Lieber Leser, liebe Leserin,
eine Freundin schrieb mir dieser Tage: „Ich glaube, ich bin zum Misanthrop geworden. Ich verstehe dieses Verhalten, diese Respekt- und Rücksichtslosigkeit der Leute nicht. Ich bin deprimiert und mutlos. Was für ein vergeudetes Lebensjahr.“
Ja, es war wieder ein verkorkstes Jahr. Aber es gab auch Momente, wo ein Hoffnungsschimmer aufblitzte: Trotz der Pandemie konnten endlich – wenn auch anders als geplant – die vor einem Jahr verschobenen Hochzeiten zweier befreundeter Paare stattfinden. Und trotz der Pandemie freuten sich Freunde über neue Enkelkinder. Die Freude wird wieder zur stillen und manchmal einsamen Freude…
….weil dieses vertrackte Virus die Welt nun weiter mit Mutationen drangsaliert und das Leben nach wie vor außer Tritt ist. Viele vorher Tapfere versetzt Covid mittlerweile in Angst und Schrecken. Und verursacht Trauer.
Wenn am 24. Dezember sich nun Familien zum traditionellen Heiligabend-Essen treffen, werden an manchen festlich gedeckten Tischen Plätze frei bleiben: Über 100 000 Menschen in dieser Republik sind Opfer des Virus geworden: Väter, Mütter, Großeltern, Geschwister, Freunde, Bekannte. Und doppelt getroffen waren die Menschen, die im Sommer im Ahrtal von einer Flutkatastrophe heimgesucht wurden. Auch hier gab es 134 Tote zu beklagen, die nun schmerzhafte Lücken hinterlassen.
Noch immer kämpfen Ärztinnen, PflegerInnen, Schwestern Tag für Tag um Leben rund um die Uhr. Das Gros des Krankenhauspersonals wird auch dieses Jahr kein Weihnachten oder Silvester feiern können. Seit die Omikron-Variante im Anflug ist, wird die Lage wieder kritischer, wie ein Blick in die Nachbarländer Niederlande oder Dänemark zeigt.
Nicht nur MedizinerInnen und PflegerInnen haben allen Grund sich aufzuregen, wenn sie dann immer noch Coronaleugner ertragen müssen, die mit Pseudo-Wissenschaft und irrlichternden Esoterik-Heilern und Handauflegern den Impf-Piks vehement verweigern. Und dann bei ihnen auf der Intensivstation landen. Noch schlimmer wird es, wenn rechte oder linke Schwadronierer und Gewaltbereite die Pandemie als Transmissionsriemen nutzen, um ihre aufwiegelnden Unwahrheiten unters manipulierbare Fußvolk zu streuen.
Die ewig Gestrigen mit den ewig Leugnenden und radikale Randalierer – das ist keine gute Mischung. Weltweit sind derzeit solche explosiven Gärungsprozesse zu beobachten. Auch bei uns: Die kackbraunen Nazi-Aufmärsche, die als Spaziergänge mit Fackeln deklariert und von der AfD verbal befeuert werden, lassen einen schwer ins Grübeln kommen: Wie lange muss und kann eine Demokratie solche ZeitgenossInnen ertragen?
Sie muss sie aushalten. Und wird sie aushalten. Auch, wenn die Folgen von Hetze und Hass, wie das Beispiel USA zeigt, eine Demokratie ins Wanken gebracht hat, sie hat sich aufgerappelt. Doch die Spaltung der Nation, die der egoistische und machtbesessene Ex-Präsident Donald Trump noch weiter vertieft hat, wird noch lange nicht überwunden sein. Ob in Hongkong, Afghanistan, Peking, Moskau oder mitten in Europa: Nicht nur in Ländern von Autokraten werden auf vermeintlicher Rechtsgrundlage Bürgern und BürgerInnen Rechte und Freiheiten entzogen. Und das ist mehr als beunruhigend.
Beunruhigend ist auch, wenn man sieht, wie Markt und Geld in bestimmten Situationen alles andere aushebeln. Und da sind wir beim Profi-Fußball und dem restlichen Sport und FunktionärInnen, die in diesem Jahr in keinster Weise ihrer Vorbildfunktion geschweige denn dem Titel „Ehrenamt“ gerecht wurden.
Fußball – das kennen wir in der Republik ja schon zu Genüge – bekommt immer eine Extrawurst gebraten.Überzogene Forderungen und Druck der maßgeblichen Fußball-Bosse bringen PolitikerInnen nicht selten in argumentative Bedrängnisse. Beispiel: Die Europameisterschaften wurden im Juni und Juli gespielt, mit regem Grenzverkehr und wenig Corona-Kontrollen. 24 Mannschaften mit Fans im Schlepptau gondelten querbeet durch Europa – Variantengebiete egal. Während Normalsterbliche sich streng an Coronaregeln halten mussten – etwa mit 14-tägiger Quarantäne – zeigte sich die Politik großzügig: Die Stadien waren ziemlich – in Großbritannien sehr – voll, die Fans lagen sich in und vor den Stadien und in den Kneipen in den Armen. „No way“, hatte Bayerns MP Söder noch getönt, als es darum ging, ob in München EM-Spiele mit Publikum stattfinden. Dann kamen sie doch – die Zuschauer. Man habe ja ein Hygienekonzept. Das war für die Katz. Wie auch Impfprioritätenlisten, wo sich der Sport doch vorbei drängelte – außer zum Beispiel Kicker Joshua Kimmich – etwa vor den Spielen in Tokio.
