Sozialwissenschaftler Schwark über Rettungsschirme, Geisterspiele und die Zeit nach Corona –
Berlin, 26. April.- Wer darf was, wer nicht? Diese Fragen werden auch im und rund um den Sport diskutiert. Allerdings dominieren die Debatte der Profifußball und geplante Geisterspiele, die die Deutsche Fußball-Liga (DFL) unbedingt durchziehen möchte und für die sie eine Art Regieplan vorgelegt hat. Was ist davon zuhalten? Sportspitze fragte den Sozialwissenschaftler Jürgen Schwark, Professor an der Westfälischen Hochschule in Bocholt, einen ausgewiesenen Experten in Sachen Sportgroßveranstaltungen, was von den Ideen der DFL in Zeiten von Corona zu halten ist und wie es weitergehen wird.
Herr Professor Schwark, gehen Sie angesichts der Coronakrise davon aus, dass im nächsten Jahr – wenn es keinen Impfstoff bis dahin gibt – in Japan die Olympischen Spiele statt finden können oder werden?
Schwark: Das wird davon abhängen, ob sich die Trainings- und Gesundheitsbedingungen in allen Staaten und für alle Sportarten bis dahin wieder annähernd normalisiert haben werden. Ist das bei einer relevanten Anzahl nicht der Fall, kann die Idee der Olympischen Spiele nicht angemessen umgesetzt werden. Dann dürfte 2022 diskutiert werden. Was als relevant zu gelten hat, unterliegt nicht vermeintlich objektiven Kriterien, sondern wird aus den verschiedenen oder auch gleichlaufenden Interessenlagen von Sponsoren, Medien, Gastgeberland, IOC und Aktivenvertretung diskutiert bzw. gesetzt. Aber um es mal plastisch zu machen: Boxen, Ringen, Wasserball ohne Impfstoff, aber mit (doppeltem) Mundschutz? Sehr unwahrscheinlich!
Finden sie es gerechtfertigt, dass der DOSB jetzt einen Rettungsschirm fordert?
Schwark: Den Begriff „Forderung“ halte ich in diesem Zusammenhang für deplatziert, ebenso dafür eine Wirtschaftsberatungsgesellschaft wie Deloitte zu beauftragen, die sich u.a. ihre Beratungsverdienste im Bereich maximaler Steuervermeidung erworben hat. Da fehlt es an jeglichem Fingerspitzengefühl. Auf der anderen Seite bekommt ein langjährig florierender und expandierender Weltkonzern wie adidas auf Zuruf ohne weitere Auflagen einen 2,4-Milliarden-Euro-Kredit von der Förderbank KfW.
Grundsätzlich hat die öffentliche Hand die Daseinsvorsorge nicht nur im pflichtigen, sondern auch im freiwilligen Bereich zu gewährleisten. Das ist juristisch unstrittig und insofern ist, neben Wirtschaft und ArbeitnehmerInnen, eine in diesen Zeiten begründete zusätzliche Unterstützung sowohl legitim als auch aus sozialen und sportkulturellen Erwägungen nötig.
Zum Fußball: Finden Sie es richtig, dass es im Profifußball „Geisterspiele“ geben soll, während andere große Veranstaltungen abgesagt werden?
Schwark: Der Profifußball besteht aus mittelständischen Unternehmen die der Unterhaltungsbranche zuzuordnen sind. Solange Kinos, Freizeitparks, Musicals oder Zoos begründet geschlossen bleiben und auch Musikveranstaltungen nicht stattfinden können, gilt dies selbstverständlich ebenso für die Spiele des Profifußballs. Insofern begründete Auflagen Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit ermöglichen, ist das ok. Strukturell ist da bspw. kein Unterschied zu Theatern, Musikbands oder DJs, die ihre Performance aufnehmen und dann ins Netz stellen. Die eklatanten ökonomischen Unterschiede sollten in diesem Fall nicht den Blick auf das sportkulturell Machbare verstellen. Es geht eben auch um den Erhalt und die Präsentation von Kultur sowie um temporäre Beglückung in ziemlich unglücklichen Zeiten.
Es gilt Kontakt- bzw. Ausgangssperre für NormalbürgerInnen, Spiel -und Sportplätze sind dicht gemacht, für Profis nicht – auch für SpitzensportlerInnen nicht. Was ist das für ein Signal aus Ihrer Sicht?
Schwark: Das wichtigste Kriterium ist der Schutz der Gesundheit. Ich denke nicht, dass irgendeine Gruppe bewusst oder mutwillig eingeschränkt wird. Aber es gibt in der Tat Ungleichheiten, die aber nicht zwingend auch Ungerechtigkeit bedeuten. Wenn bspw. die vierten und eben nicht die niedrigeren Klassen unter bestimmten Bedingungen wieder mit dem Unterricht beginnen, dann ist das für mich nachvollziehbar. Und wer bislang seinen Carport nicht bauen konnte, weil er nicht in den Baumarkt kam, für den war das unangenehm. Aber als Zimmermann nicht zu arbeiten ist existenziell. Die Diskussion um eine übermäßige Beanspruchung von zudem schlecht bezahlten Berufsgruppen durch ihre Arbeitgeber lasse ich hier mal außen vor. Was die SportlerInnen betrifft, so ist nicht jeder Profi zugleich Spitzensportler (3. Liga Fußball) und nicht jeder Spitzensportler auch Profi (1. Liga Wasserball). Da die Bäder voraussichtlich bis zum 31.08. geschlossen sind, befinden sich bspw. die SchwimmsportlerInnen dauerhaft im bitteren Trockendock. Im Profifußball auf eigenem Gelände unter Auflagen seiner vertraglichen Arbeit in der Unterhaltungsbranche nachzugehen, ist unabhängig von der nach wie vor bestehenden Kritik am Gesamtkonstrukt des Profifußballs verständlich.
