Erfolg mit Kompetenz und ohne eigenegoistische Akteure

DTU-Präsident und DOSB-Vize Engelhardt über Entwicklung und Zukunft des deutschen Sports

Berlin/Osnabrück, 20.August. Was waren das noch für Zeiten, als Trimmy den Deutschen Beine machte, Ärzte tatsächlich statt Pillen auf dem „Grünen Rezept“ Bewegung und Sport verordneten. Sportiven Lebensstil pflegen heute viele – sie verstehen darunter das passende Outfit und entsprechendes Ambiente beim großen TV-Event. Aber dass Sport wirklich für eine bessere Lebensqualität sorgen kann, für körperliche und geistige Gesundheit, zu sozialer Teilhabe und Miteinander beitragen kann, das verkennen noch immer viele Entscheidungsträger – aber auch die BürgerInnen.

Warum unsere Gesellschaft noch immer die positiven Möglichkeiten des Sports zu wenig nutzt, darüber sprach sportspitze mit Professor Martin Engelhardt (Foto). Der renommierte Sportmediziner und Orthopäde mit dem Spezialgebiet Sporttraumatologie kennt den Sport aus dem Effeff.

Engelhardts aktive Karriere begann als Schwimmer für den EOSC Offenbach. Als Jugendwart beim Hessischen Schwimmverband und Jugendsprecher der Hessischen Sportjugend machte er schon mal erste Funktionärserfahrungen. 1985 entdeckte der gebürtige Hanauer den Triathlon und gründete mit weiteren Kollegen im Juli 1985 den Triathlonverein Deutscher Ärzte und Apotheker (TVDA). Die erste Meisterschaft gewann Engelhardt noch im Gründungsjahr. Zwölf Monate später trafen sich beim erstenTriathlon-Symposium 400 TeilnehmerInnen, und 1987 kam es wie es kommen musste: Engelhardt wurde zum Präsidenten der Deutschen Triathlon Union (DTU) in Barntrup gewählt. Seitdem ist der heute 65-Jährige gefühlt immer Mr. Triathlon.

Der Hesse ist einer der wenigen, der offen und fair über Probleme im organisierten deutschen Sport und im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) sprach und spricht. Was ihm nicht nur Freunde einbrachte. Mittlerweile ist Engelhardt auch DOSB-Vizepräsident. Er wurde 2024 auf der Mitgliederversammlung in Saarbrücken als Nachfolger des zurückgetretenen Oliver Stegemann gewählt. Wie also wird der deutsche Sport wieder erfolgreich? Mit Zielen, kompetenten Menschen und ohne eigenegoistisch Agierende.

Herr Engelhardt, wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung des organisierten Sports in Deutschland – das ist erst einmal eine Frage an den Vizepräsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)?

Engelhardt: Der Stellenwert des Sports in unserer Gesellschaft entspricht nicht dem der skandinavischen Länder oder von Australien und ist angesichts der Tatsache, dass über 28 Millionen Bundesbürger Mitglied eines deutschen Sportvereins sind, unterentwickelt.

Unsere Gesellschaft nutzt die positiven Möglichkeiten des Sports für eine bessere Lebensqualität der Menschen in unserem Land zu wenig. Dafür verantwortlich ist die gesamte Gesellschaft – aber auch der organisierte Sport in Deutschland.Wir haben also noch viel Entwicklungspotential.

Welchen Herausforderungen muss der DOSB sich aus Ihrer Sicht insgesamt stellen?

Engelhardt: Der DOSB muss sich zahlreichen Herausforderungen auf unterschiedlichen Feldern stellen. Der aus meiner Sicht wichtigste Punkt ist, möglichst viele Menschen zu lebenslangem Sport zu motivieren, dafür die notwendigen infrastrukturellen Voraussetzungen – Sportstätten – sowie ein breit gefächertes Sport- und Wettkampfangebot zu schaffen und genügend qualifizierte und motivierte SportlehrerInnen und TrainerInnen auszubilden und angemessen für ihre Tätigkeit zu bezahlen.

Kanzleramtsminister Thorsten Frei hat vor kurzem in einem Interview der „Leipziger Volkszeitung“ ausgeführt, dass Deutschland täglich 1,5 Milliarden Euro für die Gesundheit – korrekt müsste es heißen: für Reparaturkosten bei fehlender Gesundheit – ausgibt.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat 2023 eine Studie veröffentlicht, dass in Deutschland jährlich durch Adipositas verursacht unter anderem durch Bewegungsarmut und Fehlernährung, Kosten in Höhe von 60 Milliarden Euro entstehen.

