Sportlehrerin Vida über den Alltag im Iran, warum sie ging und ihre Hoffnung
Berlin, 23. November. Mittlerweile sind es 67 Tage, seit die Menschen im Iran auf die Straße gehen, ihr Leben für die Freiheit riskieren. Nach dem Tod von Mahsa Amini, die von der Sittenpolizei wegen „unangemessener Kleidung“ festgenommen wurde und unter ungeklärten Umständen in Polizeigewahrsam gestorben ist, gingen als allererste mutige Frauen auf die Straße. Viele von ihnen trugen nicht das vorgeschriebene Kopftuch, den Hijab. Mittlerweile sind überall im Iran alle Bevölkerungsgruppen auf der Straße, um gegen das Mullah-Regime zu protestieren.
Auch aus dem iranischen Sport protestieren AthletInnen, FunktionärInnen, machen sich für Frauenrechte und Demokratie stark. Zuletzt protestierte das iranische Frauenbasketball-Team ohne Hjiab auf einem Foto. Manche SportlerInnen bezahlten in der Vergangenheit ihre Kritik am Regime mit ihrem Leben, wie etwa der Ringer Navid Afkari im August 2020. Ihm warfen die iranischen Behörden vor, er habe bei einer Demonstration 2018 angeblich einen Sicherheitsbeamten erstochen. Im Januar 2022 wurden der Ringer Mehdi Ali Hosseinie wegen der Teilnahme an einer regierungskritischen Demonstration gehängt, und der Boxer Ali Mutairi wurde ebenfalls hingerichtet. Offensichtlich unter Hausarrest gestellt wurde die Kletterin Elnaz Rekabi, die ohne Kopftuch Mitte Oktober in Seoul bei den Asienmeisterschaften im Klettern angetreten war und bei ihrer Rückkehr wie eine Heldin gefeiert wurde.
Kontrolle mit Zuckerbrot und Peitsche
Seit 1979 die Islamische Revolution an der Macht ist, wurde auch der Sport von der Führung im Iran unterdrückt und kontrolliert – je nach der Lage im Land wurden Maßnahmen gelockert, dann wieder angezogen. Kontrolle mit Zuckerbrot und Peitsche. Frauen- und Mädchensport wurde zunächst verboten, dann teilweise erlaubt. Funktionäre und AthletInnen lebten von da an gefährlich, wenn sie sich nicht systemkonform verhielten. Die internationalen Sportverbände reagieren nicht nur sehr zurückhaltend auf die Unterdrückung der Frauen im Iran, auch sonst hält sich ihr Protest seit Jahren in Grenzen. Oder findet gar nicht statt: Die Fifa denkt gar nicht daran, die Iraner von der Weltmeisterschaft in Katar auszuschließen.
Vida, die selbst Fußballspielerin in einem Verein war, hätte sich, wie etwa die iranische Frauenrechtsgruppe Open Stadium das fordert, einen Ausschluss des iranischen Teams von der Weltmeisterschaft in Katar durch die Fifa gewünscht. „Mit dem Ausschluss wären die Proteste weltweit in den Fokus gerückt, wäre den Menschen auf der Straße, die täglich ihr Leben riskieren, der Rücken gestärkt worden“ sagt die junge Frau.
„Es ist kein Protest mehr, es ist eine Revolution, eine Revolution der mutigen Frauen, der sich nun alle anderen angeschlossen haben: Schüler und Schülerinnen, Studenten und Studentinnen, Arbeiter und Arbeiterinnen“, sagt Vida, die mit Bangen das gewalttätige Vorgehen in ihrer Heimat verfolgt. „Immer mehr Kinder werden zu Opfern“, beklagt sie. Das Bild von dem zehnjährigen Kian Pirfalak, der bei Protesten am 16. November im Südwesten des Irans bei Unruhen erschossen wurde, wurde in den sozialen Medien geteilt.
