Präsident steigt aus dem Führungsboot

DRV: Siegfried Kaidel verabschiedet sich/ Ein Funktionär im besten Sinn

Berlin, 11.Oktober. Nach 13 Jahren als Vorsitzender nimmt Siegfried Kaidel beim Rudertag (15. – 17. Oktober) in seiner Heimatstadt Schweinfurt als Präsident des Deutschen Ruderverbandes (DRV) Abschied. Das heißt aber nur Abschied vom Amt und nicht vom Sport, der für ihn sein ganzes Leben lang eine Passion ist. Der Franke, das sagen nicht nur WegbegleiterInnen, gehöre einer aussterbenden Spezies an: Einer der letzten Dinosaurier der Funktionärs-Gilde im besten Sinne und keineswegs despektierlich. Seinen Platz im Boot soll Moritz Petri einnehmen, der seit 2013 ein Stellvertreter Kaidels im DRV ist.

Der Terminkalender ist randvoll, ihn zu erreichen oft schwer. Aber „Ich rufe zurück“ ist bei Siegfried Kaidel keine leere Floskel – er meldet sich tatsächlich zurück – auch schon mal aus der Ferne. Ruhig und bedächtig beantwortet er Fragen und eiert nicht lange herum, auch nicht, wenn er zu heiklen Angelegenheiten gerade keine Antwort geben will. „Das ist vertraulich, dazu kann ich nichts sagen.“ Penetrantes Nachbohren – zwecklos. Da ist der Unterfranke stur und zuverlässig:„G’sacht is g’sacht“ (Gesagt ist gesagt).

Ins Boot durch Papa „Bubi“

Verlässlichkeit, vertrauensvolles Miteinander, Loyalität schätzen WegbegleiterInnen aus Politik und Sport an Kaidel, der jahrzehntelang (nahezu 60Jahre) dem Rudersport aktiv nach ging und ihn dann im Ehrenamt erfolgreich begleitete und gestaltete. Wie kam Siggi, wie ihn Freunde nennen, ins Ruderboot? Durch den Papa, Willi „Bubi“ Kaidel, einen erfolgreichen Ruderer und Funktionär. Der meldete seinen Sprössling auch in seinem Heimatverein „Schweinfurter Ruder-Club Franken 1882“ an. „Bei dem Umfeld war es nahe liegend, dass ich ins Boot steige.“ Über 100 Siege hat er in verschiedenen Bootsklassen eingefahren, unter anderem wurde er deutscher Vizemeister und mehrfacher Medaillengewinner bei den FISA Masters. Neben seiner sportlichen Karriere arbeitete er auch früh im Ehrenamt: als Trainer und Schiedsrichter war er im Einsatz. Vereinsvorsitzender, Präsident des Bayerischen Ruderverbandes sowie Vize-Vorsitzender und Schatzmeister des DRV waren die wichtigsten Stationen, bevor er Vorsitzender wurde. Den vielen Ämtern folgten viele Auszeichnungen – auch das Bundesverdienstkreuz für sein Sport-Engagement.

Organisation ist alles

Wenn man die Aktivitäten des 70-Jährigen für den Ruderverband sieht, dann fragt man sich schon, wie er Beruf und Familie auf die Reihe bekommen hat. „Organisation ist alles, und man braucht natürlich auch den Rückhalt und Verständnis der Familie und des Arbeitgebers“, sagt Kaidel, der nachdem er als Zeitsoldat bei der Bundeswehr war, als Abteilungsleiter für Aus- und Weiterbildung und später als Personalleiter für die FAG Kugelfischer und später Schaeffler Technologies tätig war.

„Ich bereue keinen einzigen Tag, an dem ich für den Rudersport und den DRV tätig war“, sagt er. Das mit der Wahl zum Vorsitzenden an jenem Tag in Köln 2008 sei für ihn ein Höhepunkt in mehrfacher Hinsicht gewesen. Im Vorfeld gab es Vorwürfe im Bezug auf seine Tätigkeit als Schatzmeister und Vizepräsident, die ganz schnell entkräftet wurden. Und am Ende des Tages: „Ich wurde bei der Kampfkandidatur im ersten Wahldurchgang mit absoluter Mehrheit gewählt.“

„Man muss Gott für alles danken, selbst für einen Ober-, Mittel-, Unterfranken.“ Mit diesem Satz frotzeln die Altbayern gerne gegen den Frankenstamm. Aber für diesen Unterfranken sind sicher nicht nur die Ruderer in Sportdeutschland dankbar.

Woldt: Ende einer Ära

Der Vorsitzende Kaidel hat versucht, die Ruderer, die im deutschen Spitzensport als Medaillenbank gelten (zwischendurch mit kleinen Abstrichen – zuletzt in Tokio), auf Erfolgskurs zu halten. Aber nicht nur dem Spitzenrudern, sondern auch dem Breitensport galt sein Engagement. DRV-Sportdirektor Mario Woldt ist seit elf Jahren beim DRV. Seine Kaidel-Bilanz: „Die Zusammenarbeit mit Siegfried Kaidel war geprägt von einem hohen Maß an Vertrauen und gegenseitigem Austausch. Über die vielen Jahre haben wir eng zusammengearbeitet und konnten gemeinsam viele Punkte im DRV voranbringen. Er hatte immer ein offenes Ohr für alle Beteiligten und deren individuelle Themen. Über die Jahrzehnte hat Siggi den Rudersport mit geprägt. Mit seinem Ausscheiden geht eine Ära zu Ende.“

