LSB-Präsident Thomas Härtel über Erkenntnisse aus der Corona-Krise für den Sport –
Berlin, 22.Mai. – Sportkurs des Vereins im Internet – den machte der Präsident des Landessportbundes Berlin, Thomas Härtel, in den Shutdown-Tagen zusammen mit seiner Frau im heimischen Wohnzimmer mit. Und war begeistert. Über die Kreativität der Vereine, ihre Probleme und Erkenntnisse aus der Krise für die künftige Sportentwicklung sprach sportspitze mit dem obersten Berliner Sportfunktionär.
Die Sprecherin der Landessportbünde (LSB), Elvira Menzer-Haasis, die gleichzeitig LSB-Präsidentin Baden-Württemberg ist, hat im Sportausschuss des Deutschen Bundestages ausgeführt, dass etwa fünf bis zehn Prozent der rund 90 000 Sportvereine in Deutschland durch die Corona-Krise in „Schieflage“ geraten seien. Die anderen seien aktuell „einigermaßen“ sicher. Dennoch war der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) der erste , der einen finanziellen Rettungsschirm forderte. Mittlerweile sind in allen Bundesländern finanzielle Mittel für den Sport zur Verfügung gestellt worden. Wie versuchen Sie in Berlin die Corona-Krise zu händeln?
Härtel: Wir waren zu Beginn der Krise zurückhaltend, weil wir ja überhaupt nicht einschätzen konnten, was da auf uns zukommen wird. Erste Rückmeldungen zeigten, dass gerade die Vereine, die neben den üblichen Vereinsangeboten zusätzliche Gesundheits-, Reha- oder soziale Kursprogramme anbieten, durch die Krise belastet wurden. Das heißt: Das Kursangebot ist weggebrochen, Kosten bleiben, Einnahmen fehlen. Eine Online-Umfrage bestätigte unsere erste Einschätzung, dass die meisten Vereine bisher zurecht kommen. Aber: Von den 2500 Berliner Vereinen meldeten sich bisher 400, die wegen Corona nun Existenzsorgen haben.
Können Sie da nochmal etwas konkreter werden?
Härtel: Kurse fallen aus, aber sie müssen TrainerIn und ÜbungsleiterIn weiter bezahlen. Oder: Sie haben Fitnessgeräte oder anderes Equipment angeschafft, das sie noch abbezahlen müssen – das Geld fehlt, weil es keine Kurse gibt. Oder sie haben eine Vereinsgaststätte, die sie verpachtet haben – die ist geschlossen. Auch hier fehlen Einnahmen. Sie können nicht die traditionellen Turniere oder Sommerfeste ausrichten, mit deren Erlös sie zum Beispiel Trikots für die Jugendmannschaften angeschafft haben. Das alles fällt momentan flach.
Sie fordern also nicht einfach pauschal, das finanzielle Füllhorn auszuschütten, wie es in anderen Bundesländern passiert?
Härtel: Nein, wir folgen nicht den Wünschen vieler nach einer pauschalen Unterstützung der Vereine. Wir wollen den Vereinen helfen, die sich in einer schwierigen Lage befinden und wirklich Hilfe brauchen, um weiterarbeiten zu können – das ist Solidarität. Und Nachfragen zeigen ja auch, dass die Solidarität der Mitglieder zu ihrem Verein sehr hoch ist, also sie dem Verein als Mitglied erhalten bleiben und ihn unterstützen.
Solidarität alleine reicht dennoch nicht. Was braucht der Berliner Sport an staatlicher Hilfe?
