Gespräch mit dem sportpolitischen Sprecher der Grünen im Bayerischen Landtag, Max Deisenhofer
Berlin, 20. Januar – Milde Winter, heiße Sommer, Unwetterkatastrophen. Wovor Wissenschaftler schon lange warnten, erleben wir nun tagtäglich vor der Haustür oder in den Nachrichten: Der Klimawandel trifft und betrifft uns alle. Auch den Sport. So müssen sich beispielsweise viele Wintersportverbände und die dazugehörige Tourismusbranche fragen, wie man seine Klientel und deren Ansprüchen gerecht werden will, wenn Schnee und Kälte zu wünschen übrig lassen, die weiße Pracht nur mit teueren Schneekanonen herzustellen ist, die viel Wasser und Strom verbrauchen.
Im organisierten Sport, der vor 30 Jahren zu den Vorreitern in Sachen Umwelt, Naturschutz, Klima gehörte, ist da heute nicht viel zu hören. Man spricht zwar viel über Nachhaltigkeit und Klimaneutralität, aber meistens siegt der Kommerz – national und international. Dennoch wird die Klimafrage für Sport und Politik zum Beispiel auch bei der Bewerbung um Sportgroßereignisse in Zukunft eine Rolle spielen müssen – wenn man es ernst meint.
„Zwei Herzen in meiner Brust“
Wie man Sport und Klima unter einen Hut bringen könnte, darüber sprach Sportspitze mit Max Deisenhofer, dem sportpolitischen Sprecher der Grünen im bayerischen Landtag. „Manchmal“, sagt der 33-jährige Krumbacher, der am 14. Oktober 2018 mit 37 anderen Grünen ins Landesparlament gewählt wurde, „schlagen da zwei Herzen in meiner Brust. Deshalb fallen einem Antworten auch manchmal schwer.“ Kein Wunder: Der Grüne ist leidenschaftlicher Sportler, der mit Handball groß geworden ist – aber auch Fußball, Tennis und Joggen gehören zu den beliebtesten Sportaktivitäten des Gymnasiallehrers für Englisch, Geschichte und Sozialkunde. Deisenhofer ist sicher, dass auch der Sport umwelt- und ressourcenschonend sein kann – wenn man denn Einsicht und Bewusstsein dafür entwickelt.
Herr Deisenhofer – von Gelsenkirchen, wo auf Schalke der Biathlon-Wettbewerb stattfand, wurde der dort gebunkerte Schnee nach Oberhof gekarrt – ebenfalls für einen Weltcup-Biathlon-Wettbewerb. Das ist nicht neu, schon länger gängige Praxis. Aber erst jetzt erregt der Transport quer durch die Republik Empörung. Klima ist „in“- ist das der Grund für die Empörung?
Deisenhofer: Ich würde sogar ein Stück weitergehen. „In“ klingt nach einem vorübergehenden Trend. Das Thema Klima- und Umweltschutz ist in meinen Augen mehr, nämlich fester Bestandteil der täglichen Debatten – vielleicht sogar schon des täglichen Lebens – und damit auch im Sport angekommen. Einem Bereich, der sich sonst in gesellschaftlichen Debatten leider gerne zurückhält. Wir sprechen wieder übers Wetter, und zwar nicht aus Langeweile, sondern weil sich heiße Sommer, Dürre, Waldbrände, Starkregen und ausbleibender Schneefall in besorgniserregender Art und Weise häufen. Der Mensch hat maßgeblich zum Klimawandel beigetragen und dass wir Schnee hunderte Kilometer transportieren, um unsere Gewohnheiten – und dazu zähle ich auch populäre Sport-Großereignisse – erhalten zu können, veranschaulicht das Dilemma ganz gut.
Der ehemalige Vorstandsvorsitzende des DOSB, Michael Vesper, auch ein Grüner, hat in einem Interview bei der ersten Skiaktion auf Schalke gesagt, das müsse man wie Karneval sehen – daran würden sich Millionen begeistern. Teilen Sie diese Meinung? Und kann man damit die enormen Energie- und Transportkosten rechtfertigen?
Deisenhofer: Die Grundabsicht hinter den Sportveranstaltungen in der Arena auf Schalke ist ja, der Bevölkerung Sportarten abseits des Fußballs näher zu bringen und deren Reiz zu verdeutlichen. Für jede Sportlerin und jeden Sportler ist diese Kulisse einzigartig und Lohn für die harte Arbeit in der Saisonvorbereitung. Klimaverträglichkeit muss aber bei jedem sportlichen Großereignis mitgedacht und mit abgewogen werden.
Natürliche Wetterbedingungen sind für manche Sportarten und vor allem für deren Spitzensport eher ein Hindernis. Spitzenleute brauchen für ihre Rennen präparierte Pisten und Loipen. Und so ist es dann schon kurios, wenn nur Pisten und Loipen einen Hauch von Winter in einer ansonsten eher frühlingshaften Umgebung vermitteln. Ist das für Sie noch Wintersport?
