Spektakuläre und perfekte Inszenierung der Spiele / Deutscher Abwärtstrend hält an
Berlin/Paris 11./12. August. Wie anders wäre es zu erwarten gewesen: Mit einer spektakulären Eröffnungsfeier, der selbst strömender Regen nichts von ihrer Faszination rauben konnte, wurden die Olympischen Spiele 2024 ( Spiele der XXXIII. Olympiade ) in Paris am 26. Juli offiziell eröffnet. Und ebenso grandios gingen sie am 11. August zu Ende: Der künstlerische Leiter Thomas Jolly komponierte nach dem kaum noch zu toppenden Opening ein glanzvolles Finale im Stade de France: Rund 100 KünstlerInnen verabschiedeten die Athleten und Athletinnen sowie die Fans aus aller Welt mit einer Art großer Oper als visuelles Fresko. „Gemeinsam wollen wir diesen Abend zu einem denkwürdigen und bewussten Fest machen, das sowohl die Vergangenheit ehrt, als auch die Zukunft umarmt“, so beschrieb Jolly seine Idee im Vorfeld. Nachdem das Olympische Feuer in der Montgolfière, die über dem Jardin des Tuileries schwebte, erloschen ist, stellt sich die Frage: Waren diese Spiele ein Wendepunkt, was bleibt und was kommt nach Paris?
Merci beaucoup an die Gastgeber Frankreich und die Stadt Paris, die 14 Tage für die Illusion sorgten, dass die Welt doch eine bessere sein könnte als sie ist. Viel Lob, viel Begeisterung und viele neue und alte Fans gab es für das Nachbarland und die französische Hauptstadt.
„Stolz für Frankreich“
Edith Piaf, Yves Montand oder Juliette Gréco haben mit dem Chanson „Sous le ciel de Paris“ der Stadt an der Seine immer wieder eine Liebeserklärung gemacht. Und die Interpreten würden sicher zustimmen, wenn eine der Textzeilen nun nach den Spielen in etwa so variiert würde: „Hinter der Brücke von Bercy sitzen ein Philosoph und zwei Musiker, AthletInnen und viele Schaulustige unter dem Himmel von Paris bis in den späten Abend und singen die Hymne deines Volkes an seine alte Stadt“. Viele Gäste würden gerne und laut in das Lied einstimmen. Vielleicht auch die Marseillaise mitsummen, die dieser Tage eher als stimmungsmachender Gassenhauer denn als stolze Nationalhymne geschmettert wird.
Paris und Frankreich haben ihr Wort gehalten und diese Spiele zu einem unvergesslichen Ereignis gemacht. Und man möchte dem französischen Schriftsteller Victor Hugo zustimmen, wenn er sagt: „Paris ist nicht nur eine Stadt, sondern ein Lebensgefühl.“ Und das haben sie in diesen zwei Wochen vermittelt.
Olympiaflucht bereut
Mancher Parisien, der vor dem Olympiatrubel geflüchtet ist, bereute angesichts der Stimmung in der Heimatstadt, dass er nicht geblieben ist. Über 10 Millionen Tickets, obwohl sehr teuer, wurden verkauft, und reuige Rückkehrer hätten wohl kaum noch ohne weiteren Aufschlag welche bekommen können. Aber auch als Zaungäste und beim Public Viewing konnten Fans und Neugierige mitfiebern und sich gut amüsieren. Und nicht nur da – weniger am Sport Interessierte wurden mit einem anspruchsvollen, riesigen Kulturprogramm mit vielen Highlights verwöhnt – es war wenn nicht umsonst, dann erschwinglicher als ein Tagesticket im Deutschen Haus, das 390 Euro kostete.
Dennoch: Vom Zauber Olympia haben sich nicht alle anstecken lassen. Vor allem diejenigen nicht, die an den Stadtrand verfrachtet wurden – Obdachlose. Oder diejenigen, die auch während Olympia kämpfen müssen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten: „Armut“ so beschrieb Marie, die in er Nähe des Olympischen Dorfes wohnt, „kennt keine Pause“.