Wäre es nach manchem im DRV gegangen, wäre die Ära Kaidel eine sehr kurze gewesen. Denn: „Bei den Olympischen Spielen in Peking, ein Vierteljahr nach meiner Wahl, hatten wir unser bisher schlechtestes Ergebnis erzielt. Und da haben etliche meinen Rückritt gefordert.“ Er hat die Bimberlaswichdich (Besserwisser) reden lassen und mit der berüchtigten fränggischen Sturheit weitergearbeitet: Lohn waren die Goldmedaillen des Achters und des Männer-Doppelvierers in London 2012. Die Spiele in England – das war nicht nur erfolgs-, sondern auch stimmungsmäßig ein unvergessliches Highlight des Ruder-Bosses. Dagegen war Tokio nicht nur wegen des verfehlten Edelmetalls, sondern auch wegen der Pandemie und fehlenden Zuschauern ein emotionaler Absturz. Aber der Präsident ist nicht nur in Hochzeiten, sondern auch bei unliebsamen Gegenwind an der Seite der AthletInnen.

Steuermann der Spitzenverbände

Gegenwind hat Siegfried Kaidel aber nicht nur an Regattastrecken, sondern auch in seiner Zeit als Präsident/Sprecher der olympischen Spitzenverbände ab und an gespürt. Acht Jahre war der Ruderer am Ende da als eine Art Steuermann in Aktion, als er die nicht unbedingt dankbare Sprecherrolle übernahm. Kakophonie und Eigeninteressen der Verbände in Einklang zu bringen, zu Kompromissen zu führen, an die sich dann am Ende auch alle halten, ist ein meist glückloses Unterfangen. Einer mindestens schert immer aus.

Diese Erfahrung musste auch Kaidel machen, der vor allem rund um die Auseinandersetzungen um die Leistungssportreform schnell zwischen die Stühle des Bundesinnenministeriums (BMI), des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und der Verbände – auch seiner eigenen Klientel – geriet. Ihm als Ruderpräsident wurde vorgeworfen, „im vorauseilendem Gehorsam“ die Reform umzusetzen. Anderen war er zu nachgiebig und nicht durchsetzungsfähig. Da hätten sich aber manche von seinem ruhigen, sachlichen Umgangsstil täuschen lassen, sagen politische Wegbegleiter. Während andere auf Krawall gebürstet waren, suchte Kaidel das Gespräch, bewahrte die Ruhe, hörte zu und versuchte zu vermitteln, selbst bei denen, die komplett anderer Meinung waren als er selbst. Oder ihn persönlich und öffentlich angriffen. Es mangle ihm an Aggressivität und Lautstärke kritisierten Verbands-KollegInnen. Doch das gehört nicht zu seinem Credo: „Wenn man gewählt ist, um einen Verband zu führen, dann muss man immer versuchen, alle Meinungen positiv aufzunehmen, so viele Leute wie möglich mitzunehmen und Lösungen zu finden.“ Im deutschen Sport gibt es keine allgemein gültigen Umgangsregeln, wie die jüngsten Ereignisse rund um die DOSB-Krise zeigen. Diese Krise beschäftigt Kaidel sehr, der immer noch Versöhner statt Spalter ist. Auch wenn man nun einfach mal an der einen oder anderen Stelle deutlich sagen muss, was Sache ist.

Aus der Rolle gefallen

Laut werden ist sein Ding nicht. Sachlich bleiben und Contenance bewahren. Nur einmal fiel Kaidel zur Überraschung aller aus der Rolle: Beim Wahlhearing im Juni 2017 in Berlin keifte er gegen die Obleute des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, die in einer munteren Talk-Runde unkonkret und unverbindlich im Politikblasen-Sprech zusagten, den Sport und den Reformprozess zu unterstützen. „Bei dem Mist, der hier geredet wird, könnte ich….“ Es kam nicht zum äußersten. Schnell hatte er sich wieder im Griff, hinterließ aber verdatterte Politiker und ein verblüfftes Publikum ob dieses emotionalen Ausbruchs eines ansonsten nicht zu Eruptionen neigenden Unterfranken. Dennoch diese Anekdote zeigt, wie selbst bei den ruhigsten Zeitgenossen in der Funktionärsgilde damals die Nerven blank lagen.

Vergessen und vergeben von seiner Seite sind die Anfeindungen. Sogenannte Freunde, das weiß er, sind auch in Sportorganisationen nicht selten die besten Feinde. Jetzt fängt ein neuer Lebensabschnitt an. „Ich lass das alles mal auf mich zukommen. Herumsitzen werde ich sicher nicht – das liegt mir nicht. Ich hoffe, ich komme jetzt auch mal wieder mehr zum Rudern.“ Und natürlich werden die Kontakte zu Verein, bayerischem Verband und DRV nicht abreißen.Gerne würde er in Weimar bei der Mitgliederversammlung als Delegierter dabei sein. Dort wird ein Nachfolger für den umstrittenen DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann gewählt, der nach heftigen Vorwürfen aus der Mitarbeiterschaft seinen Rückzug angekündigt hat. „Ich würde schon gerne sehen, wer und wie die Weichen für einen Neuanfang des DOSB gestellt werden“, sagt er, der sich für den bisher einzig offiziell bekannten Bewerber um das Präsidenten-Amt, Thomas Weikert, stark gemacht hat. Also das heißt dann: Auf Wiedersehen auf Raten. Oder fränggisch: „A wenng Ade.“