Ein weiteres Beispiel: 37 Prozent aller Demenzerkrankungen könnten verhindert werden, wenn der Blutzuckerwert und der Blutdruck gut eingestellt wären und sich die Menschen regelmäßig bewegen und Sport treiben würden.

Die körperliche Leistungsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen hat in Deutschland in den letzten Jahrzehnten drastisch abgenommen. Nur noch knapp über 50 Prozent der zehnjährigen Kinder können gut und sicher schwimmen.

Allein daraus ergibt sich die Notwendigkeit, gesellschaftlich umzusteuern.

Wie soll das gehen?

Engelhardt: Wie das IAT Leipzig in den Länderanalysen belegen kann, gelingt dies nur, wenn der Staat auch gesetzlich eingreift und gemeinsam mit dem Sport auf allen staatlichen Ebenen, also Bund, Ländern und Kommunen, die notwendigen Schritte initiiert und dafür auch die benötigten Finanzmittel bereitstellt.

Ein solches Vorgehen ist erforderlich für das Wohlergehen und eine bessere Lebensqualität der Menschen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Erhalt eines hochwertigen, aber noch finanzierbaren Gesundheitssystems.

Welche Lösungsansätze gibt es da?

Engelhardt: Zunächst: Es gibt viele Baustellen und große Herausforderungen für den deutschen Sport. Wahrlich gibt es noch viele ungelöste Probleme. Wenn wir, die wir von der positiven Wirkung des Sports überzeugte Menschen sind, wirklich etwas im positiven Sinne verändern wollen, dann müssen wir uns konstruktiv einbringen. Nur wenn sich fähige Menschen, die Spitzenverbände und die LSBs mit konstruktiver Arbeit daran beteiligen, die existierenden Schwächen des deutschen Sports zu beseitigen, wird es gelingen, dem Sport in unserer Gesellschaft mehr Gewicht zu verschaffen. Wir müssen erkennen, dass wir einen starken und mit kompetenten Menschen bestückten DOSB benötigen. Wir werden nur Erfolg haben, wenn wir zusammenhalten und an der Realisierung gemeinsamer Ziele positiv arbeiten!

Welche könnten das sein?

Engelhardt: Hier nur einige Beispiele, die die oft heterogenen Gruppen des Sports als Ziele angehen könnten: Etwa das Etablieren eines Schulfaches Prävention mit dem Ziel der Motivation zum lebenslangen Sporttreiben und gesunder Ernährungsweise unter Einbeziehung der Eltern. Dazu 60 Minuten qualifizierten Sportunterricht pro Tag für jeden/jede SchülerIn wie in Norwegen.

Ein weiteres Ziel könnte sein, in die Schulpläne Fertigkeitsziele für Sportarten wie Schwimmen, Radfahren, Turnen etc. zu integrieren, wie es in Großbritannien gemacht wird.

Die gesetzliche Sicherstellung von Sportanlagen und entsprechende Zugangsmöglichkeiten wie in Norwegen wären ein weiterer Punkt. Und natürlich eine verstärkte Ausbildung qualifizierter SportlehrerInnen und TrainerInnen und deren angemessene Bezahlung sind weitere Aufgaben. Des weiteren müssen die Wettkampfangebote für die unterschiedlichen Ziel- und Bevölkerungsgruppen sichergestellt werden. Ein weiteres Beispiel: Sportliche Belange sollten auch bei künftigen Bauprojekten berücksichtigt werden, wie das nun in Hamburg beispielsweise passiert.

Das hört sich nach viel Überzeugungsarbeit an!

Engelhardt: Ja, zunächst müssen die verantwortlichen Politiker und die verantwortlichen Vertreter des Sports davon überzeugt sein, dass diese Ziele notwendig und sinnvoll sind, und sie müssen den gemeinsamen Willen aufbringen, die dafür notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen vorzunehmen und durchzusetzen. So gravierende Veränderungen benötigen Zeit und enormes Durchhaltevermögen. Von staatlicher Seite müssten die Ministerien für Sport, Bildung/Schule und Gesundheit beteiligt werden.