„Was haben wir von diesem Theater“ fragen die Olympiaverweigerer? Der Präsident des Organisationskomitees und Kanu-Olympiasieger Tony Estanguet antwortet ihnen: Zum Beispiel verbesserte und neue Infrastruktur (etwa den Metroausbau) oder mehr Wohnungen durch das olympische Dorf. Oder eine (einigermaßen) saubere Seine. Außerdem verweist der OK-Chef darauf, dass öffentliches Geld nur in bleibende Infrastruktur gesteckt wurde, temporäre Sportanlagen aber zum Beispiel privat finanziert wurden.
Mit Augenzwinkern
Staatspräsident Emmanuel Macron, der bei der Eröffnungsfeier noch Buhrufe zu hören bekam, hat seinen Landsleuten nicht zu viel versprochen: Die Spiele würden ein „Stolz für Frankreich“.
Mit Charme und Eleganz, einem verständigen Augenzwinkern und fröhlichen und freundlichen Gastgebern hat sich Paris präsentiert, das manchmal auch sehr grummeln kann. Und es verschaffte dem Staatsoberhaupt im politischen Zirkus eine kleine Verschaufpause.
Vor einer Bilderbuchkulisse feierten die Franzosen sich und zusammen mit Sportfans aus aller Welt die AthletInnen. Was für ein Kontrast zu den Tokio-Spielen 2021, wo wegen dem Covid-Virus die Zuschauerränge fast leer bleiben mussten.
Macron zeigt sich volksnah
35 000 Sicherheitskräfte sorgten täglich dafür, dass das Spektakel nicht von politischen Irrläufern zu einer Tragödie werden würde, denn: Frankreich, speziell auch Paris, betrauert noch immer die Opfer der islamistischen Terrorangriffe im November 2015. Und nach den Attacken auf das französische Bahnsystem just am Eröffnungstag der Spiele galt noch einmal besondere Wachsamkeit. Mit politisch unruhigen Zeiten muss sich derzeit auch der französische Nachbar auseinandersetzen. Spätestens nach den Paralympics steht eine schwierige Regierungsbildung an. Macron, der unter anderem wegen seiner ihm nachgesagten Eitelkeit und seiner Basta-Politik (L’Etat, c’est moi!) von den Franzosen wenig gemocht wird, zeigte sich in diesen Tagen volksnah. Mischte sich unters Publikum, machte Selfies im Reitstadion oder beim Tennis in Roland Garros. Herzte OlympiasiegerInnen und tröstet VerliererInnen. Der Chef der Grande Nation nutzte die Plattform Olympia, um Sympathiepunkte zu sammeln.
Und auch andere Staatsgäste tummelten sich zuhauf auf der Olympischen Bühne. Besonders erstaunte Olaf Scholz. Kein deutscher Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin war wohl in den letzten 40 Jahren jemals so lange und so oft auf der olympischen Tribüne zu sehen wie Scholz, der eigentlich im Urlaub ist. An manchen Tagen hatte man den Eindruck, dass vor allem Genossen einen Betriebsausflug an die Seine machten, sich MinisterInnen, Landesväter, Abgeordnete aus dem Sportausschuss samt Gästen im Deutschen Haus , das im Rugbystadion Stade Jean Bouin aufgebaut war , die Klinke in die Hand gaben. Schlechte politische Zeiten – da möchte jeder gerne mal was vom olympischen Glanz abbekommen.
Spaltung überwinden
Nicht nur in Frankreich werden immense Ausgaben für den Sport mit dem legendären Argument gerechtfertigt, dass mit Sport und mit Olympischen Spielen die Spaltung der Gesellschaft überwunden werden könnte. Darüber denken viele anders, auch PolitikwissenschaftlerInnen, die die nötige Distanz zur „Sportfamilie“ haben. Gerade in Frankreich platzte dieser Traum, dass die nationale Einheit von Dauer wäre, die man nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 so sehr erhofft hatte. Das „black-blanc-beur“ (schwarz-weiß-arabisch) -Team stand für ein multikulturelles und tolerantes Frankreich.