Deisenhofer: Diesen Anblick finde ich tatsächlich mehr als gewöhnungsbedürftig. Wir tun gut daran, wenn wir die Wettbewerbe dort austragen, wo sich die typischen und optimalen Voraussetzungen mit dem geringsten Aufwand herstellen lassen. Aufgrund der Witterungsverhältnisse ist das aber nicht immer möglich. Für größere Events braucht es eben auch Planbarkeit unabhängig von den Launen des Wetters.
Es braucht Druck von außen
Sieht man sich wissenschaftliche Studien an oder fährt man in Mittelgebirge, Voralpenland oder Alpen, sieht man ja auch die Veränderungen: Schnee wird immer weniger, Gletscher schwinden.
Wäre es da nicht Zeit für die betroffenen Sportverbände, sich nicht nur mit Klimasiegeln zu schmücken und Fensterreden zu halten, sondern auch umzudenken?
Deisenhofer: Nach meinem Empfinden schlägt die Stimmung gerade um – vor allem bei den Fans und den Sportlerinnen und Sportlern. Aber genauso wie in der Politik braucht es auch im Sport oft Anregungen und Druck von außen. Oft unterhalten die führenden Köpfe auf Sportebene enge Beziehungen in die Politik. Es ist für die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger dann immer am bequemsten, so weiter zu machen wie bisher. Dieser Weg folgt gerade im Spitzensport oft den Gesetzmäßigkeiten des Profits. Und dass sich ethisches Handeln und Gewinnmaximierung schlecht vertragen, zeigen nicht zuletzt die vielen Skandale in IOC und FIFA in den letzten Jahren.
Der Sport war schon einmal in den 70-er und 80-er Jahren auf einem guten Weg, war sogar Vorreiter bei Klima- und Naturschutz. Heute hört man wenig, nur wenn Sport unmittelbar betroffen ist: Etwa bei Problemen mit Kunstrasen. Fehlt es an Bewusstsein und Einsicht?
Deisenhofer: Ja und ja. Wir brauchen in der gesamten Gesellschaft mehr Bewusstsein und Einsicht, natürlich auch im Sport! Ich unterstelle keinem Verband und keinem Verein eine böse Absicht, wenn er beispielsweise eine Kunstrasenanlage errichtet. Sie tun es für ihre Sportlerinnen und Sportler und wollen nicht bewusst der Umwelt schaden. Glücklicherweise gibt es endlich auch umweltverträgliche Lösungen, die viele Funktionäre aber nicht kennen. Ich habe mir Anlagen angesehen, die komplett ohne Mikroplastik-Fill-In auskommen. Die kosten natürlich mehr Geld – und das muss es uns wert sein.
Auch bei der Diskussion um die Bewerbung für sportliche Großereignisse stehen Klimafragen bei uns nicht so im Vordergrund. Man weist gerne auf andere, etwa die Fußball-WM in Katar, oder die Winterspiele in Peking. Müssen Kommunen und Sportverbände da zur Vernunft gebracht werden? Vielleicht auch, dass das dann nicht mehr der Steuerzahler finanziert?
Deisenhofer: Die größten Events haben die größte Strahlkraft – und bringen das meiste Geld. Unsere Gesellschaft muss sich daran messen lassen, wie sie mit Sportgroßereignissen umgeht. Diese lassen sich mit cleverer Planung auch sehr viel ressourcenschonender umsetzen als bisher. Ich bin zudem der festen Überzeugung, dass die Veranstalter vom eingeschlagenen Weg abrücken, wenn die Ränge in Katar oder Peking leer bleiben, Fans auf den Kauf von Trikots verzichten oder ihre Mitgliedschaften aufkündigen.
Wir sind für unsere Kommunen verantwortlich. Wir wollen ihnen helfen, für ihren Sportbetrieb findige und umweltverträgliche Lösungen zu finden und sollten sie in Form attraktiver Fördersätze auf diesem Weg bestärken.
Nicht nur der Sport, sondern auch Tourismusverbände sind gefordert. Was sagen Sie denen, die immer noch einen weiteren Lift, eine weitere Piste bauen wollen, zum Beispiel für E-Biker über die Almwiesen?
Deisenhofer: So können wir nicht weiter machen, das muss allen klar sein. Unsere Landschaften, gerade die in Bayern, sind ausgesprochen schön und schützenswert. Wir sollten uns immer verinnerlichen, dass unsere Kinder und Enkel auch noch was davon haben sollen. Der Weg muss ganz klar in Richtung sanften und nachhaltigen Tourismus gehen.
Wenn Sie das alles sehen: Was kommt da auf Sie als Grüner und sportpolitischer Sprecher in einem auch vom Tourismus und Sport lebenden Bayern in nächster Zeit zu?
Deisenhofer: An Aufgaben mangelt es nicht. Wir müssen jetzt loslegen und uns aufmachen für ein nachhaltigeres, zukunftsfähiges und lebenswertes Bayern. Was nützt uns der Tourismus, wenn wir unsere Ressourcen aufbrauchen und uns die bis dahin grünen Oasen keine Erholung mehr bieten? Und wir müssen gerade den Breitensport stärker mitdenken. Der schafft sozialen Zusammenhalt, fördert unsere Gesundheit und bildet die Basis für die Leistungssportlerinnen und Leistungssportler von morgen.