Kian und der Regenbogengott
Der Tod des kleinen Jungen war nun offensichtlich auch für die iranische WM-Mannschaft, die vor ihrer Abreise sehr in die Kritik geraten waren, zu viel. Ihr Kapitän Ehsan Hajsafi hat in Doha bei einer Pressekonferenz zu den Vorgängen im Iran Stellung genommen. „Im Namen des Regenbogengottes“ begann Hajasafi seine Ausführungen. Die Menschen im Iran sollten wissen, „dass wir an ihrer Seite stehen und mit ihnen fühlen. Wir sollten akzeptieren, dass unsere Bürger nicht glücklich sind, und hoffen, dass sich alles zu ihren Gunsten entwickelt“, zitiert ihn t-online. Und beim ersten Spiel gegen England sangen sie aus Protest gegen die Mullahs die Nationalhymne nicht mit – das iranische Staatsfernsehen blendete sich aus. Ob das die Wut vieler ihrer Landsleute gegen das Team besänftigen wird, die sich über die 1: 6 Niederlage gegen die Engländer freuten? Den WM-Spielern wurde übel genommen, dass sie sich vor dem Abflug nach Katar mit dem Präsidenten Raisi unbeschwert und fröhlich fotografieren ließen, keine Distanz zeigten. Ihre Verweigerung, die Hymne nicht mitzusingen, um damit Solidarität mit den Protestierenden zuhause auszudrücken, blieb bisher ohne Folgen von Seiten des Regimes für sie und ihre Angehörigen.
Auch Vida setzt große Hoffnung darauf, dass sich bald etwas ändert. „Die Menschen lassen sich nicht mehr aufhalten. So lange haben sie noch nie protestiert.“
Ich wollte Freiheit
Die 33-Jährige hat vor vier Jahren den Iran verlassen. Wie, bleibt offen. Nicht zuletzt, weil der lange Arm der Mullahs auch bis nach Deutschland reicht, wie eine Reihe von Übergriffen etwa in Berlin zeigt. Warum sie ging und liebe Menschen zurückließ, fasst sie in drei Worten zusammen: „Ich wollte Freiheit“
Wenn sie von ihrem Alltag im Iran erzählt, kann man in etwa ahnen, warum sie geflüchtet ist. „Ich habe Sport studiert und habe in einer Grundschule für Jungen unterrichtet“, erzählt sie. Sport, da ist sie vorbelastet: Die Mutter war Gymnastin. Für Vida war und ist Sport auch eine Art Stärkungsmittel. „Besonders für die iranischen Frauen ist Sport sehr wichtig, weil es das Selbstvertrauen und das Selbstbewusstsein stärkt. Und Frauen können das bei der Erziehung ihrer Kinder weitergeben: stark werden, durchhalten, bei Wettkämpfen sich beweisen – den Kindern so Vorbild sein.“
Es gibt Sportangebote für Mädchen und Frauen. Aber eben nur unter bestimmten Voraussetzungen, im geschützten Raum, getrennt von den Männern. Frauen dürfen Männern nicht beim Fußball zusehen, umgekehrt ist es genauso. Sportstudium gibt es für Männer und Frauen – getrennt. Männer dürfen keine Frauenteams trainieren.
Immer unter Druck
Wer sich vorstellt, ein Lehrer oder eine Lehrerin könne nun locker den Unterricht in einer Grundschule durchziehen, der irrt. Alles, was dort passiert, steht – wie überall – unter der großen Überschrift „Religion“. Die LehrerInnen müssen sich einem Religionstest unterziehen. „Sie werden nicht gefragt, was sie fachlich können, sondern wie oft sie die Moschee besuchen, ob sie den Koran lesen.“ Die Religions-Prüfung hat sie nicht bestanden, durfte trotzdem unterrichten, stand aber unter Beobachtung. Schon alleine, wenn das Kopftuch der Lehrerin nicht korrekt sitzt, die Sportschuhe nicht schwarz oder dunkelblau, sondern bunt sind, kann das Folgen haben, wenn der unbekannte „Spitzel“ in der Schule das an die entsprechende Stelle weitergibt. Mal abgesehen davon, dass man sich während des Unterrichts vorsehen muss, etwa bei Hilfestellungen. „Könnten Sie so unterrichten? Könnten Sie so leben, wenn Sie täglich damit rechnen müssen, dass was passiert, jemand vor ihrer Tür steht?“ fragt Vida. Der Druck, die ständige Angst – das hat sie nicht mehr ausgehalten. Sie machte sich allein auf den Weg und kam vor vier Jahren in Berlin an. Bis 2020 wohnte sie in einem Übergangsheim, dann bekam sie eine Wohnung, und seit Oktober hat sie einen Job.