Vier Jahre später war der Traum ausgeträumt: der Rechtsextreme Jean-Marie LePen schaffte es bei den Präsidentschaftswahlen in die zweite Runde. „Die Brüche in der Gesellschaft bestehen nicht nur in Frankreich weiter. Sie haben viele Ursachen, berühren Fragen der Identität, der Einwanderung und das Gefühl, von der politischen Klasse nicht repräsentiert zu sein“, so Benjamin Morel, Dozent an der Universität Paris II Panthéon- Assas dieser Tage in einem Interview.
Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, hat noch Hoffnung, wie sie bei ihrer Abschluss-Pk sagte. Sie hoffe, dass „die Stimmung und der nationale Zusammenhalt“ nicht nur unmittelbar nach den Olympischen und Paralympischen Spielen anhalten wird, sondern über die nächsten 20 Jahre hinaus. Da sind andere nicht so optimistisch. Die Euphorie wird schnell verraucht sein, der politische Alltag dürfte die Franzosen schnell wieder einholen – nicht zuletzt, weil ja eine Regierung gebildet werden muss, so dass Streit in der Assemblée Nationale ins Haus steht.
Politik allerorten im Spiel
Auf den ersten Blick schien es, als bliebe in den Stadien und Hallen die Politik vor der Tür. Doch der Schein trog – wie so oft. Ein Foto von Nord-und Südkoreanern aneinander gedrängt auf dem Siegertreppchen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwischen beiden Ländern politische Eiszeit herrscht. Verweigertes Händeschütteln von AthletInnen verfeindeter Länder oder der besondere Schutz der SportlerInnen aus Israel sagen etwas anderes über die vermeintlich heile Sportwelt aus.
Für einen Moment des Stillstands sorgte das ukrainische Team mit einer anrührenden Animation. Darin erinnern sie an die SportlerInnen, die eigentlich in Paris starten sollten – wenn sie nicht an der Front im Krieg gegen die Russen gefallen wären.
Krieg – nein, das passt nicht zu den schönen Tagen von Paris.
Also zurück zum Positiven und Besonderen: Die Organisatoren wollten den SportlerInnen bei ihren Wettbewerben etwas Unvergessliches bieten. Der Maler Claude Monet würde es so beschreiben: „Paris ist wie ein Traum, der Wirklichkeit geworden ist. Jedes Detail der Stadt ist wie ein Kunstwerk, das zum Leben erweckt wurde.“ Und dazu haben die Aktiven mit ihren teils außergewöhnlichen Leistungen beigetragen.
Auf den Spuren des Sonnenkönigs
Im Schlossgarten von Versailles waren die Reiter auf den Spuren des Sonnenkönigs unterwegs. Vor dem Eiffelturm spielten sich die Beachvolleyballer in den Sonnenuntergang, die Fechter wurden im Grand Palais auf der Planche zu Alexandre Dumas’ Musketieren. Die Conciergerie, der Louvre waren eindrucksvolle side-kicks und Spielplatz für die Spitzensport-Elite.
Nur die Seine, ein Star der Eröffnungsfeier, machte zwischendurch Sperenzchen – das heißt: Der Wettergott bescherte durch Hitze und Regen Zutaten im Wasser, die auch gigantisch große, neue und Milliarden teuere Rückhaltebecken und Kanalisation nicht bewältigen konnten.
Zu meckern gibt es – das bestätigen nahezu alle – organisatorisch wenig bis nichts. Kleinere Pannen beim Transport oder Kritik am Essen (ausgerechnet in Frankreich !) wurden mit der Leichtigkeit des französischen Seins behoben.
„Merci bien – merci pour tout“, möchte man nun sagen – an alle Parisiens, die vielen freiwilligen HelferInnen, die Sicherheitskräfte, die nach einer kurzen Verschnaufpause vom 28. August bis zum 8. September für die Paralympics nochmal gefordert sind.