Härtel: Der Sport war hier in Berlin in verschiedenen Corona-Soforthilfeprogrammen von Anfang an mit berücksichtigt. In den letzten Wochen haben wir im LSB zunächst hochgerechnet, was der Breitensport benötigen würde. Dabei haben wir klare Kriterien, etwa die Wirtschaftlichkeit oder Mitgliedsentwicklung, zugrunde gelegt, und kamen auf eine Einschätzung der finanziellen Belastungen von bis zu 12 Millionen Euro. Anhand der Rückmeldungen der Vereine und Verbände haben wir dann ermittelt, dass eine Summe von 6 Millionen dringend erforderlich sein wird. Das haben die Parlamentarier im Sportausschuss und der Senat akzeptiert, zumal wir glaubhaft die Forderungen belegen können. Dass uns der Senat vertraut, ist auch daran zu sehen, dass wir die 6 Millionen nun selbst verwalten und vergeben können. Wir haben im LSB ein „Corona-Team“, das sich der jeweiligen Notlage der Vereine annimmt und mit ihnen regelt, welche Unterstützungen sie nach unseren klaren Kriterien bekommen können.
Breitensport also geklärt. Was ist mit den Profis?
Härtel: Für die Profiklubs gelten zunächst wie für jedes Unternehmen die Investitionsbankmittel, die sie in Anspruch nehmen können. In Berlin gibt es die Bundesligaförderung, die allerdings Hertha BSC und der 1. FC Union Berlin nicht in Anspruch nehmen können, weil sie zu hohe Umsätze haben. Nun will der Senat diese Fördermittel aufstocken. So können nun die Handball-Füchse, die BR-Volleys, aber auch die Alba-Basketballer, die bisher rausfielen, und die Eisbären, die eingeschränkt gefördert wurden, Ausfälle überbrücken. Außerdem will der Senat über die Sportmetropole Berlin noch helfen. 1,5 bis 2 Millionen will er als Sponsor für die Profiklubs zur Verfügung stellen, damit sie in der Zeit, da sie keine Einnahmen haben, über die Runden kommen. Das sind die Elemente des Berliner Rettungsschirms für den Sport. Aber: Vorrang bei all diesen Maßnahmen haben immer alle anderen Förderprogramme, die der Senat und der Bund aufgelegt haben.
Was heißt das in der Praxis?
Härtel: Ein Verein hat Rehasport-Angebote, die von Kassen finanziert werden. Der Klub bietet das Angebot für eine Übergangszeit virtuell im Internet an, die Krankenkassen finanzieren das auch unter diesen Bedingungen weiter, dann ist diese Finanzierung vorrangig in Anspruch zu nehmen. Ähnliche Vereinbarungen gelten für den Behindertensport im Verbund mit den Ersatz- und Primärkassen, wo befristet Kurse stattfinden können. So können Vereine einiges auffangen. Gerade im Behindertensport, aber auch im Gesundheits- und Rehasport ist es wichtig, die Strukturen zu halten. Und wir wollen gerade da Vereine, die so etwas anbieten, bewusst stärken. Aber wir schauen genau hin, nicht aus Misstrauen, sondern weil wir gezielt helfen wollen.
Gezielt helfen. Da irritiert doch eine Zahl aus Bayern. Der Bayerische Landessportverband rechnete 200 Millionen Euro als Corona-Folgeschäden für den bayerischen Breitensport aus. Wie kommt man auf so eine Zahl?
Härtel: Die 200 Millionen lösten auch bei mir und LSB-KollegInnen Erstaunen aus. Möglicherweise kommt man auf so eine Summe, weil in Flächenländern wie Bayern oder NRW Großsportvereine eigene Anlagen und Vereinsheime haben, die sie unterhalten müssen. Und für die sie auch jährlich finanzielle Unterstützung bekommen.
Da stellt sich eine andere Frage: Es gibt ja seit langem Vereine – gerade auch im ländlichen Raum, die Existenz-Probleme haben: Der demografische Faktor schlägt bei vielen zu, so dass es immer schwerer wird, Kinder- und Jugendmannschaften zu stellen, Vereine müssen fusionieren, weil ihnen die Mitglieder wegsterben. Sie sind personell und finanziell schlecht aufgestellt. Kommt denen eventuell eine Corona-Finanzspritze gerade recht?