Der internationale Sport hat aus ökonomischen Gründen das Motto schneller, höher , weiter sehr vielfältig umgesetzt und auf ungebremstes Wachstum gesetzt: Immer mehr Sportarten, immer mehr Veranstaltungen und die Folge davon ein überfrachteter Terminkalender, der nun in der Krise, deutlich zeigt, dass kann eigentlich so nicht weitergehen. Glauben Sie, dass sich die Sportverantwortlichen mal besinnen, dass es so nicht weitergehen kann?
Schwark: Nun, ein Sonntag Abend, ein gemütlicher Ohrensessel und ein gutes Glas Rotwein mögen für Besinnlichkeit förderlich sein. Den bestehenden Strukturen wird das erst einmal wenig anhaben können. Dem Sport gegenüber fühlen sich ja Viele, mit unterschiedlich hilfreichen, funktionalisierenden oder missbräuchlichen Interessen gegenüber „verantwortlich“.
Vorstände von mittelgroßen Sportverbänden befinden sich inmitten eines wenig zu steuernden Umfeldes von zusätzlichen Sportgroßveranstaltungen sportexterner Wirtschaftsunternehmen, einer Oligopolisierung dominanter Sportarten, samt ihrer Staubsaugerfunktion von Sponsorengeldern und medialer Aufmerksamkeit. Eine befriedigende Lösung innerhalb der kommerzialisierten Sportunterhaltungsbranche mit Wachstumsimperativ, Über“produktion“ und Verdrängungskonkurrenz existieren wegen der Strukturlogik des Systems nicht. Allenfalls Beschränkungen, die das Problem letztlich verlängern.
Ich schlage einen anderen Weg vor. Fast überwiegend sind es die Städte, die die großen Veranstaltungen des Sports ausrichten. Sie haben als „Vertragspartner“ gegenüber den Veranstaltern nicht nur die gleichen Rechte, sondern auch eine Verpflichtung ihren BürgerInnen gegenüber. Konzeptionelle Entwürfe, die bei Sportgroßveranstaltungen u.a. Vielfalt, Tradition, Nachhaltigkeit, Gastgeberkultur und beidseitig faire Verträge berücksichtigen, könnten die sportkulturelle Landschaft positiv beeinflussen.
Wie sehen aus Ihrer Sicht der (Spitzen-)Sport und entsprechende Veranstaltungen wie Olympische Spiele nach Corona aus?
Schwark: Dieser externe und massive Einfluss auf alle Lebensbereiche der Gesellschaft reicht von unangenehmen Einschränkungen bis zu existenziellen Bedrohungen. Wir werden in nahezu allen wirtschaftlichen Branchen einen zeitlich verdichteten Schub zur weiteren Oligopolisierung sehen. Das wird auch den kommerziellen Sport treffen. Die Marktanteile der Profi-Vereine, Tanzschulen, Fitnessstudios usw., die diese Krise nicht überstehen, werden von den überlebenden Großen übernommen. Wir werden, ähnlich wie nach der Finanzkrise 2007, ob offen oder hinter vorgehaltener Hand, das Kriterium der „Systemrelevanz“ zu hören bekommen. Sollte keine Unterstützung erfolgen, dann dürfte die ökonomische Spreizung auch in den Profiligen weiter auseinanderdriften.
Die Idee von Olympischen Spielen ist trotz aller externen Einflussnahmen und auch Beschädigungen so stark und mächtig, dass aus der Sicht der Sporttreibenden und -interessierten diese Weltveranstaltung auf keinen Fall aufgegeben werden darf. Allerdings ist die Ausrichtung zu reformieren und vor allem mehr auf die Bedürfnisse der SportlerInnen auszurichten in einem an Nachhaltigkeitskriterien orientierten Rahmen.
Sportpolitisch hilfreich dürfte eine engere und vor allem entschlossene Zusammenarbeit zwischen DOSB und dem Städte- und Gemeindebund sowie dem Deutschen Städtetag sein, damit die unterste Ebene der öffentlichen Hand in der Verteilungsfrage nicht noch weiter ins Hintertreffen gerät. Diejenigen PolitikerInnen, LobbyvertreterInnen und kommentierenden JournalistInnen, die bereits jetzt vorsorglich der „Schwarzen Null“ und (kommunaler) Austeritätspolitik das Wort reden, begreifen überhaupt nicht die Dimension der sich dann abzeichnenden sozialen und (sport-)kulturellen Schäden. Dann träfe es Spitzen- und Breitensport doppelt und dauerhaft.
(Der Titel des neusten Buches von Jürgen Schwark. „Sportgroßveranstaltungen – Kritik der neoliberal geprägten Stadt, ISBN 978 -3-658-28302-5 )