Immer mehr fischen im Medaillenpool
Sportlich gesehen gab es zwischen den USA und China ein Wettrennen um die Medaillen, das die US-Amerikaner gewannen.Dass sich im Spitzensport weltweit einiges tut, zeigen nicht nur kleine Inselstaaten wie St Lucia mit der 100-m-Siegerin und Silbermedaillengewinnerin über 200 m ,Julien Alfred. Immer mehr Länder fischen Edelmetall aus dem Medaillenpool und sorgen für manche Überraschung. Die Währung bei Olympia sind nun mal Medaillen, zumindest für AthletInnen und FunktionärInnen. Und die Medien, die im Zusammenspiel mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) eine Glamour-Welt distanzlos und euphorisch verkaufen wollen.
Wer die Spiele live oder an Bildschirmen verfolgte, stieß schnell an Grenzen: Der Gigantismus – das Programm ist ausbordend, unübersichtlich und überfordernd. Und manches bekommt man kaum mit: Etwa Surfer und Segler, die weit weg vom Treffen der Jugend der Welt und dem so oft gepredigten Olympic Spirit sind und irgendwie im Angebotswust untergehen. Ein Programm ansprechender für junge Leute etwa mit Breakdance und Bouldern, Basketball oder Triathlon – schön und gut, aber sollte man sich dann nicht von dem einen oder anderen trennen? Da wäre bei den IOC-Machern mehr Mut gefragt und gefordert, den internationalen Verbänden klar zu machen, dass nicht mehr, sondern weniger Wettbewerbe im olympischen Programm eine Sportart attraktiver machen können.
Das geht in die Geschichtsbücher ein
Attraktiver übrigens wird Wettbewerb auch nicht, wenn völlig überdrehte Reporter, die mehr Fan denn Journalist sind, enthusiastisch eine Medaille herbeiquatschen wollen, obwohl das Bild – mal wieder Weltbild oder doch ARD/ZDF-Kamera? – etwas ganz anders sagt. Und professionell ist ganz sicher nicht, wenn KommentatorInnen und ModeratorInnen ständig die Geschichte bemühen. Die Regale in Sportbibliotheken müssen nach diesen Spielen überquellen: „Hier wird Geschichte geschrieben!“ – Das ist historisch!“ „Das geht in die Geschichtsbücher ein!“ Geht’s nicht eine Nummer kleiner? Merken sie nicht, wie ständige Wiederholung diese Einschätzung und letztlich auch die Leistungen entwertet?
Im Vorfeld wurden viele kritische, bedenkenswerte Beiträge in ARD/ZDF gesendet, die aber nur selten wieder in der aktuellen Berichterstattung aufgenommen wurden. Da gibt es den einen Moderator oder die andere Moderatorin, die ihre euphorischen Olympia-Vibes offensichtlich gestört sehen, wenn sie einen kritischen Beitrag ankündigen müssen. Um nicht ungerecht zu sein – natürlich unterbricht man dann gegen Mitternacht schon mal das Unterhaltungsprogramm mit kritischer Nachfrage nach Doping.
Probleme stapeln sich
Dabei stapeln sich neben positiven Schlagzeilen halt auch die negativen. Die Diskussion um die Geschlechteridentität, neu ausgelöst durch die algerische Boxerin Imane Khelif, die in Paris Gold gewonnen hat, wird den Sport und das IOC weiterverfolgen. Insgesamt steht der Umgang mit Ländern, die Frauen diskriminieren und in denen Frauensport nur unter Angst betrieben werden kann, in der Diskussion. Siehe Iran oder Afghanistan. Da wurde nun die die afghanische Breakdancerin Manizha Talash disqualifiziert, weil sie mit einem „Free-Afghan“-Umhang gegen das Taliban-Regime -vor dem sie fliehen musste – und für die Frauen in ihrer Heimat protestieren wollte
Ein Thema, das man hinter sich glaubte, war in Paris auch Covid, das sich unter den SportlerInnen verbreitete. Muss es sein, dass man mit Covid noch über 200 m startet? Der US-Amerikaner Noah Lyles, der Gold über 100 m gewann, meinte: ja, blieb fast auf der Bahn stehen und musste im Ziel mit dem Rollstuhl weggebracht werden. Malaika Mihambo war vor Paris an Covid erkrankt. Offensichtlich hatte sie mit Spätfolgen zu kämpfen, trat aber trotzdem mit Folgen an. Nach sechs Sprüngen streikte ihr Körper, Atemnot war ein Warnsignal – und sie wurde zur Drama-Queen. Auch sie wurde aus dem Stadion im Rollstuhl gefahren.