Härtel: Ich kann hier nur für Berlin sprechen. Aber auch hier stellt man in so einer Krisen-Zeit am ehesten fest, wer schlecht aufgestellt ist. Oder wer die Zukunft verschlafen hat. Ohne irgendetwas zu unterstellen: Diejenigen, die schon Probleme hatten, bei denen haben sich mit Sicherheit die Probleme nun verschärft. Diejenigen, die kreativ sind, Angebote über die eigene Mitgliederklientel hinaus entwickelt haben, sich in der Nachbarschaft, Kinder- und Jugendarbeit, für SeniorInnen oder Inklusion engagiert haben, haben mit dieser Vereinsarbeit in die Zukunft investiert. Das Irrwitzige ist ja, dass auf die innovativen Vereine gerade das als Bumerang zurückkommt: Angebotserweiterung, Investitionen haben nun nicht selten finanzielle Schwierigkeiten zur Folge. Aber gerade diese Vereine sind es, die wir brauchen und die den Sport nach vorne bringen, die eine gesellschaftliche Aufgabe übernommen haben – etwas, was wir ja alle wollen. Wir lernen gerade viel dazu von diesen Vereinen, die in der Vergangenheit auch oft Kritik am fehlenden Weitblick des LSB übten.
Welche Erkenntnis hat der LSB denn gewonnen?
Härtel: Die Stärke der Vereine wurde auch in dieser Krise wieder deutlich. Deshalb müssen wir als LSB und der gesamte organisierte Sport die Vereine noch viel mehr in den Fokus rücken. Wir haben von unserer Mitgliederversammlung den Auftrag bekommen, eine Satzungsänderung zu prüfen. Da gilt es auch zu klären, wie wir das Mitspracherecht unserer Vereine im LSB verstärken. In jeder Krise liegt bekanntlich ja eine Chance, und die sollten wir jetzt nutzen: Wie stellen wir uns auf für die Zukunft? Sport- und Organisationsentwicklung unter Einbeziehung von Vereinswicklung, Fortbildung, Ausbildung und digitalem Lernen sind Fragestellungen, die auch Auswirkungen auf die strukturelle Entwicklung des organisierten Sports haben werden.
Welche Rolle spielt in Zukunft der DOSB in der Breitensportentwicklung?
Härtel: Der DOSB wird als Verantwortlicher bei Themen wie Leistungssportreform oder olympische Angelegenheiten wahrgenommen. Die Frage, welche Rolle er bei der Breitensportentwicklung übernimmt, ist berechtigt. Wenn der DOSB-Präsident sagt, dass nach der Leistungssportreform das Jahrzehnt der Sportentwicklung anbricht, dann will ich das mit Leben gefüllt sehen. Die zentrale Frage ist: Wie macht man das?
Nicht erst seit der Leistungssportreform, sondern auch jetzt in der Krise wird deutlich, dass die Möglichkeiten des DOSB im Föderalismus manchmal sehr eingeschränkt sind. Jetzt in der Coronakrise hat der DOSB eine Art Blaupause gezeichnet, unter welchen Hygiene- und Distanz- Bedingungen Sport stattfinden kann. Und er hat seine Verbände aufgefordert, sportartspezifische Konzepte auszuarbeiten, um wieder starten zu können. Das hat geklappt. Dieser Abstimmungsprozess hat bei der Sportministerkonferenz überzeugt – und die hat dann auf dem bundespolitischen Parkett Lockerungen empfohlen. Doch fast jede Dachorganisation stößt an ihre Grenzen wenn es darum geht, Länder bis runter zu Kreisen und Bezirken, die alle unterschiedliche Einschätzungen der Lage haben, einzufangen. Auch beim Sport agieren alle 16 Bundesländer anders, sorgen für Verwirrung in anderen Bundesländern, selbst Kommunen und Bezirke agieren unterschiedlich.
