinander, auch rüberkommen.
Think Tank
Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im deutschen Bundestag, sagt über die Sporthilfe: „Sie ist der Think Tank des deutschen Sports.“
Nicht erst jetzt, sondern auch in der Vergangenheit könnte man das so sehen. Viele sportpolitische Diskussionen gingen nicht selten von der Sporthilfe aus. Und auch jetzt werden Dinge angestoßen, die man eigentlich auch vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) erwartet. Inhaltlich schon mal über Corona hinaus weiter denken – im Sinne des gesamten Sports. Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Die Sporthilfe betont die gute Zusammenarbeit mit dem DOSB vor allem mit dem Vorstand Leistungssport Dirk Schimmelpfennig.
Natürlich steht auf der Sporthilfe-Prioritätenliste ganz vorne das Wohl und die Unterstützung der AthletInnen.Wie auch beim DOSB – zumindest laut Spitzensportreformkonzept.
Bund und Privatwirtschaft
Also jedenfalls sollte es um die Menschen gehen, die zum Beispiel Spitzensport und dessen Events erst möglich machen: die AthletInnen. Rund 4000 Aktive werden derzeit von der Sporthilfe unterstützt, davon 2000 in der Basisförderung, rund 1500 im Team Top-Future (Nachwuchs) und rund 500 im Top-Team.
Um das leisten zu können, finanziert sich die Sporthilfe aus Steuermitteln vom Bund – mittlerweile sind das sieben Millionen Euro. Der Großteil des Etats kommt aber aus Erlösen von Benefizveranstaltungen und Spenden von Unternehmen aus der Privatwirtschaft.
Ob die Spenden so weiterfließen werden angesichts pandemiebedingter finanzieller Einbrüche vieler Unternehmen, die Kurzarbeit und auch Entlassungen zur Folge haben?
Berlemann gibt Entwarnung. Finanzielle Planungssicherheit für die deutschen SpitzenathletInnen sei gewährleistet. „Es ist uns gelungen, eine Vertragsverlängerung mit den Partnern der Eliteprogramme der Sporthilfe bis Tokio 2021 zu vereinbaren. Weitere Unternehmen signalisierten, dass sie unsere Partner bleiben wollen. Die Unternehmen sehen hier für die SpitzenathletInnen eine soziale Verantwortung und übernehmen diese auch“, so der Sporthilfevorsitzende.
Seit Jahren diskutiert
Stichwort soziale Verantwortung: Seit vielen Jahren wird im deutschen Sport über die Altersversorgung von AthletInnen diskutiert. Dabei geht es nicht um die SportlerInnen, die bei Bundeswehr, Bundespolizei oder in einem anderen Beamtenverhältnis stehen – da ist eine Altersversorgung sicher. Es geht um diejenigen, die studieren oder in einem Ausbildungsverhältnis stehen.
Da es kein klares Berufsbild des Spitzensportlers, der Spitzensportlerin auf Zeit gibt, das längst einmal definiert werden müsste, musste ein Weg gefunden werden, um diese Altersvorsorge rechtlich vertretbar umzusetzen. Der Bund stellt dafür 2,7 Millionen Euro zur Verfügung. SportlerInnen können rückwirkend zum 1. Januar 2020 eine Altersvorsorge beantragen. Berechtigt sind deutsche Olympia- und Paralympic-AthletInnen und diejenigen Aktiven, die dem Perspektivkader im dritten Jahr angehören. Außerdem dürfen sie nicht mehr als 45.000 Euro im letzen Jahr verdient haben. Wer berechtigt ist, für den überweist die Sporthilfe pro Monat 250 Euro direkt in ein Basisrenten-Produkt. Seit dem Start sind 492 Versorgungsanträge bereits bewilligt worden, für 109 SportlerInnen werde bereits eingezahlt.
„Wir erweitern damit das Gesamtpaket der Athletenförderung um einen wichtigen Baustein“ sagt Thomas Gutekunst, Vorstand der Sporthilfe für Athletenförderung. „Außerdem gleicht es den Nachteil aus, den die Sportler haben, weil sie durch ihre Karriere erst später in Berufsleben oder die Rentensysteme einsteigen.“
Dagmar Freitag sieht die Altersvorsorge „als eine soziale Verpflichtung, diesen jungen Menschen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen können, einen Start zu geben“. Und in der Corona- Pandemie sieht sich die Sporthilfe besonders in der Pflicht.
Wie weiter nach Corona?
Auch wenn natürlich die Pandemie eine Ausnahmesituation ist, so werden gerade durch sie Schwachpunkte im deutschen Spitzensportsystem nochmals besonders deutlich. Wie schon die Spitzensportreform offenlegte, sind die Strukturen im organisierten Top-Sport schwer aufzuweichen. Man rudert in alten Fahrwassern weiter- Bund und Länder sowie der DOSB nicht unbedingt immer in dieselbe Richtung. Der Sport wird vom Steuerzahler mit immer mehr Geld gepampert, aber sichtbare und wirksame Änderungen sind eher Fehlanzeige.
Der Spitzensport hat sich noch mehr zu einer ökonomischen Kraft entwickelt. Das Berufsbild des Spitzenathleten ist heute anders als noch vor zehn Jahren. Da hinken viele MacherInnen in Verbänden und Dachorganisationen im organisierten deutschen Sport weit hinterher, was den Umgang und die Förderung der Spitzenleute angeht. PotAs, die Potenzialanalyse, ist dabei zu zeigen, woran es so mangelt. Wer in der Weltspitze mithalten will, ist Profi und braucht dazu das passende Umfeld. Dafür kann der Staat aber nicht auf Dauer zuständig sein, zumal die Argumente für eine staatliche Förderung, etwa Vorbildfunktion oder nationale Repräsentanz, nicht mehr oder nur bedingt haltbar sind.
Die Zukunft kann nicht sein, dass zwei Gruppen von StaatssportlerInnen vom Finanztropf des deutschen Steuerzahlers und von der Zuneigung von PolitikerInnen abhängen, die sich gerne im Licht ihres Hätschelkinds Spitzensport sonnen. Sondern die Zukunft kann nur sein, dass man neue Modelle in Sachen „Berufssport auf Zeit“ entwickelt.
„Wir wollen nicht, dass die Pandemie zu einer Delle im Leistungssport führt“, sagt Berlemann. Und eine Delle sollte sich der deutsche Spitzensport auch danach nicht einfangen. Deshalb: Die deutsche Sporthilfe wäre geradezu prädestiniert, die Zukunft das deutschen Spitzensports insgesamt in die Hand zu nehmen. Allerdings müssten da viele Mauern eingerissen werden.