Die verschobenen Sommerspiele. Große Aufregung von Seiten der AthletInnen über die Bedingungen – aber nahezu alle fuhren hin. Auch die FunktionärInnen ließen sich die Freude nicht verderben. Der Tanz um die Welt-Sport-Blase wurde auch durch das Covid-Virus nicht aus dem Takt gebracht – und das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit seinem Anführer Thomas Bach verkaufte die Spiele „als kraftvolle Botschaft in die Welt“. Die Botschaft war keineswegs kraftvoll, sondern beängstigend: Ansteigende Inzidenzzahlen im Gastgeberland. Man hätte es bleiben lassen sollen. Im Grunde waren es Spiele der Verlierer – selbst diejenigen AthletInnen, die sich ihre Medaillenträume verwirklichen konnten, sind schneller in den Archiven verschwunden als sie gedacht haben. Nicht immer strahlt der Ruhm länger, vor allem dann nicht, wenn er von unwirtlichen Umständen überdeckt wird. Olympische Spiele in Tokio – Spiele zum Vergessen.
Zum vergessen war auch das nationale Sportjahr. Um die Queen zu bemühen: Es war ein „annus horribilis“. Nicht nur wegen Corona, das den Vereinssport, die Bewegungsräume vor allem für Kinder- und Jugendliche, aber auch SeniorInnen stark einschränkte. Die Sportführung im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) samt einiger Mitgliedsverbände sahen mal wieder als wichtigste Gegenmaßname: Den Ruf nach mehr Geld. Landessportbünde und manche Fachverbände zeigten sich da weitaus kreativer als der Dachverband.
Und dann flattere der berühmte anonyme Brief aus der Mitarbeiterschaft des DOSB in Form einer Mail nicht nur ins Haus des Sports in Frankfurt, sondern auch auf die Computer in einigen Redaktionsstuben. Und löste ein Beben aus, dass das Sportdeutschland des Alfons Hörmann aus den Angeln hob. Und ihn zum Rückzug zwang. Über Beispiele seines Gutsherren-Umgangsstils und mangelnden Respekt gegenüber MitarbeiterInnen oder PräsidentenkollegInnen gab es schon lange bevor ihm das in dem Brief vorgeworfen wurde, viele Geschichten. Nur die Wurfgeschosse gegen MitarbeiterInnen waren neu. Und auch, dass Präsidium und Vorstand ihr Fett abbekamen.
Nun ja, die Ära Hörmann ist (hoffentlich ) vorbei, und die Boxer-Weisheit „They never come back“ bewahrheitet sich in diesem Fall. Der Neustart ging holprig los. Nun müssen die Neuen im Präsidium zeigen, ob sie stark und unabhängig sind, sich nicht von Lobbyisten und Karrieristen vor den Karren spannen zu lassen. Sachorientiert ist die Devise der Stunde. Und: Wo wollen wir mit dem deutschen Sport – und zwar Breiten- und Spitzensport – hin? Gewisse Personalien sowohl im DOSB, aber auch im Sportausschuss des deutschen Bundestages lassen da nichts Gutes ahnen.
Und auch ein Blick in die jüngste Geschichte, wenn es um Aufarbeitung und Veränderungen im deutschen Sport geht, machen einen nicht zuversichtlicher. Es müsste, um es mit Ex-Bundespräsidenten Roman Herzog zu sagen, „ein Ruck“ durch Deutschlands Sport gehen. Doch der wird vermutlich nicht kommen. Nicht nur, weil Egoismen durchschlagen, sondern weil Interessen durchgeboxt werden. Und die kommen vor „Haltung zeigen und Linie wahren“.
Dass der deutsche Sport – inklusive AthletInnen – nicht nur Phrasen drischt und Forderungen aufstellt, wenn es beispielsweise um Menschenrechte geht, könnte er ja bei den Winterspielen in Peking im kommenden Februar beweisen. Ein diplomatischer Boykott tut den Chinesen nicht weh, aber wenn die SportlerInnen nicht kommen würden, dann wäre das was anderes: Keine schönen Bilder als Werbematerial für einen Staat, der auch olympische Werte mit Füßen tritt. Verzicht wäre das Signal, das alle Autokraten und politisch unsensiblen FunktionärInnen verstehen würden. Wären AthletInnen dazu weltweit bereit? Wohl kaum.
Aber man darf ja noch träumen.
Träume. Ich wünsche Ihnen, dass Sie ein traumhaftes Weihnachtsfest im Kreise Ihrer Lieben – oder wo immer Sie auch feiern-, haben, dass es ein schönes und besinnliches Miteinander wird. Und dass diejenigen, die Trost brauchen, den auch in diesen stillen Tagen finden.
Ich möchte mich bei Ihnen allen herzlich für Ihr Vertrauen und Ihre Treue bedanken – für mich war es nicht nur wegen Covid, sondern auch als Journalistin wieder kein leichtes Jahr – wer sich nach über 40 Berufsjahren plötzlich eine Schere im Kopf zulegen soll, weil gewisse Führungsmenschen mit juristischen Vorgehen erreichen wollen, dass man sich aus Angst, verklagt zu werden, selbst zensiert, das ist schon starker Tobak. Und löst zumindest bei mir genau das Gegenteil aus. Das hat ja nun hoffentlich ein Ende.
Für das neue Jahr wünsche ich Ihnen alles erdenklich Gute, dass sich Ihre Wünsche erfüllen, Sie Ihre Pläne umsetzen können. Und Sie vor allem gesund bleiben.
Ich wünsche uns allen, dass wir auch die heranrollende fünfte Welle gut überstehen – und dann dieses Virus endlich gezähmt sein wird. Bleiben Sie tapfer und voll Mut, wir wollen wieder ein unbeschwertes Leben. Deshalb: Geduld, Zuversicht und
eine innere Fröhlichkeit !
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen/Euch
das Allerbeste
Ihre Bianka Schreiber-Rietig