Was zur Ungleichbehandlung und Verdruss führt…
Härtel: Es gibt ein paar politische Entscheidungen, die schwer nachvollziehbar sind. Es ist ja nicht zu verstehen, dass Spielplätze geöffnet, Spielstraßen eingerichtet werden und der Sportplatz nebenan bleibt geschlossen, wo Kinder unter Anleitung, Aufsicht und auf Abstand Sport treiben könnten. Das entbehrt jeder Logik.
Nicht nur gefühlt waren während des Lockdowns häufig mehr Menschen sportlich unterwegs als in der Vor-Coronazeit. Aber nicht nur Vereins- und Individualsportler waren auf Achse, sondern viele bisher sportferne Neueinsteiger – darunter auch Familien, denen zu Hause die Decke auf den Kopf fiel. Und sie kamen auf den Geschmack, sich zu bewegen. Das wäre ja nun auch eine Chance, diese Menschen zu motivieren, Sport im Verein weiterzumachen. Der DOSB hat jetzt immerhin eine Kampagne gestartet, „Support your Sport“, wo ehemalige Sportasse dafür werben, den Verein zu unterstützen. Ist das die richtige Ansprache für potenzielle Vereinsmitglieder?
Härtel: Es ist vielleicht nicht so glücklich, bei einer Vereinskampagne mit Spitzensportlern zu werben. Natürlich sind sie Vorbilder, aber es wäre doch sicherlich sinnvoller, Kinder- und Jugendsport, das Gemeinschaftserlebnis oder den sozialen Zusammenhalt, das was den Vereinssport ausmacht, in den Mittelpunkt zu stellen.
Den Leuten blieb ja nun während des Shutdowns nicht viel, um rauszukommen. Und es ist richtig: Viele haben wegen Corona zum ersten Mal auch sehr positive Sport- und Bewegungserfahrungen gemacht. Sie haben gemerkt, dass Sport ihnen gut tut, dass man trotz Abstand viele Möglichkeiten hat, individuell oder zu zweit Sport zu treiben.
Jetzt haben wir die Chance, die Leute zu motivieren, weiterzumachen. Ihnen zu zeigen, dass es im Verein gemeinsam leichter ist, den inneren Schweinehund zu überwinden und sich in Bewegung zu setzen. Aber auch für die Psyche ist nach den Wochen der Isolation gemeinsames Sporttreiben im Verein ein Weg zurück in den Alltag. Wir überlegen hier im LSB auch, wie wir zukünftige Angebote und Kampagnen entwickeln können.
Wie sieht denn nun der künftige sportliche Alltag aus?
Härtel: Ich blicke optimistisch in die Zukunft. Und deshalb bin ich sicher, dass wir bald wieder Sport erleben werden, wie wir ihn kennen, wenn auch mit hygienischen Einschränkungen. Mit Emotionen, die zum Sport gehören. Fragt man Leute in diesen Tagen, was sie denn in Bezug auf den Sport vermisst haben, dann fällt ihnen erstmal auf, dass da außer körperlichem Bewegen noch eine Menge ist, was ihnen fehlte: soziale Nähe, Gemeinschaft, Geselligkeit.
Nach den Zeiten der Isolation und des Abstandes nun die Rückkehr ins Vereins-Wohnzimmer. Erlebt der Verein vielleicht deshalb bald eine Renaissance?
Härtel: Der Verein ist für viele eine soziale Heimat: Viele haben ja auch jetzt wieder erfahren, dass sie nicht allein sind. ÜbungsleiterInnen waren in den schwierigen Wochen Dreh- und Angelpunkt für viele Mitglieder. Nicht nur Personen, die sportliche Übungen online anleiten, sondern auch als Unterstützer oder Problemlöser. Wenn man von den systemrelevanten Berufsgruppen spricht, kann man durchaus auch im Sport mal an die Übungsleiterinnen und Übungsleiter denken.