Was ist wichtiger – Medaille oder Gesundheit? Eigentlich sollte sich die Frage erübrigen. Die Antwort des Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) Thomas Weikert, das „seien nur Einzellfälle“, die er Katrin Müller-Hohenstein im ZDF am Sonntag gab, irritiert dann doch. Wäre nicht der Schutz der SportlerInnen gefragt, wenn sie vielleicht zu ehrgeizig sind und die Vernunft hintanstellen? Jeder Einzelfall ist einer zuviel.
Auch zum Thema des Schwimmens in der Seine und die gesundheitlichen Folgen gäbe es einiges aufzuarbeiten. Ärzte jedenfalls halten den Umgang mit den Covid-Vorfällen und den Nachwehen nach dem Seine-Bad für leichtfertig und fahrlässig.
Auf dem Laufsteg
The Show – in dem Fall the Games – must go on. Schwächen werden nicht verziehen in dem Sportgeschäft- es sei denn, sie lassen sich gewinnbringend verkaufen. Und so zeigen sich die Athleten wie auf dem Laufsteg etwa bei der Vorstellung der 100-m-Läufer, mediengerecht und individuell gestylt. Ist man noch im Stadion? Oder beim Auftritt von Rapper Snoop Dogg, der als eine Art inoffizielles Maskottchen neben dem eigentlichen, der Mütze Phryge, durch die Spiele tanzt und kräftig abkassiert. Hier wird mehr als deutlich: Olympische Spiele sind vom Sportfest zum kommerziellen Unterhaltungsevent mutiert. Der Move vor dem Einstieg in den Startblock scheint fast wichtiger als die sportliche Performance.
Dann soll es so sein. Das Motto „Schneller, höher, weiter“ gilt nicht nur für die AthletInnen-Leistungen, sondern für das Geschäftsmodell des IOC, das auch aus diesen Spielen mit einem vollen Geldsack abreisen wird. Und es ist sicher zu verstehen, dass die AthletInnen zum wiederholten Mal mahnen, von dem großen Dollarkuchen doch auch etwas abzukriegen.
Bach tritt ab
Darüber werden die AthletInnen im nächsten Jahr nicht mehr mit dem amtierenden IOC-Präsidenten Thomas Bach verhandeln müssen. Denn der erklärte nun in Paris, dass er keine dritte Amtszeit anstrebe. Dafür hätte die Olympische Charta geändert werden müssen, die eine Amtszeitbegrenzung vorsieht. „Um die Glaubwürdigkeit des IOC zu schützen, müssen wir alle und insbesondere ich als Präsident die höchsten Maßstäbe guter Amtsführung respektieren, die wir uns selbst gegeben haben.“ Bach betonte, schließlich habe er ja auch an der Charta mitgearbeitet. Und außerdem: „Neue Zeiten verlangen nach neuen Führungspersönlichkeiten“, sagte der 70-Jährige, der seit 2013 IOC-Chef ist. Außerdem verwies er auf die Herausforderungen, die der „digitale Tsunami“ mit sich bringe, wo er in seinem Alter wohl nicht mehr der „beste Kapitän“ sein könne.
Ob das die einzigen Gründe sind? Thomas Bach ahnt sicher, dass schwere Zeiten auf das IOC zukommen werden, vor allem geopolitischer Art,aber auch die Folgen des Klimawandels und soziale wie wirtschaftliche Probleme werden das IOC vor Herausforderungen stellen – und zum Überlebenskampf werden. Insofern waren die Pariser Spiele vielleicht der Wendepunkt hin zu anderen Spielen.
So manchen im deutschen Sport wird der angekündigte Bach-Abschied nicht ungelegen kommen. Das immer noch angeschlagene Verhältnis des DOSB mit dem IOC-Präsidenten könnte mit einem neuen Oberhaupt nur besser werden. Den Traum von Olympia, so DOSB-Präsident Thomas Weikert, werde man weiter verfolgen. Der Weg bis dahin ist weit.