LSB-Projekt als Starthilfe in den Job
Und dabei wurde sie vom Landessportbund Berlin unterstützt. Ihre Abschlüsse als Grundschullehrerin wurden anerkannt und nun verhalf ihr das LSB-Projekt „SPORTBUNT – Vereine leben Vielfalt“ zu einem Job. Vida nahm dort an einem Übungsleiter-Lehrgang für die C-Lizenz teil, der auch Menschen mit Fluchterfahrung angeboten wird. Begleitet und unterstützt wurde sie dabei von Sport-Integrations-Coaches des Teams. Danach machte Vida noch eine Ausbildung zur Schulschwimm-Trainerin. Nun ist sie beim Berliner Schwimmverband angestellt und bringt Schülern und Schülerinnen Brustschwimmen und Kraulen bei.
Der Job macht ihr Spaß. Und nicht nur deshalb sagt sie, sie habe sich auch ganz gut eingelebt. „Ich bin gut aufgenommen worden, habe keine schlechten Erfahrungen gemacht.“ Aber manchmal hatte sie den Eindruck, manche Leute würden nicht glauben wollen, dass die Lage im Iran so drastisch ist: „Warum hätte ich hier herkommen sollen? Ich hatte doch alles: Meine Familie, eine Wohnung, einen Job, Freunde. Aber keine Freiheit.“
Geschäfte statt Sanktionen
Sie wünscht sich nicht nur von der Politik, auch vom Sport mehr Unterstützung. „Der Eindruck verfestigt sich, dass Öl, andere Energie, die Geschäfte wichtiger sind als die Menschen. Wo bleiben die harten Sanktionen gegen den Iran aus den USA und der EU?“ Man fühle sich schon im Stich gelassen. „Was sie uns im Iran verwehren, das nehmen die Sepah-Angehörigen (Revolutionsgarde) für sich und ihre Kinder in Anspruch: Wir sollen nicht ohne Kopftuch unterwegs sein, wir dürfen nicht tanzen,wir dürfen nicht leben wie wir leben wollen. Sepah-Angehörige dagegen haben das alles, wenn sie in Kanada oder den USA oder irgendwo in Europa leben. Warum weist man die nicht aus? Warum friert man das Geld nicht ein?“ Das deprimiert.
Spitzenklubs sollten sich solidarisieren
Und was könnte oder sollte der Sport tun? Das mit dem WM-Ausschluss ist ja nun nicht passiert. Wo also könnte der Sport unterstützen? „Im Iran wird die Bundesliga, internationaler Fußball geschaut – es wäre toll, wenn die Mannschaften da die Menschen unterstützen würden. Borussia Dortmund hat das mit einer Aktion nach dem Tod von Masha Amini vor einem Spiel getan. Auch Hertha BSC hat sich mit ihrem ehemaligen Spieler Ali Daei solidarisiert“, sagt Vida. Dem 53-Jährigen war der Pass abgenommen worden, weil er sich für mehr Frauenrechte in seiner Heimat einsetzte. Nun darf er das Land nicht mehr verlassen. „Es wäre schön, wenn andere große Mannschaften, wie etwa Bayern München oder Real Madrid für die Iraner ein Zeichen setzen würden. Das Regime würde wissen: Die Welt sieht, was ihr hier anrichtet.“
Wir wollen nur unser Leben leben
Was hat ein Land für eine Zukunft, das seine Bürger und Bürgerinnen nur unterdrückt? Man kann die Welt nicht aussperren in Zeiten weltumspannender sozialer Medien. Das wissen auch die regierenden Mullahs.
Vor allem die jungen Menschen gehen im Iran jeden Tag das Risiko ein, ihr Leben zu verlieren, weil sie haben wollen, was viele hier bei uns gar nicht mehr zu schätzen wissen: Freiheit. „Wir alle wollen doch nur in Freiheit leben, unser Leben leben, selbst entscheiden und bestimmen können, wie wir in unserer Heimat leben möchten“, sagt Vida.