Sie sind seit langer Zeit im Sport aktiv und gefühlt schon immer Präsident der Deutschen Triathlon Union (DTU) und vertreten eine Sportart, die nicht nur im Spitzenbereich sehr erfolgreich ist, sondern auch im Breitensport verankert ist. Über eine Trendsportart ist Triathlon schon lange hinaus. Wie ist Ihnen das gelungen?

Engelhardt: Erfolg ist meist ein Gemeinschaftswerk und basiert auf konsequenter und harter Arbeit. Als unser Verband 2010 finanziell nur noch beschränkt handlungsfähig war und durch Inkompetenz und Streit sich alle Sponsoren abgewandt hatten, musste ein „Neustart“ organisiert werden.

Wir führten ein verlängertes Klausurwochenende mit allen haupt- und ehrenamtlichen Funktionsträgern des Dachverbandes unter Beteiligung der Landesverbände durch. Dabei verständigten wir uns auf neun Handlungsfelder. Gemeinsam zusammengestellte Arbeitsgruppen konnten dann in den letzten zehn Jahren viele der angestrebten Ziele erfolgreich umsetzen. Dazu waren natürlich fachlich qualifiziertes und engagiertes Personal und die Unterstützung wiedergewonnener Wirtschaftspartner notwendig. Bei diesem kontinuierlichen Prozess müssen wir uns selbst immer wieder kritisch hinterfragen und auch die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen berücksichtigen.

Es ist auch wichtig, dass destruktive Aktivitäten und eigenegoistisch agierende Menschen zurückgedrängt werden. Erfolg gelingt nur, wenn konstruktiv gemeinsam an Zielen gearbeitet wird.

Wie führen Sie den Nachwuchs an ihren Sport heran? Aus drei Disziplinen Schwimmen, Radfahren, Laufen setzt sich Triathlon zusammen. Die Ressourcen schrumpfen, nicht zuletzt, weil viele Kinder nicht mehr schwimmen können. Gibt es eine Kooperation mit Leichtathletik-, Radsport– oder Schwimmverband, um Kinder, die vielleicht in der einen Sportart nicht so erfolgreich sind, es aber in einer anderen sein könnten, als Talente nicht zu verlieren?

Engelhardt: Als kleiner Verband investieren wir derzeit jährlich 100.000 Euro in unsere Schulsportaktivitäten. Damit werden sogenannte Triaktivisten in den Landesverbänden nach einem ausgearbeiteten Konzept finanziert. Daneben unterstützt unser Generalsponsor Suzuki unsere bundesweiten Schultriathlonveranstaltungen.

Schwieriger wird es dann, die für Triathlon begeisterten Kinder in den Vereinen flächendeckend auszubilden. Wir haben zu wenig qualifizierte TrainerInnen, obwohl wir seit Jahrzehnten mit viel Aufwand die TrainerInnen-Aus- und -Weiterbildung vorantreiben. Wir versuchen derzeit, unsere besten Landestrainer an die Basis zu den Vereinen zu schicken.

Ein großes Problem ist die völlig unzureichende Bäderkapazität und der Umstand, dass fast 40 Prozent der Kinder nicht mehr adäquat schwimmen können – das ist eine traurige gesellschaftliche Realität.

Die Zusammenarbeit mit den Einzelsportarten Schwimmen, Radfahren und Leichtathletik müsste organisiert werden. Derzeit findet die Zusammenarbeit lediglich auf individueller Ebene statt. Wenn nicht ein Schwimmtrainer in Berlin einst Laura Lindemann zum Triathlon geschickt hätte, wäre sie nie Olympiasiegerin geworden. Auch Herr Berkan – der Magdeburger Schwimmtrainer – unterstützt einige unserer Top-AthletInnen.

Zukünftig sollten TrainerInnen, die die AthletInnen zu den Sportarten schicken, wofür sie das größte Talent und Potential haben, wie in Großbritannien belohnt werden.

Wie muss sich grundsätzlich ein Sportverband heute aufstellen, um zukunftsfähig zu sein?