Noch schlechtere Ausbeute
Nicht nur für eine erfolgreiche Bewerbung und Organisation Olympischer Spiele können die Deutschen von den Gastgebern lernen, die auch sportlich diese Spiele erfolgreich und mit Tendenz weiter nach oben abschließen. Das können die Deutschen nicht von sich behaupten. Orientiert man sich am Medaillenspiegel, dann kommt das Team mit der schlechtesten Ausbeute seit 1992 nach Hause. 37 waren es in Tokio, diesmal 33.
Olaf Tabor, Vorstand Leistungssport im DOSB, stellt nüchtern fest: „Wir haben in fast allen Sportarten erstklassige Leistungen gesehen, teilweise Weltklasseleistungen.“ Die Mannschafts-Sportarten überzeugten, und gäbe es die Reiter und Kanuten nicht, erfolgreiche Einzelkämpfer in klassischen Sportarten wie in der Leichtathletik, Schwimmen oder Rudern und Überraschungs- Erfolge wie etwa beim Golf, wäre die Bilanz noch schlechter. Einige Sportarten wurden zum Totalausfall. Mehr Gold, diesmal 12 statt 10, aber eben weniger Medaillen.
Der Abwärtstrend hält an. „Bei dieser Ausbeute setzt sich das leider fort. Wir hatten viele vierte und fünfte Plätze. Das schmerzt, da haben wir die eine oder andere Medaille liegen gelassen“, analysiert Tabor, der mittelfristig einen „Platz fünf“ der Deutschen für Sommerspiele anpeilt.
Wie immer, wenn es schlecht gelaufen ist, wird Kritik laut, nach Gründen gesucht und nach Konsequenzen gerufen. Besonders hervor tut sich die Politik, sprich Vertreter des Sportausschusses. Dessen Vorsitzender, Frank Ullrich, sagt gegenüber dpa: „ Es müssen Prioritäten in der Spitzensportförderung gesetzt und vor allem klare und widerspruchsfreie Ziele formuliert werden.“ Richtig. Aber dafür viel getan haben er und sein Gremium bisher nicht.
Seit London 2012 wird jetzt eine Reform des Spitzensport kreiert -und jede Versuchsreihe endete bisher in einem Fehlschlag. An der Spitzensportreform, die man zwischenzeitlich beerdigt hatte, nun wiederbelebte ,bastelt man weiter herum, ohne irgendwie wirklich voranzukommen. Tabor setzt seine Hoffnungen auf die Leistungssport AG, die unabhängig agieren und über die Förderung entscheiden soll. Wie diese AG und vor allem die Unabhängigkeit aussehen soll, ist aber irgendwie noch immer nicht klar. Ebenso wenig wie die inhaltliche Umsetzung.
Nein, nicht mehr Geld
Vereinzelt kommen natürlich schon wieder Forderungen, das man noch mehr Geld in den Spitzensport buttern müsse. Nein – an fehlendem Geld liegt es nicht. Der Etat hat sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt, die Bilanz verschlechtert. Es fehlt eine klare Linie , wo und wie Geld eingesetzt werden muss, und welche Strukturen im Sport endlich aufgebrochen werden müssen.
Da lohnt sich ein Blick zum olympischen Gastgeber. Denn die für Frankreich glanzvolllen Spiele und der große Erfolg ihres Teams haben eine lange Vorgeschichte: Staatspräsident Charles de Gaulle bezeichnete vor Jahrzehnten das schlechte Abschneiden der Equipe Tricolore bei den Spielen in Rom und Tokio als „nationale Schande“ für die Grande Nation. Man kann das auch anders sehen, aber für ihn war es der Grund, ein ehrgeiziges Sportprogramm anzuleiern: Die Pariser Regierung pumpte damals mehr Geld in den Sport als je zuvor, richtete ein Sportministerium ein, baute im Pyrenäen-Höhenort Font-Romeu eines der modernsten Leistungszentren und investierte landesweit in 460 Schwimmhallen – im zentralistischen Frankreich sicher einfacher als im föderalistischen Deutschland.