Engelhardt: Die Bedingungen sind für die einzelnen Sportarten sehr unterschiedlich. Für eine gesicherte Basis benötigt ein Sportverband professionelles, gut ausgebildetes und motiviert arbeitendes hauptamtliches Personal. Ehrenamtliche Mitarbeiter sind weiterhin unverzichtbar. Das Zusammenwirken muss mit einem wertschätzenden Umgang gepflegt werden. Regelmäßige Klausurtreffen in mehrjährigen Abständen unter Einbindung der ehren- und hauptamtlichen Kräfte mit externen Anregungen sichern eine ständige Weiterentwicklung und ermöglichen eine Einigung in der Zielstellung sowie eine Priorisierung der angestrebten Ziele.

Ein Sportverband sollte moderne Medienarbeit betreiben und sich ein Netzwerk in Politik, Wirtschaft und in die Fernsehanstalten aufbauen. Ohne Unterstützung dieser Bereiche ist es nicht möglich, die Sportart zukunftsfähig aufzustellen. Alle Bereiche greifen wie ein Räderwerk ineinander.Um die Ausrichtung einer Sportart positiv mitzugestalten, sollte ein Sportverband auch in der Lage sein, einige Wettkämpfe wie bei den Finals oder internationale Meisterschaften federführend selbst zu organisieren. Dazu muss der Verband professionelle Strukturen aufbauen.

Sind Sie davon überzeugt, dass der immer mehr professionalisierte Spitzensport noch vom DOSB gemanagt werden kann? Sowohl professionell wie personell?

Engelhardt: Mit den Ergebnissen unserer bisherigen Organisationsstruktur sind wir zumindest hinsichtlich des Medaillenspiegels bei den Olympischen Sommerspielen nicht zufrieden. Die Ursachen dafür sind vielschichtig.

Sowohl der DOSB als auch die Politik sind davon überzeugt, dass wir eine unabhängige „Sportagentur“ benötigen, um den Spitzensport besser zu organisieren. Als Vorbild werden häufig Großbritannien, Norwegen oder Australien genannt. Entscheidend wird sein, ob eine Agentur fähiges Personal einstellt und dieses dann nach entsprechenden Vorgaben auch die Entscheidungsbefugnis bekommt, um unbürokratisch zu arbeiten.Eine Agentur alleine löst jedoch nicht die oben genannten gesellschaftlichen Probleme und auch nicht das Trainerproblem.

Da ist dann auch noch die Frage der Finanzierbarkeit. Wie lange dauert es noch aus Ihrer Sicht, bis wir im Spitzensport US-amerikanische Verhältnisse haben? Wann reicht es nicht mehr, sich auf den Geldgeber Staat zu verlassen – anders gefragt: Wann kümmern sich Sportarten endlich selbst um Sponsoren – wie es einige ja schon tun?

Engelhardt: Wir werden im Spitzensport keine amerikanischen Verhältnisse bekommen. Wir sind in Deutschland und müssen den für uns geeigneten Weg finden. Einige Sportarten zeigen uns ja schon seit vielen Jahren, wie man erfolgreich auch in Deutschland Spitzensport betreiben kann.

Deutschland will sich wieder um Olympische und Paralympische Spiele bewerben. Mal abgesehen davon, wie das hier bei uns momentan gehandhabt wird: Wenn Sie die Entwicklung in den USA sehen, wo Milliardäre zusammen mit der Trump-Familie eigene Spiele veranstalten werden, wo riesige Preisgelder bezahlt werden und Doping erlaubt ist – wie lange wird es dann noch das mit Pathos und Patina verzierte Original des IOC geben? Auch die Sportwelt – und besonders die olympische – ist ja in der neuen Welt der Dealmaker schon lange angekommen.

Engelhardt: Die internationale politische Entwicklung ist bedenklich. Die Menschenrechte und die Werte von Anstand, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit und Fairness werden derzeit von mächtigen Staatsführern mit Füßen getreten, das hat gravierende Folgen auch für uns im Sport.

Wir dürfen uns davon aber nicht entmutigen lassen und müssen für unsere Wertvorstellungen kämpfen!

Die olympische Bewegung – trotz aller Skandale und berechtigter Kritik– war und ist immer noch für viele Sportler und Zuschauer durch das friedliche Zusammenkommen der Sportler aus fast allen Nationen der Welt eine Hoffnung auf eine bessere Welt.

Deutschland sollte die Chance bekommen, Olympische Spiele nach den genannten Wertvorstellungen für die Gäste aus aller Welt zu organisieren. Wir könnten damit eine positive Botschaft in die Welt aussenden und damit auch anderen Mut machen.