Schulsport ein Grund für die Pleite
Doch die Franzosen mussten lernen, dass gut Ding Weile braucht. Nach den, trotz optimaler Rahmenbedingungen, enttäuschenden Spielen 1972 ließ der damalige Staatspräsident George Pompidou Ursachenforschung betreiben. Als ein Grund für die Pleite wurde der Schulsport ausgemacht. Fünf Stunden Sport pro Woche standen auf dem Stundenplan, die aber kaum gegeben wurden. Weil? Allein an den Gymnasien fehlten, so rechnete „Le Monde“ vor, 20 000 SportlehrerInnen. Und außerdem würde sich über die Hälfte der Schüler regelmäßig vom Schulsport befreien lassen. „In Frankreich herrscht eine tiefverwurzelte Sportfeindlichkeit. Schlau ist, wer schmächtig wirkt – dumm, wer stark ist“, stellte damals Politologe Alfred Grosser fest.
Das musste sich ändern. Und passierte auch. Seit 2023 müssen 30 Minuten Bewegung – angeordnet vom Bildungs- und Jugendministerium – im täglichen Schulbetrieb und Kindergärten stattfinden. In der Schule je nach Alter sind mindestens zwei bis vier wöchentliche Unterrichtsstunden vorgeschrieben. In vielen Angeboten von Verbänden können sich Kinder und Jugendliche zusätzlich ausprobieren. Und auch Lehrer und Eltern werden in Bewegungsprogramme einbezogen.
DOSB-Präsident Thomas Weikert, schwärmte im ZDF-Studio am Sonntagvormittag von diesen Spielen- das Abschneiden seines riesigen Teams D mit 460 AthletInnen war allerdings kaum Grund für Schwärmerei oder gar Zufriedenheit. Jedenfalls, so betonte er in dem ZDF-Gespräch, will man sich nun mal um Kita-Kinder und Schulsport kümmern.Ja, das wollte man schon beim letzten Mal, beim vorletzten Mal beim….Viel Glück bei einem neuen Versuch, die KultusministerInnen der Länder und Eltern davon zu überzeugen, dass nicht nur das Erlernen der Kulturtechniken, sondern auch die ganzheitliche Bewegungsschulung wichtig für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind. Und das Sport nicht der Verschiebebahnhof der Unterrichtsplaner sein darf. Nachwuchsförderung, Talentsichtung- dafür braucht es auch das entsprechende Trainerpersonal. Auch hier will Weikert nun die Reform angehen – mehr TrainerInnen, die vor allem besser bezahlt werden sollen. Auch dieser Reformauftrag hätte schon längstens umgesetzt werden können, meinte man es denn wirklich ernst.
Die Rahmenbedingungen, was Sportstätten angeht, sind in Deutschland besser als anderswo. Und man muss sich nun endgültig entscheiden: Will man in Zukunft alle olympischen Sportarten fördern oder nur diejenigen Sportarten und SportlerInnen, die Medaillen-Potenzial haben. Konzentration nur auf die Besten – da hat der Sport 2016 gekniffen. Wird es diesmal anders ? Und wieder ist man bei der Frage: Was will der deutsche Spitzensport, wie soll er aussehen und wo will er hin! Ein befreundeter Trainer aus den USA sagte vor kurzem: „ Ihr Germans seid immer noch am diskutieren, während wir schon ins Ziel gelaufen sind.“ Will sagen: zu viele reden mit, zu wenige wollen Macht abgeben und Verantwortung übernehmen. Oder um es mit Jens Bügner, Sportvorstand im Deutschen Leichtathletikverband, zu sagen, der schon lange die Reformaktionen des DOSB kritisch verfolgt: „ Wir schreiben Excel-Tabellen – die anderen trainieren.“
Paris also als neuer Startversuch, um eine Sportnation Deutschland zu formen?
Wir sehen gespannt, was aus guten Vorsätzen und Reformversuchen geworden ist – spätestens in vier Jahren. Nun also: der Worte sind genug gewechselt- lasst uns endlich Taten sehen!
Au revoir Paris – Welcome in Los Angeles 2028!
Fotos: Matias Rietig